Werner Pöhlert (30.9.1928 - 3o.9.2000) Führender Gitarrist im deutschen Jazz (Bebop) der 1950er Jahre. Geboren und aufgewachsen in Hamburg.

Ausbildung autodidaktisch, nachdem man ihm auf der Musikhochschule vorgehalten hatte, Gitarre sei doch "kein Instrument". - Pöhlert versprach: "Ich werde euch noch zeigen, was ein Instrument ist."

Seit 1953 lebte er im Raum Mannheim. Hier spielte er im Wolfgang Lauth-Quartett und bildete eigene Formationen. Auf einem Frankfurter Jazz-Festival wurde er zum "Jazzgitarristen Nr. 1" gewählt. Breite Aufmerksamkeit erregte eine von Joachim Ernst Behrend begleitete Tournee zum Thema "Jazz und Alte Musik". Zahlreiche Schallplatten dokumentieren Pöhlerts Tätigkeit.

Mit 8 Stunden Tanzmusik pro Tag erwarb er seine materielle Basis, aber auch unwahrscheinliches technisch-musikalisches Können. Danach ging es in den Jazzkeller, um die eigene und eigentliche Musik zu machen. Nach wenig Schlaf war der Rest des Tages ausgefüllt mit Üben und Arrangieren. Pöhlert liebte die offene und kameradschaftliche Atmosphäre in den Kellern. Die Musiker zeigten sich gegenseitig technische Tricks auf den Instrumenten, und auch die berühmtesten von ihnen fanden nichts dabei, mit völlig unbekannten Leuten zusammen zu spielen.

Dies änderte sich Ende der 50er Jahre. Nun wurde auch der Jazz zunehmend kommerzialisiert und Konkurrenz prägte das Verhältnis zwischen den Musikern. Daran hatte Pöhlert kein Interesse: Er kehrte der Jazz-Szene den Rücken und ging 1962/63 nach Basel, um an der Schola Cantorum Lauthe und Alte Musik zu studieren.

Zusätzlich inspiriert durch Andres Segovias klassisches Gitarrenspiel erhielt Pöhlerts zuvor schon begonnene pädagogische Tätigkeit nun ein denkbar breites Fundament, indem sie einen Zeitraum von rund 500 Jahren abdeckte. Seine Private Musikschule in Mannheim florierte.

Pöhlert trat nun an das Kultusministerium Baden/Württemberg heran und verlangte, daß Gitarre als Hauptfach an den Musikhochschulen eingeführt würde. Seine hartnäckigen Bemühungen führten letztlich zum Erfolg, und er startete selber eine Gitarrenklasse an der Mannheimer Hochschule.

Er achtete darauf, keine weltfremden "Wolkenkuckucksheimer" zu produzieren, sondern allseitig ausgebildete Musiker, die sich mit Tanz- und sonstiger Gebrauchsmusik jederzeit ihren Lebensunterhalt erwerben konnten.

Seine ersten Hochschüler waren denn auch bereits erfahrene Tanzmusiker. Ursprünglich hatten sie handwerkliche Berufe erlernt und standen einem proletarischen Milieu allemal näher als akademischen Kreisen. Für Pöhlert war das aber ganz in Ordnung. Er hielt keine großen Stücke auf "die Intellektuellen", legte Wert darauf, daß er selber aus der proletarisch geprägten Hamburger "Gärtnerstraße" stammte und betonte, daß die Jazz-Szene der 50er Jahre weithin von Arbeitern oder ehemaligen Arbeitern getragen wurde.

Aus seinen Hochschülern bildete Pöhlert einen Lauthenchor, der eine LP mit Sätzen von Jan de Lublin herausbrachte. Später traten zu diesem Kern Gambe, Blockflöten, Krummhörner, Cembalo, Clavichord, Orgelpositiv sowie Gesangssolisten hinzu. Unter dem Namen "Renaissance-Ensemble Pöhlert" brachte diese Formation mehrere LPs heraus und trat 1969 auf dem "Flandernfestival" fürAlte Musik in Brügge auf. Das Ensemble zeichnete sich aus durch farbenreiche Besetzungen und stringente Tempi.

Pöhlert hatte in der alten Musik zahlreiche Aspekte entdeckt, die ihm aus der Jazz-Praxis geläufig waren. Insbesondere betraf dies Tempo und Rhythmus. Er zeigte, daß in diesen alten Sätzen richtig "die Post abgehen" kann.

Das Ensemble wurde nochmals umgeformt und erweitert zum "Kollektiv Alte Musik", das ebenfalls mit einer LP hervortrat.

Von Kindheit an war Werner Pöhlert ein Nonkonformist und Rebell. Den Nazi-Erziehern in Schule, Heimen und Lagern machte er durch Regelverstöße und gewagte Streiche das Leben schwer. Im Prinzip Einzelkämpfer, sammelte sich doch immer eine Clique um ihn, die sich von seinen Ideen anstecken ließ.

Als er nach dem Krieg die Trümmerfelder sah, habe er geweint, so erezählte er, und sich geschworen, das ihm möglich zu tun, daß so etwas nicht wieder geschehen könne.

Wenn er nicht gerade Gitarre spielte, erlebte man ihn denn auch ständig in intensive Gespräche und Diskussionen verwickelt über Politik und sämtliche gesellschaftlichen Fragen. Auch vom Podium des Jazzkellers aus hielt er flammende Reden für Opposition und "echte Demokratie".

Der 68er Bewegung stand er reserviert, ja ablehnend gegenüber. Von diesen "Bürgersöhnchen" erwartete er nichts Gutes. Er stellte allerhand Analysen an und prophezeihte, daß die jetzt so rebellischen Studenten ganz schnell "umkippen" würden, wären sie erst einmal in Amt und Würden.

In die Teile der Bewegung, die sich von der Universität lösten, um eine Bildungs- und Überzeugungsarbeit in der arbeitenden Bevölkerung aufzunehmen, setzte er jedoch Hoffnungen. Er beschäftigte sich mit Marx und Engels und schloß sich dem Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) an. Nun konnte man ihn frühmorgens an den Fabriktoren Flugblätter verteilen und an den Infoständen mit den Passanten diskutieren sehen. Natürlich nahm er sich auch der Kulturarbeit an: Lieder der deutschen Arbeiterbewegung wurden mit Jazzharmonien aufbereitet, eigene Songs zu zahlreichen aktuellen Themen kreiert. "Drum links" nannte sich die Band und dokumentierte ihre Arbeit auf einer LP.

Pöhlert hatte einen unglaublichen Einfluß bei der Jugend und aufgeschlossenen Menschen der ganzen Region. An seiner Privatmusikschule in Mannheim wurden bis zu 1000 (!) Schüler unterrichtet. Er selbst hatte ein volles Deputat an einem musischen Gymnasium und unterrichtete an den Jugendmusikschulen in Ludwigshafen und Weinheim/Bergstr.. Zusätzlich leitete er noch mehrere Ensembles, und die Nächte verbrachte er mit diversen "Cliquen". Sein Schlafpensum mag vielleicht 10 bis 15 Stunden pro Woche (!) betragen haben.

Mit seinen temperamentvollen Darlegungen und Demonstrationen hat er bei so manchem Zuhörer in einigen Minuten Lernerfolge ausgelöst, gegenüber denen die Ergebnisse langjährigen Musikunterrichts bedeutungslos dastanden. - Auch war es erstaunlich, wie schnell und sicher er Leute auf Instrumenten ausbildete, die er selber nie gespielt hatte. In den Nächten - aber auch in den "normalen" Musikstunden - ging es gleichwohl oft nur "am Rande" um Musik, sondern um Lebensfragen aller Art und ganz viel um Politik.

Anfang der 70er Jahre übernahm Pöhlert die Leitung der Weinheimer Musikschule. Und wer ihn in seinem Büro aufsuchte, fand sich - egal aus welchem Anlaß er gekommen war - alsbald in eine Diskussion verwickelt und kam ohne eine "Kommunistische Volkszeitung" oder eine neue KBW-Broschüre kaum wieder heraus. Nach und nach stellte er 7 KBW-Genossen als Lehrer ein. Diese entfalteten bald rege gewerkschaftliche Aktivitäten. Man forderte BAT-Verträge für die ziemlich rechtlos gestellten Musiklehrer. Pöhlert solidarisierte sich mit diesen Bestrebungen und berief Lehrerkonferenzen ein, in denen die Forderungen diskutiert und Resolutionen verabschiedet wurden.

Die übergeordneten Ebenen der Stadtverwaltung betrachteten dies als eine Zweckentfremdung der Lehrerkonferenzen und verlangten von Pöhlert, gegenüber den Musiklehrern die Arbeitgeberposition zu vertreten. Natürlich waren sie da an den Falschen geraten. Die Situation spitzte sich zu, und eines Tages erhielt Pöhlert die Kündigung.

Mit der Schule war es unter seiner Leitung nur aufwärts gegangen. Es herrschte ein überaus lebendiges, experimentierfreudiges Klima. Von Monat zu Monat wuchs die Schülerzahl, und finanziell produzierte die Schule Überschüsse, mit denen andere Bereiche der Volkshochschule subventioniert wurde.

Als die Kündigung vorlag, wurde auf einer sofortigen Lehrerkonferenz der unbefristete Streik beschlossen. Die Eltern solidarisierten sich. Statt zu unterrichteten, veranstalteten die Lehrer musikalische Events und Informationen auf Straßen, Plätzen und in Sälen. In der zweiten Woche zeigten die Drohungen der Stadtverwaltung Wirkung. Die meisten Lehrer fingen nach und nach wieder an zu unterrichten bis auf die 7 KBWler. Sie wurden entlassen.

In den nachfolgenden Arbeitsgerichtsprozessen erreichten einige jedoch die Wiedereinstellung. - Und nun geschah etwas Erstaunliches: Wenn die Stadtbürokratie gedacht hatte, wenigstens Herrn Pöhlert losgeworden zu sein, mußte sie sich darin nun getäuscht sehen: Die wiedereingestellten Lehrer waren zwischenzeitlich nämlich von Werner Pöhlert adoptiert worden. So liefen nun also gleich mehrere Musiklehrer herum, die mit "Herr Pöhlert" angeredet werden mußten! - Selbstredend, daß sie auch im Geiste ihres Adoptivvaters tätig waren. (Auch die Forderung nach BAT-Verträgen wurde nach einiger erfüllt.)

Werner Pöhlert war nun "arbeitslos" - welch absurdes Attribut für diesen Menschen!

Er bewarb sich deutschlandweit, erhielt aber nur Absagen - ganz offensichtlich nachdem man seinen bisherigen Arbeitgeber kontaktiert hatte. - Seine Privatmusikschule hatte er schon von etlicher Zeit veräußert und den Erlös für Volksbefreiungskämpfe in Afrika gespendet.

Die zusätzlich Zeit, die ihm nun zur Verfügung stand, widmete er der Organisation. Namentlich ließ er sich in der Druckerei anlernen und genoß es offensichtlich, nun auch praktisch als Arbeiter tätig zu sein.

Trotz seinem enormen Beitrag zum Wachstum der Organisation war er innerhalb des KBW alles andere als ein Wortführer. Diejenigen, die ihn von früher kannten, mußten sich wundern, wie zurückhaltend und bescheiden er auftrat, wie er sich ein- und unterordnete.

Dies änderte sich erst wieder in der Niedergangsphase des KBW. Als nun viele, auch vormals führende Genossen die Organisation verließen, konfrontierte er sie schonungslos mit seiner "Umkipp-Theorie". Er selber blieb nun erst recht Mitglied, hoffend, daß nach dem Ausscheiden der Spreu Weizenkörner übrig bleiben würden. Erst als auch dies nicht eintrat, verabschiedete er sich von dem Projekt KBW.

Nun setzte er die Arbeit in seinem persönlichen Stil fort. Mit seinen engsten Schülern bezog er ein Haus und praktizierte hier den Kommunismus schon mal im Kleinen.Die Gemeinschaft gab eine Zeitschrift namens "Horizont" heraus, worin das Zeitgeschehen aus Sicht der Arbeiterklasse beleuchtet wurde. Aus interessanten Fernsehsendungen wurde ein umfangreiches Video-Archiv zusammengestellt. Gelegentlich fanden Film-Wochenenden zu bestimmten Themen statt. Diese Filmdarbietungen, versehen mit Werners belebenden und lachreizenden Kommentaren dürften allen Teilnehmern unvergeßlich sein. Pöhlerts Meisterschüler Jochen Pöhlert - gleichzeitig ein talentierter Zeichner - arbeitete das gesamte Kommunistische Manifest in eine Comic-Serie um, um Jugendlichen den Zugang zu erleichtern. Eine ganze Reihe von Intellektuellen aus Pöhlerts Kreis absolvierten eine handwerkliche Lehre und wurden Fabrikarbeiter, waren meist auch in Gewerkschaft und Betriebsrat aktiv.

Ansonsten verlagerte sich der Schwerpunkt im Pöhlert-Haus wieder zunehmend auf die Musik, und zwar nun wieder auf den Jazz. Pöhlert ging daran, alles was er früher im Jazz spontan und intuitiv gemacht hatte, zu analysieren und in einer Weise darzustellen, daß Musiker es aufnehmen konnten, die die lebendige Jazz-Tradition nicht mehr miterlebt hatten. Es entstanden die "Grundlagenharmonik" sowie Improvisationsanleitungen für verschiedene Instrumente.

Pöhlert setzte immer wieder Hoffnung auf die nachwachsenden Generationen, und bis in sein Alter zog er 15-, 16-jährige und jüngere an. - Was die Combos, die er aus ihnen zusammenstellte, zuwege brachten, ist auf etlichen CDs zu hören und löst kopfschüttelndes Erstaunen aus.

Zunehmende körperliche Gebrechen ließen ihn sich zunehmend zurückziehen. Doch hatte er gründlich vorgesorgt, daß andere die Arbeit weiterführen konnten: allen voran sein Adoptivsohn Jochen, den er zu einem überragenden Instrumentalisten und Pädagogen ausgebildet hatte.

"Vernünftig leben" - so nannte er, was er selber für sich praktizierte und wozu er auch andere zu animieren versuchte. Es umfaßte den Genuß von Speis, Trank, Sexualität ebenso wie die Verbindung mit einem engen Freundeskreis, der "Clique", und Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft und der Menschheit. Die Musik bildete gewiß den Hauptfokus in seinem Leben, doch konnte man aus seinem Mund durchaus auch hören, er sei "kein Musiker". Damit distanzierte er sich von Spezialisten- und Fachidiotentum, worüber er wegen dessen betulicher Beschränktheit immer wieder spottete.

In der tat kam es in einer Gesprächsrunde selten zu einem Thema, in dem er sich nicht als Experte erwies - sei es das Verhältnis zum anderen Geschlecht, mittelalterlicher Städtebau, Einsteins Relativitätstheorie, indische Philosophie... Er war ein Mensch, der einfach wach durchs Leben ging, jeden Eindruck und Einfluß - mochte er auch unbedeutend erscheinen - wichtig nahm und sich ihm intensiv zuwandte.

In diese Intensität versuchte er auch seinen Schülerkrei einzuführen - natürlich angefangen mit Methoden intensiven Übens auf dem Instrument bis dahin, mit wenig Schlaf auszukommen.

Für all das Wertvolle, das er an die mit ihm verkehrenden Menschen weitergab, verlangte er nie eine Gegenleistung geschweigedenn Bezahlung. Im Gegenteil: wenn lange nach der Polizeistunde alle Ausreden nichts mehr nutzten und man ein Lokal dann doch verlassen mußte, war er es in aller Regel, der sich die Rechnung der gesamten Runde bringen ließ. Auch seine Publikationen verteilte er meistens kostenlos, nahm aber gern Spenden von solchen, denen es nichts ausmachte. So realisierte er in seinem persönlichen Feld ein Stück Umverteilung, bzw. setzte das Marktgesetz vom Äquivalententausch außer Kraft.

Werner Pöhlert hat vorgelebt, wie man seinen Weg frei und unabhängig gehen kann und wie eine nicht durch Gefühlsduselei kontaminierte Menschlichkeit aussieht.