Varignon’scher Apparat

Anordnung, um ein Standort-Optimierungsproblem experimentell zu lösen

Der Varignon'sche Apparat, benannt nach dem französischen Mathematiker und Physiker Pierre de Varignon, ist eine einfache Anordnung, um ein Standort-Optimierungsproblem experimentell zu lösen: Auf einer Tischplatte werden mehrere Standorte maßstabsgetreu eingezeichnet. An diesen Standorten werden Löcher gebohrt, durch welche Fäden gezogen werden. Die Enden aller Fäden werden auf der Tischoberseite zusammengeknotet. Unterhalb der Tischplatte werden der Beteiligten entsprechende Gewichte an die Fäden gehängt. Als Gewicht nimmt man beispielsweise eine Personenanzahl oder Einwohneranzahl, um die Gewichtung des Standorts auszudrücken. Die Kräfte, die nun wirken, ziehen den Knotenpunkt auf der Oberfläche der Platte zum optimalen Standort.[1]

Varignon'scher Apparat

Mechanisches Problem Bearbeiten

 
Im Punkt   ist die Summe aller Kräfte =0

Sind die Löcher in der ebenen Platte an den Stellen   angebracht und hängen an den Fäden die Massen   , so muss der Gleichgewichtspunkt   die Gleichgewichtsbedingung (Summe aller Kräfte im Punkt   ist Null) erfüllen. Der Betrag der im i-ten Faden angreifenden Kraft   ist   (  ist die Erdbeschleunigung) und hat die Richtung   (Einheitsvektor). Summiert man diese Kräfte auf und kürzt den gemeinsamen Faktor   heraus, erhält man die Gleichung

(1): .

In Komponenten bedeutet diese Vektorgleichung

 
 .

Dies ist ein nichtlineares Gleichungssystem für die Unbekannten   und kann mit dem 2-dimensionalen Newton-Verfahren oder dem Weiszfeldverfahren[2] gelöst werden.

Standort-Problem Bearbeiten

Die linke Seite der Gleichung (1) lässt sich auch als Gradient der Funktion

(2): 
 
Varignon-Apparat: Beispiel
 
Beispiel mit Niveau-Kurven

auffassen. Die Funktion   wiederum beschreibt die Summe der mit   gewichteten Abstände   der Punkte   von dem Punkt  . Da der Gradient der Funktion   im Punkt   gleich Null ist, besitzt   in   ein relatives Extremum. Das heißt, der Varignon'sche Apparat liefert eine einfache Möglichkeit, das Standort-Problem (Optimierung) experimentell zu lösen und Newton- und Weiszfeld-Verfahren liefern rechnerische Lösungen.

Beispiel Bearbeiten

Für das Beispiel (siehe Bilder) sind die Punkte

 
  und die Gewichte : .

Die Koordinaten des optimalen Punktes (rot) sind   und die optimale gewichtete Längensumme ist  . Das zweite Bild zu diesem Beispiel zeigt Niveau-Kurven nicht-optimaler Punkte mit derselben gewichteten Längensumme (gLS). Von innen nach außen sind die (größeren) gLS  .
Niveau-Kurven kann man dazu benutzen, um Bereiche zu beschreiben, in denen die Kosten die dem Niveau zugehörigen Kosten nicht überschreiten. Geometrisch sind sie implizite Kurven mit Gleichungen   (siehe Formel (2)).

 
Fall  , die Niveau-Kurven sind konfokale Ellipsen

Die Fälle n=1 und n=2 Bearbeiten

  • Im Fall   ist  .
  • Im Fall   und   ist  .
  • Im Fall   und   kann   jeder Punkt der Strecke   sein (siehe Bild). In diesem Fall sind die Niveau-Kurven (Punkte mit derselben nicht-optimalen Längensumme) konfokale Ellipsen mit den Punkten   als gemeinsamen Brennpunkten.

Berechnung mit dem Newton-Verfahren (Extremalproblem) Bearbeiten

Bezeichnungen:  

Für die Jacobi-Matrix des Newton-Verfahrens berechnet man die zweiten partiellen Ableitungen der Funktionen  . Die Koeffizienten der für die Newton-Iteration benötigten Jacobi-Matrix   sind dann:

 

Iteration: Man wählt einen Startpunkt   und löst für jeden Schritt das lineare Gleichungssystem (z. B. mit der Cramerschen Regel)

  .

Danach erhält man  

Berechnung mit dem Steiner-Weber-Ansatz (Fixpunktproblem) Bearbeiten

 
Iteration mit dem Fixpunkt-Verfahren für das Beispiel: Startpunkt   (grün), Startpunkt   (blau) ist der Massenmittelpunkt (Masse   im Punkt  )

Der folgende auf Jakob Steiner zurückgehende Algorithmus basiert auf der Idee, in Gleichung (1) im Zähler die Näherung   und im Nenner die Näherung   einzusetzen und diese Gleichung dann nach   aufzulösen[3]:

 

Als Startpunkt wird der Massenmittelpunkt der Anordnung mit den Massen in den Punkten   verwendet:

 .

Der Weiszfeld-Algorithmus benutzt diese Iterationformel.

Die Iterationsformel kann als Iteration zur Bestimmung des Fixpunktes der Funktion

(3) 

mit der Fixpunktgleichung

 

angesehen werden (Siehe hierzu Fixpunktsatz von Banach.)

Bemerkung zu numerischen Problemen:
Beide Iterationsverfahren in der hier beschriebenen Form haben numerische Probleme, falls ein Iterationspunkt   in der Nähe eines der gegebenen Punkte   liegt.

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. S. Mamerow: Entscheiden und Wirtschaften: Eine Analyse des wirtschaftlichen Alltags unter anthropologischem Blickwinkel, Diplomica Verlag, 2012, ISBN 978-3-8428-8117-4, Seite 47
  2. Horst W. Hamacher: Mathematische Lösungsverfahren für planare Standortprobleme, Vieweg+Teubner-Verlag, 2019, ISBN 978-3-663-01968-8, S. 31
  3. Karl-Werner Hansmann :Industrielles Management, De Gruyter Verlag, 2014, ISBN 978-3-486-84082-7, 3486840827, S. 115