Independenten (Religion)

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Independenten (engl. Independents) war die Selbstbezeichnung eines Großteils der kongregationalistischen Kirchengemeinden, die ab etwa 1550 in England und in englischen Flüchtlingsgemeinden auf dem Festland entstanden. Grundlegend war ihre Überzeugung, dass Gott beziehungsweise Christus der unmittelbare Herr der Einzelgemeinde (engl. congregation) ist, wie dies ihrer Meinung nach im Urchristentum, vor allem in den von Paulus gegründeten Gemeinden, der Fall war. Die einzelnen Kirchengemeinden konnten sich zwar mit anderen zu einer größeren Gemeinschaft zusammenschließen, etwa auf nationaler Ebene, sie blieben aber letztlich immer gleichgeordnet. Als solche waren sie unabhängig (engl. independent) von allen weltlichen und geistlichen Obrigkeiten. Deshalb wurde sowohl die bischöfliche Struktur der anglikanischen und der römisch-katholischen Kirche als auch die synodale Verfassung der Presbyterianer abgelehnt. Geistliche und Laien waren einander gleichgestellt. Alle durften in den Gemeindeversammlungen das Wort ergreifen. Es gab keine festen liturgischen Gebete oder Glaubensbekenntnisse. Leitungsfunktionen wie etwa die der Kirchenältesten (church elders) wurden durch Wahl besetzt.[1] Diese kirchengemeindliche Demokratie (congregational democracy) war theologisch durch Martin Luthers Lehre vom Priestertum aller Gläubigen und Johannes Calvins Vierämterlehre ermöglicht worden.[2][3] Die Independenten traten für Religionsfreiheit für alle Nichtkatholiken und die Trennung von Kirche und Staat ein. Während des Lordprotektorats Oliver Cromwells gaben sie diese Haltung allerdings auf. Beispielweise wurde in dieser Zeit die anglikanische Kirche abgeschafft. Im Übrigen war die Theologie der Independenten streng calvinisch.

Geistliche Führer in der Frühzeit waren John Greenwood, Henry Barrow, Robert Browne und Henry Jacob.[4] Als 1642 die englische Revolution ausbrach, schoben sich die bis dahin von den Anglikanern hart unterdrückten Independenten in den Vordergrund und besiegten unter ihrem politischen und militärischen Anführer Cromwell die Armee Karls I. Während des Cromwellschen Protektorats übten sie die Macht in England aus. Jedoch machten sie sich wegen ihrer Unduldsamkeit bei der Mehrheit der Engländer unbeliebt, so dass es 1660 zur Restauration des Königtums und der anglikanischen Kirche kam. Das nunmehr von Anglikanern beherrschte Parlament gestand ihnen und den anderen Dissenters zwar Religionsfreiheit zu, schloss sie aber durch die Testakte bis 1828 von allen staatlichen Ämtern und der Mitgliedschaft im Parlament aus. Der Begriff Independenten verlor sich, der Name Kongregationalisten ist bis in die Gegenwart erhalten geblieben.[5][6]

Die Independenten waren Teil der puritanischen Bewegung. Ihr entschiedener Widerstand gegen die absolutistischen Machtansprüche Karls I., Karls II. und Jakobs II. war von großer Wichtigkeit für das Entstehen der englischen Demokratie und der Menschenrechte. Der Verfassungsentwurf Agreement of the People der Independenten von 1647 betonte aufgrund demokratischer Tendenzen kraftvoll die Gleichheit aller Menschen.[7] Staatstheoretiker wie John Milton, John Locke, James Harrington und Algernon Sidney standen ihnen nahe oder verstanden sich selbst als Puritaner. Ihr liberales Denken wurde von der politischen Partei der radikalen Whigs (Commonwealthmen) aufgegriffen, die zwar in England ohne große Bedeutung blieben, aber im 18. Jahrhundert in den nordamerikanischen Kolonien außerordentlich populär wurden. Ihre Staatsauffassung bildete im Wesentlichen die Grundlage der freiheitlichen, republikanischen Demokratie der Vereinigten Staaten.[8]

Der Merton-These zufolge wurde die naturwissenschaftlich-technologische Revolution des 17. und 18. Jahrhunderts hauptsächlich von englischen Puritanern und deutschen Pietisten getragen.[9][10]

Literatur

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  • John Coffey, Paul C.H. Lim: The Cambridge Companion to Puritanism. Cambridge University Press, 2008, ISBN 978-0-521-86088-8.
  • Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. 11. Auflage, Tübingen 1957.
  • Thomas S. Kidd: God of Liberty: A Religious History of the American Revolution. New York N.Y. 2010, ISBN 978-0-465-00235-1.
  • Robert Middlekauff: The Glorious Cause: The American Revolution, 1763–1789. Revised and Expanded Edition, Oxford University Press, 2005, ISBN 978-0-19-531588-2.
  • M. Schmidt: Kongregationalismus. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Auflage, Band III, Tübingen 1959, Spalte 1786–1771.

Einzelnachweise

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  1. Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. 11. Aufl., Tübingen 1957, S. 380.
  2. B. Lohse: Priestertum. In der christlichen Kirche. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Band V, Spalte 579–580.
  3. Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. 11. Aufl., S. 325.
  4. M. Schmidt: Kongregationalismus. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl., Band III, Spalte 1768–1769.
  5. M. Schmidt: Kongregationalismus. In Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl., Band III, Spalte 1769–1770.
  6. Karl Heussi: Kompendium der Kirchengeschichte. 11. Aufl., Tübingen 1957, S. 380–382.
  7. W. Wertenbruch: Menschenrechte. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Aufl., Band IV, Spalte 869.
  8. Robert Middlekauff: The Glorious Cause: The American Revolution, 1763-1789, Revised and Expanded Edition, Oxford University Press, 2005, S. 51–52, 136
  9. I. Bernard Cohen (ed.): Puritanism and the Rise of Modern Science: the Merton Thesis. Rutgers University Press, 1990, ISBN 0-8135-1530-0.
  10. Piotr Sztomka: Robert Merton. In: George Ritzer (ed.): Blackwell Companion to Major Contemporay Social Theorists, Blackwell Publishing, 2003, ISBN 1-4051-0595-X.

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