Das Noch-Nicht-Sein ist ein zentraler Gegenstand der Philosophie Ernst Blochs.

"Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst" (Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie)

Das Noch-Nicht-Bewusste

Bearbeiten

Ernst Bloch setzt dem psychoanalytischen Unbewussten das Noch-Nicht-Bewusste entgegen, welches vor allem in Wachträumen – später bevorzugt er den Begriff Tagträume – erscheint:

„Die Wachträume ziehen, sofern sie echte Zukunft enthalten, allesamt in dieses Noch-Nicht-Bewusste, ins ungeworden-ungefüllte oder utopische Feld.“ (Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, S. 218)

Bloch grenzt sich von Sigmund Freud ab, der nur die Nachtträume analysierte. Während sich das Unbewusste in der Psychoanalyse auf die Vergangenheit, auf Kindheits-Erlebnisse bezieht, ist das Noch-Nicht-Bewusste auf die Zukunft gerichtet und ist eine Form der Antizipation.

Das Noch-Nicht-Bewusste findet in zweifacher Hinsicht Widerstände vor: zum einen, dass es die Wirklichkeit nicht richtig "abbildet", zum anderen im Sachverhalt selber, der noch gar nicht richtig entwickelt ist. Dieses Noch-Nicht-Bewusste zeigt sich in der Politik, in der Ethik, der Kunst und der Religion als Vor-Schein einer besseren Welt. Ernst Bloch plädiert für einen militanten Optimismus, denn, so Bloch: "Wo die Gefahr wächst, wächst das Rettende auch". Er wendet sich gegen das scheinbar unüberwindbar Widersacherische der Gegenwart mit dem "Schlachtruf": "Desto schlimmer für die Tatsachen" und setzt dem vermeintlich Realen der aktuellen Tagespolitik das substanzvollere Reale einer Ontologie des Noch-Nicht-Seins gegenüber:

"Denn das Reale enthält in seinem Sein die Möglichkeit eines Seins wie Utopie, das es gewiss noch nicht gibt, doch es gibt den fundierten, fundierbaren Vor-Schein davon und dessen utopisch-prinzipiellen Begriff, so politisch wie ethisch wie ästhetisch wie metareligiös."[1]

Das heißt, das Reale vermittelt selbst den Vor-Schein und bildet so das Noch-Nicht-Bewusste.

Ontologie des Noch-Nicht-Seins

Bearbeiten

Das Noch-Nicht bei Ernst Bloch ist einer von drei ontologischen Grundbegriffen:

  • das Nicht
  • das Noch-Nicht
  • das Nichts oder aber das Alles

Diesen kategorialen Grundbegriffen kommen drei Grundaffekte zu: Hunger, Verzweiflung (Vernichtung) und Zuversicht (Rettung) und die drei "Transmissionskategorien" Ursprung, Tendenz, Latenz.

Ontologische Grundbegriff nach Bloch
Ontolog. Begriffe Nicht Noch-Nicht Nichts oder aber Alles
zeitliche Bestimmung Ursprung Geschichte Ende
Transmissionskategorie Ursprung Tendenz Latenz
Grundaffekte Hunger Hunger Verzweiflung bzw Zuversicht
(Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. Main: Suhrkamp Verlag, S.357)


Das Noch-Nicht charakterisiert die Tendenz im materiellen Prozess, als des sich herausprozessierenden, zur Manifestierung seines Inhalts tendierenden Ursprungs.[2]

Literatur

Bearbeiten

Literatur von Ernst Bloch

Bearbeiten
  • Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. Main: Suhrkamp Verlag, 1959
  • Ernst Bloch: Philosophische Grundfragen, I. Zur Ontologie des Noch-Nicht-Seins. Frankfurt 1961
  • Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie

Sekundärliteratur

Bearbeiten
  • Jan Robert Bloch (Hrsg.):"Ich bin. Aber ich habe mich noch nicht. Darum werden wir erst." Perspektiven der Philosophie Ernst Blochs Frankfurt a. Main: Suhrkamp-Verlag, 2002
  • Francesco Totaro: Ernst Bloch. Philosophische Grundgedanken I: Zur Ontologie des Noch-Nicht-Seins, in: Rivista di filosofia neoscolastica 1/1964
  • Jörg Splett: Docta spes. Zu Ernst Blochs Ontologie des Noch-Nicht-Seins, in: Theologie und Philosophie 54 (1969), 383-394
Bearbeiten
  1. Ernst Bloch: Experimentum Mundi. Frage, Kategorien des Herausbringens, Praxis, Frankfurt a. Main: Suhrkamp Verlag, 1975, S. 238
  2. Ernst Bloch: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. Main: Suhrkamp Verlag, S.357