Digitaler Maoismus ist ein von dem Computerwissenschaftler Jaron Lanier geprägter Ausdruck für die Überzeugung, dass die im Internet verbreitete Durchschnittsmeinung in ihrer Gesamtheit als so genannte Schwarmintelligenz ein der einzelnen individuellen Ansicht überlegenes Wissen beinhalten würde. Den Glauben an die Überlegenheit des Kollektivs, der sich die individuelle Einsicht der Einzelnen unterordnen müsse, sieht er besonders in Wikipedia vorherrschend. Laniers Ansicht nach verbergen sich hinter dem Wikipediakonzept durchaus ideologische Anleihen an totalitäres Denken, wie es von Hitler über Pol Pot bis zu den Islamisten verbreitet ist.

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Mao

Daneben empfindet Lanier die kulturrevolutionäre Praxis des Internet in Teilen als "grausam".

Die Kritik Laniers richtet sich gegen die Prinzipien kollektiver anonymer Autorschaft in der Wikipedia und der massenhaften Aggregation depersonalisierter Inhalte durch Meta-Websites und Suchmaschinen wie Google-Dienstleistungen#News, durch die Durchschnittsmeinungen von Kollektiven und das quantitative Kriterium ihrer Nachfrage und Verbreitung als Indikatoren für Wahrheit und Qualität etabliert würden, ohne daß hierbei noch Personen oder Institutionen als kritisches Korrektiv wirksam werden könnten. Getragen ist diese Entwicklung laut Lanier von der Überzeugung, daß Kollektive mit einer Schwarmintelligenz ausgestattet seien, die sich selbst regulieren könne und der Einzelmeinung verantwortlicher Subjekte überlegen sei. Lanier sieht diese Überzeugung im Widerspruch zu den Grundprinzipien von repräsentativen Demokratien und Meritokratien und assoziiert sie stattdessen mit totalitären Ideologien der extremen Rechten oder Linken wie dem im Titel evozierten Maoismus, die in der Geschichte jedesmal zu katastrophalen Folgen geführt hätten. Er sieht darin außerdem eine Begünstigung ungerechter Verteilung wirtschaftlichen Erfolgs, indem Unternehmen wie Google von der Aggregation der Inhalte unverhältnismäßig mehr profitieren als die individuellen Urheber dieser Inhalte selbst.

In diesem Zusammenhang bezeichnet er Wikipedianer als Leute, die im Schutze ihrer Anonymität nicht davor zurückschrecken, Lynchjustiz zu begehen.

„Schnell wird der Einzelne Opfer des Mobs; die Gefahr von Wiki-Lynchjustiz halte ich für sehr real. In der Wikipedia-Welt bestimmen jene die Wahrheit, die am stärksten besessen sind. Dahinter steckt der Narzissmus all dieser kleinen Jungs, die der Welt ihren Stempel aufdrücken wollen, ihre Initialen an die Mauer sprayen, aber gleichzeitig zu feige sind, ihr Gesicht zu zeigen.“ [1]

Mit dem Begriff des Digitalen Maoismus erinnert Lanier an die Strategie der roten Garden, die während der Kulturrevolution im Namen der Weisheit der Volksmassen bürgerliche Intellektuelle und Individualisten als Abweichler drangsalierten und bekämpften.

Kritik Bearbeiten

Lanier sieht einzelne negative Erscheinungen im Internet und insbesondere in Wikipedia und verallgemeinert sie. Tatsächlich gibt es auch innerhalb der Wikipedia Strömungen, die sich kritisch mit illiberalen, bildungsfeindlichen und totalitären Verhaltensweisen einiger Wikipedianer auseinandersetzen und keineswegs bereit sind, sich der Ideologie eines alles überwölbenden Kollektivs, das den Einzelnen und seine Individualität für nichtig erklärt, unterzuordnen. In diesem Sinne ist die Zukunft von Wikipedia keineswegs mit Notwendigkeit als von einer totalitären Ideologie zersetzt anzusehen. Vielmehr ist die Situation offen.

Quellen Bearbeiten

  1. Interview von Jörg Blech und Rafaela von Bredow mit Lanier im SPIEGEL, "Eine grausame Welt.", 13. November 2006

Weblinks Bearbeiten

Kategorie:Kommunikation Kategorie:Redewendung Kategorie:Maoismus