Ameisenfischchen

Art der Gattung Atelura

Das Ameisenfischchen (Atelura formicaria) ist eine Art der Insektenordnung der Fischchen (Zygentoma). Die Art ist myrmekophil, sie lebt in den Nestern von Ameisen und ist auf diese für ihre Ernährung angewiesen. Das Ameisenfischchen ist die einzige in Mitteleuropa im Freiland lebende Art, der hier sonst obligat synanthropen, nur in geheizten Häusern lebenden Fischchen.

Ameisenfischchen

Ein Ameisenfischchen zwischen zwei Ameisen der Art Lasius flavus. Ebenfalls im Bild ist eine Ameisenassel

Systematik
Unterstamm: Sechsfüßer (Hexapoda)
Klasse: Insekten (Insecta)
Unterklasse: Fischchen (Zygentoma)
Familie: Nicoletiidae
Gattung: Atelura
Art: Ameisenfischchen
Wissenschaftlicher Name
Atelura formicaria
Heyden, 1855

Beschreibung Bearbeiten

Das Ameisenfischchen erreicht eine Körperlänge von etwa 4 bis 6 Millimetern und ist damit nur etwa halb so lang wie die in Mitteleuropa verbreiteten synanthropen Arten. Unter den mitteleuropäischen Arten ist es unverkennbar: Es ist blass gefärbt, der Körper ist dicht von blass gelblichen, etwas metallglänzenden (und dadurch golden wirkenden) Schuppen bedeckt. Die Augen fehlen vollständig. Die Körperanhänge, sowohl die Antennen wie auch die drei Schwanzanhänge (Cerci und Terminalfilum), sind ungewöhnlich kurz.[1] Auch sein Körper ist kurz, der Hinterleib vorn von Rumpfbreite und nach hinten stark verschmälert, so dass er in Aufsicht fast dreieckig ist.

Die Art ist schwach beborstet, am Hinterleib sitzt an den Hinterecken jedes Segments je eine starke Borste, die für viele Fischchen typischen Borstenkämme sind nicht ausgebildet. Am Hinterleib sitzen auf der Unterseite Styli, das sind paarige griffelförmige Anhänge, die auf Extremitätenanlagen zurückgehen, an den Segmenten zwei bis neun.[2]

Verbreitung Bearbeiten

Das Ameisenfischchen lebt im größten Teil Europas, von Frankreich im Westen bis zur Halbinsel Krim im Osten.[3] Es tritt nach Nordwesten selten bis nach Belgien,[4] in die Niederlande[5] nach Westen bis in die Bretagne[3] auf, fehlt aber in Großbritannien. Der bislang südlichste Nachweis stammt von der Insel Sizilien.[2] Im südlichen Mitteleuropa gilt die Art allgemein als nicht selten, wird aber wegen der versteckten Lebensweise nicht oft gefunden.[6] Funde in der norddeutschen Tiefebene, und den Regionen nördlich davon, sind nicht nachgewiesen.[2] 2021 wurde aber ein neues Vorkommen, in einem Hausgarten in der Stadt Berlin, entdeckt, der bisher nördlichste Fundpunkt.[7]

Ökologie und Lebensweise Bearbeiten

Ameisenfischchen werden fast ausschließlich im Inneren von Ameisennestern angetroffen, nur ganz vereinzelt Einzelindividuen auch abseits davon[6]. Sie gelten überwiegend als Kommensalen, die sich von Abfallstoffen im Nest ernähren. Gelegentlich drängen sie sich aber bei der gegenseitigen Fütterung (Trophallaxis) der Ameisenarbeiterinnen dazwischen und stehlen diesen Nahrung, sind also zumindest teilweise Kleptoparasiten. Die Fischchen laufen in schnellem Lauf zwischen den Ameisen umher und versuchen, direkten Kontakt zu vermeiden. Werden sie von Ameisen erkannt, verhalten sich diese aggressiv, sie können durchaus Ameisenfischchen töten, wenn diese, in die Enge getrieben, keine Fluchtmöglichkeiten besitzen. Die Tiere vertrauen in der Regel wohl ihrer Gewandtheit und der angerundeten Körperform, die wenig Angriffspunkte bietet.[8] Pro Nest werden meist nur wenige Fischchen angetroffen, meist nur ein bis drei, selten, vor allem bei kleinen Ameisenarten wie der Gattung Pheidole, auch mehr. Ameisenfischchen bevorzugen als Wirt kleine Ameisenarten, sind aber nicht spezifisch, sie treten auch bei größeren, wie der Gattung Camponotus, gelegentlich auf.[9]

Taxonomie Bearbeiten

Das Ameisenfischchen ist Typusart der Gattung Atelura. Diese umfasst in Europa zwei weitere Arten, von denen Atelura montana nur auf der südlichen Balkanhalbinsel und Atelura valenciana in der Gegend um Valencia (Spanien) lebt.[3] Im Jahr 2016 wurde aus Abchasien eine weitere Art beschrieben.[10] Die Gattung wird der Unterfamilie Atelurinae der Nicoletiidae zugerechnet. Einige Autoren fassen diese, nach einem Vorschlag des portugiesischen Entomologen Luis Fernando Mendes, als eigenständige Familie Ateluridae auf. Beide Gruppen sind, allen Ergebnissen zufolge, mit Sicherheit nahe verwandt, ein Schwestergruppenverhältnis wird aber von vielen Forschern angezweifelt. In Südeuropa lebt mit Proatelurina pseudolepisma eine weitere Art der Atelurinae.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Alferd Palissa: Zygentoma, Fischchen. In: Bernhard Klausnitzer (Hrsg.): Stresemann – Exkursionsfauna von Deutschland. 11., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Band 2: Wirbellose: Insekten. Spektrum Akademischer Verlag (Springer), Heidelberg 2011, ISBN 978-3-8274-2452-5, S. 55, urn:nbn:de:1111-2011090202.
  2. a b c Rafael Molero-Baltanás, Pietro Paolo Fanciulli, Francesco Frati, Antonio Carapelli, Miguel Gaju-Ricart: New data on the Zygentoma (Insecta, Apterygota) from Italy. In: Pedobiologia. Band 44, Nr. 3–4, 2000, S. 320–332, doi:10.1078/S0031-4056(04)70052-9.
  3. a b c Rafael Molero-Baltanás, Miguel Gaju-Ricart, Carmen Bach de Roca, L.F. Mendes: Description of Atelura valenciana n. sp. (Insecta, Zygentoma) and distribution and myrmecophilic relationships of Proatelurina pseudolepisma in the Iberian peninsula. In: Miscellania Zoologica. Band 21, Nr. 1, 1998, S. 101–117.
  4. Thomas Parmentier, Marc van Kerckvoorde, Wouter Dekoninck: First record of the myrmecophilous silverfish Atelura formicaria Heyden, 1855 in Belgium (Zygentoma:Nicoletiidae). In: Bulletin de la Société royale belge d’Entomologie/Bulletin van de Koninklijke Belgische Vereniging voor Entomologie. Band 149, 2013, S. 27–28.
  5. Dwergmierengast (Atelura formicaria) www.SoortenBank.nl
  6. a b Frank Wieland, Julia Goldberg: Nachweise des Ameisenfischchens Atelura formicaria Heyden, 1855 (Zygentoma: Ateluridae) im Außenbereich des Pfalzmuseums für Naturkunde. In: Pollichia Kurier. Band 31, Nr. 4, 2015, S. 19–21.
  7. Gerhard Scholtz (2021): Ein neuer Fund des Ameisenfischchens Atelura formicaria in Berlin. Sitzungsberichte der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, Neue Folge 55, 2021: 69-77.
  8. Karl Escherich: Das System der Lepismatiden. In: Carl Chun (Hrsg.): Zoologica, Original-Abhandlungen aus dem Gesamtgebiete der Zoologie. Band 43. E. Nägele, Stuttgart 1905, S. 29–30 (biodiversitylibrary.org).
  9. Rafael Molero-Baltanás, Carmen Bach de Roca, Alberto Tinaut, José Diz Pérez, Miguel Gaju-Ricart: Symbiotic relationships between silverfish (Zygentoma: Lepismatidae, Nicoletiidae) and ants (Hymenoptera: Formicidae) in the Western Palaearctic. A quantitative analysis of data from Spain. In: Myrmecological News. Band 24, 2017, S. 107–122 (myrmecologicalnews.org [PDF]).
  10. V.G. Kaplin: New species of the bristletail families Ateluridae and Lepismatidae (Zygentoma) from Abkhazia and Adygea. In: Entomological Review. Band 96, Nr. 7, 2016, S. 885–898, doi:10.1134/S0013873816070101.

Weblinks Bearbeiten