Hallo, liebe Buben und Mädels, willkommen bei unserem fröhlichen Bastelkurs. Heute werden wir uns etwas ganz Lustiges bauen: Ein alternatives Heilverfahren!

Was das sei, fragt ihr mich? Ganz einfach: ein sehr vielseitiges, nützliches und hilfreiches Spielzeug, mit dem ihr euer Taschengeld wesentlich aufbessern könnt. Dazu brauchen wir nur ganz wenig Bastelmaterial, das erst noch gratis ist: ein paar lustige Schlagworte, zwei bis drei launige Argumente und vielleicht noch die eine oder andere Strohpuppe.

Als erstes müssen wir uns für unser Verfahren einen Namen basteln. Nicht so was wie „Otto“ oder „Mathilde“: Ihr solltet dafür richtig grosse und wichtige Wörter verwenden, die vielleicht noch etwas fremdartig klingen. Mit etwas Tapetenkleister könnt ihr dann auch noch ein Suffix wie „-logie“ oder „-pathie“ hinten dran kleben, weil, das macht sich immer gut. Und dann ist noch ganz wichtig, dass ihr einen wichtigen Namen hinten dran stellt[1] – aber auch hier bitte nicht „nach Willibald“, sondern besser „nach Prof. Dr. Dr. Dr. Semprini-Korsakow“. Seht ihr: schaut doch gleich viel putziger aus!

Weil eure Bastelei schön hübsch werden soll, nehmt ihr die Kiste mit den bunten Schlagwortfarben und streicht sie damit gut an. Natürlich ist eine wunderschöne Farbe, aber auch feinstofflich, ganzheitlich und besonders sanft und ohne Chemie machen euer Verfahren wahnsinnig süss und drollig. Schon fertig – jetzt müsst ihr es nur noch mit stärkt das Immunsystem und aktiviert die Selbstheilungskräfte lackieren. Das macht ganz schön Spass!

Damit Farbe und Lack auch gut trocknen, braucht ihr jetzt richtig viel heisse Luft. Dazu macht ihr schnell eine Internetseite auf, wo ihr euer Verfahren anpreist und vielleicht alle eure kleinen Freunde ein oder zwei fröhliche Erfahrungsberichte schreiben lässt. Sobald die Seite einigermassen gut aussieht, stellt ihr dann einen Artikel über euer Verfahren in die Wikipedia und setzt einen Link auf eure Seite. Wenn ihr alles richtig gemacht hat, werdet ihr ab jetzt ganz viele Briefe, Anrufe und Emails von Leuten bekommen, die euer Verfahren ausprobieren wollen. Sie werden euch dafür auch eine Menge Geld schicken, mit dem ihr mehr Süssigkeiten kaufen könnt, als ihr je essen könntet. Cool, oder?

Aber halt: Irgend so ein doofer Spielverderber hat in der Wikipedia einen Löschantrag auf euren Artikel gestellt. Keine Angst, das ist normal, und das braucht ihr eben auch, um genug heisse Luft zu bekommen. Als erstes müsst ihr sagen, dass er heimlich von der bösen Pharma-Hexe gesteuert wird, die auch ganz doll viele Süssigkeiten kaufen kann und euch einfach euren Spass nicht gönnt. Die dumme Kuh will nur, dass alle Leute krank bleiben, damit sie nicht aus dem Käfig hinter ihrem Lebkuchenhaus[2] abhauen und sie sie dann braten und essen kann. Ihr wollt ihnen aber wirklich nur helfen und seid darum die Guten. Die Süssigkeiten, die ihr kauft, müsst ihr dabei aber nicht unbedingt herumzeigen.

Wenn das mal nicht klappen sollte, müsst ihr sagen, dass ihr heilt und darum Recht habt: Wenn so ein blöder oller Schulmediziner jemanden heilt, hat er immer nur Symptome unterdrückt. Wenn hingegen die Symptome nach Anwendung eurer Bastelei auch mal verschwinden, ist das immer, weil ihr die Ursache behandelt. Die meisten Leute finden euch dann voll gut und stellen keine weiteren Fragen.

Manchmal kommt’s aber so richtig dicke, und das reicht immer noch nicht. Dann müsst ihr andere Mittel anwenden und aus der Trickkiste eine Tüte Persönliche ErfahrungTM holen. Das ist ein magisches Pülverchen, mit dem ihr den doofen Spielverderbern ganz leicht den Garaus machen könnt: Sagt ihnen einfach, dass euer Verfahren nach eurer ganz, ganz langen und eindeutigen Persönlichen ErfahrungTM wirkt. Es spielt keine Rolle, wie alt ihr seid, weil, in Wikipedia sieht das sowieso keiner. Dann lasst ihr am besten auch noch eure Klassenkameraden auf der Diskussion anmerken, wie gut euer Verfahren doch ist, das macht immer Eindruck. Den anderen Diskutierern sagt ihr dafür, dass sie engstirnige Dogmatiker[3] sind, die mal über den eigenen Tellerrand schauen sollten. Sie gehören nämlich zum Establishment,[4] gegen das ihr heldenhaft ankämpft.[5] Das bringt euch nebenbei auch die nötige Sympathie, weil, die Leute mögen Underdogs.[6][7]

Hin und wieder kommt es aber trotzdem vor, dass der Artikel zu eurer Bastelarbeit aus der Wikipedia verschwindet, weil die böse Pharma-Hexe über ihre Helfershelfer die meisten Admins kontrolliert. Dann geht ihr am besten erst mal in die Löschprüfung und macht dort nochmal mächtig Stunk. Am wichtigsten ist bei unserer Bastelarbeit nämlich, dass möglichst viele Leute über euer Verfahren lesen können. So ein komischer Onkel in Amerika hat gesagt: „Any publicity is good publicity.“ Recht hat er!


Doch selbst wenn euer Artikel schliesslich endgültig aus der Wikipedia verschwinden sollte, müsst ihr nicht weinen: Ihr werdet auch ohne ihn weiter massig Kohle machen. Denn, liebe Buben und Mädels: Eure wirklichen Ressourcen sind die menschliche Dummheit, Leichtgläubigkeit und Verzweiflung. Und die werden so bald nicht erschöpft sein!

Anmerkungen, nicht nur für Erwachsene

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  1. Aber aufgepasst: Angeklebte Eigennamen gelten bei chirurgischen Techniken und Instrumenten nicht als Hinweis auf Alternativmedizin, da Chirurgen grundsätzlich über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügen.
  2. Seht ihr, wieviel Süssigkeiten die olle Schreckschraube sich kaufen kann? Ist doch voll fies!
  3. Das sind so doofe Hirnis, denen es tatsächlich wichtig ist, ob das, was sie glauben, auch wirklich stimmt.
  4. Das ist glaub ich so eine Art Fenstersims.
  5. Ihr braucht deswegen nicht auf einem Schlachtfeld nackt in Speerspitzen rennen; was zählt, ist der Eindruck.
  6. Das sind diese runden Dinger, die Hundebuben zwischen den Beinen hängen haben.
  7. Ich weiss auch nicht, was die Leute daran so toll finden.

Siehe auch

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How does homeopathy work? (engl.)