Natascha Sadr Haghighian

iranisch-deutsche Künstlerin

Natascha Sadr Haghighian, Pseudonym Natascha Süder Happelmann (geboren 1967 in Teheran) ist eine iranisch-deutsche Installations- und Videokünstlerin.[1] Sie ist Professorin für Bildhauerei an der HfK Bremen.

Kennzeichnend für Haghighians Arbeitsweise ist die Vermischung von Kunst und politischem Aktivismus. Sie beschäftigt sich immer wieder kritisch mit der Verbindung von Technologie und Macht. Ihre Arbeiten wirken oft unspektakulär und unterlaufen absichtlich den im kulturellen Bereich üblichen Anschein des Bedeutsamen. Zuschauer sollen ihre Werke aktiv und körperlich erfahren. Haghighian arbeitet häufig mit Humor und dem Mittel der Parodie.[2]

Leben Bearbeiten

Haghighian studierte an der Kunsthochschule für Medien Köln bei Valie Export und am Art Institute of Chicago bei Lin Hixson.[3]

Seit den 1990er Jahren ist sie in Berlin tätig. Seit 2002 wird sie von der Galerie Johann König vertreten.[4] Seit 2014 ist sie Professorin für Bildhauerei an der Hochschule für Künste Bremen.[5]

Biografie als Inszenierung Bearbeiten

Haghighian weist das übliche Konzept von Biografien zurück. Damit würden z. B. Künstler nach früheren Verbindungen zu Museen bewertet, und nach konventionellen Identitätsmerkmalen wie Alter und Staatszugehörigkeit kategorisiert.[6] Zu Haghighians Geburtsjahr und -ort finden sich unterschiedliche Informationen: Es werden z. B. 1953[7] oder 1963[8] in Teheran, 1966 in London[9], 1987 in Budapest[10], 1979 in München, Kassel[11] oder Sydney[12] angegeben. Verschiedenen Biografien ist zu entnehmen, dass die Künstlerin in Budapest, Ellendale, Wimbledon, Gütersloh,[13] Berlin,[14] Santa Monica, Kalifornien[15] oder Bremen lebt und arbeitet. Haghighian sorgte selbst für die Vielzahl an sich widersprechenden biografischen Daten. Laut eigener Angabe spielt sie mit ihrer Identität, um Künstlerbiografien als Teil von „obskuren“ Strukturen des Kunst-Establishments in Frage zu stellen.[16]

Die Künstlerin wird in Ausstellungstexten u. a. als Sound- und Installationskünstlerin[17], Dokumentarfilmerin[18], Choreographin[3], Chemiestudentin[19] und als „29-jährige falsche Blondine“ beschrieben. Sie sei in der Vergangenheit als Telefonistin eines Transportunternehmens und Barkeeperin tätig gewesen. Anfang der 2000er Jahre sei sie arbeitslos gewesen.[20]

Werk Bearbeiten

Haghighian arbeitet oft mit anderen Künstlern und Kollektiven zusammen.[21] Seit 2004 gehört sie zur „Gesellschaft der Freund_innen von Halit“, die sich anlässlich der Documenta 14 mit dem NSU-Mord an Halit Yozgat auseinandersetzten.[22] 2017 zeigte die Gruppe in Zusammenarbeit mit der Initiative „NSU-Komplex auflösen!“ zu der Haghighian ebenfalls gehört, dem Goldsmiths College und dem Institut Forensic Architecture weitere Arbeiten. Auch diese Werke beschäftigen sich mit den NSU-Morden.[2] 2010 gründete sie zusammen mit Ashkan Sepahvand das Institute for Incongruous Translation (Institut für nicht passende Übersetzungen), in dessen Rahmen Kunstprojekte entstanden.[23]

2004 initiierte sie die „Biographie-Tausch-Plattform“ bioswop, die es ermöglicht, Lebensläufe mit anderen zu tauschen und neu zu erfinden.[4] Haghighian selbst möchte nicht aufgrund von Herkunft und Lebenslauf bewertet werden. Mit der Plattform sollen Kunstschaffende der üblichen Bemessung ihres Marktwertes anhand biografischer Daten entgegensteuern.[24]

Die Installation Pssst Leopard 2A7+ zeigt Haghighian seit 2013 immer wieder in Ausstellungen, z. B. in der Galerie König in Berlin und im Münchner Lenbachhaus. Das Werk bezieht sich auf den Kampfpanzer „Leopard 2 A7+“, der von den Firmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall speziell zur „Befriedung“ von Konflikten in städtischer Umgebung gebaut wurde. Haghighians Installation hat die Grundmaße des Panzers, besteht jedoch aus Transportpaletten, die mit einer Art weiß-grün-blauem Tarnmuster aus Legosteinen bedeckt sind. Statt eines Panzerturms ist in der Mitte des Werks ein Kreis aus 60 Kopfhörerbuchsen angeordnet, über die Klangstücke angehört werden können.[2] Mit jeder Präsentation werden der Klangsammlung neue Stücke hinzugefügt. Die Tondokumente entstehen teils in Zusammenarbeit mit anderen oder sind unabhängige Beiträge von Freunden der Künstlerin.[25]

2019 bespielte sie auf der Biennale di Venezia den von Franciska Zòlyom kuratierten Deutschen Pavillon. In diesem Zusammenhang trat sie als Kunstfigur Natascha Süder Happelmann auf, mit einem Stein aus Pappmaché auf dem Kopf.[26] Der Name der Kunstfigur war eine der vielen Falschschreibungen ihres iranischen Namens, die sie über 30 Jahre gesammelt hatte. Der Pappmaché-Stein wurde als bewusste Barriere zwischen Künstlerin und Publikum interpretiert.[27] Auf Interview-Fragen zum deutschen Pavillon in Venedig antwortete „Happelmann“ mit schwer interpretierbaren Zeichnungen von Klangsymbolen.[22] Andere Fragen ließ sie von ihrer Sprecherin „Helene Duldung“, die von der Schauspielerin Susanne Sachsse verkörpert wurde, beantworten. Mit diesem Vorgehen wollte sich Haghighian gegen die Mechanismen des Kunstmarkts wehren und den Blick weg von ihrer Person und hin zur Kunst lenken.[28]

Ausstellungen (Auswahl) Bearbeiten

  • 1999: Children of Berlin: Cultural Developments 1989–1999. Gruppenausstellung, Museum of Modern Art, New York
  • 2001: ars viva 00/01. Gruppenausstellung mit Hörner & Antlfinger, Christoph Keller, Jeanette Schulz im ZKM, Karlsruhe[18]
  • 2002: Manifesta 4, Frankfurt am Main[29]
  • 2007: RAW-WAR. Gruppenausstellung mit Jenny Holzer, Bruce Nauman, Jonathan Horowitz im Museum of Modern Art, New York[30]
  • 2012: Natascha Sadr Haghighian, Carrol / Fletcher, London[31]
  • 2012: dOCUMENTA (13), Kassel
  • 2013: pssst LEOPARD 2A7+, König Galerie, Berlin[32]
  • 2015: 1. Asien Biennale & 5. Guangzhou Triennale[33]
  • 2018: Kathy Acker – Get Rid of Meaning. Gruppenausstellung, Badischer Kunstverein, Karlsruhe[34]
  • 2019: 58. Biennale di Venezia
  • 2021: Natascha Sadr Haghighian. passing one loop into another. Hannah-Höch-Förderpreis 2020. Neuer Berliner Kunstverein, Berlin
  • 2023: Jetzt wo ich dich hören kann tun meine Augen weh (Tumult), Lenbachhaus, München[35]

Auszeichnungen (Auswahl) Bearbeiten

Werke in Sammlungen (Auswahl) Bearbeiten

Veröffentlichungen (Auswahl) Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Biografische Angaben in Allgemeines Künstlerlexikon
  2. a b c Giovanna Zapperi: Beweislast und Störungsgeste. Giovanna Zapperi über Technologie als Praxis im Werk von Natascha Sadr Haghighian. In: Texte zur Kunst. 25. Oktober 2018, abgerufen am 10. Juni 2023.
  3. a b Natascha Sadr Haghighian. In: Kunstaspekte. Abgerufen am 28. Mai 2023.
  4. a b Natascha Sadr Haghighian. In: Munzinger Archiv. Abgerufen am 28. Mai 2023.
  5. Sebastian Liedtke: HfK Bremen-Professorin Süder Happelmann und der Deutsche Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig. In: Informationsdienst Wissenschaft. 8. Mai 2019, abgerufen am 10. Juni 2023.
  6. 9 Artists. MIT List Visual Arts Center, abgerufen am 18. Oktober 2018 (englisch).
  7. Natascha Sadr Haghighian, im Jahr 2017 als Jurorin der Villa Romana, website der Villa Romana, Florenz, Abruf am 25. Oktober 2018
  8. ZKM (Hrsg.): Natascha Sadr Haghighian | ZKM. (zkm.de [abgerufen am 18. Oktober 2018]).
  9. bioswop.net in dOCUMENTA 13 Begleitheft, Seite 300
  10. Pssst Leopard 2A7 – Press Release. König Galerie, Berlin, 2013, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 19. Juni 2021; abgerufen am 19. Juni 2021 (englisch).
  11. Natascha Sadr Haghighian with Ashkan Sepahvand. 11th Gwangju Biennale, Korea, 2016, abgerufen am 15. Oktober 2018 (englisch).
  12. Natascha Sadr Haghighian. In: 3. Berliner Herbstsalon. berliner-herbstsalon.de, 2017, abgerufen am 15. Oktober 2018.
  13. Arsenal: Natascha Sadr Haghighian. Abgerufen am 18. Oktober 2018 (britisches Englisch).
  14. Pssst Leopard 2A7 – Press Release. König Galerie, Berlin, 2013, abgerufen am 15. Oktober 2018 (englisch).
  15. Natascha Sadr-Haghighian | Bidoun. Abgerufen am 18. Oktober 2018 (amerikanisches Englisch).
  16. Eleni Papadopoulou: Natascha Sadr Haghighian: Zwischen Orten. In: Goethe-Institut. Februar 2020, abgerufen am 2. Juni 2023.
  17. Natascha Sadr Haghighian: pssst Leopard 2A7+, 2016. Abgerufen am 8. Juni 2023.
  18. a b ars viva 00/01. In: ZKM. Abgerufen am 30. Mai 2023.
  19. Natascha Sadr Haghighian with Ashkan Sepahvand. In: 11th Gwangju Biennale 2016. Abgerufen am 8. Juni 2023 (englisch).
  20. Tirdad Zolghadr: Natascha Sadr-Haghighian. In: Bidoun. Abgerufen am 18. Oktober 2018 (amerikanisches Englisch).
  21. Beyond Repair - Artist Talk mit Natascha Sadr Haghighian. Universität Zürich, Kunsthistorisches Institut, abgerufen am 3. Juni 2023.
  22. a b Catrin Lorch: Zeichensprache. In: sueddeutsche.de. 1. Februar 2019, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 15. März 2019]).
  23. Lecture: Ashkan Sepahvand: „Transformation through Darkness“. In: Fachhochschule Nordwestschweiz. 2019, abgerufen am 9. Juni 2023.
  24. a b Stipendiaten Details -. In: Villa Aurora Thomas Mann House. Abgerufen am 4. Juni 2023.
  25. Natascha Sadr Haghighian: Jetzt wo ich dich hören kann tun meine Augen weh (Tumult), Lenbachhaus 23. Mai – 8. Oktober 2023. Begleitheft zur Ausstellung (pdf), ISBN 978-3-88645-216-3. In: Lenbachhaus. Abgerufen am 17. Juni 2023.
  26. Künstlerin für deutschen Pavillon – Überraschungscoup. In: Monopol Magazin. Elke Buhr, 25. Oktober 2018, abgerufen am 25. Oktober 2018.
  27. Catrin Lorch: Biennale in Venedig: Wer ist Natascha Süder Happelmann? In: Süddeutsche Zeitung. 25. April 2019, abgerufen am 29. Mai 2023.
  28. Natascha Sadr Haghighian. In: Munzinger Archiv. 24. September 2019, abgerufen am 29. Mai 2023.
  29. Manifesta 4. 2002, abgerufen am 23. Oktober 2018.
  30. RAW-WAR. In: Museum of Modern Art. Abgerufen am 30. Mai 2023 (englisch).
  31. Natasha Degen: London: Natascha Sadr Haghighian. In: Artforum. Abgerufen am 8. Juni 2023 (amerikanisches Englisch).
  32. Natascha Sadr Haghighian. pssst LEOPARD 2A7+. In: Kunstaspekte. Abgerufen am 9. Juni 2023.
  33. Natascha Sadr Haghighian. Guangzhou 2015. In: Universes in Universe - Welten der Kunst (UiU). Abgerufen am 30. Mai 2023.
  34. Badischer Kunstverein Karlsruhe: Publikation Kathy Acker: Get Rid of Meaning. In: Badischer Kunstverein. Abgerufen am 8. Juni 2023.
  35. Natascha Sadr Haghighian. In: Lenbachhaus. Abgerufen am 30. Mai 2023.
  36. Kulturkreis der deutschen Wirtschaft zeichnet drei Künstler aus. 16. April 2019, abgerufen am 3. Juni 2023.
  37. Natascha Sadr Haghighian. In: Hessische Kulturstiftung. Abgerufen am 9. Juni 2023.
  38. Monika Baer erhält den Hannah-Höch-Preis 2020 Natascha Sadr Haghighian erhält den Hannah-Höch-Förderpreis 2020. 1. November 2019, abgerufen am 11. Dezember 2019.
  39. Artificial life. In: Sammlung zeitgenössische Kunst der BRD/Kunstdatenbank. Abgerufen am 8. Juni 2023.
  40. Ars Viva 00/01. Kunst und Wissenschaft | 2000 | ZKM. (zkm.de [abgerufen am 18. Oktober 2018]).