Benutzer:K1dehner/EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur

Das EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wurde am 22. Juni 2022 von der EU-Kommission vorgeschlagen.[1] Das EU-Parlament stimmte am 12. Juli 2023 mit knapper Mehrheit für die Gesetzesvorlage.[2] Der finale Gesetzestext wurde am 9. November 2023 von EU-Parlament und Rat beschlossen.[3]

Das Gesetz schreibt vor, dass die EU-Mitgliedstaaten bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landflächen und 20 Prozent der Meeresgebiete der EU "Wiederherstellungsmaßnahmen" durchführen. Bis 2050 sollen solche Maßnahmen für alle Ökosysteme, die eine Wiederherstellung benötigen, erfolgen.

Das Gesetz ist ein Kernelement des Europäischen "Green Deal" und der EU-Biodiversitätsstrategie[4] und macht die darin gesetzten Ziele für die "Wiederherstellung der Natur" verbindlich.

Die EU-Biodiversitätsstrategie formuliert zum einen das Ziel, 30 Prozent der EU-Landfläche gesetzlich zu schützen und ein Drittel dieser Fläche unter strengen Schutz zu stellen. Darüber hinaus sollen mindestens 10 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen so genutzt werden, dass hier nicht mehr die Produktion landwirtschaftlicher Produkte im Vordergrund steht, sondern die Bereitstellung von Lebensraum für Wildtiere und -pflanzen.[5]

Die Biodiversitätsstrategie ist eng verbunden mit der "Farm to Fork"-Strategie (F2F) der EU-Kommission und ergänzt sie, indem sie der Landwirtschaft in der EU weitgehende Beschränkungen auferlegt. Zu den spezifischen Zielen der F2F- und Biodiversitätsstrategie gehören: Reduzierung des Düngemitteleinsatzes um 20 Prozent Halbierung des Einsatzes und des Risikos chemischer Pestizide und Antibiotika, Ausweitung des ökologischen Landbaus auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche und Rückführung von mindestens 10 Prozent der Agrarflächen in Landschaften mit hoher Artenvielfalt. Außerdem sollen bis 2040 25 Prozent und bis 2050 35 Prozent der trockengelegten Moorböden wiedervernässt werden. In Deutschland wären davon etwa acht Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche betroffen.[6]

Begründung des Vorhabens Bearbeiten

Zur Begründung des Gesetzesvorschlags wird angeführt, dass 80 Prozent der Lebensräume in Europa in "schlechtem Zustand" seien und die vorgeschlagenen Massnahmen ein entscheidender Schritt seien, den "Kollaps von Ökosystemen" zu verhindern und den "schlimmsten Auswirkungen" des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts vorzubeugen. Die Wiederherstellung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern, Grasland, Meeresökosystemen und städtischen Gebieten in der EU und der darin vorkommenden Arten soll dazu beitragen, die Widerstandsfähigkeit und Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung in der EU und weltweit zu gewährleisten.[1]

Folgenabschätzung Bearbeiten

Mehrere Studien haben mit unterschiedlichen Methoden versucht, die ökonomischen und ökologischen Folgen der Umsetzung der Ziele der F2F und der Biodiversitätsstrategie abzuschätzen.[7][8][9][10]

Alle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Verwirklichung der vorgegebenen Umweltziele der F2F-Strategie sowie der damit zusammenhängenden Ziele der Biodiversitätsstrategie des Europäischen Green Deal zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion in Europa führen wird. Dies wird einen Anstieg der europäischen Agrarimporte und einen Rückgang der Exporte zur Folge haben, was sich in höheren Lebensmittelpreisen auf den Weltmärkten und einer verringerten weltweiten Ernährungssicherheit niederschlägt. Außerdem erhöhen die größeren Importe von außerhalb der EU den Landverbrauch in anderen Regionen.

In der Studie der Forschungsabteilung des US-Landwirtschaftsministeriums[7] wurden drei Szenarien betrachtet. Das erste Szenario geht davon aus, dass die Ziele der Strategien in der EU, nicht aber in der übrigen Welt umgesetzt werden und keine Handelsbarrieren errichtet werden. Das zweite Szenario, ein "mittleres Szenario", dehnt die Beschränkungen für landwirtschaftliche Betriebsmittel auf jene EU-Handelspartner aus, die von Lebensmittel- und Agrarexporten in die EU abhängig sind. Im dritten Szenario, dem "globalen Szenario", betrachtet die Studie die Auswirkungen des Extremfalls einer weltweiten Übernahme der Strategien. Untersucht wurden die Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, die Nahrungsmittelpreise und die Ernährungssicherheit.

Bei einer Umsetzung der Strategien in der EU, nicht aber in der übrigen Welt, wird den modellbasierten Berechnungen zufolge die Agrar- und Lebensmittelproduktion in der EU um 12 Prozent zurückgehen. Besonders starke Einbußen werden bei den Ackerkulturen prognostiziert, nämlich ein Rückgang der erzeugten Mengen um 49 Prozent bei Weizen, 20 Prozent bei anderen Getreidearten und Zuckerrüben und 60 Prozent bei Ölsaaten. Die europäischen Agrar- und Lebensmittelexporte würden um 20 Prozent zurückgehen und die Importe in die EU um zwei Prozent zunehmen. Die Nahrungsmittelpreise in der EU würden um 17 Prozent steigen. Die Studie beziffert den weltweiten Verlust an Wohlstand auf 96 Mrd. US-Dollar, wovon 84 Mrd. US-Dollar zulasten der EU gehen. Weltweit würden sich infolge der verringerten Produktion in der EU die Nahrungsmittelpreise um durchschnittlich neun Prozent erhöhen und die Zahl der Menschen ohne sichere Lebensmittelversorgung würde sich um 22 Millionen erhöhen.

Auch die Studie von Agrarökonomen der Universität Kiel kommt zu dem Ergebnis, dass die F2F-Strategie zu einem signifikanten Produktionsrückgang und entsprechenden Preissteigerungen in der EU führen wird. Die Abschätzung der Agraökonomen basiert auf dem CAPRI (Common Agricultural Policy Regionalized Impact) Modell, das vom Joint Research Center (JRC) der EU-Kommission entwickelt wurde.

Aufgrund des Rückgangs der landwirtschaftlichen Produktion prognostiziert die Studie eine Verringerung der Treibhausgasemissionen in der EU um 109 Mio. t CO2eq. Jedoch würden der Rückgang der Exporte und die Zunahme der Nahrungsmittelimporte aus Nicht-EU-Ländern dort zu einer Zunahme der THG-Emissionen um 54 Mio. t CO2eq führen, womit die Hälfte des erzielten Gewinns wieder zunichte gemacht würde. Darüber hinaus würden Landnutzungsänderungen in der EU zusätzliche Emissionen in Höhe von 50 Mio. t CO2eq verursachen. Infolgedessen ergibt sich bei Umsetzung der F2F-Strategie praktisch eine neutrale THG-Bilanz von 109-50-54=5 Mio. t CO2eq.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Studie der Wissenschaftler des JRC der EU-Kommision.[8] Diese Folgenabschätzung wurde von der EU-Kommission beauftragt und nach Fertigstellung sechs Monate unter Verschluss gehalten.[11]

Bei einer Umsetzung der vorgeschlagenen EU Ziele zum Green Deal erwarten die Wissenschaftler Produktionsrückgänge von fünf bis 15 Prozent, die am stärksten bei der Rinderhaltung ausfallen. Bei Getreide werden ein Rückgang der Getreideanbaufläche um 4 Prozent und der Getreideerträge um 11 Prozent als Folge verminderter Düngung und geringeren Pflanzschutzes prognostiziert, wodurch sich die Getreidernte um etwa 15 Prozent verringert. Obwohl die Anbauflächen für Gemüse und Dauerkulturen in dem betrachteten Szenario stabil bleiben, gehen die Ernten infolge der geringeren Erträge im ökologischen Anbau um 12 Prozent zurück.  

Die JRC-Modellrechnungen ergaben, dass die Massnahmen nicht zur gewünschten einer Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen führen werden. Die geschätzte Verringerung der landwirtschaftlichen CH4- und N2O-Emissionen in der EU um 15 Prozent wird zu zwei Dritteln davon durch den Anstieg der Emissionen in der übrigen Welt infolge der höheren Importe und geringeren Exporte der EU zunichte gemacht.

Die Studie der Wageningen University & Research (WUR) [9] kommt anhand von kulturspezifischen Modellrechnungen für zehn Kulturen in sieben EU-Ländern zu dem Ergebnis, dass die Umsetzung der Ziele der F2F- und Biodiversitätsstrategien zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Erzeugung in der gesamten EU um durchschnittlich 10 bis 20 Prozent bei den einzelnen Kulturpflanzen führen wird. Bei einigen Kulturen, wie z. B. Äpfeln, kann die Produktionsmenge um bis zu 30 Prozent zurückgehen. Darüber hinaus ziehe ein verringerter Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln Qualitätsprobleme nach sich. Getreide könne anfällig für Pilze und damit unbrauchbar für menschliche Ernährung und tierische Verfütterung werden.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b Press corner. Abgerufen am 26. Dezember 2023 (englisch).
  2. Renaturierung: Abgeordnete legen Position für Verhandlungen mit Rat fest | Aktuelles | Europäisches Parlament. 7. Dezember 2023, abgerufen am 26. Dezember 2023.
  3. Commission welcomes agreement between European Parliament and Council on Nature Restoration Law. Abgerufen am 26. Dezember 2023 (englisch).
  4. MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 Mehr Raum für die Natur in unserem Leben. 2020 (europa.eu [abgerufen am 25. Dezember 2023]).
  5. MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN ... - EUR-Lex. Abgerufen am 3. Januar 2024 (englisch).
  6. publisher: Klimaschutz durch Moorbodenschutz. 23. Februar 2023, abgerufen am 25. Dezember 2023.
  7. a b Jayson Beckman, Maros Ivanic, Jeremy Jelliffe, Felix G. Baquedano, Sara Scott: Economic and Food Security Impacts of Agricultural Input Reduction Under the European Union Green Deal’s Farm to Fork and Biodiversity Strategies. Abgerufen am 25. Dezember 2023 (englisch).
  8. a b HURLE Jesus Barreiro, Mariia Bogonos, Mihaly Himics, Jordan Hristov, DOMINGUEZ Ignacio Perez, Amarendra Sahoo, Guna Salputra, Franz Weiss, Edoardo Baldoni, Christian Elleby: Modelling environmental and climate ambition in the agricultural sector with the CAPRI model. 29. Juli 2021, abgerufen am 25. Dezember 2023 (englisch).
  9. a b Bremmer, Johan, et al. impact assessment Study on ec 2030 Green Deal Targets for Sustainable Food Production: effects of Farm to Fork and Biodiversity Strategy 2030 at Farm, National and eu level. Wageningen Economic Research, 2021. 19. Januar 2022, abgerufen am 25. Dezember 2023 (amerikanisches Englisch).
  10. Henning, Christian, et al. "Ökonomische und Ökologische Auswirkungen des Green Deals in der Agrarwirtschaft." Department of Agricultural Economics, Agricultural Policy, Kiel University, Germany (2021). Abgerufen am 25. Dezember 2023.
  11. MEPs slam Commission for delaying release of Farm to Fork report. 12. Oktober 2021, abgerufen am 26. Dezember 2023 (britisches Englisch).