Kristallisation (Polymer)

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Die Kristallisation ist ein Effekt der Polymerphysik, der bei einigen thermoplastischen Polymeren beobachtet wird. Hier kommt es zu einer teilweisen Ordnung der Molekülketten im Polymer, welche die Eigenschaften eines Polymers deutlich verändern. Da diese Ordnung unvollständig ist, spricht man bei dieser Art von Polymeren von teilkristallinen Polymeren. Meist bilden sich in den kristallinen Bereichen Überstrukturen aus, die als sogenannte Sphärolithe bezeichnet werden.

Kristallitbildung und -aufbau

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Abb. 1: schematische Anordnung der Molekülketten in amorphen und kristallinen Bereichen

Alle Polymere sind aus sehr langen Molekülketten aufgebaut. Thermoplastische Polymere zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei Temperaturerhöhung schmelzen. In der Schmelze sind die Molekülketten unregelmäßig in Form von Knäulen angeordnet (Abb. 1), die einander vielfältig durchdringen (Verschlaufung). Bei vielen thermoplastischen Polymeren bleibt diese Unordnung bei der Abkühlung als amorphe Struktur im erstarrten Festkörper erhalten.[1]

Kühlt man hingegen die Schmelze eines teilkristallinen Polymers (eine Untergruppe der Thermoplasten) ab, so bewegen sich die Ketten immer weniger und beginnen sich regelmäßig anzuordnen (Kristallisation). Es kommt zu einer Ausbildung von Ordnungszuständen ('Kristalliten') mit einer typischen Größe von 15-100 nm. Diese Kristallite sind nicht zu verwechseln mit Kristallen im kristallografischen Sinne, bei denen die Atome regelmäßig in einer Elementarzelle angeordnet sind, welche sich in alle Raumrichtungen perodisch wiederholt.

Bei der Kristallisation von Polymeren lagern sich Teile der Molekülketten parallel aneinander. Energetisch am günstigsten wäre, wenn die Moleküle über die gesamte Länge der Molekülkette parallel angeordnet wären. Da die Molekülketten in der Schmelze jedoch als wirre, miteinander verschlungene Knäule vorliegen, ist diese Ordnung in der Realität nicht oder nur unter sehr hohem Druck erreichbar. Es bilden sich daher Lamellenstrukturen (Kristallite) mit gefalteten Molekülketten aus (Abb. 1).[1] Die Ordnung ist dabei nicht als vollständig anzusehen. Es können sich an den Faltungsbögen z. B. kleinere oder größere Schlaufen bilden. Auch ist es üblich, dass eine Molekülkette einen Kristallit verlässt und in einen anderen wieder einmündet. Jeder Kristallit besteht daher aus geordneten (kristallinen) und ungeordneten (amorphen) Teilbereichen.[1] Dieses ist auch der Grund, dass selbst wenn das Polymer makroskopisch keine amorphen Bereiche aufweist ein Polymer-Werkstoff nur als teilkristallin bezeichnet werden kann.

 
Abb. 2a: isotaktisches Polypropylen (PP)
 
Abb. 2b ataktisches Polypropylen (PP)

Ob Kunststoffe kristallisieren können, hängt von ihrem molekularen Aufbau ab. Am besten kristallisieren unverzweigte Molekülketten mit keinen oder möglichst wenigen, dafür aber regelmäßig angeordneten Seitengruppen. Beispiele für teilkristalline Polymere sind lineares Polyethylen (PE), Polytetrafluorethylen (PTFE) oder isotaktisches Polypropylen (PP).[1]

Beispiel: Beim isotaktischen Polypropylen sind die CH3-Seitengruppen regelmäßig alle auf einer Seite der Molekülkette angeordnet (Abb. 2a). Damit ist es möglich, dass sich zwei derartige Kettenteile nahezu an allen Positionen aneinanderlagern können. Es gibt jedoch auch Polymere, bei denen die Seitengruppen an verschiedenen Seiten der Kette angebracht sind. Kommt noch zusätzlich eine unregelmäßige Abfolge der Seitenketten hinzu (wie z. B. beim ataktischen Polypropylen in Abb. 2b), so kommt es nur dann zu einer Aneinanderlagerung der Ketten, wenn die Abfolge der CH3-Seitengruppen mit der Nachbarkette übereinstimmt. Eine Kristallisation wird dadurch deutlich erschwert oder sogar verhindert. Ataktische Polymere kristallisieren nur, wenn die Seitengruppen (Substituenten) sehr klein sind, wie beim Polyvinylfluorid.

Ähnliche Probleme bei der dichten parallelen Anordnung der Ketten ergeben sich auch bei größeren Seitengruppen. Prinzipiell gilt: je größer die Seitengruppen werden, um so schlechter kristallisiert das Polymer. Duroplaste oder Elastomere können sich aufgrund der Vernetzung der Ketten nicht kristallin anordnen. Auch bei verzweigten Polymeren wie Silikonen ist eine parallele Anordnung der Ketten ausgeschlossen.

Keimbildung

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Kristallinität, Kristallinitätsgrad, Kristallisationsgrad

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Der Kristallinitätsgrad bezeichnet den Anteil eines teilkristallinen Feststoffes, der kristallin ist. Bei Polymeren hängt der Kristallinitätsgrad von der thermischen Vergangenheit des Materials ab. Tempern, das heißt, dass Polymer lange Zeit auf knapp unter den Schmelzpunkt zu erwärmen, erhöht die Kristallinität. Die Polymerketten können sich dann ordnen.

Typischerweise werden Kristallinitäten von 10 bis 80% technisch angewendet. Das Erreichen von höheren Kristallinitäten ist nur möglich bei niedermolekularen Materialien und/oder speziell getemperten Proben. Im ersteren Fall wird das Material dadurch spröde, im letzteren ist das Tempern zu kostspielig für eine Anwendung. Kristallinitäten unter 10% führen zu einer zu hohen Kriechneigung, wenn der Glasübergang unterhalb der Anwendungstemperatur liegt.

Nachweis kristalliner Bereiche und Bestimmung Kristallinität

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Methoden zur Bestimmung der Kristallinität bei Polymeren sind DSC, Dichtemessung, Doppelbrechungsmessungen mit dem Polarisationsmikroskop, Röntgenbeugung, IR-Spektroskopie oder NMR. Die verwendete Einheit der Kristallinität hängt von der Messmethode ab. In der Regel wird sie als Massenbruch oder Molenbruch angegeben.

Eigenschaften teilkristalliner Polymere

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In der Regel sind teilkristalline Polymere opak, d.h. eingetrübt. Das liegt an der Lichtbrechung aufgrund der unterschiedlichen Brechungsindices von kristallinen und amorphen Bereichen. Der Eintrübungsgrad nimmt mit der Kristallinität zu, hängt aber auch von Unterschieden im Brechungsindex ab. So ist z.B. syndiotaktisches Polypropylen fast vollständig durchsichtig, während isotaktisches Polypropylen mit vergleichbarer Kristallinität von ca. 50% stark opak ist. Das lässt sich durch die unterschiedliche Kristallstruktur dieser beiden Modifikationen erklären.

Literatur

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  • Bernd Tieke (2000): Makromolekulare Chemie. Eine Einführung Wiley-VCH, Weinheim. ISBN 978-3527293643

Einzelnachweise

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  1. a b c d Ehrenstein, Polymer-Werkstoffe, Hanser Fachbuch, ISBN 3446211616