Das Gruppenbildnis der Frauenstraße 24 (der eigentliche Titel ist nicht bekannt) in Münster ist ein wahrscheinlich im Jahr 1977/78 entstandenes Gemälde des Künstlers Gerhard Meyerratken. Leider lässt sich das genaue Entstehungsdatum nicht mehr rekonstruieren. Das in Öl auf Leinwand gemalte Bild ist in den Maßen 218 cm x 385 cm gehalten und bildet damalige Bewohner*innen und Unterstützer*innen der Frauenstraße 24 ab. Das damals besetzte Gebäude ist dabei, neben der Münsteraner Stadtansicht, an prominenter Stelle im Hintergrund zu sehen. Es befindet sich zur Zeit in den gastronomischen Räumlichkeiten der Kneipe und des Kulturvereins der Frauenstraße 24, direkt an der Fensterseite zur Frauenstraße über einer langen Sitzbank.

Bildbeschreibung Bearbeiten

Das großformatige Gemälde bildet eine Gruppe von 30 stehenden Frauen und Männern auf einer freien Fläche vor einer Stadtansicht ab. Die Personen verteilen sich in unterschiedlich großen Gruppen und erstrecken sich so über Vorder- und Mittelgrund. Dabei wurden die Abgebildeten so positioniert, dass auch die weiter hinten stehenden Personen für die Betrachtenden gut zu erkennen und identifizieren sind. Die Frauen und Männer stehen, teils dicht gedrängt, mit entspannter Körperhaltung und neutralem Gesichtsausdruck auf der Freifläche. Die Blicke der Personen sind auf nicht genauer definierbare Punkte gerichtet, welche sich außerhalb des Bildes zu befinden scheinen und nur einige wenige Personen schauen direkt in Richtung der Betrachtenden. Eine Interaktion unter den Personen findet nicht statt, vielmehr stehen sie für sich als Individuen in der Gruppe. Die Kleidungsstücke und Frisuren sind leger, abwechslungsreich und entsprechen der zeittypischen Mode. Während die Gesichter der Personen detailliert erscheinen und der Künstler so die Individuen erkennen lässt, herrscht bei der Kleidung und dem restlichen Körper ein schneller und meist angedeuteter Duktus vor, welcher die Konturen häufig verwischen lässt. Der Blick wird unwillkürlich auf einen Mann gelenkt, welcher seinen Fuß auf eine Art Hocker abstellt und so durch seine Körperhaltung sowie durch seine exponierte Platzierung ganz vorne in der Gruppe auffällt. Der Fuß des Mannes scheint dabei weniger auf dem Hocker zu ruhen als eher über ihm zu schweben. Zumindest der Dreiergruppe hinten links lässt sich eine explizit gesonderte Stellung innerhalb des Gemäldes zuordnen, da es sich hierbei um die ersten Besetzer der Frauenstraße 24 handelt. Laut Auskunft von Sabine Hetzel-Meyerratken, der Witwe des Künstlers, ist in dieser Gruppe auch der Künstler selbst zu sehen (am linken Bildrand mit dunklem Oberteil und grüner Hose).[1]

Der Boden auf dem die Personen stehen ist nicht genauer definierbar. Er ist mit schemenhaften, bläulichen Schatten überzogen und es ist eine Linienstruktur zu erkennen, welche vom Betrachtenden zu den Seiten hin wegzuführen scheint. Am linken unteren Bildrand ist außerdem eine Struktur zu erkennen, welche an Buchstaben erinnert jedoch nicht zu entziffern ist. Am unteren rechten Bildrand sehen wir das Monogramm des Künstlers, einem Kreis mit aufgesetztem Kreuz und einem Punkt in der Mitte.

Der Hintergrund des Gemäldes wird von der Ansicht verschiedener Gebäude dominiert. Das größte und detailreichste der Bauwerke ist dabei die Frauenstraße 24 selbst. Es befindet sich links von der Mitte des Hintergrundes und ist durch seine in Blau und Weiß gehaltene, reich verzierte Fassade gut zu erkennen. Links neben dem Gebäude der Frauenstraße 24 sind, in einer fast ironischen Darstellung einer Postkartenidylle, die Münsteraner Innenstadt mit der Überwasserkirche, der St.-Paulus-Dom, sowie schattenhaft St. Lamberti und das Rathaus zu erkennen. Auch sind Teile der Stadtbefestigung zu erkennen, welche schon damals so nicht mehr existierte.[2] Rechts neben dem Gebäude der Frauenstraße 24 befindet sich ein weiteres, nicht näher zuzuordnendes Gebäude, welches ebenfalls in Größe und Detailreichtum hinter der Frauenstraße 24 zurück bleibt. Rechts der Bildmitte sind zwei Baukräne und vier angedeutete Hochhäuser abgebildet. Die Hochhäuser weisen dabei keinerlei Details auf, sondern erscheinen als bloße Klötze, welche in die Höhe gestaffelt sind und zur Frauenstraße 24 hin aufsteigen. Es fällt beim Hintergrund eine klare Trennung zwischen der linken und der rechten Seite auf. Die anonymen, schmucklosen Hochhäuser auf der rechten Seite repräsentieren dabei das Stadtbild, welches durch den Abriss und die Neubebauung des alten Baubestandes drohte. Der Kran, der den Hintergrund in der Mitte teilt, ragt dabei in die linke Bildhälfte, in welcher der alte und zu erhaltende Baubestand zu sehen ist.

Entstehungskontext Bearbeiten

Hausbesetzungen in Münster der 1970er und 1980er Jahre Bearbeiten

Die Entstehung des Gruppenbildnisses vor dem Jahr 1980 fällt in eine Zeit der Besetzung, welche von intensiven Bemühungen um den Erhalt der Frauenstraße 24, aber auch um den Erhalt bezahlbaren Wohnraums insgesamt in Münster geprägt war. Neben der Besetzung der Frauenstraße 24 gab es in Münster ab dem Anfang der 1970er Jahren zahlreiche Hausbesetzungen. Anfang der 1980er Jahre kamen zu den schon vorher besetzten Häusern der Grevener Straße 31 und der Frauenstraße 24 die Besetzungen der Sertürnerstraße (ab 26. Januar 1980), der Marienthalstraße 8 (ab 13. Oktober 1980) sowie der Steinfurter Straße (ab Dezember 1980) hinzu, welche im Folgenden ebenfalls kurz beleuchtet werden.[3]

Ein Grund für die Besetzungen war auch die katastrophale Wohnsituation in der Universitätsstadt, vor allem für Studierende. So standen zum Wintersemester 1972/73 25% der Erstsemester auf der Straße und übernachteten teilweise in Notzelten des AStA der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, welche auf der Wiese vor dem Schloss errichtet wurden.[4]

Als Reaktion auf die Wohnsituation wurde am 15. November 1972 die bis dahin seit einem Jahr leer stehende Grevener Straße 31 besetzt. Die Bedrohung eines Abrisses wurde erst am 9. März 2010 vollständig abgewendet, nachdem sich die Mehrheitsverhältnisse im Rat der Stadt verändert hatten und eine Koalition aus SPD, Die Grünen, Die Linke, UWG, ÖDP und der Piratenpartei ermöglicht wurde, welche für den Erhalt der Grevener Straße 31 stimmte. Heute wird das Haus von der Wohn- und Stadtbau zum Regelsatz des sozialen Wohnungsbaus vermietet, steht jedoch weiterhin unter Selbstverwaltung der Bewohner*innen.[4]

Bereits ab Januar 1971 war die Frauenstraße 24 vom Abriss bedroht und ab dem 03.10.1973, fast ein Jahr nach der Grevener Straße 31, wurde es schließlich besetzt. Die Bedrohung durch einen Abriss änderte sich auch nach einer Zwangsversteigerung und dem Ankauf durch den Makler Günter Arno Ernst am 10.03.1978 nicht.[5] Vielmehr spitzten sich die Ereignisse mit immer wiederkehrenden Gerichtsverfahren weiter zu, wobei die Hausgemeinschaft jedoch auch auf eine breite öffentliche Unterstützung blicken konnte. Gefährlicher Höhepunkt dieser Entwicklung war sicherlich ein durch Zufall verhinderter Gasanschlag auf das Haus und seine Bewohner*innen am 11.05.1979.[6] Diesen Entwicklungen folgte am 11.04.1980 der Aufruf der Hausgemeinschaft, unter Anderem an Künstler und Kulturschaffende, sich mit den Besetzer*innen zu solidarisieren.[7] Diese und auch weitere Vorkommnisse werden wohl ihren Teil zur Entstehung des Gemäldes, mit der Abbildung der Gruppe als Interessengemeinschaft, beigetragen haben. Am 25.03.1981 wird das Haus schließlich an die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) verkauft, welche das Gebäude (nach umfassenden Renovierungsarbeiten) an den AStA der WWU als Hauptmieter vermietet.[8] Damit war das Haus vor dem Abriss gerettet.

In der Nacht zum 25.01.1980 wurden die Häuser der Sertürnerstraße 18-25 von der Wohnraum-Rettungs-Initiative, mit Hilfe von ca 700 Sympathisant*innen, besetzt. Die Forderung der Besetzer*innen mit ihrer Aktion richtete sich vor allem gegen die politisch forcierte Wohnungsnot unter den Studierenden und den einkommensschwachen Münsteraner*innen und für die Schaffung von Frauenhäusern in Münster. Nachdem sich die Stadt nicht bereiterklärte, mit den Besetzer*innen über eine Vermietung der Häuser zu verhandeln, wurden diese am 15.02.1980 von der Polizei geräumt und sofort abgerissen.[9]

Am 13.10.1980 wurde die Marienthalstraße 8 besetzt. Wenige Monate später, am 17.02.1981, wurde das Haus schon von der Polizei geräumt. Die Besetzung wurde ebenfalls von der Wohnraum-Rettungs-Initiative mitgetragen.[9]

Am 02.11.1981 wurde das ehemalige Coca-Cola Gebäude in der Steinfurter Straße besetzt.[10] Auch hier war es das Ziel, auf die katastrophale Wohnsituation aufmerksam zu machen.[3]

Entstehung des Gemäldes Bearbeiten

Sowohl der ursprüngliche Rahmen als auch die Leinwand des Gruppenbildnisses wurden improvisiert.[11] So wurde die Leinwand nicht aus einem Stück gefertigt, sondern aus fünf Baumwollbahnen mit einer jeweiligen Breite von 80 cm zusammengenäht. Die Leinwand wurde dann mit der Sichtseite auf Holzleisten genagelt, bevor mit dem eigentlichen Malvorgang begonnen wurde.[12] Dabei wurden die abgebildeten Personen vom Künstler einzeln porträtiert, bzw. teilweise auch aus dem Gedächtnis gemalt und erst auf der Leinwand zur Gruppe ergänzt.[13]

Neben dem hier genannten Gruppenbildnis existiert des Weiteren noch ein kleineres Gruppenbildnis, welches jedoch erst nach der Besetzung, also erst nach dem 25.03.1981,[8] entstanden ist. Abgebildet sind hier die ersten Mieter*innen der Frauenstraße 24, nach der Besetzungszeit. Das Gemälde hing ursprünglich im Treppenhaus des Gebäudes, konnte also nicht von Besucher*innen der gastronomischen Räumlichkeiten betrachtet werden.[14]

Auch in anderen Werken von Gerhard Meyerratken finden sich die architektonischen Details des Gruppenbildnisses der Frauenstraße 24 wieder. Durch die Räume eines fiktiven Neubaues sind in einem unbenannten Werk die charakteristischen Kirchtürme der Überwasserkirche, des St.-Paulus-Doms, sowie der Lambertikirche zu erkennen. Es wird ein Stadtbild vorweggenommen, welches in Anbetracht der zeitgenössischen Stadtplanung durchaus vorstellbar war. Auch hier ragen die Baukräne in die Höhe und errichten, in fast greifbarer Nähe, einen Wohnturm neben dem Anderen. Nahezu entgegengesetzt zu der Personendarstellung des Gruppenbildnisses, präsentieren sich uns hier die zentralen Figuren mit anonymisierten Köpfen ohne jegliche menschliche Züge. In ihrer Bewegung erstarrt wirken sie eher wie Schaufensterpuppen als wie lebende Menschen. Das Werk lässt sich den Architekturbildern des Künstlers zuschreiben,[15] welche um die Zeit der Entstehung des Gruppenbildnisses der Frauenstraße 24 entstanden sind.[13]

Restaurierung Bearbeiten

Im März 2011 wurde das Gemälde von seinem Platz in der Frauenstraße 24 abgehängt und zusammengerollt in der Kunsthalle Münster eingelagert, konnte dort jedoch aus Platzgründen nur bis ins Jahr 2016 bleiben. Bis zur Restaurierung und neuen Aufhängung in den gastronomischen Räumen der Frauenstraße 24 verblieb es für einige Monate in der Wohnung des damaligen Vorsitzenden des Kulturvereins Frauenstraße 24, Jürgen Brakowsky.[16]

Aufgrund seines Zustandes wurde das Gruppenbildnis ab dem 07.04.2017 von dem Restaurator Ralf Kampmann-Wilsker restauriert.[11] Das Gemälde wies dabei im Zustand vor der Restaurierung eine starke Vergilbung auf, welche durch den jahrzehntelangen Einfluss von Nikotin in der Umgebungsluft der Gasträume der Frauenstraße 24 zurückzuführen war. Des Weiteren wies der untere Gemälderand zwei Risse, eine Materialhinterklebung sowie Übermalungen auf. Auch die Lagerung vor der Restaurierung, zunächst auf einer größeren, später auf einer kleineren Rolle, hinterließ Schäden an Malschicht und Stoffuntergrund. So löste sich die Ölfarbschicht durch diese Beanspruchung an einigen Stellen vom Stoffuntergrund ab.[12] Restauratorisch war seit der Entstehung nichts an dem Gemälde gemacht worden.[11]

Aufgrund seiner Größe wurde das Gemälde auf einer Breite von zwei Metern von einer Seite her abgerollt und nach der Bearbeitung des Ausschnittes zur anderen Seite hin wieder aufgerollt. Die Aufarbeitung erfolgte in verschiedenen Arbeitsschritten. Im ersten Schritt erfolgte eine Entfernung der Nikotinverbräunung durch Tenside. Im nächsten Schritt wurde das Gemälde mit einem Festigungsmittel für ca. 10 Minuten getränkt, um die Verbindung zwischen Malschicht und Tragegewebe zu erneuern. Es war dabei unabdingbar, dass die Reinigung vor der Festigung der losen Malschicht stattfand, da andernfalls auch eine Festigung der Verschmutzungen an die Oberfläche stattgefunden hätte.[11] Der Festigungsvorgang wurde zwei Mal durchgeführt. Durch das darauf folgende Bügeln der Gesamtfläche und dem hierdurch nochmal aktivierten Kleber wurden aufstehende Malschichtschollen und die Malschicht insgesamt gleichmäßig mit dem Stoffträger verbunden. Im dritten Arbeitsschritt wurden Malschichtfehlstellen und verfärbte Altübermalungen mit einer Harz-Ölfarbe retuschiert.[12] Als letzten Arbeitsschritt bekam das Gemälde einen flächigen und leicht glänzenden Schlussfirnis, welcher sowohl eine schützende Funktion für die Malschicht, als auch einen Glanzausgleich für die Retuschen bot.[11]

Ende Mai 2017 waren die Restaurierungsarbeiten an dem Gemälde abgeschlossen, sodass das Gemälde am 09.06.2017 auf einen neuen Spannrahmen montiert werden konnte.[12] Wegen des empfindlichen Trägermaterials konnte das Gemälde nicht mit Spannung auf den Rahmen angebracht werden. Um ein Durchhängen des Trägermaterials zu verhindern, wurden Unterspannbahnen auf die Rahmenkonstruktion gelegt.[11]

  1. Interview mit Sabine Hetzel-Meyerratken (24.01.2021)
  2. Otto-Ehrenfried Selle: Stadt Münster: Vermessungs- und Katasteramt - Straßennamen in Münster Promenade. Abgerufen am 18. Oktober 2021.
  3. a b Bernd Drücke: “Leute bleibt heiter, der Häuserkampf geht weiter”. Die BesetzerInnenbewegung in Münster 1972 - 2008. In: Graswurzelrevolution 325. 1. Januar 2008, abgerufen am 15. Februar 2021.
  4. a b Seit der Besetzung 1972. In: Grevener Straße 31 - Selbstverwaltetes Wohnprojekt in Münster. Grevener 31 e.V., abgerufen am 15. Februar 2021.
  5. Bernd Uppena: Chronologie Frauenstr. 24. In: Frauenstraße 24 – der KulturVerein. S. 3-8, abgerufen am 29. Januar 2021.
  6. Bernd Uppena: Chronologie Frauenstr. 24. In: Frauenstraße 24 – der KulturVerein. S. 9, abgerufen am 29. Januar 2021.
  7. Bernd Uppena: Chronologie Frauenstr. 24. In: Frauenstraße 24 – der KulturVerein. S. 12, abgerufen am 29. Januar 2021.
  8. a b Bernd Uppena: Chronologie Frauenstr. 24. In: Frauenstraße 24 – der KulturVerein. S. 18, abgerufen am 29. Januar 2021.
  9. a b Dokumentation über die Hausbesetzung an der Sertürnerstraße im Januar/Februar 1980 und ihre politischen Hintergründe. In: Hornisse, Wohnen, Sonderheft. Band 2. Arbeitskreis Umwelt Münster und AStA der Fachhochschule, Münster 1980 (mao-projekt.de).
  10. Zum besetzten Cola Haus. In: Roter Korach - Fachbereich Evangelische Theologie. Band 33. Fachbereich Evangelische Theologie, Münster 30. November 1981 (mao-projekt.de).
  11. a b c d e f Interview mit dem Restaurator Ralf Kampmann-Wilsker (25.01.2021)
  12. a b c d Ralf Kampmann-Wilsker: Kurzbericht zu den Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten. Münster 2017, S. 2.
  13. a b Interview mit dem ehemaligen Hausbesetzer Josef Butke (20.02.2021)
  14. Interview mit der ehemaligen Hausbesetzerin Ursula Müller (22.01.2021)
  15. Architekturbilder - Doppelperspektive - Weißbilder. Sabine Hetzel-Meyerratken, abgerufen am 22. Februar 2021.
  16. Petra Noppeney: Die Heimkehr der „Hausbesetzer“. In: Westfälische Nachrichten. Aschendorff Medien GmbH & Co. KG, 19. Juni 2017, abgerufen am 29. Januar 2021.