Das Weingartener Stifterbüchlein (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. 4° 584) ist eine illuminierte Handschrift, die wohl um 1510 für die Reichsabtei Weingarten in Oberschwaben hergestellt wurde. Der bedeutendste Teil der Sammelhandschrift sind 40 ganzseitige Idealporträts von Mitgliedern der Herrschergeschlechter der Welfen und Staufer.

Beschreibung Bearbeiten

 
Bl. 8r, Kaiser Maximilian I.

Auf Blatt 1r wurde 1630 der lateinische Titel „Historia Guelphica cum Iconibus“ vermerkt. Als ursprünglicher Titel findet sich auf Blatt 7v „Diss Nachgemalte sind die Stiffter des Hailigen Römischen Reichsgotzhaus Wingarten“. Auf Blatt 8r folgt ein ganzseitiges Widmungsporträt Kaiser Maximilians I. mit dem Reichsadler, den Wappen der Kurfürsten und vier Wappen habsburgischer Länder.

Ab Blatt 8v folgt ein frühneuhochdeutscher, auf die lateinische Historia Welforum[1] und andere Quellen[2] zurückgehender Text zur Geschichte der Welfen.

Illustriert wird dieser Abschnitt, der die Ursprünge der Welfen nach der Historia Welforum bis auf die Tochter eines römischen Senatoren Catilina zurückführt, von 34 Porträts von Mitgliedern der Welfenfamilie und 6 Porträts von Herrschern aus der Familie der verwandten Staufer. Die Personen sind meist stehend abgebildet. Die Porträts sind mit reich verzierten Rahmen umfasst. Neben Beschreibungen des Lebens der abgebildeten Personen und ihrer Verwandtschaftsverhältnisse enthält der Text teilweise auch Hinweise auf Stiftungen an die Abtei Weingarten. Mit einer Ausnahme (Welf VI. und Uta von Calw) wurden Ehepaare auf Doppelseiten einander gegenübergestellt.[3] Mit der Aufnahme der staufischen Herrscher seit Barbarossa (dem Sohn einer Welfin) steht das Stifterbüchlein in der Weingartener Klostertradition, die seit dem Machtverlust der Welfen Ende des 12. Jahrhunderts schon in den frühen Handschriften der Historia Welforum und dem bekannten Weingartener Welfenstammbaum die Staufer nahtlos die Reihe der welfischen Klostergründer und -wohltäter weiterführen ließ. Die Staufer werden geradezu als Welfen dargestellt; so ist Barbarossa ein Wappenschild beigegeben, der neben dem Reichsadler im Herzschild nicht etwa die staufischen drei schwarzen Löwen, sondern einen einzelnen roten welfischen Löwen zeigt.

Auf Blatt 49r beginnt ein lateinischer Text zur Geschichte der Weingartener Heilig-Blut-Reliquie[4] in Mantua (rubrizierter Textbeginn: Qualiter inventus sit gloriosus iste cruor ad laudem christi fideli narratione prosequamur) und zur Reliquientranslation nach Weingarten (Bl. 57r–59r, rubrizierte Überleitung: Modo dicetur quomodo iste sacrosanctus cruor venit ad flandrensem provintiam). Von den sechs historischen Schriften zur Heilig-Blut-Überlieferung in der Weingartener Klostertradition, die jeweils in mehreren Handschriften überliefert sind, sind in diesem Teil des Stifterbüchleins bis auf eine alle enthalten.[5]

Ab Blatt 60r schließt ein später angebundener Faszikel mit einem Weihebericht von 1487 und (ab Blatt 64r) im Jahr 1656 nachgetragenen Notizen zu Altären und Kapellen im Kloster Weingarten die Sammelhandschrift ab.

Der unscheinbare Einband stammt von 1956.[6]

Geschichte Bearbeiten

Die Württembergische Landesbibliothek datiert die Handschrift in die Jahre um 1510, früher wurde auch das „Ende des 15. Jahrhunderts“ genannt. Nach dem Text und dem Bildprogramm wurde das Stifterbüchlein unzweifelhaft vom Kloster Weingarten in Auftrag gegeben, nach dem Widmungsporträt offenkundig zur Übergabe an Kaiser Maximilian I., die dann aus unbekannten Gründen aber nie stattfand. Da zum Entstehungszeitpunkt in Weingarten keine Buchmalerei dieser Qualität mehr nachzuweisen ist, entstand zumindest die Buchmalerei wohl anderswo, etwa in einem anderen Kloster.[7] Der Text könnte auch in Weingarten geschrieben worden sein. Als Grund für die Anfertigung der Handschrift vermutet Hans Ulrich Rudolf[8] die Absicht des Weingartener Abts, die drohende Mediatisierung des Klosters durch Österreich abzuwehren. Er nennt die Handschrift ein „bewusstes und gezieltes politisches Dokument, das Aspekte der Geschichte des Klosters zu einer Waffe umschmiedet, um dessen politischen und rechtlichen Status zu bewahren“.[9]

Die Pergamenthandschrift in der Württembergischen Landesbibliothek (Cod. hist. 4° 584) ist eine umrißgetreue Kopie einer vorigen Papierhandschrift, die heute im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (B 515 Hs. 5b) liegt. Eine weitere, unvollständige Fassung dieser Papierhandschrift auf Pergament liegt ebenfalls im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (B 515 Hs. 5a).[10] Die Bayerische Staatsbibliothek besitzt eine bayerische Herzogsgenealogie (Cgm 2822), die wohl auf dem Stifterbüchlein gründet und der eine Abschrift des Büchleins mit den Porträts (ohne die Heilig-Blut-Texte) beigefügt ist.[11] Eine derartige Handschrift befindet sich auch in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Cod. Guelf. 150 Extrav.).[12]

Nach der Säkularisation des Klosters kam die prächtige Pergamenthandschrift mit der Klosterbibliothek an die Familie Nassau-Oranien, über die sie in die Königliche Bibliothek Den Haag gelangte, die sie unter der Signatur 129 C 6 führte.[13] 1944 wurde sie im Tausch gegen eine niederländische Handschrift von der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart erworben, die sie seitdem unter der Signatur Cod. hist. 4° 584 verwahrt.[14]

Rezeption Bearbeiten

Die Bilder der Handschrift wurden in der Weingartener Kunst späterer Jahrhunderte verschiedentlich wiederaufgenommen. So sind einige Zeichnungen Gabriel Bucelins aus dem 17. Jahrhundert von den Porträts des Stifterbüchleins abhängig.[15] Bei der Ausmalung der barocken Klosterkirche St. Martin 1718–1720 griff Cosmas Damian Asam für sechs Fresken in den Seitenschiffen des 2. Langhausjochs auf die Porträts des Stifterbüchleins zurück.[16] Eine im Kloster Weingarten erhaltene Stiftertafel von der Hand des Malers Ludwig Scheuch aus dem Jahr 1732 ist ebenfalls eine Kopie des Stifterbüchleins. Da die Ehefrau des damals regierenden Kaisers Karl VI. aus dem Welfenhaus stammte, war die Verbindung zu den welfischen Klostergründern wieder besonders aktuell geworden.[17] 1751–1752 wurden in Christian Ludwig Scheidts Origines Guelficae vier Portraits aus dem Stifterbüchlein gestochen reproduziert.[18]

Galerie der Porträts Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Johannes von Arnoldi: Beschreibung eines codex picturatus der Königlich-Niederländischen Bibliothek in Haag, von neuerer Hand betitelt: Historia Guelphica cum Iconibus. In fine Historia S. Sanguinis. In: Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, Bd. 3 (1821), S. 37–47 (Digitalisat)
  • Max Bach: Die Welfen- und Hohenstaufenbilder im Kloster Weingarten. In: Diözesanarchiv von Schwaben, 24. Jg. 1906, S. 177–181
  • Wolfgang Irtenkauf: Weingartner Welfenchronik, in: Stuttgarter Zimelien. Württembergische Landesbibliothek – aus den Schätzen ihrer Handschriftensammlung. Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart 1985, ISBN 3-88282-011-X, S. 78
  • Norbert Kruse: Die historischen Heilig-Blut-Schriften der Weingartener Klostertradition. In: 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten. Thorbecke, Sigmaringen 1990, ISBN 3-7995-0398-6, Teil 1, S. 77–123 (mit Edition und deutscher Übersetzung der Heilig-Blut-Schriften)
  • Hans Ulrich Rudolf, Norbert Kruse, Rainer Jensch: Welfisches Stifternachleben im Kloster. In: 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten. Thorbecke, Sigmaringen 1990, ISBN 3-7995-0398-6, Katalogteil, S. 104–108 (insbesondere Katalogtexte K 5–7, K 9, K 17 zu den drei Handschriften und abhängigen Kunstwerken)
  • Hans Ulrich Rudolf: Kostbare Buchmalerei als politisches Manifest. Das Weingartener Stifterbüchlein. In: Im Oberland, 1/2008, ISSN 0939-8864, S. 11–19
  • Klaus Graf: Gottfried Wilhelm Leibniz, Ladislaus Sunthaim und die süddeutsche Welfen-Historiographie. In: Nora Gädeke (Hrsg.): Leibniz als Sammler und Herausgeber historischer Quellen (= Wolfenbütteler Forschungen. Bd. 129). Wiesbaden 2012, S. 33–47 (Volltext)

Weblinks Bearbeiten

Commons: Weingartener Stifterbüchlein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Graf, S. 41
  2. Rudolf, Kostbare Buchmalerei, S. 18, Anm. 9, nennt neben der Historia Welforum noch die Genealogia Welforum, einen Anhang zur Sächsischen Weltchronik die Annales Welfici Weingartense sowie den gemalten Stammbaum am Ende des Weingartener Nekrologs
  3. Rudolf, Katalogtext K 7, S. 105
  4. zur Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten vgl. den Artikel Blutritt
  5. Kruse, S. 78. Schrift 1 De inventione fehlt. Die Reihenfolge der im Stifterbüchlein vorhandenen Schriften ist:
    • Schrift 4 Inclitus martyr, Bl. 49r–53v
    • Schrift 5 Tempore quo, Bl. 53v–55r
    • Schrift 6 Ea tempestate, Bl. 55v–57r
    • Schrift 2 De translatione, Bl. 57r–58v
    • Schrift 3 Sacrosante dominice, Bl. 58v–59r
  6. Rudolf, Kostbare Buchmalerei, S. 11
  7. Irtenkauf nennt als anderweitig vorgeschlagene mögliche Entstehungsorte Augsburg oder Konstanz
  8. Rudolf, Kostbare Buchmalerei, insbesondere S. 15–19
  9. Rudolf, Kostbare Buchmalerei, S. 18
  10. Bestand B 515 im HStAS
  11. Digitalisat von Cgm 2822. Vgl. Rudolf, Kostbare Buchmalerei, Anm. 9. In der Amtszeit Abt Gerwig Blarers 1520–1567 wurde das Büchlein oder eine Kopie nachweislich einmal von Weingarten an den Münchener Hof ausgeliehen. Rudolf nennt Irtenkaufs Annahme, das Weingartener Büchlein sei von der bayerischen Genealogie abhängig, „sicher unrichtig“.
  12. Digitalisat von Cod. Guelf. 150 Extrav..
  13. Paul Lehmann: Holländische Reisefrüchte, Abhandlung 13 in: Sitzungsberichte der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-philologische und historische Klasse. 1920, S. 23 (Digitalisat)
  14. Dieser Tausch ging nach Rudolf, S. 11, laut Akten ohne Zwang vonstatten.
  15. Handschrift der Württembergischen Landesbibliothek, Stuttgart, HB V 4a, vgl. Wolfgang Irtenkauf, Ingeborg Krekler: Die Handschriften der ehemaligen Hofbibliothek Stuttgart. Bd. 2,2. Codices historici (HB V 1-105). Harrassowitz, Wiesbaden 1975, S. 8 f. (Digitalisat)
  16. Abbildungen siehe Galerie bei Wikimedia Commons
  17. Jensch, Katalogtext K 17, S. 107–108
  18. Bd. 2 (Link, Link, Link) und Bd. 3 (Link)
  19. Leopold IV. war Sohn der Stauferin Agnes, hat jedoch keine familiäre Verbindung zu den Welfen (er war sogar ihr Gegenspieler) noch eine Verbindung zu Weingarten; seine Aufnahme ist daher rätselhaft (Rudolf, Katalogtext K5, S. 105)