Tuntenstreit

Auseinandersetzung in der deutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre

Als Tuntenstreit wird eine Strategiediskussion zwischen 1973 und 1974 innerhalb der sogenannten zweiten deutschen Schwulenbewegung bezeichnet.

Geschichte Bearbeiten

Der Konflikt brach beim Pfingsttreffen 1973 in West-Berlin aus. Bei der von der Homosexuellen Aktion Westberlin (HAW) organisierten Abschlussdemonstration mit über 700 Teilnehmern traten die aus Frankreich und Italien angereisten Schwulen in Frauenkleidern auf. Für dieses „weibische“ Verhalten war in Deutschland der Schmähbegriff Tunte üblich. Die Missbilligung dieses konfrontativen Verhaltens durch deutsche Genossen weitete sich zu einer internen Strategiedebatte aus.

Folgen und Hintergründe Bearbeiten

Ergebnis des Tuntenstreits war die Spaltung der HAW in einen integrationistischen Flügel aus orthodoxen Marxisten und der radikalen Fraktion der Feministen. Für Erstere war die Homosexuellenunterdrückung ein „vorkapitalistisches Relikt“ und kein Wesensmerkmal der bürgerlichen Gesellschaft. Da eine Integration der Homosexuellen jederzeit möglich erschien, wurde die Aufgabe der „homosexuellen Sozialisten“ darin gesehen, in der Arbeiterbewegung aktive Solidarität für die homosexuelle Minderheit und bei den Homosexuellen ein Bewusstsein über ihre mehrheitliche Lage als ausgebeutete Lohnarbeiter zu entwickeln.

Die Radikalen lehnten hingegen eine Minderheitenpolitik ab, die darauf hinauslaufe, die herrschende Form von Heterosexualität unangetastet zu lassen. Letztere sei durch gewaltsame Überzeichnung der Geschlechterrollen und eine latent homosexuelle Identifizierung der Männer untereinander geprägt. Aus dieser Perspektive leiteten sie die Forderung nach einer autonomen Schwulenbewegung ab, die eigenständige Positionen entwickeln und in die politische Linke einbringen müsse.

Siehe auch Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Tuntenstreit. Theoriediskussion der Homosexuellen Aktion Westberlin (PDF; 7,5 MB). Verlag Rosa Winkel, Berlin, 1975.
  • Michael Glas: Die Schwulenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland – politische Ziele und Strategien, Magisterarbeit an der Universität Erlangen-Nürnberg 1993 (Online-Auszug zum Tuntenstreit (Memento vom 12. Dezember 2011 im Internet Archive))
  • Craig Griffiths: Konkurrierende Pfade der Emanzipation. Der Tuntenstreit (1973-75) und die Frage des ‚respektablen Auftretens’. In: Andreas Pretzel & Volker Weiß (Hg.): Rosa Radikale. Die Schwulenbewegung der 1970er Jahre, Männerschwarm, 2012, ISBN 978-3-86300-121-6