Mein Anlaß

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Wikipedia hat sich in den letzten etwa zwei Jahren zu einem der meistbenutzten Nachschlagewerke entwickelt. Die Inhalte der Artikel werden nicht mehr nur im Netz, sondern auch in Druck-Publikationen, in Schulen und zur schnellen Recherche im Journalismus verwendet. In meinem beruflichem Umfeld erwies sich nun die deutsche Wikipedia durchweg als unbrauchbar, während sich die englische Variante etwa seit 2006/07 zu einem Standard-Tool entwickelt hat. Auf der Suche nach dem Grund wurde mir schnell klar, daß es zwei fundamental unterschiedliche Antworten auf die Fragen gibt: was ist WP, was ist das Ziel von WP, was ist eine Wissenssammlung (=Enzyklopädie).

Eine neue Form der Enzyklopädie?

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Ihrem Selbstverständnis nach ist Wikipedia eine Enzyklopädie des 21. Jahrhunderts, etwas völlig Neues, Revolutionäres, Noch-nie-dagewesenes. Gegründet wurde WP mit der Absicht, das Wissen der Welt zu sammeln und unter einer freien Lizenz dem interessierten Publikum zur Verfügung zu stellen. Die Idee: jeder kann die Artikel bearbeiten, ändern, ergänzen und korrigieren. In der Hoffnung, daß alle Mitarbeiter sich nur über die Themen äußern würden, von denen sie glauben, etwas zu verstehen. Das zweite Grundprinzip: an einem winzigen Kondensationskern, dem Artikel-Stub, bleibt im Laufe der Zeit immer mehr Wissen hängen, am Ende eines langen Prozesses steht zu jedem Lemma dann ein umfangreicher Text, der alle Aspekte und Sichtweisen würdigt.

Warum klappt das in der dt. Wikipedia nicht?

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Die englischsprachige WP hat sich aus diesen Prinzipien heraus zu einem bemerkenswerten Nachschlagewerk entwickelt, das insbesondere in den populären Themen ausgesprochen detailreich und umfassend informiert. Es gibt kaum ein Thema, zu dem nicht ein Mindestmaß an Informationen hinterlegt sind. Im Gegensatz dazu herrscht bei uns nach anfänglicher konstruktiven Phase offenbar seit Jahren eine destruktive Stimmung. Artikel (und natürlich am Ende deren Autoren) müssen sich permanent rechtfertigen, warum sie einen Eintrag in Wikipedia „verdient“ haben. Das Prinzip, ein Artikel darf aus einem minimalen Anfang wachsen, wird teilweise ins Gegenteil verkehrt. Die Stimmung zwischen den Autoren ist unglaublich schlecht, viele arbeiten gegen- und nicht mehr miteinander. Die deutschsprachige Wikipedia soll, so die Auffassung vieler Benutzer, zu einer Redaktionsenzyklopädie werden. Eine kleine Clique an Autoren will die „Kontrolle“ über „ihr Fach- oder Interessengebiet“ nicht verlieren. Nicht mehr die Nutzer (also die interessierten Leser) sollen im Blickfeld der Autoren stehen, sondern abstrakte, mehr willkürlich festgelegte sogenannte „Relevanzkriterien“ entscheiden über Wohl und Wehe eines Lemmas. Was den Leser interessiert, ist für viele nicht mehr wichtig. Daß die Relevanzkriterien nur dann festgelegt werden können, wenn man einen nicht-neutralen Standpunkt (POV) einnimmt, ist den meisten offenbar gar nicht bewußt. Und schon wieder wird eines der zentralen Grundprinzipien, der neutrale Standpunkt, über Bord geworfen. Eine große Anzahl an Entscheidern innerhalb der Autorenschaft will den Inhalt von WP sogar noch weiter einschränken: statt das Wissen der Welt soll nur noch das wissenschaftliche Wissen der Welt abgebildet werden. Folgt man diesem Ansatz, bleibt von der ursprünglichen Idee in der deutschen Version von WP gar nichts mehr übrig.

Lösung?

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Dadurch, daß beide Ansätze (kontrollierte Redaktionsenzyklopädie vs. offene Wissenssammlung) nicht miteinander in Einklang zu bringen sind, entsteht Frustration in beiden Lagern. Die einen sind frustriert, weil „jeder Dreck“ behalten wird, die anderen deshalb, weil „Löschtrolle das Wissen vernichten“. Daraus entsteht auf beiden Seiten großes Mißtrauen anderen unbekannten Benutzern gegenüber. Diese könnten ja das fragile Gebilde, das mehr schlecht als recht, aber immerhin einigermaßen funktioniert, ins Wanken bringen. Die Positionen, die man sich oft lange und mühsam erkämpft hat, geraten in Gefahr. Jeder, der momentan als sehr aktiver Benutzer tätig ist, hat sich mit dieser Situation arrangiert. Es gilt zu verhindern, daß die Grabenkämpfe wieder aufflammen. Darum wird die Gegenseite bis aufs Blut (hier also durch unfaire und unsachliche Argumentation) bekämpft. Neue Aspekte werden als Bedrohung angesehen, der andere höchst mißtrauisch beäugt. Ein Klima, aus dem keine konstruktive Zukunft (für beide Seiten) entstehen kann. Angenommen, meine Überlegungen sind richtig, wird es keine Lösung aus dem Dilemma geben, es sei denn, eine der beiden Seiten gibt auf.

Aufspaltung?

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Eine sinnvolle Lösung wäre es, de.wikipedia an dieser Stelle zu teilen. Für beide wird ein neues, jeweils grundlegend unterschiedliches Regelwerk entworfen. Bedingung ist natürlich, daß die Artikel alle übernommen werden, ein Neustart bei 0 ist zum Scheitern verurteilt. Beide Ansichten sind nämlich berechtigt und auch von Leserinteresse, unter einem Dach schwächen sie sich aber gegenseitig.