Benutzer:Barnos/WikiCon-Präsentation 2016: Wege zur Neuautorengewinnung

WikiCon-Präsentation vom 16. September 2016 in Kornwestheim
(Originalfolien mit teils gerafftem Kommentar)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein wohlmeinender Programmengel hat es gefügt,
dass die Neuen im Projekt heute als Erste bedacht werden und zum Zuge kommen.
Eben war vom Wikimedia-Nachwuchs für die Commons-Bebilderung die Rede.
Jetzt soll es darum gehen, was wir für das Hinzukommen von neuen
ehrenamtlichen Wikipedia-Autoren tun können und müssen.

Aber zuerst doch noch mal die Frage: Wozu das Ganze?

Ist der Wikipedia-Hype nicht längst vorbei und das Schiff bald nahe am Sinken,
wie uns manche mit wenig ermutigendem Statistik-Material
und scheinbar bedrohlich rückläufigen Zahlen zu verstehen geben wollen?

Da mache ich eine ganz andere Rechnung auf – und die kommt erst einmal völlig ohne Zahlen aus:

Wikipedia ist unter den Bedingungen der Online-Kommunikation im Netzzeitalter gegenwärtig
und bis auf Weiteres die wichtigste Arche des Weltwissens und der Menschenaufklärung –
ähnlich vielleicht jenem ehrwürdige Kultur-Container im Britischen Museum,
nur sehr viel umfänglicher und überhaupt nicht standortgebunden.

Wo, wenn nicht in der Wikipedia, gilt unvermindert der Aufklärungsimperativ Immanuel Kants:
Lerne, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!?

Dass einem solide Verstandesschulung heutzutage – zumindest als Nichtwikipedianer –
nicht gerade in den Schoß fällt, ist schon eine Weile bekannt.

In der Ära von US-Präsident Ronald Reagan erscholl Mitte der 1980er Jahre der Weckruf:

Es war der amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman,
der die unaufhörliche Fernsehunterhaltungsberieselung durchaus drastisch
als ein fatales Wirkmittel ansah, Idioten zu erzeugen. Mit anderen Worten:
Er sah in der televisionären Überflutung eine akute Bedrohung für Geist und politische Kultur.

Aber auch das in die Breite der Weltgesellschaft zielende Gegenmittel gegen die Verblödungsindustrie –
und da sind wir gleich ganz bei uns –
wurde in den USA entwickelt. Das geschah auf der Schwelle zum neuen Jahrtausend,
als Jimmy Wales die Wikipedia aus der Taufe hob.
Seither sind die Dinge auch hierzulande auf ungeahnte Weise ins Rollen gekommen
und teilweise auch unter die Räder: Um den gedruckten Brockhaus tut es auch manchem Wikipedianer leid.

Zum zehnjährigen Projektjubiläum kam 2011 die Idee auf, Wikipedia für das Weltkulturerbe kandidieren zu lassen.
Da war meine erste Reaktion in Anbetracht ungezählter Qualitätsausfälle im Artikelnamensraum:
Jetzt fangen die Römer ernstlich zu spinnen an! Und da war es wohl auch noch arg früh dafür. –
Fünf Jahre weiter denke ich vom heutigen Stand aus anders darüber:
Ist Wikipedia nicht schon jetzt der global wichtigste Ort, an dem das kulturelle Welterbe zusammengeführt,
verarbeitet, vernetzt und überall auf der Welt kostenfrei zur Verfügung gestellt wird?

Der Islamwissenschaftler und Wikipedianer Professor Patrick Franke
mit dem Benutzernamen PaFra ist anscheinend zu genau diesem Schluss gelangt,
als er in der Wikipedia die Bamberger Islamenzyklopädie angesiedelt hat.

Nun wirbt Patrick Franke dafür, dass andere seinem Beispiel folgen
und ihrerseits als Wissenschaftler in der Wikipedia fachliche Artikelarbeit leisten.
Für den von ihm selbst betreuten Bereich hat er klare Beteiligungsvorgaben formuliert.
Sein als Muster zur Nachahmung empfohlenes Modell sieht vor,
dass Wissenschaftler unter Klarnamen mitwirken und dass sie mit ihrem Namen für zitierfähige Artikel
in der Bamberger Islamenzyklopädie einstehen, und zwar unter folgenden Bedingungen:

Unter den bei der Artikelarbeit zur Neutralität verpflichteten und darauf bedachten Wikipedianern
gibt es bekanntlich einen alarmierenden Warnruf immer dann, wenn jemand –
heimlich, still und leise – in der Wikipedia einer eigenen, subjektiven Sendung zu folgen scheint:
man on a mission!
Bei Patrick Franke liegt nun der interessante Fall vor, dass er den Begriff mission positiv besetzt.
Er hat nämlich öffentlich und in Schriftform ein Mission-Statement publiziert, das es in sich hat – für uns.
Darin heißt es:

Das Mission-Statement von Patrick Franke umfasst 12 Punkte, die die Lektüre allesamt lohnen.
Mir erscheint dieses Modell insgesamt als eine geradezu mustergültige Einladung an Wissenschaftler aller Fakultäten,
auf einer ebenso gearteten Basis an und in der Wikipedia mitzuwirken.
Wir sollten das gern an die ganz große Glocke hängen!

Denn ist es nicht diese allgemeingültige Botschaft, die wir nach außen tragen und vermitteln müssen:
Liebe interessierte Zeitgenossen, tut mit in diesem unermesslich reichen, weltweiten Kulturgarten,
der auch Eure Zuwendung braucht, sei es durch qualitatitive Artikelpflege oder auch durch eigene Artikelpflanzungen!

Damit komme ich an bei der thematischen Kernfrage dieser Veranstaltung:
Wie schaffen wir das – geeignete Neuautoren hereinzuholen, startklar zu bekommen und als Editoren aktiv einzubinden?
Ich selbst hatte kürzlich auf mehrere Weise Gelegenheit, eigene Erfahrungen dazu zu sammeln:


Zunächst zu dem Einsteigerkurs:
Hier war schon in der Ausscheibung enthalten, dass die Teilnehmer die Bereitschaft mitbringen sollten,
einen eigenen Wikipedia-Account anzulegen.
Das war nach der Vorrede dann auch gleich die erste Aktion, die allerdings leider nach der 6. Anmeldung schwer ins Stocken kam,
weil alles über die Rechner und Internet-Adresse der Staatsbibliothek lief und nach sechs Anmeldungen die automatische Sperre griff,
was dann einige Zeit und Nerven gekostet hat, bis mit Hilfe mobiler eigener Geräte schließlich 11 Teilnehmer einen neuen Account hatten.

Als Ersteintrag auf der eigenen Benutzerseite sollte dann zunächst jeder seinen besonderen Interessenbereich in der Wikipedia kurz angeben,
damit eventuelle hilfreiche, virtuelle Geister gleich wissen konnten, wo dem Neuling bevorzugt auf die Sprünge geholfen werden könnte.
Als Schulungsgrundlage für den beschleunigten Einstieg hatte ich eine eigene Kurzanleitungals Unterseite in meinem Benutzernamensraum entwickelt,
auf die sofort nach der Anmeldung und Schwerpunktangabe alle Teilnehmer zugreifen sollten.
Die dort aufgeführten Aspekte habe ich dann mündlich erläutert –
und auf der zugehörigen Diskussionsseite die Teilnehmer nacheinander ihre neuen Account-Signaturen eintragen lassen.
Das diente sowohl der Übung des Signierens als auch meiner Dokumentation.
Sodann habe ich darum gebeten, dass alle meine Kurzanleitungsunterseite auf die eigene Beobachtungsliste setzen,
damit sie sie sicher wiederfinden sollten, wenn sie daheim an die Artikel-Arbeit gehen würden.

Das Ziel dieses ganzen Ansatzes ist es, dass die Neuen so schnell wie möglich in die Lage kommen, gleichberechtigt mitzuwirken.
Es geht also nur um die nötigsten Startinformationen, allerdings auf Quellcode-Basis, damit auch die Diskussionsteilnahme möglich ist.
Denn ohne diese Option sind Hilflosigkeit, Frust und Ohnmacht vorprogrammiert.
Außerdem habe ich darüber aufgeklärt, wie der Sichterstatus zügig erreicht werden kann.

Danach wurden anhand konkreter Verbesserungen eines thematisch naheliegenden Artikels noch die Bedeutung von Vorschaufunktion
und Änderungskontrolle durchgespielt.

Zuletzt hat Wikipedianer-Kollege Klius seinen vorbereiteten größeren Umbau des Artikels zum Verein für die Geschichte Berlins vorgestellt
und nach entsprechendem Zuspruch die Neufassung dann auch live umgesetzt.

Zur Mentoring-Ebene: Als diesjähriger Nachwuchsmentor bin ich bis dato drei Betreuungsverhältnisse eingegangen,
die bisher nur in einem Fall dazu geführt haben, dass der Sichtungsfreischwimmer sehr flott gemacht wurde
und das Mentorenverhältnis bereits erfolgreich abgeschlossen ist.
Das Verdienst daran liegt klar hauptsächlich in der Eigeninitiative des Betreuten Polimorph.

Ein geradezu phänomenales Erfolgserlebnis, das ich mit anderen teile,
hat es auf dritter Ebene ganz außerhalb der formalisierten Betreuungskanäle gegeben:
Das ist Andrea014, eine reflektierende Senkrechtstarterin als Neue.
Andrea bringt aber, was wohl eher nicht die Regel ist, von sich aus so viel positive Energie mit,
dass man ihr mit etwas Zuspruch ein positives Ankommen und Mitwirken leicht ermöglichen konnte und kann.
Ihre Einsteiger-Reflexionen: „Wikipedien – ein Reisebericht“ haben ihr schon von vielen Seiten her freudige Anerkennung gebracht.
Die Lektüre sei allen Neuen – und ihren Begleitern – ausdrücklich empfohlen.

Wie aber können wir systematisch auch bei anderen die Bereitschaft zu eigenen Aktivitäten in der Wikipedia fördern?
Dazu 3 Essentials:

Merke also:
Wenn wir Wikipedia endlich wieder in dieser Weise einsteigerfreundlich aufmachen,
sollten entsprechende Erfolge auch nicht lange auf sich warten lassen!