Christiane Pauline Kellner (auch Christiana, Paulina, Paolina, Kelner, Köller oder Kellnerin) (getauft 10. September 1664 in Stuttgart; † 17. Januar 1745 in Weißenfels) war eine deutsche Sängerin in der Stimmlage Sopran.

Lusthaus im Hofgarten der Residenz, der wahrscheinliche Auftrittsort Kellners am Stuttgarter Hof

Leben Bearbeiten

Stuttgart und Ansbach Bearbeiten

 
Seite aus dem Textbuch der Oper Il Rè Pastore Ouero il Basilio In Arcadia (Wolfenbüttel, 1691) mit Nennung der Kellner (Paolina Kelner)

Sie war die Tochter des Musikers Paul Kellner (* um 1638), der seit etwa 1656 als Instrumentalist am Stuttgarter Hof angestellt war und wurde wahrscheinlich von ihm ausgebildet. Ihr Vater war mit Dekret dort per 9. September 1674 entlassen wurden, hatte aber per 15. November 1674 bei Markgraf Johann Friedrich von Brandenburg-Ansbach eine neue Anstellung gefunden und trat mit seinen anderen 4 Töchtern (Antoinette, Elisabeth, Johanna und Anna) und seinem Sohn Jonathan (auch Johann; Baß) dem Ansbacher Hof bei. Wahrscheinlich hat Pauline schon in Johann Wolfgang Francks Oper Die drei Töchter Cecrops (nach einem Libretto von Maria Aurora von Königsmarck), die in Ansbach wohl im Februar 1683 oder 1686 aufgeführt wurde, mitgewirkt.

Um diese Zeit muss sie schon viel auf Konzertreisen gewesen sein, da am 17. 2. 1686 der Herzog Albrecht von Sachsen-Coburg den Ansbacher Markgrafen Johann Friedrich um den Kammermusikus Paul Kellner samt dessen zwei Töchtern als Cantatricen ersucht, die sich gerade auf einer Tournee nach Wolfenbüttel und Weißenfels befanden.

Wolfenbüttel, Braunschweig und Hamburg Bearbeiten

Als im August 1686 in Wolfenbüttel die Oper Psyche von Jean-Baptiste Lully erklang, waren neben Paul Kellner und seinem Sohn Jonathan zwei deutsche Sängerinnen, Antoinette und Pauline Kellner, letztere als 'Psyche' engagiert. Im August 1687 folgte im selben Theater Thesée, erneut unter Mitwirkung der Familie Kellner. An gleicher Stelle wurde im August 1688 L’Ercole in Tebe dargeboten. Erwähnt wurden diesmal sechs Mitglieder der Familie Kellner: Vater und Sohn, Pauline, Elisabeth, Johanna und Anna. In einer undatierten Rechnungsaufzeichnung des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel heißt es: Pauline mit ihren Leuten 150.- (Taler).[1]

Im Jahre 1691 sang sie in der Oper Il Re Pastore Ouero il Basilio In Arcadia von Giovanni Battista Alveri (Libretto: Flaminio Parisetti) am Opernhaus in Braunschweig die Rolle der Filoclea (mit ihrem Bruder und ihrer Schwester Johanna in anderen Rollen).

Danach hat sie ab September 1691 wahrscheinlich ihre Engagementchancen in Hamburg an der Gänsemarktoper ausloten wollen, was in Braunschweig auf wenig Gegenliebe stieß.

Für Lichtmeß 1692 sind Zahlungen an sie für die Aufführungen der Opern Ariadne und Andromeda von Johann Sigismund Kusser in Braunschweig aktenkundig: 2 Madm. Kelnerin 40 (Taler), auch für Mitwirkung bei einer (bisher unbekannten) Oper von Christian Ludwig Boxberg sind 1695 Zahlungen dokumentiert. Danach scheint sie dann an den Hof von Ansbach zurückgekehrt zu sein, wo sie ab 1697 mit dem Kastraten und Komponisten Francesco Antonio Pistocchi auftrat. Im Jahre 1702 hat sie wahrscheinlich in Braunschweig die Titelpartie in Ruggiero Fedelis Oper Almira gesungen.

In Ansbach traf sie spätestens 1703 auch auf den Altisten Bimbler (Georg Heinrich Bümler). Davon zeugt eine – sicherlich durch Johann Georg Pisendel nach Dresden gelangte – Partitur der von Antonio Lotti komponierten Serenata Bella Dea che in ciel risplendi, in der die Namen Paul: und Bim: vermerkt sind.

Ab Weihnachten 1703 bis Ostern 1704 gastierte sie in Hamburg, wo sie auch in den Hamburger Hauptkirchen sang. Ein Chronist berichtete:

Die berühmte Sängerin Paulina, so aus Italien an hiesiges Opernhaus verschrieben worden und nach Weynachten allhier angelanget, hat in den Hauptkirchen an sechs Sonntagen nach einander ihre liebliche Stimme hören lassen, welche sie dann auch den 24.ten [Februar] in der St.Catarinen-Kirche mit nicht geringen Lobe der vielfältigen Anhörenden bewerkstelliget und sich einen Dukaten dafür hat auszahlen lassen, maßen sie es nicht [für] weniger verrichten wollte.[2]

Der Auftritt einer Sängerin in einer Kirche und auch noch für Geld, war ein Novum in Deutschland, bis dato durften für die Sopranstimmen in Kirchen nur Kastraten und Chorknaben eingesetzt werden.

Für die im Januar 1704 am Gänsemarkt aufgeführten Oper Nebucadnezar von Reinhard Keiser wurde sie kurzfristig engagiert. Der Librettist der Oper Christian Friedrich Hunold (Menantes) beschwerte sich:

In Nebucadnezar war der erste Actus bereits fertig [und componirt, und kondte wegen kürtze der Zeit nicht geändert werden] [...] Wie aber die berühmte Sängerin/ Madem: Paulina, unverhoft hieher kam/ muste in dem andern [zweiten] Actu noch eine Haupt- Person/ die Königin Adina mit eingerücket werden/ welches mir durch die gantze Invention einen nicht geringen Strich machte.

Menantes: Theatralische/ Galante Und Geistliche Gedichte/ Von Menantes, Hamburg 1706, S. 127f.

Auch bei der Aufführung einer Passionsmusik zu Ostern 1704 in der Zuchthauskirche wirkte sie mit. Ein Augenzeuge berichtete:

 
Zuchthauskirche (links) an der Alster in Hamburg, Auftrittsort der Paulina in Hamburg 1704

Wenn seither 2 Jahren die Operisten die Passion im Zuchthause gesungen, so begannen sie den 20. dieses, als am Grünen Donnerstag solches abermahls, wie dann die Kirche daselbst gepfropfft voll allerhand vornehmer Leute sich befande, welche allermeist der Sängerin Paulina halber sich so häufig eingefunden gehabt[3]

Da die jährlichen Oratoriumsaufführungen in der Zuchthauskirche vom Hamburger Opernorchester der Oper am Gänsemarkt begleitet wurden, dürfte Georg Friedrich Händel der Aufführung beigewohnt haben, da er zu dieser Zeit als Cembalist im Orchester angestellt war. Auch wird angenommen, dass Händel sein Laudate pueri dominum (HWV 237) für Pauline Kellner geschrieben hat.[4]

 
Der junge Händel am Cembalo

Johann Mattheson schrieb 1713 ...

Und glücklich der Compositeur, der eine Marguerite oder Pauline, und einen Nicolini, Bimmler [Georg Heinrich Bümler] oder Grünewald zu Executeurs seiner Arbeit antrifft.

Mattheson: Das neu-eröffnete Orchestre (Band 1), Hamburg 1713, S. 225.

... und schwärmte noch 1717:

Die Paulina pfleget wohl ex tempore zu singen und mit der Kehle zu fantaisiren/ ohne einzige Worte; welches ich gewiß vor diesem mit grossem Plaisir gehöret habe.

Mattheson: Das Beschützte Orchestre, Hamburg 1717, S. 137.

Wieder in Stuttgart mit Gastspielen in Erlangen und Weißenfels Bearbeiten

Noch immer nominell in Anbacher Diensten, wechselte sie durch ein Dekret vom 21. April 1705 rückwirkend ab Februar in eine Anstellung nach Stuttgart und blieb bis zu ihrer Entlassung zu Lichtmeß (2. Februar 1710) in ihrer Geburtsstadt Mitglied der Hofkapelle des Herzogs Eberhard Ludwig von Württemberg.

 
Schloss Elisabethenburg in Erlangen

Aber die Gastspielwünsche für Pauline Kellner ereilten auch Herzog Eberhard Ludwig. Die Markgräfin Elisabeth Sophie von Bayreuth schreib am 14. Juni 1706: Es ist dieser tagen E. L. Sängerin Paulina hierdurch passiret welche ich ersuchet en retour, so sie medio künftig[en] Monath vorgegeben, auf etliche Tage hier bei Mir zu verbleiben und auf meines Gemahls L. den 27. Juli einfallenden Geburthstag in einem kleinen Pastorale eine partie mitzusingen[5]. Mit dem kleinen Pastorale ist Galathea gemeint. Aufführungsstätte war das neuerbaute Schloß Elisabethenburg zu Erlangen.

Am 22. Juni 1708 bat Herzog Johann Georg von Sachsen-Weißenfels den Württemberger um Entsendung der Kellner, damit diese ab 21. Juli bei den Opern, die anläßlich der Vermählung der Prinzessin Magdalene Sibylle von Sachsen-Weißenfels mit Herzog Johann Wilhelm von Sachsen-Eisenach am 28. 7. 1708 aufgeführt werden sollten, mitwirken könne. Dort dürfte sie auf Johanna Elisabeth Hesse geb. Döbricht, eine andere große Sporanistin dieser Zeit, getroffen sein, die ebenfalls zu den dortigen Aufführungen engagiert war. Am 18. August bescheinigte der Weißenfelser Herzog der Kellnerin, sie habe diese Zeit über allenthalben vollkommene Satisfaction gegeben[6].

Kassel Bearbeiten

Am 1. 10. 1710 trat sie in die Dienste des Landgrafen Carl von Hessen-Kassel und ist hier in den Jahren 1711 und 1713 im Kapelletat und in einer Rangliste aufgeführt. Ihre Besoldung betrug 400 Taler, hinzu kamen andere Zuwendungen und Geldgeschenke.

Bei Georg Christian Lehms (1684–1717) hieß es 1715:

Unter den Teutschen Sängerinnen auf dem Theatro sind bekannt: ... 2. Die Paulina in Cassel / so sich sonderlich wegen ihrer Fertigkeit in der Vocal-Music in Estim gesetzet...

Lehms: Teutschlands Galante Poetinnen, Frankfurt a. M. 1715, Vorrede, S. 2.

Diesmal bat Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels den Landgrafen von Hessen-Kassel am 7.1.1716 um die Anreise der Paulina zwecks Mitwirkung an den Weißenfelser Feierlichkeiten am 21. und 23.1.1716 zum Geburtstag der Herzogin Luise Christine (* 1675; † 1738). Die Zusage aus Kassel erfolgte am 14.1. des Jahres. Da die Kellnerin vertraglich in Weißenfels verblieb, endete das Kasseler Dienstverhältnis am 31.12.1716.

Weißenfels Bearbeiten

Schloss Neu-Augustusburg in Weißenfels; im linken Seitenflügel befand sich die Hofoper, im rechten befindet sich die Hofkirche

Seit Januar 1716 bis an ihr Lebensende war sie als Cantatrice für Kirche, Tafel und Theater am Fürstenhof Sachsen-Weißenfels engagiert. Laut einer Gehaltsaufstellung der Hofkapellmitglieder von 1726 erhält sie dort 400 Thaler und damit doppelt soviel wie der Kapelldirektor Krieger. Sie gab hier höchstwahrscheinlich ab 1717 Anna Magdalena Bach und ihren Schwestern eine Gesangsausbildung.

Die Wiederaufführung der Jagdkantate (BWV 208 mit geändertem Text) von Johann Sebastian Bach am 19. April 1716 in Weimar soll sie auch gesungen haben. Dabei dürfte sie auf selbigen getroffen sein. Auch wird vermutet, dass Bach die Kantate Jauchzet Gott in allen Landen (BWV 51) für sie schrieb, da es zur Entstehungszeit (um 1730 in Leipzig) keine bessere Sopranstimme in und außerhalb der Messestadt gab[7].

Im Januar/Februar 1724 ist nochmals von ihr zu hören, als sie mit Johann Augustin Kobelius nach Altenburg reiste, um den neuen Bassisten Andreas Elias Erhardt (* 1704; † nach 1730) für die Hofkapelle in Weißenfels zu engagieren und abzuholen, da der vorherige (Johann Caspar Stiegler (* vor 1716; † 1724)) in der Saale ertrunken war.

Im ersten deutschen enzyklopädischen Musiklexikon von Johann Gottfried Walther ist 1732 zu lesen:

Kellner (Christiana Paulina) stehet als eine große Virtuosin und Sängerin annoch in Hochfürstlichen Weißenfelsischen Diensten

Johann Gottfried Walther: Musicalisches Lexicon, oder Musicalische Bibliothec, Wolfgang Deer, Leipzig, 1732, S. 338

Nach dem Tod Herzog Christians (28. 6. 1736) wird sie pensioniert und erhält mit 200 Talern nur noch die Hälfte ihres bisherigen Gehalts; ab 1740 schrumpfen ihre Bezüge auf etwa ein Drittel des ehemaligen Quantums.

Das letzte Zeugnis von ihr ist ein Eintrag im Kirchenregister von Weißenfels:

Den 17. Jan. (1745) ist Jungfer Christiana Paulina Kellnerin, gewesene Fürstl. Sächß. Cantatrice gestorben und den 19. ejusd. mit gnädigster Concession nach gehaltener Parentation Abends begraben worden

Eintrag im Sterberegister der Marienkirche Weißenfels[8]

Der Hof in Weißenfels schuldete ihr zu diesem Zeitpunkt noch 1629 Taler 19 Groschen 6 Pfennige, mithin mehrere Jahresgehälter. Sie war neben der Conradi und den Döbricht-Schwestern eine der ersten Opern-Diven Deutschlands.

Literatur Bearbeiten

  • Friedrich Wilhelm Schwarzbeck: Ansbacher Theatergeschichte bis zum Tode des Markgrafen Johann Friedrich (1686). Lechte, Emsdetten 1939, S. 100 f.
  • Adolf Schmiedecke: Zur Geschichte der Weiβenfelser Hofkapelle in 'Die Musikforschung'. Bärenreiter, Kassel 1961, S. 416–423.
  • Neue Zeitschrift für Musik, Band 12. Schott's Söhne, Mainz 1986, S. 7 f.
  • Karl-Josef Kutsch, Leo Riemens: Großes Sängerlexikon. Band 4. De Gruyter, Berlin 2003, S. 2355.
  • Hans-Joachim Schulze: Anna Magdalena Wilcke - Gesangsschülerin der Paulina? in Bach-Jahrbuch 2013. Neue Bachgesellschaft, Leipzig 2013 [1].
  • Eva Labouvie: Frauen in Sachsen-Anhalt: Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Böhlau, Köln Weimar Wien 2016.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Friedrich Chrysander: Jahrbücher für musikalische Wissenschaft, Band 1, Breitkopf und Härtel , Leipzig, 1863, S. 188f.
  2. Dorothea Schröder, Georg Friedrich Händel, C.H.Beck, München, 2008, S.25.
  3. I. Scheitler, Deutschsprachige Oratorienlibretti. Von den Anfängen bis 1730, Paderborn 2005 (Beiträge zur Geschichte der Kirchenmusik. 12.), S.166.
  4. Dorothea Schröder: Georg Friedrich Händel, C.H.Beck, München, 2008, S. 25.
  5. Biographie und Kunst als historiographisches Problem. Bericht über die Internationale Wissenschaftliche Konferenz anläßlich der 16. Magdeburger Telemann-Festtage Magdeburg, 13. bis 15. März 2002, Hildesheim etc. 2004 (Telemann-Konferenzberichte. 14.), S. 272 f.
  6. A. Werner, Städtische und fürstliche Musikpflege in Weissenfels bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Leipzig 1911, S. 54, 77.
  7. Beitrag zur Kantate Jauchzet Gott in allen Landen
  8. Die Musikforschung, Heft 1, Bärenreiter, Kassel und Basel, 1961, S. 421.

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