Das Koordinationsmängeldiagnose-Konzept (KMD-Konzept) wurde von Heinz Grossekettler entwickelt. Mit seiner Hilfe konnte das idealtypische ökonomische Standardmodell der Funktionsweisen von Märkten aus einer nicht direkt beobachtbaren komparativ-statischen Form in eine dynamische, testbare und technisch verwertbare Theorie überführt werden. Das Konzept geht davon aus, dass Gleichgewichte als Zielpunkte unternehmerischer Suchprozesse aufgefasst werden können, welche die Form von Arbitrage- und Spekulationstätigkeiten aufweisen. Hieraus entstehen Selbstregulierungsprozesse, die sich als soziale Regelkreise beschreiben lassen.

Ein Regelkreis soll stets Differenzen zwischen einem Ist- und einem Normwert beseitigen, oder – anders ausgedrückt – solche Differenzgrößen den Sollwert Null annehmen lassen. Dies erfolgt durch den Einsatz eines Instruments (sog. Stellgröße), das im Wege einer negativen Rückkopplung Abweichungen vom Sollwert „Null“ ausreguliert. Ein bekanntes technisches Beispiel solch eines Regelkreises ist die Klimatisierung eines Raumes: Nimmt die Regelgröße „Differenz zwischen einer Norm- und einer Isttemperatur“ einen von Null verschiedenen Wert an, sorgt ein Thermostat (der Regler) dafür, dass diese Regelabweichung über die Einschaltung eines Kühl- oder eines Heizaggregates wieder beseitigt wird.

Ähnliches ist – über die Vermittlung unternehmerischer Arbitrage- und Spekulationsprozesse – auch auf Märkten zu beobachten. Dies lässt sich einerseits in der komparativ-statischen Sprache des ökonomischen Standardmodells beschreiben, andererseits aber auch in der Sprache der Kybernetik (Regelungstheorie). Letzteres hat den Vorteil, dass dynamische Anpassungsprozesse und temporäre Ungleichgewichte modelliert werden können und dass das Wirken der Regelkreise mit beobachtbaren Zeitreihen verknüpft werden kann.

Die komparativ-statischen Gleichgewichtsvorstellungen des ökonomischen Standardmodells werden im KMD-Konzept mit fünf regelkreisartig funktionierenden Marktprozessen verknüpft:

  • Im Markträumungsprozess werden Differenzen zwischen Nachfrage- und Angebotsmengen (= Regelgröße „Differenzmenge xD“) über Preisveränderungen (= Stellgröße p) auf dem Sollwert 0 kybernetisch stabilisiert. Dies bedeutet, dass xD-Werte in einem Zeitdiagramm um die Null-Achse oszillieren sollten.
  • Im Renditenormalisierungsprozess werden Differenzen zwischen der Rendite in einem Untersuchungsmarkt und der volkswirtschaftlichen Normalrendite (= Regelgröße „Differenzrendite rD“) über Änderungen der Kapazitätswachstumsrate (= Stellgröße w) kybernetisch stabilisiert. Dies bedeutet, dass rD in einem Zeitdiagramm um die Null-Achse oszillieren sollte.
  • Im Übermachterosionsprozess werden Differenzen zwischen der ökonomischen Macht von Anbietern einerseits und der von Nachfragern andererseits (= Regelgröße „Machtdifferenz mD“) über Strukturvariationen (= Stellgröße) ausreguliert. Dieser Prozess ist ökonomisch stark umstritten. Wenn er funktioniert, sollte man beobachten, dass die Regelgröße mD immer wieder in einen Toleranzbereich um die Null-Achse zurückkehrt, der den Bereich unerheblicher Machtüberhänge markiert.
  • Im Produktfortschrittsprozess führen Differenzen in den Marktanteilen neuartiger Produkte zwischen dem Untersuchungs- und einem ausländischen Benchmark-Markt (= Regelgröße „Produktfortschrittsdifferenz qDP“) dazu, dass Such- und Imitationsbestrebungen (= Stellgröße) intensiviert und Produktfortschrittsrückstände dadurch eliminiert werden. Die Zeitreihe für die Regelgröße darf also keine dauerhaften Fortschrittsrückstände ausweisen.
  • Im Verfahrensfortschrittsprozess führen Kostennachteile auf dem Untersuchungsmarkt im Vergleich zu einem ausländischen Benchmark-Markt (= Regelgröße „Stückkostendifferenz qDV“) dazu, dass Rationalisierungsanstrengungen intensiviert und Verfahrensfortschrittsrückstände dadurch eliminiert werden. Eine Zeitreihe für die Regelgröße darf also keine dauerhaften Kostennachteile ausweisen.

Märkte können unter zwei Bedingungen als funktionsfähig betrachtet werden:

  • wenn und so lange die vorstehend aufgeführten Regelgrößen eng um die jeweilige Nullachse oszillieren, d. h. wenn diese Achse offensichtlich als Attraktor fungiert (bei den Fortschrittsprozessen sind aus der Inlandssicht allerdings auch dauerhafte Vorsprünge zulässig, ja erwünscht), und
  • wenn es keine Hinweise auf Tatbestände gibt, die als so genannte Niveauverzerrungen für die Stabilisierung „falscher Gleichgewichte“ sorgen. Dies sind in der Standardtheorie als „Marktversagen“ bezeichnete Sachverhalte wie z. B. externe Effekte.
Darstellung des Markträumungsprozesses in der Maschinenbauindustrie
Darstellung des Renditenormalisierungsprozesses in der Maschinenbauindustrie

Ein „Koordinationsmangel“ liegt dann vor,

  • wenn die Zeitreihe einer Regelgröße nicht dem Muster eines funktionsfähigen Prozesses entspricht (= Hinweis auf einen „Funktionsdefekt“, d. h. den Verlust der Fähigkeit, Ungleichgewichte auszuregulieren und die Regelgröße immer wieder zur Null-Achse zurückziehen zu können),
  • wenn dieser Funktionsdefekt theoretisch erklärt werden kann und
  • wenn die Erklärung dafür spricht, dass der Defekt dauerhafter Natur ist.

Als Beispiele für zwei funktionsfähige Prozesse werden nachfolgend die Funktionsdiagramme des Markträumungs- und des Renditenormalisierungsprozesses in der deutschen Maschinenbauindustrie aufgeführt. Diese Bilder sind dem so genannten KMD-Webcenter entnommen, in dem das Konzept näher erläutert und auf weiterführende Literatur verwiesen wird.[1]

Grossekettler vertritt die Maxime, dass der Staat nur dann in Märkte intervenieren sollte,

  • wenn ein Koordinationsmangel nachgewiesen worden ist (notwendige Bedingung) und
  • wenn der Staat über ein Mittel zur Beseitigung des Mangels verfügt, das als effektiv, erforderlich und verhältnismäßig bezeichnet werden kann.

Die Befolgung einer solchen Regel würde die Zahl der Interventionen sicher stark verringern.

Außer zur Prüfung der Funktionsfähigkeit von Märkten kann das KMD-Konzept auch zur Ex-ante-Simulation und Ex-post-Evaluation wirtschaftspolitischer Maßnahmen (z. B. von Regulierungs- oder Deregulierungsmaßnahmen) eingesetzt werden und dem Aufspüren von versteckten Kartellen dienen. Letztere hinterlassen in den Zeitreihen der Prozesse nämlich „verräterische“ Spuren (typische Prozessmuster als Marker). Betrachtet man die Marker in allen Prozessen gemeinsam, ergibt sich ein für Kartelle charakteristisches Syndrom. Kartellämter könnten deshalb ein Screening von Märkten auf versteckte Kartelle durchführen, das einer Röntgenreihenuntersuchung gliche und immer dann zu näheren Untersuchungen führen sollte, wenn man bei einem Markt auf das typische Kartellsyndrom stößt.

KMD-Untersuchungen der Funktionsweise von Märkten folgen einer Standardgliederung und verwenden Standardindikatoren. Sie sind deshalb miteinander vergleichbar und eignen sich folglich auch für Metaanalysen, mit denen industrieökonomische Hypothesen geprüft werden können. Hierauf aufbauend kann z. B. entschieden werden, ob die in einem Staat realisierten wettbewerbspolitischen Rahmenbedingungen sachgemäß sind.

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  1. http://www.wiwi.uni-muenster.de/kmd

Kmdkonzept