Wikipedia:WikiProjekt Braunschweig/Sondergericht Braunschweig

Das Sondergericht Braunschweig tagte erstmals am 8. April 1933 in den Räumlichkeiten des Landgerichts der Stadt Braunschweig. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden hier Urteile gegen etwaige Gegner des neuen Regimes oder gegen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ausgesprochen. Diese oftmals besonders drastischen Strafen sollten der Abschreckung aber auch der Erziehung dienen sollten.[1] Es wurden dort mehr als 6000 Fälle verhandelt und insgesamt 92 Todesurteile ausgesprochen, 9 davon richteten sich gegen Frauen.[2]

Hintergrund Bearbeiten

Das Sondergericht diente zunächst in den Jahren 1933 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs vorrangig der Bekämpfung der politischen Gegner der Nationalsozialistischen Partei. So wurden hier insbesondere Verstöße gegen das „Heimtückegesetz“ von 1934 geahndet und jegliche regimekritischen Äußerungen unter Strafe gestellt. So wurde beispielsweise 1935 ein Uhrmacher aus Braunschweig, der geäußert hatte, der Reichstagsbrand sei ein Machwerk Görings gewesen zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, da er nach Angaben des Gerichts als „ein von Ort zu Ort ziehender Kommunist und Volksschädling zu betrachten ist“.[3]

In den Kriegsjahren kamen weitere Straftatbestände hinzu. So wurde der Umgang mit Kriegsgefangenen, das hören ausländischer Sender oder das Schlachten ohne Genehmigung unter Strafe gestellt. Besonders harte Strafen wurden bei Verstößen gegen die „Polenstrafrechtsverordnung“ von 1941 und gegen die „Volksschädlingsverordnung“ von 1939 verhängt. Darunter fielen beispielsweise Plünderungen, die mit dem Tode bestraft wurden, ein Beispiel hierfür ist der Fall Erna Wazinski.

Das letzte Todesurteil des Sondergerichts wurde am 27. März 1945 verhängt, die Tätigkeit wurde am 12. April mit der Besetzung der Stadt Braunschweig durch US-amerikanische Truppen eingestellt.[4]

Zitate Bearbeiten

„Wenn das Sondergericht exemplarische Strafen verhängt, so tut es das ganz gewiß nicht aus Lust am Strafen, sondern durchdrungen von dem Bewußtsein, daß der rücksichtsloseste Kampf der humanste ist. Der Zweck hoher Strafen besteht darin, daß sie, mögen wenige Einzelpersonen auch hart bestraft werden, auf diejenigen, die glauben, der nationalen Regierung und dem deutschen Volke noch Widerstand leisten zu können, so erzieherisch einwirken sollen, daß binnen kurzem sowohl bei Verführten wie bei gewohnheitsmäßigen Rechtsbrechern die Einsicht einkehrt, es sei richtiger, mit dem Strom als gegen den Strom zu schwimmen, so daß das Sondergericht nicht mehr einzugreifen braucht.“

Friedrich Lachmund (vor Beginn der ersten Sitzung des Sondergerichts): Braunschweiger Tageszeitung vom 11. April 1933, zitiert nach[SN-A 1]

Justizpersonal Bearbeiten

Präsidenten Bearbeiten

Staatsanwälte Bearbeiten

Richter Bearbeiten

  • Walter Ahrens
  • Hermann Angerstein, Amtsgerichtsdirektor[8]
  • Wilhelm Ehlers, Landgerichtsdirektor[9]
  • Herbert Eilers
  • Hans Gosewisch[10]
  • Ernst von Griesbach, Landgerichtsrat
  • Rudolf Grimpe
  • Hermann Grotrian (* 27. April 1887 in Helmstedt; † 27. August 1960 in Braunschweig), 1929 Ministerialoberinspektor im Sekretariat des Referats I im Braunschweigischen Justizministerium, ab 1. Oktober 1936 Justiz- und Kassenrat am Oberlandesgericht Braunschweig, am 30. April 1952 in Ruhestand getreten[SN-A 3][10]
  • Karl Höse (1891–1974), Landgerichtsdirektor
  • Hugo Kalweit
  • Friedrich Lachmund, (* 3. Dezember 1896 in Deensen, Kreis Holzminden; † 6. Dezember 1963 in Braunschweig), 1919 in den Justizdienst des Oberlandesgerichtsbezirks Braunschweig übernommen, ab 1922 Amtsrichter beim Amtsgericht Braunschweig (zunächst Strafrichter, ab 1. Januar 1929 Zivilrichter), ab 1. Januar 1932 Landgerichtsrat beim Landgericht Braunschweig, im Frühjahr 1932 Eintritt in die NSDAP, im selben Jahr Beförderung zum Landgerichtsdirektor (Vorsitzender der 2. Strafkammer und einer Zivilkammer), nach Einrichtung eines Sondergerichts (Verordnung vom 21. März 1933) Vorsitz auch dieser Kammer, Anfang 1933 auf Veranlassung Alpers‘ als Abgeordneter in den Braunschweiger Landtag berufen und dort der NSDAP-Fraktion angehörend, ab 1. Juli 1933 Landgerichtspräsident des Landgerichts Braunschweig, ab Juli/August 1936 bis 30. November 1936 Sonderurlaub (vorl. Suspendierung?) im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen mit der SS, ab 1. Dezember 1936 wieder im Dienst am Landgericht Braunschweig, mit Erlass des Reichsjustizministers (RJM) vom 19. Dezember 1936 mit Wirkung vom 1. Februar 1937 (später geändert zum 1. April 1937) versetzt an das Landgericht Krefeld-Uerdingen (bis dahin weiter Urlaub), am 7. Juli 1938 Verweis des RJM „wegen Außerachtlassung der gebotenen Zurückhaltung“ in der Auseinandersetzung mit der SS, nach eigener Darstellung in der Krefelder Zeit weder im Sondergericht noch in anderer Strafkammer tätig, am 2. Mai 1944 zum Kreisrichter der NSDAP berufen, „Freigabegesuch“ vom 18. März 1945 an den Oberlandesgerichtspräsidenten Düsseldorf wurde am 12. April 1945 entsprochen, nach Kriegsende von der Britischen Militärregierung interniert (automatische Haft), am 21. März 1946 Haftentlassung, am 17. Oktober 1946 vorläufige Amtsenthebung, am 24. April 1947 Entlassung aus dem Dienst, am 10. Mai 1949 Versetzung in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit, am 26. November 1949 Zubilligung von 50 % des Ruhegehalts, am 22. Mai 1954 durch gerichtlichen Vergleich volle Versorgungsbezüge als Landgerichtsdirektor, nach langer vor allem geistiger Erkrankung verstorben[SN-A 4]
  • Walter Lerche[6] (1901–1962)
  • Günter Seegelke
  • Wilhelm Spies[6]
  • Lothar Wrede, Landgerichtsrat

Verteidiger Bearbeiten

  • Christian von Campe
  • Oskar Kahn (* 14. November 1901 in Braunlage; † 26. August 1972 in Braunschweig), Rechtsanwalt, Notar, Strafverteidiger, der die meisten Sondergerichtsverfahren betreute, am 22. Mai 1945 erfolgte seine Wiederzulassung als Rechtsanwalt in Braunschweig[SN-A 5]
  • [[]]

Sonstige Bearbeiten

  • Schrader, Referendar
  • Simon, Referendar
  • [[]]

??? Bearbeiten

korrekte Einsortierung folgt:

Angeklagte Bearbeiten

  • Berthold von Bonim Major a.D., wurde angeklagt weil er den Leuten von der SA den Zutritt zu seinem Grundstück verwehrte. Das Verfahren wurde nach der Verhandlung eingestellt.[3]
  • Hans Buttler (1894–1970), Pfarrer in Alvesse, Verhandlung am 8. Juli 1939 wegen Verstoß gegen das „Heimtückegesetz“ unter dem Vorsitzenden Karl Höse, Freispruch, blieb weiter in Gestapohaft, im April 1945 aus dem KZ Dachau freigelassen.* [11][12]
  • Maria Dahle (* 2. Januar 1912), im Januar 1945 in Untersuchungshaft wegen Plünderns, verurteilt oder „nur“ in U-Haft?[SN-A 6]

Verurteilungen durch das Sondergericht Braunschweig Bearbeiten

Deutsche Staatsangehörige Bearbeiten

  • Georg Althaus (1898–1974), Pfarrer in Broitzem, Sonnenberg und Timmerlah, am 6. Februar 1936 wegen Verstoß gegen das „Heimtückegesetz“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.[13]
  • Marie J., die Postfacharbeiterin wurde wegen Unterschlagung von 25 Feldpostpäckchen zum Tode verurteilt.[3]
  • Moses Klein († 22. September 1942 in Wolfenbüttel), Ziegeleiarbeiter[SN-A 7]
  • Georg Malek, Hilfsmonteur, Anklage wegen „Einbruchdiebstähle unter Ausnutzung der Verdunkelung“, am 27. März 1945 zum Tode verurteilt.[8] Das letzte Todesurteil des Sondergerichtes.[4]
  • Otto Thielemann („[…]durch Urteil des Sondergerichts Braunschweig vom 19.4.1934 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt […]“[14])
  • Erna Wazinski (1925–1944) wegen Plünderung zum Tode verurteilt.
  • Hermann Oelmann (1884–1951), Landwirt aus Neubrück b. Braunschweig, verurteilt am 14.04.1936 wegen "Führerbeleidigung" zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren.

Ost- und westeuropäische Zwangsarbeiter Bearbeiten

Todesurteile Bearbeiten

Von den 88 Todesurteilen die nach 1940 ausgesprochen und vollstreckt wurden waren 43 Bürger aus anderen Nationen, insbesondere Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Darunter befanden sich ein Belgier und ein Italiener, 2 Zigeuner (Angehörige der Volksgruppen Sinti oder Roma), 4 Holländer, 9 Russen, 11 Polen, 12 Franzosen und 3 weitere. In 50 Fällen lautete die Anklage auf Verstoß gegen die „Volksschädlingsverordnung“, 18 waren wegen Gewaltverbrechen, 11 als gefährliche Gewohnheitsverbrecher und 6 wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet. Drei weitere wurden wegen des Verstoßes gegen die Kriegswirtschaftsverordnung, gegen das Heimtückegesetz oder aufgrund eines Sittlichkeitsverbrechens verurteilt.[15] Die Urteile wurden in der Hinrichtungsstätte des Gefängnisses Wolfenbüttel vollstreckt.

Verurteilungen durch andere Gerichte in Braunschweig Bearbeiten

  • Heinrich Karl Wedekind[16]
  • Friedrich Schröder („Am 27.7.1933 wurde Schröder […] von einem in der AOK tagenden Schnellgericht wegen Vorbereitung zum Hochverrat […] zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt […]“[17] „Das Sondergericht, das im Sommer 1933 in der AOK […] Häftlinge aburteilte, während SS- und SA-Hilfspolizei im selben Gebäude die Gefangenen folterte, bestand aus Amtsrichtern. Siehe hierzu die Berichte in der Braunschweiger Tageszeitung vom 26.7.1933, 1.8., 6.8. und 10.8.1933“[18] Schnellgericht in der AOK = Sondergericht Braunschweig?)

Nachkriegszeit Bearbeiten

Rechtliche Aufarbeitung Bearbeiten

siehe hierzu:

Wiederaufnahmeverfahren Bearbeiten

Verfahren gegen Justizpersonal Bearbeiten

Werdegang von Sondergerichtspersonal Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 19. und 20. Jahrhundert. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1996, ISBN 3-7752-5838-8.
  • Ernst Klee : Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Frankfurt a. M. 2003, ISBN 3-10-039309-0.
  • Helmut Kramer (Hrsg.): Braunschweig unterm Hakenkreuz. Bürgertum, Justiz und Kirche – Eine Vortragsreihe und ihr Echo. Magni-Buchladen, Braunschweig 1981, ISBN 3-922571-03-4.
  • Helmut Kramer (Hrsg.): „Die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5.9.1939 war geltendes Gesetz …“. in: Reader zum Fall Erna Wazinski. ohne Ort und Jahr
  • Hans-Ulrich Ludewig, Dietrich Kuessner: „Es sei also jeder gewarnt“ – Das Sondergericht Braunschweig 1933–1945. In: Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte. Band 36, Selbstverlag des Braunschweigischen Geschichtsvereins, Langenhagen 2000, ISBN 3-928009-17-6.
  • Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Justiz im Nationalsozialismus. Verbrechen im Namen des Volkes. Katalog zur Ausstellung. Nomos Verlag, Baden-Baden 2002, ISBN 3-7890-8178-7.
  • Klaus Erich Pollmann: Der schwierige Weg in die Nachkriegszeit: die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig, 1945–1950. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1994, ISBN 3-525-55239-4.
  • Bernhild Vögel: Ein kurzer Lebensweg – Der Fall Erna Wazinski. Arbeitsmaterialien für die Bildungsarbeit mit Begleitheft, hrsg. v. Bildungsvereinigung Arbeit und Leben, Braunschweig 2003, ISBN 3-932082-06-0.
  • Bernhild Vögel: … und in Braunschweig? Materialien und Tips zur Stadterkundung 1930–1945. 2., aktualisierte Auflage, Braunschweig 1996, ISBN 3-9801592-2-1 (1. Auflage: ISBN 3-9801592-1-3).
  • Stefan Christian Böske: Denunziationen in der Zeit des Nationalsozialismus und die zivilrechtliche Aufarbeitung in der Nachkriegszeit. 2008 (uni-bielefeld.de [abgerufen am 10. Dezember 2009] Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld).

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. „Es sei also jeder gewarnt“. Das Sondergericht Braunschweig 1933–1945. (Vortrag von Dr. Hans-Ulrich Ludewig, gehalten am 16. Mai 2002)
  2. Landgericht auf vernetztes-gedaechtnis.de
  3. a b c Werner Sohn: Rezension zu: Ludewig, Hans-Ulrich, Dietrich Küssner: „Es sei also jeder gewarnt“. Das Sondergericht Braunschweig 1933–1945. in: H-Soz-u-Kult, 8. Juni 2000, (online). Braunschweigischer Geschichtsverein, Braunschweig 2000, ISBN 3-928009-17-6.
  4. a b Pollmann, S. 290
  5. a b Pollmann, S. 278
  6. a b c d e Eckhard Schimpf: Ein „Filbinger“ aus Braunschweig. In: newsclick.de. Braunschweiger Zeitungsverlag, 16. April 2007, abgerufen am 18. Dezember 2009 (Die Trauerrede Günther Oettingers für Hans Filbinger war am 16. April 2007 „Thema des Tages“ in der Braunschweiger Zeitung, auf deren Seite 1 der auch auf newsclick.de veröffentlichte Artikel erschien, in dem auf „Karrieren von Braunschweiger Nazi-Juristen“ [Wilhelm Hirte, Friedrich Knost, Walter Lerche, Günther Nebelung, Wilhelm Spies] hingewiesen wird).
  7. Pollmann, S. 305
  8. a b Pollmann, S. 88
  9. Pollmann, S. 303
  10. a b Pollmann, S. 277
  11. Hans Walter Krumwiede: Kirchengeschichte Niedersachsens, Band 2: Vom Deutschen Bund 1815 bis zur Gründung der Evangelischen Kirche in Deutschland 1948. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1996, S. 543, ISBN 3-525-55432-X
  12. Pollmann, S. 48ff
  13. Pollmann, S. 123
  14. … und in Braunschweig?, 2. Aufl., S. 116
  15. Pollmann, S. 279–282
  16. Jürgen Kumlehn: Nazi-Opfer – Heinrich Wedekind. In: NS-Spurensuche im Lande Braunschweig. Abgerufen am 10. November 2009: „Strafsache gegen den Schuhmacher Heinrich Karl Wedekind, geboren am 25. Mai 1894 zu Wendhausen/Braunschweig, wohnhaft in Wolfenbüttel, Stobenstraße 8. Nicht bestraft. Der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin hat in seiner Sitzung vom 2. November 1944 in Braunschweig, an der teilgenommen haben: Landgerichtsdirektor Triebel als Vorsitzender, Landgerichtsrat Dr. Jank, Amtsgerichterat Dr. Plath als beisitzender Richter, Staatsanwalt Berthold als Beamter der Staatsanwaltschaft, für Recht erkannt […]“
  17. … und in Braunschweig?, 2. Aufl., S. 113
  18. ebenda, S. 124

Sammelnachweise Bearbeiten

SN-A: Edgar Isermann, Michael Schlüter (Hrsg.): Justiz und Anwaltschaft in Braunschweig 1879–2004. 125 Jahre Oberlandesgericht und Rechtsanwaltskammer Braunschweig. Joh. Heinr. Meyer, Braunschweig 2004, ISBN 3-926701-62-5.

  1. S. 159
  2. S. 159
  3. S. 184
  4. S. 158-160
  5. S. 215–217
  6. S. 216
  7. S. 161

SN-B: … Koordinaten: 52° 15′ 48,2″ N, 10° 31′ 26″ O

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