Interview von Martin Hanni des Salto.bz mit Wolfgang Moroder über Max Tosi

Max Tosi wird als größter ladinischer Poet bezeichnet. Dabei ist er eigentlich Friulaner. Wie ist das möglich?

Die Mutter stammte aus dem Friaul, der Vater aus dem Veneto und Max Tosi wurde in der Provinz Rovigo geboren. Die Familie siedelte jedoch bald nach Meran um, das Datum ist nicht bekannt, wo der Vater als Beamter arbeitete und die Mutter als Lehrerin. Er kann also leicht als naturalisierter Südtiroler gesehen werden. Max Tosi verbrachte seine Sommermonate schon in frühem Alter (12 Jahre) mit der Mutter in St. Ulrich in Gröden wo er die ladinische Sprache (laut ihm mit viel Mühe) erlernte. Er besuchte das klassische Lyzeum Carducci in Meran (damals gabs kein Deutsch in den Schulen), aber schon mit 22 Jahren befasste er sich intensiv mit den tirolerischen (bajuwarischen) Dialekten, wie aus schriftlichen Dokumenten (seine Niederschriften von unzähligen tirolerischen Schriften) hervorgeht.

Welche sprachlichen Einflüsse finden sich in Tosis ladinischer Literatur? Auch Deutsche, Italienische, Friulanische…?

Tosis allgemeine Kultur und Interessen waren groß, er kannte auch die tirolische Kultur und Geschichte in sehr umfangreichem Masse. Tosi war sprachlich sehr begabt. Er sprach Italienisch, Ladinisch, Deutsch und Französisch nahezu perfekt. Hatte natürlich Latein und Griechisch gelernt. Kannte auch das Friaulische, Nosbergerische, Rätoromanische der Schweiz in einem gewissen Umfang. In seiner Poesie sind oft Lehnwörter oder Wörter mit Herkunft aus dem Retoromanischen, Französischen, Friaulischen, Provenzalischem auch Italienischen und Deutschen vorhanden. Diese Wörter benutzte er sehr frei, je nach metrischen Bedürfnissen, in seiner Poesie, wobei er die Metrik immer strengstens befolgte. Für seine schriftstellerische und poetische Freiheit ist er auch gut bekannt und geschätzt, und dafür setzte er ein wichtiges und pionieristisches Zeichen in der ladinischen Literatur, das jedoch sehr wenig (leider) befolgt wird. Max Tosi wollte die ladinische Bauernsprache in eine literarische erheben. Im Concordia N. 2 schrieb er : nosc Parlé (französisches Lehnwort) dëssa deventé Lingua de cultura a per a'l talian y a per a'l tudësch (unser Reden soll Kultursprache werden wie das Italienische und das Deutsche).

Max Tosi war auch an der Zeitung CONCORDIA beteiligt. Was weiß man dazu?

Die Wochenzeitung Concordia erschien zum ersten mal in Bozen im Januar 1946 bis Nr. 25 am 1. Juli 1946. Die Zeitschrift ist vollkommen unbekannt, hierzulande gibt es sie in keiner Bibliothek. Im Nachlass Tosi sind die Nummern Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 7, Nr. 10, Nr. 11 Nr. 12. Nr. 13, Nr. 16. Nr. 18. Nr. 19 Nr. 21, Nr. 22, Nr. 23. Nr. 25 vorhanden. Sie sind auch alle auf Wikipedia (Wikimedia-Commons) abgebildet. Das erste Exemplar der Zeitung fehlt leider im Nachlass. Schon in der 2. Nummer vom 21. Januar 1946 steht ganz oben, gross geschrieben: Il gruppo etnico ladino dell'Alto Adige confida nel Governo dell'Italia democratica. Max Tosi erklärt auf der ersten Seite, als Präsident der provisorischen Ladinervereinigung, die Zeitung als offizielles Organ der Vereinigung. Ein Beitrag Tosis "La voce dei Ladini" mit Unterschrift forfesc = Schere (Er sagte zu mir immer: ich schneide wie eine Schere) finden wir auf der zweiten Seite. Damals wurde viel mit Pseudonimen plubliziert, vielleicht noch aus Angst seit der faschistischen Diktatur). Der Artikel ist ein Aufruf an die Ladiner und besonders die Grödner, aus dem tausendjährigen Schlaf aufzuwachen, denn die Zeiten haben sich geändert und, wenn man weiterschläft, wird schon nach einer Generation alles verloren sein. Er erinnert auch an die Schlimme Zeit der Option, der Lügen der Politikanten und der Nationalisten die die ladinische Kultur den Ladinern stehlen und eigen machen wollten.

Wie würden sie die Zeitung COCORDIA politisch einordnen? Wie Tosi?

Sicher links, sowie Tosi der vielleicht Mitglied der sozialistischen Partei war. Die Zeitung, gegründet vom Rechtsanwalt Tèseo Rossi aus Bozen, erklärte sich aber im Titel als "Unparteiisches Wochenblatt zur Verbrüderung der Völkergruppen verschiedener Muttersprachen".

Tosi hatte sich nach dem Krieg sehr intensiv für die ladinische Kultur, ladinische Schule, ladinische Eigenständigkeit, zusammen mit Tresl Gruber, Verfasserin der ersten ladinischen Grammatik und Schulbücher in der Nachkriegszeit, um dessen Anerkennung als offizielle Sprache in Südtirol eingesetzt. Er gründete 1946 den Ladinerverein Meran (Union Culturela d'i Ladins a Maran), arbeitete mit Concordia eng zusammen und gründete nach dessen Schliessung im August 1946 die Zeitung L Popul Ladin, davon aber nur eine Nummer erschien. Leider gelang es ihm nicht genügend Mittel zu sammeln, um das Blatt weiter zu führen. Am 4. April 1946 sprach er als erster in einer ladinischen Radiosendung im damaligen RAI Bozen. In seiner Ansprache Mi cara Gent de Gherdeina (Meine lieben Leute in Gröden) bekundet er seine große Liebe zur grödnerischen Bevölkerung und Sprache, die er mit grosser Mühe erlernt hatte und die ihm sein Leben Wert war. Er fordert die Ladiner auf, ihr Erbe zu pflegen und zu erkennen, dass es in Südtirol nicht nur die deutsche und italienische Kultur gäbe.

1975 erschien Tosis Buch Ciofes da Mont. Damit hat er eine neue ladinische Literatur geschaffen und wurde Vorbild für eine neue Generation. Wie lesen sich seine Texte heute?

Ciofes da Mont besteht aus drei Teilen: ciofes da mont (Bergblumen) mit der erhabenen Poesie, ciofes de val (Talblumen) mit Prosa und ciofes da paluch (Sumpfblumen), sehr humorvolle Gedichte und Reime mit skurrilen, obszönen, und frivolen Themen. Die Gedichte, und Schriften sind doch etwas schwierig, aber ein moderner ladinischer Schriftsteller kann nicht von seiner literarischen Wegzeichnung absehen.

Wie kam Tosi, er stammte ja aus der Gegend um Rovigo, eigentlich nach Gröden?

Tosi empfand Gröden als seine ideelle Heimat und wünschte auch in Gröden begraben zu werden, eine Umsiedlung dorthin wäre jedoch aus praktischen Gründen unmöglich gewesen. Tosi wollte auch das grödnerische Idiom als universelle ladinische Sprache erheben. Nicht selten bekundete er aber auch Entteuschung mit den Grödnern und er klagte über deren Undankbarkeit.

Konnten sie Tosi noch kennenlernen? Wie haben sie ihn erlebt? Tosi hatte schon als Kind meine Großmutter, die den größten Laden mit Zeitungen und Tabakwahre im Dorf besass, kennengelernt. Meine Mutter hatte schon in meiner frühen Kindheit über ihn erzählt. Tosi kam aber in den 1950 Jahren nicht nach Gröden, da er sich mit der Union di Ladins de Gherdëina aus unbekannten Gründen, die vielleicht aus einer Untersuchung in seinen Briefen im Nachlass geklärt werden könnten, verstritten hatte. In den sechziger Jahren kam er wieder nach Gröden, besonders durch die Bekanntschaft mit meiner Mutter Paula Moroder (er wohnte auch oft bei uns zuhause), mit Frida Piazza, Malia Obletter und Edith Moroder. Durch eine intensive Zusammenarbeit mit diesen Frauen, besonders Frida Piazza, auch Wegbereiterin der modernen grödnerischen Literatur in Gröden, hat Tosi doch einen starken Impuls der Entwicklung der neuen grödnerischen Literatur gegeben. Ich war mit Max Tosi gut befreundet. Habe ihn oft in Meran besucht und ihn auch in Reisen in den Nonsberg und in den Kanton Graubünden begleitet. Tosi lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen und hatte natürlich auch kein Auto. Es ist mir dann auch gelungen, nach seinem Tod, einen großen Teil seines materiellen Nachlasses vom Bruder abzukaufen, bevor dieser alles zerstören konnte und wollte.

Noch bis 2. Oktober ist eine Ausstellung zu Max Tosi zu sehen. Weshalb lohnt sich der Besuch dieser Ausstellung?

Ein Teil der Tätigkeit Tosis war auch die künstlelrische, die er schon in frühen Jahren begann, jedoch keine spezifische Ausbildung genoss und deshalb als naiver Maler betrachtet werden muss. Die arbeiten Tosis sind malerisch und grafisch irgendwie sehr sonderbar, müssten aber von einem Kunstkritiker gewürdigt werden. Es freut mich sehr, dass ich endlich seine grafischen und malerischen Werke, anlässlich der Buchpresentazion Prim sintom d'autonn. Cunsunanzes poetiches cun Max Tosi (Erstes Symptom des Herbstes. Poetische Konsonanzen mit Max Tosi) des Roland Verra in der Cësa di Ladins in St. Ulrich zeigen konnte. Sicher bedarf es einer weiteren Aufarbeitung durch ein Forschungsinstitut des gesamten Nachlasses des Max Tosi, auch durch Auswertung seiner Korrespondenz. Damit könnten auch noch viele offene biografische Fragen bezüglich Maxi Tosi geklärt werden.

Bildmaterial und sonstiges

L Popul Ladin

Concordia

Bilder und Gedichte