Possehl-Stiftung

Stiftung in Lübeck

Der Lübecker Unternehmer, Senator und Stifter Emil Possehl vermachte sein Unternehmen L. Possehl & Co. der Possehl-Stiftung. Diese wurde 1919 nach seinem Tod zur Förderung „alles Guten und Schönen in Lübeck“ gegründet und verfolgt bis heute die von ihm festgelegten fünf Stiftungszwecke. Stiftung und Unternehmen haben ihren Sitz in Lübeck.

Emil Possehl
1909 fertiggestelltes Geschäftshaus in der Beckergrube, in dem noch heute Possehls Schreibtisch steht
Gebäudeerweiterung der Possehl-Stiftung (2005)

Geschichte Bearbeiten

1919–1933 Bearbeiten

Nach dem Tod Emil Possehls wurde die Possehl-Stiftung alleinige Gesellschafterin der Firma L. Possehl & Co. Die erste Sitzung der Stiftung fand in Emil Possehls Wohnhaus in der Musterbahn am 11. Juni 1919 statt. Die Stiftungsaufgaben sind in §13 präzisiert:[1]

  • Erhaltung und Ausgestaltung des schönen Bildes der Stadt und ihrer öffentlichen Anlagen.
  • Unterstützung gemeinnütziger Unternehmungen, insbesondere soweit sie auf Ertüchtigung und Ausbildung der Jugend hinwirken.
  • Pflege von Kunst und Wissenschaft.
  • Unterstützung von Handel, Schifffahrt und Industrie und Gewerbe, insbesondere zu werbenden Zwecken und nicht minder zur kaufmännischen, seemännischen, industriellen und gewerblichen Ausbildung der Jugend.
  • Förderung der Volkswohlfahrt, vor allem zur Fürsorge für die Invaliden des gegenwärtigen Krieges, auch der früheren und künftigen Feldzüge, sowie für Hinterbliebene gefallener oder infolge im Krieg erworbener Wunden und Leiden erlegener Krieger.

Den Vorsitz führte bis 1928 Julius Vermehren. Seine Anwesenheit und die der anderen Mitglieder hatte Possehl testamentarisch festgelegt.[2] Durch die Inflation minderte sich der Wert der zur Verfügung gestellten 1,5 Millionen Mark beträchtlich, und es dauerte drei Jahre, bis die Stiftung diesen Aufgaben nachkommen konnte. Die zweite Ausschüttung erfolgte erst wieder 1927. Wie die bis 1934 aufgebrachten Zuwendungen wurde sie vor allem für soziale Zwecke genutzt. Ab 1929 war die Stiftung als Muttergesellschaft des Konzerns tätig und aus dem einstigen Handelshaus wurde ein Mischkonzern aus Handel und Produktion.

1933–1945 Bearbeiten

Unmittelbar nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 begann ein Prozess der schrittweisen Gleichschaltung der Possehl-Stiftung durch die neuen Machthaber. Bereits am 17. August 1933 wurden der Lübecker Bürgermeister Otto-Heinrich Drechsler und Staatskommissar Friedrich Völtzer Mitglied des Stiftungsvorstands. Die bisherige Satzung wurde unter Hans Böhmcker, dem neuen Vorsitzenden der Stiftung, im August 1934 revidiert. Es entfiel die Ergänzung der Ausschüsse und des Vorstandes durch Wahlverfahren. Sämtliche Gremien wurden reduziert und deren Mitglieder fortan „berufen“. Die Stiftung hatte ihre Eigenständigkeit verloren. Seit 1937 berief der Bürgermeister den Vorstand und nach dem Groß-Hamburg-Gesetz lag die Stiftungsaufsicht beim Regierungspräsidenten in Schleswig. Die Stiftungsgelder flossen seitdem in die Kassen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) oder des Winterhilfswerks (WHW). Mit Mitteln der Stiftung wurde 1937 die Possehl-Siedlung für „treue Volksgenossen“ begonnen. Die letzte Sitzung des Vorstands vor Kriegsbeginn fand am 23. Mai 1939 statt. Mit dem Luftangriff auf Lübeck am 28. März 1942 wurden große Teile der Stadt zerstört, ebenfalls getroffen wurde die Firmenzentrale in der Beckergrube, bei dem ein Großteil der Akten und des Archivs verbrannte. Die Geschäfte mussten bis Mai 1942 ruhen.

1945–1990 Bearbeiten

 
Seehund
 
Hinweis an einem Lübecker Haus

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Possehl-Stiftung entnazifiziert. Die Stiftungssatzung wurde geändert und die nationalsozialistischen Bestimmungen wurden entfernt. Die Stiftung wurde wieder zu einer gemeinnützigen Stiftung, die sich der Förderung der Bildung, Wissenschaft, Kultur und Wohlfahrt verschrieben hat. In der Nachkriegszeit unterstützte die Stiftung vor allem Wohlfahrtsverbände.[3] Zur Währungsreform 1948 betrug die Schlussbilanz der L. Possehl & Co. 12,1 Mio. RM, der Reingewinn 179.000 RM[4], 21 Beteiligungen, die zum Konzern gehörten und 8 Beteiligungen von Firmen in der Westzone. Am 24. März 1949 wurde das durch das Gesetz Nr. 52 der Militärregierung blockierte Stiftungsvermögen für Privatstiftungen durch das Rechtsamt Lübeck wieder freigegeben. Mit dem Scheitern der Volksabstimmung zur Frage der Eigenständigkeit Lübecks verlor die Hansestadt ihren Status und wurde als Großstadt dem Bundesland Schleswig-Holstein zugeordnet. Damit erlangte die Possehl-Stiftung die Handlungsfreiheit wieder zurück. In der ersten Sitzung des Arbeitsausschusses Ende 1950 einigte man sich auf die Verwendung der zur Verfügung stehenden 100.000 DM für 66.000 DM für soziale Zwecke und 34.000 DM für kulturelle Zwecke. In den 1960er Jahren finanzierte sie neben der Jugendarbeit von Sportvereinen auch den Bau eines Bezirksjugendheimes, die Einrichtung des Christlichen Jugenddorfwerkes und die Fertigstellung zweier Studentenwohnheime. Der Possehl-Musikpreis wurde 1962 auf kulturellem Gebiet ins Leben gerufen und 1963 erstmals vergeben.[5] Die Aktivitäten reichen seitdem von der Förderung eines Kindertanztheaters bis zur Finanzierung der Präparation eines Walskeletts, von der Übernahme der Druckkosten für die Zeitschrift für Lübeckische Geschichte bis zur Schenkung von Plastiken (wie 1990 den bronzenen Seehund von Christa Baumgärtel) im öffentlichen Raum. Man ermöglichte Ankäufe von Museen, den Bau eines Wohnheims der Bundesvereinigung Lebenshilfe (1979) oder Die Brücke (1993). Kaufmannshäuser wurden erworben. Die Stiftung beteiligte sich am Bau der Musik- und Kongresshalle und finanzierte auch das auf deren Dach stehende ehemalige documenta-Exponat Die Fremden von Thomas Schütte. Für ihre Verdienste im Wiederaufbau und der Sanierung der Stadt erhielt die Possehl-Stiftung 1979 vom Nationalkomitee für Denkmalschutz den Deutschen Preis für Denkmalschutz.

Seit 1990 Bearbeiten

Die verzweigte Geschäftstätigkeit der Possehl-Gruppe mindert die Konjunkturabhängigkeit der Possehl-Stiftung. So konnten die Ausschüttungen nach der Wiedervereinigung stetig und verlässlich wachsen. 1991 wurden sieben Millionen DM aus dem Bilanzgewinn des Jahres 1990 an die Possehl-Stiftung ausgeschüttet. In den Jahren 1994 und 1995 waren es bereits 10 Millionen DM. 1996 lagen diese Ausschüttungen bei 18,8 Millionen DM. Im Jahr 2008 konnte die Possehl-Stiftung trotz der Finanzkrise die Förderung ihrer Projekte unvermindert fortsetzen und schüttete mehr als 12 Millionen Euro aus. Im Jahr 2009 waren es mehr als 15 Millionen Euro. Mit dem Bau des Europäischen Hansemuseums, einer Tochtergesellschaft der Stiftung, zu dem die Possehl-Stiftung 41 Millionen Euro aufbrachte, wurde die sie auch außerhalb Lübecks bekannt. Im Mai 2015 wurde das Museum eröffnet und konnte nach einem halben Jahr den 100.000sten Besucher begrüßen. Seit Januar 2016 ist der Unternehmer Max Schön als Nachfolger der Apothekerin Renate Menken Vorsitzender des Vorstands der Stiftung. Anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens wurde die Stiftung im Jahr 2019 für ihre „außerordentlichen Verdienste für das Gemeinwesen der Stadt“ mit der höchsten Auszeichnung der Hansestadt Lübeck, der Gedenkmünze Bene Merenti[6], ausgezeichnet. Das bisher wohl größte Fördergeschenk an die Stadt Lübeck war die Kunsthalle St. Annen als Anbau an das St.-Annen-Kloster unter Einbeziehung der verbliebenen Bausubstanz der ehemaligen St.-Annen-Kirche. Als Gesellschafterin ihrer Tochtergesellschaften betreibt die Stiftung neben dem Europäischen Hansemuseum die gemeinnützige GmbH KOLK17. Figurentheater & Museum.

Auszeichnungen Bearbeiten

Anlässlich des 50-jährigen Firmenjubiläums von L. Possehl & Co. mbH, führte Emil Possehl 1897 ein Reisestipendium ein, das Lübecker Lehrlingen das Erlernen der russischen Sprache ermöglichte. Ebenso richtete er einen Stipendienfonds ein, der junge schwedische Kaufleute und Techniker in die Lage versetzte, in Deutschland zu studieren. Den Gedanken der Förderung unterschiedlichster Fähigkeiten und Visionen hat die Possehl-Stiftung aufgegriffen und weiterentwickelt.[7]

Possehl-Musikpreis Bearbeiten

Gemeinsam mit der Musikhochschule Lübeck vergibt die Stiftung seit 1963 jährlich den Possehl-Musikpreis. Er wird an besonders herausragende Musikerinnen und Musiker vergeben, die in Lübeck an der Musikhochschule studieren. 2019 vergab die Stiftung erstmals zusätzlich einen Possehl-Musikpreis in der Kategorie „Neue musikalische Aufführungskonzepte“.[5]

Possehl-Preise für Kunst Bearbeiten

Seit 2018 stellen zwei Possehl-Preise für Kunst zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler in den Fokus. 2018 wurde erstmalig der Possehl-Preis für Lübecker Kunst vergeben und seit 2019 vergibt die Stiftung – im Rhythmus von drei Jahren – den Possehl-Preis für Internationale Kunst. In den Jahren, in denen es keinen Possehl-Preis für Internationale Kunst gibt, wird auf lokaler Ebene der Possehl-Preis für Lübecker Kunst vergeben.

Preisträger 2018–2023 Bearbeiten

Possehl-Stipendium für Architektur Bearbeiten

Die Possehl-Stiftung vergibt seit 2019 alle zwei Jahre die Possehl-Stipendien für Architektur an Studenten und Bachelor-Absolventen der Studiengänge Architektur und Städtebau-Ortsplanung der Technischen Hochschule Lübeck, die wegen ihrer Begabung, ihrer Leistungen, der architektonischen Qualität ihrer Arbeiten oder ihres Engagements im Studium eine besondere Anerkennung und Förderung verdienen. Die Stipendien werden in Form von Reisestipendien und Reisekostenzuschüssen vergeben und sollen den Studierenden Reisen oder Aufenthalte außerhalb Lübecks ermöglichen. In der Jury sitzen, neben Professoren der Technischen Hochschule und einem Vertreter der Possehl-Stiftung, Vertreter des Architekturforums Lübeck sowie des Bundes Deutscher Architekten.[9]

Possehl-Ingenieurpreis Bearbeiten

Seit 1983 zeichnet die Stiftung Absolventen der Technischen Hochschule Lübeck für hervorragende Abschlussarbeiten mit dem Possehl-Ingenieurpreis aus. Er ist mit 5000 Euro dotiert und umfasst auch Prämien mit 2500 Euro.[10] Bis heute wurden über 100 Preise und Prämien im Rahmen des Possehl-Ingenieurpreises vergeben.[11]

Gremien der Stiftung Bearbeiten

Die Gremien der Possehl-Stiftung bestehen aus dem 7-köpfigen Stiftungsteam, dem 7-köpfigen Arbeitsausschuss (AA), dem 18-köpfigen Stiftungsvorstand und dem Entscheidungsprozess. Sobald alle Gremien durchlaufen sind, kann einer Investition stattgegeben werden.

Vorsitzende Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Jan-Jasper Fast: Vom Handwerker zum Unternehmer. Die Lübecker Familie Possehl. Schmidt-Römhild, Lübeck 2000, ISBN 3-7950-0471-3.
  • Axel Schildt: Possehl: Geschichte und Charakter einer Stiftung. München: Haufe Lexware 2019, ISBN 978-3-648-13340-8

Weblinks Bearbeiten

Commons: Possehl-Stiftung – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Doris Mührenberg: Meiner geliebten Vaterstadt. 75 Jahre Possehl-Stiftung 1919–1994. Hrsg.: Verlag Schmidt-Römhild. Lübeck 1994.
  2. Das Testament Emil Possehls. Abgerufen am 23. Oktober 2023.
  3. Doris Mührenberg: Meiner geliebten Vaterstadt. 75 Jahre Possehl-Stiftung 1919–1994, Verlag Schmidt-Römhild, Lübeck 1994
  4. Knüpper, Sicher: Possehl-Stiftung an Stiftungsamt. 29. August 1950.
  5. a b Possehl-Musikpreis
  6. Possehl-Stiftung bekommt Ehrendenkmünze der Hansestadt. In: LN Online. Abgerufen am 18. Dezember 2019.
  7. Auszeichnungen der Possehl-Stiftung – Possehl-Stiftung – Lübeck. Abgerufen am 9. Oktober 2023.
  8. Possehl-Preis für Lübecker Kunst 2023: Sabine Egelhaaf ausgezeichnet - Unser Lübeck - Kultur-Magazin. Abgerufen am 9. Oktober 2023.
  9. Possehl-Stipendium für Architektur – Possehl-Stiftung – Lübeck. Abgerufen am 9. Oktober 2023.
  10. Possehl-Preis für die Digitalisierung in Krankenhäusern. In: hl-live.de. 14. Dezember 2021, abgerufen am 30. Mai 2022.
  11. Auszeichnungen der Possehl-Stiftung – Possehl-Stiftung – Lübeck. Abgerufen am 9. Oktober 2023.