Straffheit (Differentialgeometrie)

Straffheit ist ein Begriff aus dem mathematischen Teilgebiet der Differentialgeometrie, insbesondere der zweidimensionalen Flächentheorie. Eine zweidimensionale, kompakte, orientierbare Fläche ohne Rand nennt man straff, wenn das Integral ihrer absoluten Gauß-Krümmung so klein wie möglich ist.

Einführung und Definition Bearbeiten

 
Die Kugel mit „Delle“ hat positive und negative Krümmung.
 
Die konvexe Hülle der Kugel mit „Delle“ hat einen flachen Bereich, wo die Krümmung verschwindet.

Es sei   eine zweidimensionale, kompakte, orientierbare Fläche ohne Rand und   bezeichne die Gauß-Krümmung. Nach dem Satz von Gauß-Bonnet ist das Flächenintegral von   über   gleich dem  -Fachen der Euler-Charakteristik, das heißt

 .

Man setze   und  . Weiter sei   die Oberfläche der konvexen Hülle von   und   die Gauß-Krümmung auf  , die fast überall definiert und   ist. Dann ist

 

und   muss auf   verschwinden (hier werden einige Details übergangen, da die konvexe Hülle nur schwache Differenzierbarkeitseigenschaften hat). Daher ist

 

und die einfache Rechnung

 

ergibt eine untere Schranke für das Integral der absoluten Krümmung   über  .

Man nennt eine zweidimensionale, kompakte, orientierbare Fläche   ohne Rand straff, wenn diese untere Schranke angenommen wird, das heißt, wenn[1]

 .

Äquivalente Charakterisierungen Bearbeiten

Für eine zweidimensionale, kompakte, orientierbare Fläche   ohne Rand sind folgende Aussagen äquivalent:[2]

 
Die rote Ebene zerlegt die Oberfläche der eingedellten Kugel in drei Teile, den Wulst oberhalb und die zwei schalenförmigen Teile unterhalb. Diese Fläche ist also nicht straff.
  •   ist straff, das heißt  .
  •  
  • Jede Ebene   zerlegt   in höchstens zwei Zusammenhangskomponenten, das heißt, sind   und   die beiden offenen Halbräume mit  , so ist   für jedes   leer oder zusammenhängend.

Die dritte Eigenschaft nennt man die Zwei-Stück-Eigenschaft oder kurz TPP, nach der englischen Bezeichnung two-piece-property. Diese äquivalente Eigenschaft verwendet keine differentialgeometrischen Begriffe und erlaubt daher eine Verallgemeinerung der Straffheit auf allgemeinere Flächen. Offenbar hat die Oberfläche jeder konvexen Menge die TPP. Man kann Straffheit daher als Verallgemeinerung der Konvexität ansehen.[3]

Beispiele Bearbeiten

Die Kugeloberfläche mit Radius   hat bekanntlich konstante Gauß-Krümmung   und Euler-Charakteristik 2. Daher ist

 .

Die Kugeloberfläche ist daher straff. Das ist viel einfacher mittels der TPP zu sehen, da die Kugel konvex ist, denn offenbar hat jede konvexe Oberfläche die TPP.

Die Torusoberfläche mit Radien   und  , die durch

 

parametrisiert ist, hat an der Stelle   die Krümmung[4][5]

 
Nach außen ist die Krümmung des Torus positiv, nach innen hin negativ.
 

und die Euler-Charakteristik der Torusoberfläche ist 0. Dann rechnet man

 
mit    
 

Daher ist die Torusoberfläche ein Beispiel für eine nicht-konvexe straffe Fläche.

Es gibt zu jedem Geschlecht zweidimensionale, kompakte, orientierbare, randlose Flächen  , die straff sind.[6]

Straffe Immersionen Bearbeiten

Es sei   eine Immersion einer differenzierbaren, zweidimensionalen, orientierbaren Mannigfaltigkeit   in den dreidimensionalen euklidischen Raum. Für   sei   ein Einheitsvektor, der senkrecht zur Tangentialebene in   ist, sodass   stetig ist (dazu benötigt man die Orientierbarkeit). Die Gauß-Krümmung   ist als die Determinante der Jacobi-Matrix der Abbildung   definiert. Dann kann man ganz ähnliche Überlegungen wie oben anstellen und nennt   straff, wenn

 .[7]

Die oben definierte Straffheit einer Fläche   bedeutet die Straffheit der Immersion  . Natürlich gibt es auch andere Immersionen, die straff sind, etwa die Einschränkung der linearen Abbildung   mit reellen Konstanten   auf  , die offenbar eine Immersion der Kugeloberfläche auf ein Ellipsoid im   ist. Diese Immersion ist ebenfalls straff. Dagegen ist die Immersion   der eingedellten Kugelfläche   nicht straff, ebenso wenig wie eine Immersion  , die die Eindellung abbildet.

In diesem Zusammenhang gilt folgender Satz von Chern und Lashof: Jede straffe Immersion der Kugeloberfläche in den   bildet auf die Oberfläche einer konvexen Menge ab.[8]

Im zitierten Lehrbuch „Tight and taut immersions of manifolds“ von T. E. Cecil und P. J. Ryan findet sich eine systematische Untersuchung straffer Immersionen und verwandter Begriffe. Dort werden weitere äquivalente Charakterisierungen mittels Eigenschaften der Abbildung   sowie Verallgemeinerungen auf höhere Dimensionen behandelt, dabei spielt auch die TPP (Zwei-Stück-Eigenschaft) eine wichtige Rolle.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Wolfgang Kühnel: Differentialgeometrie, ISBN 978-3-8348-0411-2, Definition 4.47
  2. Wolfgang Kühnel: Differentialgeometrie, ISBN 978-3-8348-0411-2, Folgerung 4.48
  3. Thomas Banchoff, Wolfgang Kühnel: Tight Submanifolds, Smooth and Polyhedral, MSRI publications, Band 32, Cambridge University Press (1997), ISBN 0-521-62047-3, Seiten 52–118
  4. Tevian Dray: Differential Forms and the Geometry of General Relativity, CRC Press (2015), Kap. 18: Curvature, Formel (18.88) auf Seite 232
  5. Manfredo P. do Carmo: Differentialgeometrie von Kurven und Flächen, Vieweg-Verlag, 3. Auflage (1993), ISBN 978-3-528-27255-5, Paragraph 3.3: Die Gauß-Abbildung in lokalen Koordinaten, Seite 116
  6. Thomas Banchoff, Nicolaas Kuiper: Geometrical class and degree for surfaces in three-space, Journal of Differential Geometry (1981), Band 16, Seiten 559–576
  7. T. E. Cecil, P. J. Ryan: Tight and taut immersions of manifolds, Pitman Publishing Inc. (1985), ISBN 0-273-08631-6, Definition auf Seite 2
  8. T. E. Cecil, P. J. Ryan: Tight and taut immersions of manifolds, Pitman Publishing Inc. (1985), ISBN 0-273-08631-6, Theorem 7.16