Die induzierte Spannung , gemessen in Volt, ist eine skalare physikalische Größe. Sie kann für orientierte geschlossene Raumkurven[1] im Magnetfeld berechnet und gemessen werden. Die Raumkurve kann in Materie verlaufen, indem Sie die Orte der Querschnittsmittelpunkte eines Drahtleiters angibt, kann aber auch im leeren Raum zu Analysezwecken gedacht sein. Zwei Naturgesetze sind maßgeblich: Das magnetische Kraftgesetz nach Lorentz und das Induktionsgesetz nach Faraday.

Das Wirkprinzip der wesentlichen Betriebsmittel in der elektrischen Energietechnik - Generatoren, Motoren und Transformatoren - beruht auf induzierten Spannungen. Die Wechselspannung in den Haushaltssteckdosen ist ihrer Entstehung nach eine induzierte Spannung. Aber auch verlustbringende (Wirbel-)Ströme werden davon ausgelöst.

Motorisch induzierte Spannung

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Betrachtet wird eine geschlossene Raumkurve   in einem bewegten Körper, welcher der magnetischen Flussdichte   ausgesetzt ist. Jedem vektoriellen Linienelemente   der Raumkurve ist seine Geschwindigkeit   und die dort herrschende magnetische Flussdichte   zugeordnet. Insbesondere kann die Raumkurve den Verlauf eines drahtförmigen Leiters im Raum angeben. Die festzulegende Orientierung der Linienelemente   ist gleichbedeutend mit der Orientierung von  .

Für   ergibt sich die motorisch induzierte Spannung oder Bewegungsspannung zu

 

  bezeichnet die durch die magnetische Flussdichte   am Ort des vektoriellen Linienelements   eingeprägte elektrische Feldstärke. Sie ist als ladungsbezogene Kraft (in Newton/Coulomb = Volt/Meter) zu deuten und durch den magnetischen Teil des Kraftgesetzes nach Lorentz bestimmt. Anders als die von Ladungen ausgehende „gewöhnliche“ elektrische Feldstärke   ist die eingeprägte elektrische Feldstärke   nur im bewegten Stoff vorhanden; sie setzt sich nicht in den Raum fort. Der voran- und hochgestellte Index e(ingeprägt) soll daran erinnern.

In einer drahtförmigen Leiterschleife mit der Verlaufskurve   treibt   bei positivem Wert einen Strom mit der für   gewählten Orientierung an, abzulesen an der Orientierung der Linienelemente  .

Transformatorisch induzierte Spannung

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Betrachtet wird die orientierte Raumkurve   des vorigen Abschnitts, wobei die Kurve hier auch im leeren Raum, z. B. zu Analyse-Zwecken, definiert sein kann. Die Geschwindigkeit der Linienelemente spielt keine Rolle.

Die transformatorisch induzierte Spannung oder Ruhespannung der Raumkurve ist durch

 

definiert. Als Integrationsbereich erscheint in der Gleichung statt der Raumkurve   eine Fläche  . Das kann jede Fläche sein, die   als Rand hat. Man wird bequemlichkeitshalber einfache Flächen bevorzugen, z. B. bei ebener Raumkurve auch eine ebene Fläche.

Die nach der Zeit   partiell abzuleitende magnetische Flussdichte   ist die am Ort des vektoriellen Flächenelements   gültige. Die Orientierung der Flächenelement-Vektoren   (gleichbedeutend mit der Orientierung der Fläche) ist rechtshändig mit der Orientierung der Raumkurve zu koordinieren. Vorsorglich sei angemerkt: Die transformatorisch induzierte Spannung ist gleich dem negativen (mathematischen) Fluss der Ableitung der magnetischen Flussdichte; diese Größe ist wohl zu unterscheiden von der negativen Ableitung des magnetischen Flusses nach der Zeit, die im folgenden Abschnitt auftritt.

Das Induktionsgesetz setzt die rechte Seite von Gl. (2) mit der elektrischen Umlaufspannung gleich.

Während die motorisch induzierte Spannung auf der Leiterkurve gemäß dem Ort der eingeprägten elektrischne Feldstärke   lokalisierbar ist, ist dies für die transformatorisch induzierte Spannung nicht möglich. Sie gilt für die Kurve als Ganzes.

In einer drahtförmigen Leiterschleife mit der orientierten Verlaufskurve   treibt   bei positivem Wert einen Strom an, der wie die Leiterschleife orientiert ist. Dabei ist vorausgesetzt, dass (s. o.) die Orientierungen von Fläche und Randkurve rechtshändig zueinander gewählt sind.

Induzierte Spannung

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Die motorisch und die transformatorisch induzierte Spannung können gemäß

 

algebraisch zur induzierten Spannung

 

zusammengefasst werden. Dabei wird benutzt, dass die magnetische Flussdichte   gemäß   ein quellenfreier Vektor ist. Die Bedeutungen von   und   bleiben wie oben, ebenso die rechtshändige Koordination der Orientierungen. Allerdings steht auf der rechten Seite von Gl. 4 die negative Ableitung des magnetischen Flusses (und nicht - wie in Gl. (2) - der negative (mathematischen) Fluss der Ableitung der magnetischen Flussdichte). Der auf das Integral wirkende Ableitungsoperator erfasst nicht nur den Integranden, sondern auch die Veränderung der Integrationsfläche, die ein mit den Geschwindigkeiten   bewegter Rand nach sich zieht.

Die induzierte Spannung nach Gl. 4, die als Flussregel bezeichnet wird, fasst die Wirkung des Kraftgesetzes nach Lorentz und das Induktionsgesetz nach Faraday zusammen.[2] Ihr Wert hängt, anders als die Werte von   und  , nicht von der Wahl des (unbeschleunigten) Koordinatensystems ab (vgl. hierzu das zweite Beispiel).

Darstellung mit Vektorkoordinaten

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Nach den Regeln der Vektorrechnung können die oben angegebenen induzierten Spannungen gleichwertig in der Form

 
 

und

 

angegeben werden.   bezeichnet die (Normal-)Koordinate der magnetischen Flussdichte am Ort und in Richtung des vektoriellen Flächenelements,   dessen Inhalt (Betrag) und   die (Tangential-)Koordinate der eingeprägten Feldstärke am Ort und in Richtung des vektoriellen Linienelements  , dessen Länge (Betrag) gleich   ist.

Unabhängig von der Darstellung der Integrale können diese - wie viele andere auch - in manchen Fällen bequem durch Produktbildung (Feldstärke mal Länge oder Flussdichte(-Ableitung) mal Flächeninhalt, s. Beispiele 1 und 2 unten) exakt gelöst werden.

Beispiel 1: Atmender Kreisring

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Atmender Kreisring im Magnetfeld

Ein leitender Kreisring (Abbildung rechts), dessen Radius zeitproportional nach   wächst, befindet sich in der x-y-Ebene in einem homogenen magnetischen Flussdichtefeld mit der zeitproportionalen z-Koordinate  . Anzugeben sind die induzierten Spannungen   und  .

Lösung: Die Geschwindigkeit   jedes Linienelements ist radial gerichtet, womit   nach Gl. (1b) antiparallel zum Linienelement verläuft, d. h. im Uhrzeigersinn. Damit ergibt sich   und   Für die partielle Ableitung   der Flussdichte-Normalkoordinate erhält man  . Damit folgt  . Die induzierte Spannung beträgt nach Gl. (3)  . Nach Gl. (4') ergibt sich die induzierte Spannung zu  , wie auf Grund der vorherigen Rechnung zu erwarten war.

Hinweise: Im Bild wird der Vektorpfeil für das Linienelement auch als Bezugspfeil verwendet. Mehrfachbedeutung auch für den (Punkt-)Pfeil der z-Achse! Alle Integrale sind hier exakt als Produkte auswertbar.

Erweiterung des Beispiels: Der Kreisring in der x-y-Ebene werde dort durch eine beliebig geformte geschlossene Kurve ersetzt, die den zeitabhängigenn Flächeninhalt   umschließt. Die Kontur bewege sich - wie der Kreisring - an jedem Punkt in ihrer Ebene mit der Geschwindigkeit   senkrecht zur Kurve nach außen.

Lösung: Wegen   gilt für die gestreckte Länge der Kurve  . Damit erhält man für die oben definierten Integrale   und  .

Beispiel 2: Bewegter Rechteckleiter im Wanderfeld

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Rechteck-Leiterschleife im magnetischen Wanderfeld

Eine dünne rechteckige Leiterschleife (Abbildung rechts) mit den Kantenlängen a in y-Richtung und b in x-Richtung wird in der x-y-Ebene mit der Geschwindigkeit   in +x-Richtung transportiert. Im Raum herrscht ein orts- und zeitlineares ebenes Wanderfeld mit der z-Koordinate  . Gesucht sind die induzierten Spannungen   und   in verschiedenen Koordinatensystemen.

Lösung: Siehe Tabelle! Alternativ zum Ausgangssystem (Spalte A), in dem das Flussdichtefeld gegeben ist, wird eine leiterfeste Koordinate (Spalte B) verwendet, in welcher der Leiter ruht und - in Spalte C - eine Koordinate, die mit der Geschwindigkeit des Wanderfeldes mitläuft, so dass das Feld „einfriert“, also zeitunabhängig erscheint. Die Ergebnisse sind in der Tabelle zusammengestellt. Wie zu erwarten, hängt die induzierte Spannung nicht vom Koordinatensystem ab, die motorische und transformatorische Komponente sehr wohl.

Wenn der Leiterrahmen (oder der Ring in Beispiel 1) an einer Stelle unterbrochen wird, erhält man dort die Spannung  . Vorausgesetzt ist dabei, dass der Bezugspfeil von   gleich orientiert eingeführt wird, wie der von  , d. h. rechtshändig zur z-Achse.

Induzierte Spannung in einem in +x-Richtung bewegten Rechteck-Rahmen im Wanderfeld in drei verschiedenen Koordinaten
A B C
Ortskoordinate Ausgangskoordinate   Rahmensynchron                               Feldsynchron  
Transformationsgleichung                            
Magnetische Flussdichte, z-Koordinate       
Position linke Rahmenseite      
Geschwindigkeit linke Rahmenseite      
Position rechte Rahmenseite      
Geschwindigkeit rechte Rahmenseite      
Motorisch induzierte Spannung links      
Motorisch induzierte Spannung rechts           
Motorisch induzierte Spannung      
Ableitung der Flussdichtekoordinate      
Transformatorisch induzierte Spannung      
Induzierte Spannung      
Ortskoordinate in Leitermitte      
Induzierte Spannung nach Flussregel      
Induzierte Spannung nach Flussregel      

Literatur

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  • F. Emde: Das Induktionsgesetz, Elektrotechnik und Maschinenbau, XXVI. Jahrg. (1908), Heft 46, S. 997 - 1001, Heft 47, S.1023 -1025, Heft 49, S. 1074 - 1076, Heft 51, S.1119 - 1121.
  • R. P. Feynman, R. B. Leighton, M. Sands: The Feynman Lectures on Physics, Vol. II, Addison Wesley (1969), p. 17-1, 17-2.
  • H. Haase, H. Garbe, H. Gerth: Grundlagen der Elektrotechnik, Schöneworth (2009), S. 214 - 225.

Einzelnachweise und Fußnoten

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  1. Bei geschlossenen Kurven ist der Endpunkt gleich dem Anfangspunkt. Als Orientierung wird der Durchlaufsinn vom Anfangs- zum Endpunkt bezeichnet.
  2. R. P. Feynman, R. B. Leighton, M. Sands: The Feynman Lectures on Physics, Vol. II, Addison Wesley (1969), p. 17-1 erläutern hierzu: We know of no other place in physics where such a simple and accurate general principle [gemeint ist die “flux rule” (Flussregel) nach Gl. (4)] requires for its real understanding an analysis in terms of two different phenomena. Usually such a beautiful generalisation is found to stem from a single deep underlying principle. Nevertheless, in this case there does not appear to be any such profound implication. We have to understand the “rule” as the combined effects of two quite separate phenomena.