Modell der inneren Familiensysteme

Das Modell der inneren Familiensysteme (IFS) ist ein integrativer Ansatz der individuellen Psychotherapie, der in den 1980er Jahren von Richard C. Schwartz entwickelt wurde.[1][2] Es kombiniert Systemdenken mit der Ansicht, dass die Psyche aus verschiedenen Unterpersönlichkeiten besteht, von denen jede ihre eigene Perspektive und Qualität hat. IFS wendet die systemische Sichtweise der Familientherapie an, um zu verstehen, wie diese Subpersönlichkeiten organisiert sind und miteinander interagieren.[3]

Teile Bearbeiten

IFS geht davon aus, dass die Psyche aus mehreren Teilen besteht, denen das Kern-Selbst oder wahre Selbst der Person zugrunde liegt. Wie Mitglieder einer Familie können die inneren Teile eines Menschen extreme Rollen oder Subpersönlichkeiten annehmen. Jeder Teil hat seine eigene Perspektive, Interessen, Erinnerungen und Sichtweisen. Ein Grundprinzip von IFS ist, dass jeder Teil gute Absichten hat, auch wenn seine Handlungen kontraproduktiv sind und/oder Funktionsstörungen verursachen. Es besteht keine Notwendigkeit, Teile zu bekämpfen, zu bezwingen oder loszuwerden. Die IFS-Methode fördert die innere Verbindung und Harmonie, um die Psyche wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die IFS-Therapie zielt darauf ab, verletzte Anteile zu heilen und das geistige Gleichgewicht wiederherzustellen. Der erste Schritt besteht darin, Zugang zum Kern-Selbst zu bekommen und von dort aus die verschiedenen Teile zu verstehen, um sie zu heilen.

Im IFS-Modell gibt es hauptsächlich drei Arten von Teilen:[4]

  1. Verbannte stehen für seelische Verletzungen oder Traumata, oft aus der Kindheit, und sie tragen Schmerz und Angst in sich. Verbannte können von den anderen Teilen isoliert werden und das System polarisieren. Manager und Feuerbekämpfer versuchen, das Bewusstsein einer Person zu schützen, indem sie verhindern, dass der Schmerz der Verbannten ins Bewusstsein gelangt.[5]
  2. Manager übernehmen eine vorbeugende und schützende Rolle. Sie beeinflussen die Art und Weise, wie eine Person mit der Außenwelt interagiert, schützen die Person vor Schaden und verhindern, dass schmerzhafte oder traumatische Erfahrungen die bewusste Wahrnehmung der Person überfluten.
  3. Feuerbekämpfer werden aktiv, wenn Verbannte ausbrechen und Aufmerksamkeit fordern. Sie lenken die Aufmerksamkeit von der Verletzung und Scham des Verbannten ab, was zu impulsivem und/oder unangemessenem Verhalten wie übermäßigem Essen, Drogenkonsum oder Gewalt führen kann. Sie können eine Person auch von Schmerzen ablenken, indem sie den Fokus stark auf weniger auffällige Aktivitäten wie exzessives Arbeiten oder übermäßige Medikamenteneinnahme richten.

Das innere System Bearbeiten

IFS fokussiert auf die Beziehungen zwischen Teilen und dem Kern-Selbst. Das Ziel der Therapie besteht darin, eine kooperative und vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Selbst und jedem der Teile herzustellen. Es gibt hauptsächlich drei Arten von Beziehungen zwischen Teilen: Schutz, Polarisierung und Allianz.[6]

  1. Schutz wird von Managern und Feuerbekämpfern gewährt. Ihr Ziel ist es, Verbannte vor Schaden zu bewahren und die Person vor dem Schmerz des Verbannten zu schützen.
  2. Polarisierung findet zwischen zwei Teilen statt, die gegeneinander kämpfen, um zu bestimmen, wie sich eine Person in einer bestimmten Situation fühlt oder verhält. Jeder Teil glaubt, dass er so handeln muss, wie er es tut, um dem extremen Verhalten des anderen Teils entgegenzuwirken. IFS verfügt über eine Methode zum Arbeiten mit polarisierten Teilen.
  3. Allianz entsteht zwischen zwei verschiedenen Teilen, wenn sie zusammenarbeiten, um dasselbe Ziel zu erreichen.

Die Methode der IFS Bearbeiten

IFS-Praktiker berichten über eine klar definierte therapeutische Methode für die Einzeltherapie, die auf den folgenden Prinzipien basiert. In dieser Beschreibung bezieht sich der Begriff „Beschützer“ entweder auf einen Manager oder einen Feuerbekämpfer.

  • Teile in extremen Rollen tragen „Lasten“ mit sich, bei denen es sich um schmerzhafte Emotionen oder negative Überzeugungen handelt, die sie aufgrund früherer verletzender Erfahrungen, oft in der Kindheit, angenommen haben. Diese Lasten sind dem Teil nicht wesenseigen und können daher durch die IFS-Therapie gelöst oder „entlastet“ werden, so dass der Teil seine natürliche, gesunde Rolle übernehmen kann.
  • Das Selbst ist der Vermittler der psychologischen Heilung. Therapeuten helfen ihren Klienten, Zugang zu ihrem Selbst zu finden und beizubehalten, und geben ihnen dabei Anleitung.
  • Beschützer können ihre Schutzfunktion normalerweise nicht aufgeben und ihren Fokus ändern, bis die Verbannten, die sie beschützen, entlastet sind.
  • Es wird kein Versuch unternommen, mit Verbannten zusammenzuarbeiten, bis der Klient die Erlaubnis ihrer Beschützer eingeholt hat. Dies führt dazu, dass die Methode relativ sicher sein soll, auch wenn mit traumatisierten Teilen gearbeitet wird.
  • Das Selbst ist der natürliche Leiter des inneren Systems. Aufgrund vergangener verletzender Ereignisse oder Beziehungen haben jedoch Beschützer eingegriffen und für das Selbst die Leitung übernommen. Ein Beschützer nach dem anderen wird aktiviert und übernimmt die Führung, was zu dysfunktionalem Verhalten führt. Außerdem geraten Beschützer häufig untereinander in Konflikt, was zu innerem Chaos oder Stagnation führt. Das Ziel besteht darin, dass die Beschützer dem Selbst vertrauen und ihm erlauben, das System zu leiten und unter seiner Führung innere Harmonie zu schaffen.

Der erste Schritt besteht darin, dem Klienten zu helfen, Zugang zum Selbst zu finden. Als Nächstes lernt das Selbst den/die Beschützer und seine guten Absichten kennen und entwickelt eine vertrauensvolle Beziehung zu ihm. Dann nimmt der Klient mit der Erlaubnis des Beschützers Kontakt mit dem/den Verbannten auf, um den Kindheitsvorfall oder die Kindheitsbeziehung aufzudecken, die die Ursache für die Last(en) ist, die er mit sich trägt. Der Verbannte wird aus der vergangenen Situation herausgeholt und angeleitet, seine Lasten loszulassen. Schließlich kann der Beschützer seine schützende Rolle aufgeben und eine gesunde übernehmen.[7]

Kritik Bearbeiten

Die Therapeuten Sharon A. Deacon und Jonathan C. Davis zogen in Betracht, dass die Arbeit mit den eigenen Teilen „für Klienten emotional und angstauslösend sein kann“ und dass IFS bei wahnhaften, paranoiden oder schizophrenen Klienten möglicherweise nicht gut funktioniert, da diese eventuell nicht in der Realität verankert sind und die Idee der „Teile“ falsch anwenden könnten.[8] Für diese Bedenken gibt es jedoch keine Beweise.

Siehe auch Bearbeiten

Weiterführende Literatur Bearbeiten

  • Richard C. Schwartz: Mutige Liebe - Warte nicht darauf, dass dein Partner sich ändert: Umdenken bei Konflikten in Ehe und Partnerschaft. Books on Demand, Norderstedt 2019, ISBN 978-3-7528-9148-5 (Originaltitel: You are the one you've been waiting for. 2008.).
  • Richard C. Schwartz, Frank G. Anderson, Martha Sweezy: Therapeutische Arbeit im System der Inneren Familie: ein Skills-Training. Traumabewußte Behandlung von Angst, Depression, PTBS und Substanzmißbrauch. Probst, Lichtenau 2018, ISBN 978-3-944476-28-5 (Originaltitel: Internal family systems skills training manual. 2017.).
  • Lisa Spiegel: Die systemische Therapie mit der inneren Familie mit Kindern. Arbor, Freiburg 2020, ISBN 978-3-86781-261-0 (Originaltitel: Internal family systems therapy with children. 2017.).
  • Richard C. Schwartz: Das System der Inneren Familie: Einführung in die IFS-Therapie. Ein Weg zu mehr Selbstführung. Kösel, München 2024, ISBN 978-3-466-34816-9 (Originaltitel: Introduction to Internal Family Systems. 2019.).
  • Richard C. Schwartz, Martha Sweezy: Systemische Therapie mit der inneren Familie. Vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Klett-Cotta, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-608-89267-3 (Originaltitel: Internal family systems therapy. Second edition. 2020.).
  • Richard C. Schwartz: Kein Teil von mir ist schlecht: mit dem Modell des inneren Familiensystems Trauma heilen und zur Ganzheit zurückfinden. Arbor, Freiburg 2022, ISBN 978-3-86781-367-9 (Originaltitel: No bad parts. 2021.).
  • Frank G. Anderson: Traumata überwinden mit der IFS-Therapie: komplexe PTBS und ihre Behandlung im System der Inneren Familie. Probst, Lichtenau 2022, ISBN 978-3-944476-45-2 (Originaltitel: Transcending trauma: healing complex PTSD with internal family systems. 2021.).

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Amanda J. Minor: The SAGE Encyclopedia of Marriage, Family, and Couples Counseling. Hrsg.: Jon Carlson, Shannon B. Dermer. SAGE Publications, 2016, ISBN 978-1-4833-6956-3, Internal Family Systems Model (englisch, google.com [abgerufen am 28. Januar 2020]): “The Internal Family Systems (IFS) model was developed by Richard C. Schwartz in the 1980s and describes and integrative, nonpathological approach to psychotherapy.... The premise of IFS is that similar to the complex external family system, individuals are composed of separate and multifaceted internal parts in relationship with each other. IFS's primary focus is to work with individuals and help differentiate parts or subpersonalities in the mind.”
  2. Sadye L. M. Logan: Encyclopedia of Social Work. Hrsg.: Terry Mizrahi, Larry E. Davis. Oxford University Press, USA, 2008, ISBN 978-0-19-530661-3, Family: Overview, S. 2:175–182 (englisch, google.com).
  3. Nancy Burgoyne: Encyclopedia of Couple and Family Therapy. Hrsg.: J. Lebow, A. Chambers, D. Breunlin. Springer International Publishing, 2018, ISBN 978-3-319-15877-8, Schwartz, Richard C, S. 1–2, doi:10.1007/978-3-319-15877-8_927-1 (englisch): “[Schwartz] brought family therapy theory and technique to the intrapsychic worlds of clients and, in so doing, discovered ways of working with individuals, couples, and families that is unique and evidence-based. IFS has become not only a school of family therapy but also a major form of psychotherapy in general, with a vast literature and training institutes throughout the world.”
  4. Derek Scott: Principles and practice of grief counseling. Hrsg.: Howard Winokuer, Darcy Harris. Springer Publishing Company, 2012, ISBN 978-0-8261-0873-9, Grief and the Internal Family System, S. 168–169 (englisch): “The "parts" in this model may be understood to be autonomous aspects of the personality that have specific roles. [...] The exiled parts hold extreme feelings or beliefs about themselves.... When these vulnerable parts get triggered, other parts jump up to distract us from them and these reactive protective parts are termed "firefighters." [...] The other group of protectors in the system are referred to as "managers," and they seek to ensure that the vulnerable parts do not get triggered.”
  5. Martha Sweezy: The Teenager's Confession: Regulating Shame in Internal Family Systems Therapy. In: American Journal of Psychotherapy. 65. Jahrgang, Nr. 2, April 2011, S. 179–188, doi:10.1176/appi.psychotherapy.2011.65.2.179, PMID 21847894 (englisch): “Therapeutic work with parts can help to unpack an amalgamated experience of shame like Angie’s into its component parts, differentiating its origin from the ways in which it is maintained.”
  6. Robert M. Carlisle: The SAGE Encyclopedia of Theory in Counseling and Psychotherapy. Hrsg.: Edward S. Neukrug. SAGE Publications, 2015, ISBN 978-1-4833-4649-6, Internal Family Systems Model, S. 567–569 (englisch, google.com [abgerufen am 28. Januar 2020]): “The internal system consists of the types of relationships between each of the parts and the self. The three primary relationships consist of protection, polarization, and alliance.”
  7. Bessel A. Van der Kolk: The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma. Penguin Books, 2015, ISBN 978-0-14-312774-1, S. 286 (englisch, google.com): “The task of the therapist is to help patients separate this confusing blend into separate entities.... Patients learn to put their fear, rage, or disgust on hold and open up into states of curiosity and self-reflection. From the stable perspective of Self they can begin constructive inner dialogues with their parts.”
  8. Sharon A. Deacon, Jonathan C. Davis: Internal Family Systems Theory: A Technical Integration. In: Journal of Systemic Therapies. 20. Jahrgang, Nr. 1, März 2001, S. 45–58, doi:10.1521/jsyt.20.1.45.19410 (englisch): “Parts work can be emotional and anxiety-provoking for clients and therapists must have a rationale and direction in order to guide clients on such internal journeys. [...] Although Schwartz may disagree, we believe that IFS therapy, in general, may not work well with delusional, paranoid, or schizophrenic clients. Clients who are not grounded in reality may misuse the idea of "parts" or become more entrenched in delusional thoughts by such interventions.”