Phenibut (auch β-Phenyl-γ-aminobuttersäure, ausgesprochen Betaphenylgammaaminobuttersäure) ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Phenylethylamine. Als Derivat des natürlich vorkommenden hemmenden Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure (GABA) wird es als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt. Der zusätzliche Phenylring ermöglicht es der Verbindung, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden.[4]

Strukturformel
Struktur von Phenibut (β-Phenyl-γ-amino­butter­säure)
1:1-Gemisch aus (R)-Form (links) und (S)-Form (rechts)
Allgemeines
Name Phenibut
Andere Namen
  • β-Phenyl-γ-amino­butter­säure
  • (RS)-4-Amino-3-phenyl­butan­säure (IUPAC)
  • Fenibut
  • Phenybut
  • PhGABA
Summenformel C10H13NO2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer
EG-Nummer 214-079-6
ECHA-InfoCard 100.012.800
PubChem 14113
ChemSpider 13491
DrugBank DB13455
Wikidata Q419559
Arzneistoffangaben
ATC-Code

N06BX22

Wirkstoffklasse

Anxiolytikum

Wirkmechanismus

GABAB-Agonist

Eigenschaften
Molare Masse
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

250–253 °C (Zersetzung)[1]

Löslichkeit
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[3]

Achtung

H- und P-Sätze H: 315​‐​319​‐​335
P: ?
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Phenibut wurde in den 1960er Jahren in der ehemaligen Sowjetunion synthetisiert. Seitdem wird es dort unter anderem zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen, Angstzuständen und Schlaflosigkeit angewendet.[5] Der Wirkstoff ist nahe verwandt mit dem Muskelrelaxans Baclofen. In den USA wird Phenibut als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben.[6]

Der Name Phenibut ist vom chemischen Namen β-Phenyl-γ-aminobuttersäure abgeleitet.

Geschichte Bearbeiten

Synthetisiert wurde Phenibut erstmals am Pädagogischen Institut A. I. Herzen in Leningrad von Vsevolod Perekalins Team am Institut für Experimentelle Medizin und dann an der Akademie der Medizinischen Wissenschaften der UdSSR getestet.[4]

Klinische Angaben Bearbeiten

Anwendungsgebiete Bearbeiten

Phenibut ist in Russland, Lettland sowie anderen osteuropäischen Ländern zugelassen zur Behandlung von:[7]

und wird vorbeugend eingesetzt[7]

Nebenwirkungen Bearbeiten

Vor allem zu Beginn der Behandlung oder bei Überdosierung treten Müdigkeit und Übelkeit auf. Selten kommt es zu allergischen Reaktionen. Bei längerer bzw. höherdosierter Anwendung hat Phenibut ein hepatotoxisches Potential, entsprechend kann eine Kontrolle der Leberwerte erforderlich sein.[7] Vereinzelt sind bei akuter Überdosierung Fälle von Rhabdomyolyse sowie paradoxe Effekte wie Krampfanfälle und delirante Zustände beschrieben worden.[8]

Der längerfristige Gebrauch kann zu Toleranzentwicklung und Abhängigkeit[6] sowie Entzugserscheinungen[9] führen. Letztere sind vergleichbar mit jenen, welche auch bei Benzodiazepinen beobachtet werden können und umfassen u. a. Schlaflosigkeit, Halluzinationen und Angstzustände.[10]

Pharmakologie Bearbeiten

Phenibut wirkt ähnlich wie das strukturverwandte Baclofen als Agonist am GABAB-Rezeptor. Das unterscheidet den Wirkstoff von den Benzodiazepinen, die als allosterische Liganden am GABAA-Rezeptor wirken. In höherer Dosis bindet Phenibut möglicherweise auch an GABAA-Rezeptoren. Aus Tierversuchen ergeben sich Hinweise auf einen zusätzlichen dopaminergen Wirkmechanismus.[4]

Bei Tierversuchen wurde festgestellt, dass Phenibut die interhemisphärische Übertragung der beiden Gehirnhälften verbessert.[11]

Ebenfalls wurde in Tierversuchen festgestellt, dass Phenibut-Citrat die schädliche Wirkung von Alkohol durch Erhöhung der oxidativen Phosphorylierung vermindern kann.[12]

Phenibut ist ein chirales Molekül. Es gibt somit ein (R)- und ein (S)-Enantiomer. Pharmazeutisch verwendet wird es als Racemat. (R)-Phenibut ist das pharmakologisch aktive Enantiomer, das Eutomer. (S)-Phenibut ist nicht aktiv. Die Dissoziationskonstanten am GABAB-Rezeptor für (RS)-Phenibut, (R)-Phenibut und Baclofen betragen jeweils 177±2, 92±3 und 6±1 μM.[13] Das bedeutet, Baclofen hat die höchste Affinität zum Rezeptor und racemisches Phenibut die niedrigste.

Bei Einmalgabe von 250 mg Phenibut wurde eine Plasmahalbwertszeit von 5,3 Stunden ermittelt. 65 % der Dosis wurden unverändert im Urin nachgewiesen.[4]

Rechtslage (Deutschland) Bearbeiten

Phenibut ist in Deutschland nicht vom Betäubungsmittelgesetz (BtMG) erfasst. Es könnte sich jedoch um eine von 2-Phenethylamin abgeleitete Verbindung gemäß Anlage Nr. 2 des Neue psychoaktive Stoffe Gesetzes (NpSG) handeln.[14] Der Abschlussbericht des Instituts für Therapieforschung geht hiervon implizit aus.[15] Die Folge wäre, dass der Umgang damit verboten und in gewissen Fällen strafbar wäre (siehe auch Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz).

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. J. Colonge, J.-M. Pouchol: Preparation De Pyrrolidones-2 et de Gamma-Aminoacides. In: Bulletin de la Societe Chimique de France. 1962, S. 598–603.
  2. a b Patent DE2317180: SS-Phenyl-Kleines Gamma-Aminobuttersaeurehydrochlorid und Verfahren zu seiner Herstellung. Veröffentlicht am 17. Oktober 1974, Erfinder: Perekalin Wsewolod Wasiljewits; Sopowa geb. Krutowa Alexandra S; Lobatschewa geb. Warlamowa Majj; Spunde geb. Gajlite Rasma Janow; Mikstajs Uldis Janowitsch.
  3. Vorlage:CL Inventory/nicht harmonisiertFür diesen Stoff liegt noch keine harmonisierte Einstufung vor. Wiedergegeben ist eine von einer Selbsteinstufung durch Inverkehrbringer abgeleitete Kennzeichnung von 4-amino-3-phenylbutyric acid im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 21. Februar 2019.
  4. a b c d Izyaslav Lapin: Phenibut (β-Phenyl-GABA): A Tranquilizer and Nootropic Drug. In: CNS Drug Reviews. Band 7, Nr. 4, Dezember 2001, S. 471–481, doi:10.1111/j.1527-3458.2001.tb00211.x, PMID 11830761.
  5. G. I. Shulgina: On neurotransmitter mechanisms of reinforcement and internal inhibition. In: The Pavlovian Journal of Biological Science. Band 21, Nr. 4, 1. Dezember 1986, S. 129–140, PMID 2431377.
  6. a b Andriy V. Samokhvalov, C. Lindsay Paton-Gay, Kam Balchand, Jürgen Rehm: Phenibut dependence. In: BMJ Case Reports. Band 2013, 7. Februar 2013, S. bcr2012008381, doi:10.1136/bcr-2012-008381.
  7. a b c Packungsbeilage Noofen 250 mg (Memento vom 6. Januar 2014 im Internet Archive) (PDF).
  8. Matthew I. Hardman, Juraj Sprung, Toby N. Weingarten: Acute phenibut withdrawal: A comprehensive literature review and illustrative case report. In: Bosnian Journal of Basic Medical Sciences. Band 19, Nr. 2, Mai 2019, S. 125–129, doi:10.17305/bjbms.2018.4008, PMID 30501608, PMC 6535394 (freier Volltext).
  9. Rhanda Marie M. Magsalin, Ahsan Y. Khan: Withdrawal symptoms after Internet purchase of phenibut (β-phenyl-γ-aminobutyric acid HCl). In: Journal of Clinical Psychopharmacology. Band 30, Nr. 5, Oktober 2010, S. 648–649, doi:10.1097/JCP.0b013e3181f057c8, PMID 20841974.
  10. Lauren Geoffrion, M.D.: Phenibut Addiction, Side Effects, Withdrawal, and Treatment. American Addition Centers, abgerufen am 21. November 2022 (englisch).
  11. L. E. Borodkina, G. M. Molodavkin, I. N. Tiurenkov: Effect of phenibut on interhemispheric transmission in the rat brain. In: Eksp Klin Farmakol. Band 72, Nr. 1, Januar 2009, S. 57–59, PMID 19334513.
  12. V. N. Perfilova, O. V. Ostrovskii u. a.: Effect of Citrocard on functional activity of cardiomyocyte mitochondria during chronic alcohol intoxication. In: Bulletin of experimental biology and medicine. Band 143, Nummer 3, März 2007, S. 341–343. PMID 18225758.
  13. Maija Dambrova, Liga Zvejniece, Edgars Liepinsh, Helena Cirule, Olga Zharkova, Grigory Veinberg, Ivars Kalvinsh: Comparative pharmacological activity of optical isomers of phenibut. In: European Journal of Pharmacology. Band 583, Nr. 1, 31. März 2008, S. 128–134, doi:10.1016/j.ejphar.2008.01.015, PMID 18275958.
  14. Neue psychoaktive Stoffe Gesetz (Volltext im Internet). Bundesamt für Justiz, abgerufen am 29. August 2021.
  15. Ludwig Kraus et al.: Evaluation der Auswirkungen des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG): Abschlussbericht. Institut für Therapieforschung, 29. August 2019, abgerufen am 29. August 2021 (Legende von Tabelle 5-5, S. 172.).