Berechnung der Standlinie

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Sphärisches Dreieck zur Berechnung der Standlinie
 
Von allen Punkten der blauen Standlinie wird die (orange) Sonne auf einer Höhe von 50°36.0' gesehen. Der Nullgradmeridian ist gestrichelt dargestellt. Der blaue Punkt ist der Standort des unten gerechneten Beispiels. Der Nordpol ist mit einem roten Punkt dargestellt

Zur Berechnung der im Kapitel "Prinzip der seemännischen Praxis" beschriebenen Standlinie betrachte man das durch den Nordpol, das Gestirn (hier die Sonne) und den Zenit des Standortes am Himmelszelt aufgespannte sphärische Dreieck. In diesem Dreieck sind

  • die Seite  , wobei   die momentane Deklination des beobachteten Gestirns ist
  • die Seite  , wobei   die geographische Breite des Beobachters ist
  • die Seite  , wobei   die Zenitdistanz   des Gestirns und   die Höhe des Gestirns über dem Horizont sind.

  ist der Greenwich-Stundenwinkel des beobachteten Gestirns.
  ist der Winkel zwischen den Meridianen des Beobachters und des Gestirns.
  ist die geographische Länge des Beobachters, wobei östliche Längen positiv und westliche Längen negativ angegeben werden.

Das beschriebene Dreieck kann unter anderem mit dem Seiten-Kosinussatz der sphärischen Trigonometrie berechnet werden. Dieser Kosinussatz lautet:

 

Ersetzt man  ,  und   wie oben beschrieben, so folgt für  :

 

Die geographische Länge   ist:

 

also:

 

Der Beobachter bestimmt mit dem Sextanten zu einem bestimmten Zeitpunkt die Höhe   des Gestirns. Der Greenwich Stundenwinkel   und die Deklination   des Gestirns werden für diesen Zeitpunkt der Nautischen Tafel[1] entnommen. Für jede mögliche Breite   des Beobachters, kann die dazugehörende Länge   mit obiger Formel berechnet werden. Das Ergebnis ist eine geschlossene Standlinie auf der Erdoberfläche. Von jedem Punkt dieser Standlinie (in der Grafik blau eingezeichnet), wird das Gestirn zu einem bestimmten Zeitpunkt in gleicher Höhe   gesehen.

Berechnet man aus zwei Breiten   und   die dazugehörenden Längen   und  , und verbindet man die beiden Punkte auf der Karte, so entsteht die Standlinie, auf der sich der Beobachter befinden muss.

Beispiel

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Befindet sich der Beobachter zwischen 24° und 26° Nord, so muss er sich zum angegebenen Zeitpunkt auf der rot eingezeichneten Standlinie befinden.

Ein Beobachter, der sich in der Sahara irgendwo auf einer geographischen Breite zwischen 24° und 26° Nord befindet, misst am Dienstag, 13. April 2021 um 14:00 Uhr UTC die Höhe der Sonne über dem Horizont. Die gemessene und beschickte Höhe der Sonne ist  . Gemäß dem Nautischen Almanach[1] hat die Sonne zu diesem Zeitpunkt eine Deklination   und einen Greenwich-Stundenwinkel  . Für die zwei Breitengrade   und   berechnen sich die zwei dazugehörenden Längen als   und  . Der Beobachter muss sich auf der 235 km langen Verbindungslinie zwischen den zwei Standorten   und   im Tassili n’Ajjer befinden. Berechnet man mit einem zweiten Gestirn oder wieder mit der Sonne zu einem anderen Zeitpunkt eine zweite Standlinie, so werden sich diese am Standort des Beobachters kreuzen.

Berechnet man die Längen   nicht nur für die zwei gewählten Breiten   und  , sondern für alle möglichen Breiten, so entsteht die in der oberen Grafik blau eingezeichnete Standlinie auf der Erdoberfläche, von der aus alle Beobachter die Sonne zum angegebenen Zeitpunkt auf einer Höhe von   sehen. Wie die (blaue) Standlinie zeigt, gibt es im Atlantik östlich der Bahamas noch einen zweiten Standort zwischen 24° und 26° Nord an dem die Sonne auf gleicher Höhe beobachtet wird. Zur Berechnung der Länge dieses Standortes wird obige Formel mit dem Minuszeichen vor dem   angewandt.


Berechnung der Standlinie bei ungefähr bekanntem Ort

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Ein zweiter Weg, die Standlinie, bei ungefähr bekanntem Standort zu bestimmen, basiert auf der Messung der Höhe eines Gestirns und der gerechneten Höhe des Gestirns am geschätzen Ort. Die Seemeile ist die Distanz auf der Erdoberfläche, die im Zentrum der Erde, bzw. im Zentrum der Himmelskugel einen Winkel von einer Bogenminute ( ) aufspannt. Wenn die gemessene Höhe des Gestirns um   Bogenminuten kleiner als die für den geschätzen Standort und für einen bestimmten Zeitpunkt berechnete Höhe ist, so befindet sich der Beobachter wegen der Erdkrümmung auf einer Linie, die sich vom Gestirn aus gesehen um   Semeilen hinter dem geschätzen Ort befindet. Die Höhe des Gestirns für den geschätzen Standort (🐪) berechnet sich (wie oben) mit dem sphärischen Seitenkosinussatz

 

wobei wieder gilt :  ,   und  

Der Winkel   ist die Summe der geographischen Länge des vermuteten Ortes und des momentanen Greenwich-Stundenwinkels des Gestirns.

 

Den momentanen Greenwich-Stundenwinkel entnimmt man dem astronomischen Almanach[1].

Ersetzt man im Seitenkosinussatz   und   wie beschrieben, so folgt:

 

Die berechnete Höhe   ist also:

 

Das Azimut des Gestirns lässt sich für den geschätzten Ort und die gegebene Zeit aus dem folgenden Seitenkosinussatz berechnen:

 

Ersetzt man in letzter Formel wie oben gegeben die Werte   und löst nach   auf, so folgt:

 

Jetzt sind für einen bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten geschätzen Ort das Azimuth und die Höhe des Gestirns bekannt. Die ArcCos-Funktion liefert positive und negative Winkel im Bereich von 0° bis 180°. Wird der Winkel   als positiv angenommen, so ist   das nach Osten gerichtete Azimut. Wird der Winkel   als negativ angenommen, so ist es ein nach Westen gerichtetes Azimut  .

Beispiel

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Die Standlinie befindet sich im Beispiel 19.5 Seemeilen westlich von El Golea

Sie befinden sich in der Nähe der Oase El Golea, wissen aber nicht, ob Sie östlich oder westlich der Oase sind. Das Zentrum der Oase befindet sich bei den Koordinaten   und  . Es ist Montag, 21. Juni 2021 16:00 UTC Uhr und Sie haben in der Sandwüste eine Messung der Sonnenhöhe durchgeführt:  . Gemäss Almanach[1] sind der Greenwich-Stundenwinkel und die Deklination der Sonne zu diesem Zeitpunkt:   und  . Setzt man  ,   und   in der Höhenformel ein, so sieht man, dass die Sonne an diesem Tag zur gegebenen Zeit   über dem Horizont El Goleas steht. Setzt man diese Höhe  ,   und   in der Formel für das Azimut ein, so findet man, dass das Azimut   oder   ist. Wir wissen, dass um 16 Uhr UTC die Sonne westlich von El Golea steht und für uns daher das erste Azimut gilt.

Die in der Wüste gemessene Höhe   ist 19.5' grösser, als die Sonnenhöhe, die wir zu gegebenem Zeitpunkt in El Golea beobachtet hätten. Wir befinden uns also auf einer 19.5 Seemeilen von El Golea entfernten, in Richtung Sonne gelegenen Standlinie. Auf der Karte zeichnet man von El Golea ausgehend eine Linie mit dem Azimut   ein und quer dazu in einer Distanz von 19.5 NM = 36.11 km unsere Standlinie. Wir befinden uns westlich von El Golea. Eine zweite Messung mit einem anderen Gestirn oder eine zweite Messung der Sonnenhöhe zu einem anderen Zeitpunkt ergäbe eine zweite Standlinie. Unser Standort ist der Schnittpunkt der beiden Standlinien.

  1. a b c d Zum Beispiel: The Nautical Almanac 2021