Reichert-Knorpel

Knorpel des 2. Kiemenbogens

Der Reichert-Knorpel (lateinisch Cartilago Reicherti, nach Karl Bogislaus Reichert) ist eine während der Organogenese beim Fetus paarig dorsal der Arteria stapedia auftretende[1] Knorpelspange im zweiten Kiemenbogen. Aus diesem Knorpelkern entstehen

  • das kleine Horn (Cornu minus, kleines Zungenbeinhorn, auch Cornu minor ossis hyoidei) des Zungenbeins,
  • aus ihrem ventralen Ende der Arcus ossis hyoidei,[2] also die obere Hälfte beziehungsweise der kraniale Abschnitt[3] des Zungenbeinkörpers,[4]
  • der Griffelfortsatz (Processus styloideus) des Schläfenbeins,
  • das Griffelfortsatz und Zungenbein verbindende Ligamentum stylohyoideum (Griffelfortsatz-Zungenbein-Band) sowie
  • aus dem oberen Knorpelteil auch das Gehörknöchelchen Steigbügel.[5][6]

Nach anderer Darstellung bildet der dorsale Teil des Reichertschen Knorpels die Anlage des Steigbügels und den Knorpelring für die Fenestra vestibuli (ovales Fenster, Fenestra ovalis,[7] Fenestra semiovalis[8]). Der Knorpel ist also die Vorstufe der vier beschriebenen Knochen.[9]

Diese Umbauvorgänge finden beim menschlichen Fetus in der achten bis neunten Schwangerschaftswoche statt.[10]

Geschichte Bearbeiten

Früher wurde der Reichertsche Knorpel in der Deutschen Demokratischen Republik als Zungenbeinbogen[11] und anschließend von 1973 bis 1980 als Zungenbeinknorpel[12] definiert. Von 1981 bis 1998 verzichtete man auf eine Erklärung. 1999 beschrieb das Wörterbuch der Medizin den Reichert-Knorpel als zweiten Kiemenbogenknorpel.[13]

1958 schrieb ein Lehrbuch: „Der im Hyoidbogen liegende Knorpelstreif, der Reichertsche Knorpel, wird zum Suspensionsapparat des Schlundkopfes und des Kehlkopfes.“[14]

Im Roche Lexikon Medizin erfolgte bereits 1984 die heute als richtig angesehene Definition als Knorpel im zweiten Kiemenbogen[15] beziehungsweise im zweiten Branchialbogen.[16]

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Urban & Schwarzenberg, München/ Berlin/ Wien 1973, ISBN 3-541-84005-6, 5. Ordner (Membra–Rz), S. R 61 f.
  2. Helmut Ferner, Jochen Staubesand (Hrsg.): Alfred Benninghoff, Kurt Goerttler: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 2. Band (Eingeweide und Kreislauf) von Helmut Ferner, Urban & Schwarzenberg, 11. Auflage, München / Wien / Baltimore 1977, ISBN 3-541-00251-4, S. 68.
  3. Jan Langman: Medizinische Embryologie. 5. Auflage, Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1977, ISBN 3-13-446606-6, S. 267.
  4. Die obere Hälfte des Zungenbeins und das kleine Zungenbeinhorn sind nicht getrennt; sie bilden eine Einheit. Quelle: Horst Claassen, Friedrich Paulsen, Rainer Müller, Rainer Schönweiler, Bettina Schönweiler, Sotirios Bisdas, Johann-Martin Hempel, Claus Pototschnig: Larynx – Anatomie, physiologische Grundlagen und Diagnostik. In: Facharztwissen HNO-Heilkunde. Springer-Verlag, Berlin / Heidelberg 2021, ISBN 978-3-662-58177-3, S. 723–737. https://doi.org/10.1007/978-3-662-58178-0_34.
  5. Pschyrembel online
  6. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach: Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Ullstein Medical, Wiesbaden 1999, ISBN 978-3-86126-126-1, S. 1710.
  7. Peter Reuter: Springer Klinisches Wörterbuch 2007/2008. Springer-Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-540-34601-2, S. 1582.
  8. Günter Thiele, Heinz Walter (Hrsg.): Reallexikon der Medizin und ihrer Grenzgebiete. Loseblattsammlung, Urban & Schwarzenberg, München/ Berlin/ Wien 1969, ISBN 3-541-84000-5, 3. Ordner (F–Hyperlysinämie), S. F 60.
  9. Linus S. Geisler: Lexikon Medizin. Das Nachschlagewerk für Ärzte, Apotheker, Patienten. 4., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Lexikon-Redaktion Elsevier GmbH München, Sonderausgabe, Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft, Köln ohne Jahr [2005], ISBN 3-625-10768-6, S. 1431.
  10. Anna-Rachel Germelmann: Beitrag zur pränatalen Morphogenese des Os hyoideum des Menschen. Dissertation Charité 2008, S. 82.
  11. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach (Hrsg.): Wörterbuch der Medizin, Verlag Volk und Gesundheit, 1. Auflage, Berlin 1956, S. 757.
  12. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach (Hrsg.): Wörterbuch der Medizin, Verlag Volk und Gesundheit, 5. Auflage, Berlin 1973, S. 661.
  13. Maxim Zetkin, Herbert Schaldach: Lexikon der Medizin, 16. Auflage, Fackelträger Verlag, Köln ohne Jahr [2005], ISBN 3-7716-4326-0, S. 1710.
  14. Felix Sieglbauer: Lehrbuch der normalen Anatomie des Menschen. 8. Auflage, Urban & Schwarzenberg, München / Berlin 1958, S. 158.
  15. Roche Lexikon Medizin, 1. Auflage, Verlag Urban & Schwarzenberg, München / Wien / Baltimore 1984, ISBN 3-541-11211-5, S. 1352.
  16. Roche Lexikon Medizin, 5. Auflage, Verlag Urban & Fischer, München / Jena 2003, ISBN 3-437-15156-8, S. 1576.