Mein Nachbar Totoro

Film von Hayao Miyazaki (1988)

Mein Nachbar Totoro (jap. となりのトトロ, Tonari no Totoro) ist ein japanischer Anime-Film aus dem Jahr 1988. Er entstand unter der Regie von Hayao Miyazaki, der auch das Drehbuch schrieb, und wurde von Studio Ghibli produziert. Die Geschichte erzählt von den kleinen Abenteuern zweier Schwestern, die mit ihrem Vater in ein Haus auf dem Land in Japan gezogen sind. Im Haus und dem benachbarten Wald begegnen sie Naturgeistern, unter ihnen der titelgebende Totoro. Der Film wurde in Japan und mit der Zeit auch darüber hinaus zu einem beliebten Kinderfilm und zu einem der bekanntesten Filme des Studio Ghibli, das die Titelfigur noch heute als Markenzeichen verwendet.

Animefilm
Titel Mein Nachbar Totoro
Originaltitel となりのトトロ
Transkription Tonari no Totoro
Produktionsland Japan
Originalsprache Japanisch
Erscheinungsjahr 1988
Länge 86 Minuten
Altersfreigabe
Produktions­unternehmen Studio Ghibli
Stab
Regie Hayao Miyazaki
Drehbuch Hayao Miyazaki
Produktion Toru Hara
Musik Joe Hisaishi
Kamera Takeshi Seyama
Synchronisation

Handlung Bearbeiten

Nachbau von Satsukis und Meis Haus auf der Expo 2005[1]

Tatsuo Kusakabe, ein Archäologieprofessor an einer Tokioter Universität, zieht 1958 mit seinen beiden Töchtern, Satsuki und Mei, aufs Land nach Matsuo, um in der Nähe seiner Frau Yasuko sein zu können, die sich im Shichikokuyama-Krankenhaus von einer schweren Krankheit erholt. Bei ihrer Ankunft erkunden die beiden Mädchen das alte Haus und entdecken Rußkobolde, die in unbewohnten Häusern leben. Die Großmutter – eine alte Frau von nebenan – erklärt ihnen, dass die Rußkobolde friedliche Geister seien, die das Haus bald verlassen würden, da es wieder bewohnt ist. Satsuki lernt den gleichaltrigen Kanta kennen, den Enkel der Großmutter, der ihr Haus ein Geisterhaus nennt und die Mädchen damit ärgern will. Nachdem sich die drei in dem Haus eingewöhnt haben, begegnet Mei beim Spielen im angrenzenden Wald, der von einem großen Kampferbaum beherrscht wird, dem Waldgeist Totoro. Mei mag das riesige Wesen auf Anhieb und will es ihrer Familie zeigen, doch der Weg dorthin ist verschwunden.

Als Satsuki in der Schule ist, taucht die Großmutter mit Mei auf, da Mei unbedingt bei ihrer Schwester sein wollte. Mei darf den Rest des Unterrichts in Satsukis Klasse verbringen. Auf dem Heimweg fängt es an, stark zu regnen. Während sich die beiden Mädchen in einem Schrein am Wegesrand unterstellen, kommt Kanta vorbei, gibt ihnen seinen Regenschirm und rennt verschämt davon. Als die beiden den Schirm zurückbringen, versteckt er sich. Am Abend wollen die Mädchen ihren Vater an der Bushaltestelle abholen. Während sie dort im Regen warten, taucht Totoro auf und stellt sich ebenfalls wartend neben sie. Satsuki leiht ihm einen Regenschirm, wofür sich Totoro mit einem Bündel Nüsse bedankt, bevor er in einen zwölfbeinigen Katzenbus einsteigt und mit ihm verschwindet. Die Nüsse pflanzen die Mädchen im Garten ein, damit dort Bäume wachsen. Eines Nachts taucht Totoro auf und lässt aus den Nüssen einen gigantischen Baum entstehen. Anschließend fliegt er mit den Mädchen quer durch das Tal. Am nächsten Morgen ist der gigantische Baum verschwunden, doch aus den Nüssen sind Sprösslinge gewachsen.

Wenig später erreicht die Familie die Nachricht, dass die Mutter das Krankenhaus doch nicht wie geplant verlassen kann. Mei ist am Boden zerstört, und Satsuki wird melancholisch. Weinend fällt sie in die Arme der Großmutter, da sie Angst hat, ihre Mutter würde sterben. Mei hat sich kurz zuvor mit ihrer Schwester schwer gestritten, weil die nicht versteht, dass ihre Mutter noch immer nicht nach Hause kann. Mei will ihrer Mutter nun einen Maiskolben bringen, da die Großmutter ihr erzählt hatte, dass von ihrem Gemüse jeder schnell gesund werde. Sie macht sich allein auf in das kilometerweit entfernte Shichikokuyama-Krankenhaus und verläuft sich. Als ihr Verschwinden bemerkt wird, suchen alle Nachbarn nach ihr, auch Kanta und die Großmutter. Nach Stunden erfolgloser Suche bittet Satsuki Totoro um Hilfe, der sofort den Katzenbus ruft. Dieser findet die völlig verstörte Mei. Der Katzenbus ist gerührt und bringt die Mädchen zum Krankenhaus. Von einem Baum aus beobachten sie, wie ihr Vater mit ihrer Mutter redet, die bald entlassen werden kann. Auf der Fensterbank findet der Vater den Maiskolben, auf dem „Für Mama“ eingeritzt steht. Am Ende bringt der Katzenbus die beiden Mädchen zurück nach Hause, wo die Nachbarn glücklich sind, dass Mei wohlauf ist.

Produktion Bearbeiten

 
Regisseur und Drehbuchautor Hayao Miyazaki, 2008

Der 86 Minuten lange Film entstand bei Studio Ghibli nach einem Drehbuch und unter der Regie von Hayao Miyazaki. Das Charakterdesign entwarf Yoshiharu Satō und die künstlerische Leitung lag bei Kazuo Oga. Die Hintergrundbilder entstanden auch bei den Studios Atelier BWCA und Kobayashi Production. Die Animationsarbeiten leitete Charakterdesigner Yoshiharu Satō und neben anderen Subunternehmern war Studio Madhouse an der Schlüsselbildanimation beteiligt. Für die Kameraführung war Hisao Shirai verantwortlich und für den Schnitt Takeshi Seyama. Als Produzent fungierte Toru Hara, ausführender Produzent war Yasuyoshi Tokuma.

Filmmusik Bearbeiten

 
Joe Hisaishi, hier im Jahr 2008, komponierte die Filmmusik

Der Komponist der Filmmusik ist Joe Hisaishi. Es wurden einfache Kinderlieder und atmosphärische Klänge verwendet.[2] Für die Produktion war Tokuma Japan verantwortlich. Die folgende Titelliste des Soundtracks bezieht sich auf den 2012 bei Wasabi Records erschienenen Soundtrack.[3]

  1. Hey Let’s Go (Sanpo) Opening Theme
  2. The Village In May (Gogatsu No Mura)
  3. A Haunted House! (Obake Yashiki!)
  4. Mei and the Dust Bunnies (Mei To Susuwatari)
  5. Evening Wind (Yûgure No Kaze)
  6. Not Afraid (Kowakunai)
  7. Let’s Go to the Hospital (Omimai Ni Ikô)
  8. Mother (Okasan)
  9. A Little Monster (Chiisana Obake)
  10. Totoro
  11. A Huge Tree In the Tsukamori Forest (Tsukamori No Taiju)
  12. A Lost Child (Maigo)
  13. The Path of the Wind (Kaze No Torimichi)
  14. A Soaking Wet Monster (Zubunure Obake)
  15. Moonlight Flight (Tsukiyo No Hikô)
  16. Mei Is Missing (Mei Ga Inai)
  17. Cat Bus (Nekobasu)
  18. I’m So Glad (Yokattane)
  19. My Neighbour Totoro (Tonari No Totoro) Ending Theme
  20. Hey Let’s Go – With Chorus (Sampo – Gasshô Tsuki)

Synchronisation Bearbeiten

 
Maresa Sedlmeir, hier 2016, sprach Satsuki in der deutschen Synchronfassung von 2007

Die deutsche Fassung entstand bei FFS Film- & Fernseh-Synchron in München. Die Dialogregie übernahm Inez Günther.[4] In der deutschen Fassung wird Satsuki durchgängig falsch Saki genannt. Auch die Aussprache von Totoro – im Japanischen betont auf der ersten Silbe – entspricht nicht dem Original.[2]

Rolle Japanischer Sprecher (Seiyū) Deutscher Sprecher
Satsuki (Saki) Noriko Hidaka Maresa Sedlmeir
Mei Chika Sakamoto Paulina Rümmelein
Totoro Hitoshi Takagi Gerhard Jilka
Vater Shigesato Itoi Philipp Brammer
Mutter Sumi Shimamoto Christine Stichler
Großmutter Tanie Kitabayashi Monika John
Kanta Toshiyuki Amagasa Moritz Günther
Lehrerin Machiko Washio Inez Günther
Ryoko Yuuko Mizutani Ulrike Jenni

Veröffentlichung Bearbeiten

 
Die deutsche Fassung wurde erstmals 2007 bei Super RTL gezeigt.

Tonari no Totoro wurde von den Produzenten als großes finanzielles Risiko gesehen, da er von zwei normalen Mädchen und deren Abenteuer mit einem Waldgeist erzählt. Ob die Geschichte ausreichend Publikum finden würde, war unklar. Deshalb wurde der Film ab dem 16. April 1988 nur in Doppelvorstellungen mit dem zeitgleich bei Ghibli entstandenen Anime Die letzten Glühwürmchen gezeigt, der in Thema und Stimmung sehr gegensätzlich ist.[5] Dieser basierte auf einer bekannten literarischen Vorlage und war bereits von vielen Schulklassen gebucht worden, die nun ebenfalls Totoro als „Vorfilm“ zu sehen bekamen.[6] In manchen Kino lief Totoro stattdessen zusammen auf einem Ticket mit dem zu Die letzten Glühwürmchen thematisch ähnlichen Film Hakuki no Shōjo Ryuko.[5]

2001 erschien der Film in Japan auf DVD.[7] Es folgten Video-Veröffentlichungen in Korea, Taiwan und Hongkong sowie in den USA.[8] Die erste englische Fassung entstand 1989,[5] kam 1993 im Vertrieb von Troma in einige amerikanische Kinos[9][10] und wurde im gleichen Jahr von Fox Home Video veröffentlicht.[11] Außerdem liegen unter anderem französische, spanische, italienische, polnische, portugiesische und schwedische Sprachfassungen vor.

Die deutsche Synchronfassung wurde am 4. Mai 2007 erstmals bei Super RTL ausgestrahlt. Bei Universum Anime erschien der Film als deutschsprachige DVD am 17. September 2007 als limitierte Collector’s Edition, am 15. Oktober 2007 als normale Fassung sowie als Deluxe Edition.[2] Am 22. März 2013 folgte eine überarbeitete Fassung auf Blu-ray.[12]

Seit dem Anstieg des Bekanntheits- und Popularitätsgrades des Films in Japan gibt es auch zahlreiche Fanartikel (Merchandise) zu Totoro, unter anderem auch mechanische Spieluhren mit Melodien aus dem Film, vorwiegend die Hauptthemen aus Vor- und Abspann. Die Produkte waren nicht von Anfang an geplant, sondern entstanden in der Regel erst auf Wunsch der Fans hin und wurden ein anhaltender Verkaufserfolg.[5] Darüber hinaus gibt es eine deutlich größere Zahl nicht-lizenzierter Produkte, da das Studio die Nachfrage nicht decken kann.[13] Im Ghibli-Museum in Tokio ist ein 20 Minuten langer Spin-of-Kurzfilm zu sehen, den das Studio unter Miyazaki 2003 produzierte. Der Titel ist Mei to Koneko-basu („Mei und der Katzenbus“).[2]

Publikumserfolg und Auszeichnungen Bearbeiten

Entgegen anfänglichen Bedenken, ob der Film sein Publikum finden werde, erwies er sich als sehr erfolgreich. Die Beliebtheit des Films ließ über Jahrzehnte nicht nach und er gehört zu den Klassikern des Studio Ghibli.[2][5] Das Kino-Einspielergebnis in Japan betrug rund 1,1 Mio. US-Dollar.[14] Die 2001 in Japan erschienene DVD mit dem Film verkaufte sich bis 2010 über 1 Million Mal und zählte bis dahin stets zu den 300 meistverkauften DVDs in Japan.[7] Außerhalb Japans war der Film zunächst nicht überall erfolgreich. So kamen 1993 in den USA zu wenige Kinobesucher in den Film, um die Kosten des Vertriebs wieder einzuspielen.[10] Erst über die Jahre hinweg gewann der Film Fans und auch den Zuspruch von Kritikern.[15] 1988 erhielt der Film beim Mainichi Eiga Concours eine Auszeichnung in der Kategorie Bester Film. Im selben Jahr bekam er den Ōfuji-Noburō-Preis und einen Spezialpreis bei den Blue Ribbon Awards. Beim Kinema Jumpō 1989 wurde er ebenfalls in der Kategorie Bester Film und mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.

Kritiken Bearbeiten

Das British Film Institute führt den Film auf seiner, von Kritikern gewählten, Liste der besten Filme aller Zeiten. Mein Nachbar Totoro wird beschrieben als pastorales [=„seelsorgerisch“, aber auch „ländlich“] pantheistisches Kammerspiel mit einfachem, aber undurchschaubarem Erzählfluss. Es gäbe keinen Plot, sondern aufrührende Impressionen der Unschuld und der Entdeckungen. Der Film lasse einen über die Wunder der Natur, des Lebens, Verbindungen und Veränderung um uns staunen, unterstützt von den bezaubernden Klängen, die Joe Hisaishi komponierte.[15] Roger Ebert charakterisiert den Film als einen über eine Welt, in der wir leben sollten, nicht über die in der wir leben. Eine gütige Welt ohne jedes Böse, ohne Monster und ohne Dunkelheit. In der antiklimaktischen Inszenierung der kleinen Actionszenen oder wenn kurz Furcht in den Mädchen aufkommt, zeige Totoro deutlich die Unterschiede zum amerikanischen Animationsfilm. Auch meide Miyazaki ausgetretene Pfade der Kinder-Fantasy, wenn er die Erwachsenen die Fantasie der Kinder akzeptieren und sie nicht als Lügner bezichtigen lässt, die dann die Welt allein retten müssten. Auch andere Genre-Klischees, wie über einen dunklen, bedrohlichen Wald, meidet Miyazaki. Und die Krankheit der Mutter werde als Teil des Lebens behandelt, nicht als Tragödie, die in den Untergang führt. Und darüber hinaus sei der Film reich an menschlicher Komik, die aus der Beobachtung der bemerkenswert überzeugenden, lebensechten kleinen Mädchen entsteht.[16] Lauren Wilford schreibt in einem Vergleich zwischen Totoro und den amerikanischen Familienfilmen, dass Miyazaki seinen Film spürbar wirklich für Kinder geschaffen habe. Deren Perspektive werde in der Art des Erzählens, aber auch den Handlungen der beiden Protagonistinnen deutlich. Die Kinder seien nicht immer fröhlich, sondern zeigten auch viele andere Emotionen, doch all diese blieben auf der Ebene kleiner Kinder. Der Film ist nicht schrill und hat nur wenige, kleine Actionszenen, sondern erzählt mit wenig Plot vom realistischen Erleben und Erkunden der Welt durch die Kinder. In dieser werden sie nicht in ein Abenteuer hineingezogen, sondern sie schaffen sich eigene Abenteuer und Geschichten. Und wie eben eine solche Geschichte wirkt auch Mein Nachbar Totoro.[17]

Auch die Anime Encyclopedia nennt den Film sowohl einen für Miyazaki sehr persönlichen, da seine Mutter an der gleichen Krankheit litt, als auch Miyazakis besten Film und einen der besten Animes überhaupt. In Totoro betrachte man die Welt durch die unschuldigen Augen der Kinder, ein „erbaulicher Film über ungetrübte Hoffnung“.[5] Auch Fred Patten nennt den Film in seiner Liste der 13 erwähnenswerten Anime-Filme von 1985 bis 1999[18] und Patrick Drazen bezeichnet Totoro als „möglicherweise besten Kinderfilm, der je gemacht wurde“.[19] „Magisch, bezaubernd, herzerwärmend und wunderlich“, und „ein Lobgesang auf den verschwundene Lebensalltag auf dem japanischen Land“, so beschreibt der Anime Guide den Film, und als „ein Spaß und ein Vergnügen für Kinder allen Alters“.[11] Susan J. Napier fasst am Ende ihrer Filmanalyse zusammen, Miyazaki bediene sich für seine Botschaft seiner eigenen, „prächtigen bildlichen Vorstellungskraft zusammen mit subtiler Beschwörung der Psychologie und der Wahrnehmung der beiden Mädchen.“ Der Zuschauer begegne einer Welt, die womöglich zugleich von der Realität so entfremdet wie eine bezaubernde Erweiterung dieser ist.[20]

In Deutschland wurde der Film, schon unter dem Eindruck seines Status in Japan, sehr positiv von der Kritik aufgenommen. So schrieb filmstarts.de: „Mein Nachbar Totoro ist der japanische Kinderfilmklassiker schlechthin. Mit seiner geradlinigen Erzählweise, seiner gefühlvollen Schilderung der kindlichen Erlebniswelt und seinen herzerweichenden Figuren ist das Werk eine Ode an den Zauber der Natur und ein Hohes Lied auf die Fantasie. Ein Film, der mit seiner entwaffnenden Niedlichkeit generationsübergreifend zu begeistern versteht und die eigenen Kindheitstage wieder lebendig werden lässt.“[21] Bei Top-Videonews heißt es: „Sehr feinfühlig gelingt es Hayao Miyazaki in seinem Anime-Klassiker aus dem Jahr 1988, von den Ängsten zweier Kinder zu erzählen. Dabei verbindet er reale und fantastische Welten und lässt überdies japanische Traditionen einfließen, die auch jungen Zuschauern einen Eindruck von der Shinto-Religion und dem Landleben in Japan vermitteln. Vor allem aber besticht der Film durch das liebevolle Verhältnis der beiden unterschiedlich alten Geschwister.“[22] Die deutsche Zeitschrift AnimaniA schrieb 2002: „Wunderbare Animationen, herrliche Landschaftsbilder und ausgefeilte Charaktere: Schnell wurde Totoro [in Japan] zum gefeierten […] Miyazaki-Meisterwerk und verzauberte Jung und Alt gleichermaßen“. Der Film setze nicht auf Effekte, sondern konzentriere sich „auf die Story, die durch die liebevoll ausgearbeiteten Protagonisten in wundervollen Momentaufnahmen entscheidend geprägt wird“. Der Film habe, was viele „Zeichentrickfilme im Allgemeinen oftmals vermissen lassen: Nämlich Herz!“[6] Zur deutschen DVD-Veröffentlichung wurde der Anime ausführlich besprochen. Er zeige nicht nur einen freundlichen Waldgeist, den man sofort ins Herz schließe, sondern auch ein ländliches Japan der 1950er Jahre mit traditionellem Alltag, wie es schon die Japaner 1988 nicht mehr kannten. Die Geschichte von der Krankheit der Mutter habe auch eine sehr persönliche Note, da auch Miyazakis Mutter an Tuberkulose erkrankt war. Ob man die magischen Wesen als Flucht der Kinder vor der Krankheit der Mutter in eine Fantasie-Welt deutet oder nicht, werde dem Zuschauer überlassen und sei auch nachrangig. Vor allem beschwöre der Film „dieses besondere Gefühl von Sommer und Kindheit herauf“. Der Soundtrack sei unauffällig, aber passend. Die deutsche DVD habe eine gute Qualität und bilde trotz stellenweisem leichten Flimmern die „fantastische Animationsqualität mit ihren realistischen Farbtönen“ des Films gut ab. Die deutsche Synchronfassung sei allgemein auf hohem Niveau und treffe „atmosphärisch ins Schwarze“, einige Fehler in der Aussprache der Namen seien dadurch jedoch umso ärgerlicher.[2] Anlässlich der deutschen Blu-Ray-Veröffentlichung 2013 hebt die AnimaniA den Charakter des Films als Klassiker und „zeitloses Fantasy-Märchen“ in „zauberhaften“ Bildern hervor. Die Aufbereitung für Blu-Ray habe den Film optisch noch reizvoller gemacht.[12] Die Zeitschrift MangasZene zählt Totoro zu den besten Kinderfilmen, die je produziert wurden. Er komme ohne Antagonisten aus, nur mit der Angst der Kinder um die Mutter als Antrieb. Besonders erstaunlich sei „die vollkommene Abstinenz des Bösen“, das der Film gar nicht brauche. Stattdessen lade Miyazaki zum Entdecken ein. Der Zuschauer könne als Beobachter beiwohnen, wie die Geschichte ruhig erzählt werde in einem langsamen Rhythmus, der auch die Kleinsten nie überfordert und trotzdem nie langweilig wird. Gewarnt wird (noch vor der deutschen Veröffentlichung) vor der amerikanischen Fassung wegen „Vollbild und grauenvoller Amerikanisierung“.[8]

Nachwirkung Bearbeiten

 
Eoperipatus totoro

Ursprünglich wollte man im noch jungen Studio Ghibli auf Lizenzprodukte verzichten, um sich nicht wirtschaftlichem Einfluss auf die Filme auszusetzen und nicht den Blick auf die Filme durch billiges Spielzeug zu versperren. Die Vergabe einer Lizenz für Totoro-Kuscheltiere brachte dann so viel Geld ein, dass das Studio erstmals Rücklagen bilden und die Produktion zukünftiger Filme damit besser absichern konnte, sowie erstmals Zeichner fest anstellte und selbst ausbildete. Infolgedessen änderte sich die Firmenpolitik. Es folgten viele weitere Totoro-Merchandising-Produkte und derartige Verwertungen wurden bei den späteren Filmen üblich – jedoch im Eigenvertrieb des Studios und mit Entscheidungen über die Produkte erst nach Fertigstellung eines Films.[23] Die Silhouette Totoros wurde zum Markenzeichen und Studiologo, das auch in späteren Filmen eingeblendet wird.[2][5]

Für die Expo 2005 wurde das Haus der Familie aus dem Film auf dem Gelände der Weltausstellung nachgebaut.[2] Akira Kurosawa, der seinerseits von Miyazaki bewundert wird, bezeichnete die Figur des Katzenbusses als eine der schönsten Schöpfungen des Kinos.[24]

In mehreren japanischen und nichtjapanischen Filmen und Serien gibt es Reminiszenzen an den Film oder die Figur des Totoro. Zunächst in Filmen von Ghibli und Miyazaki selbst, die die Rußmännchen in Chihiros Reise ins Zauberland wieder auftreten ließen.[19] Auftritte in anderen Werken umfassen die Animeserie Kare Kano, in der die drei Totoros einen kurzen Auftritt in der Folge „Der Ferienanfang“ haben. In Toy Story 3 tritt ein Totoro in Form eines Plüschtieres auf. Folge 10 der 14. Staffel der US-amerikanischen Animationsserie South Park (Mysterion rises – Mysterion schlägt zurück) enthält Totoro-Zitate: Cartman (als Mei) und der Dunkle Lord Cthulhu (als Totoro) parodieren die Begegnungsszene zwischen Mei und Totoro. Auch erklingt eine Parodie der Titelmelodie von Totoro.[25] Auch die Themen des Films klangen danach in anderen Werken nach: ein vergehendes, traditionelles Leben gemischt mit der übernatürlichen Welt, das auf die Moderne trifft. Der Film, so die Anime Encyclopedia, trug dazu bei, eine modernisierte Form der alten Märchenerzählungen in das japanische Kino zurückzubringen.[5]

Zusammen mit dem Kinderbuchautor Tsugiko Kubo veröffentlichte Miyazaki, der die Illustration beitrug, eine Romanadaption des Stoffes im Jahr 2013. Diese enthält über die Handlung des Films hinaus einen Besuch von Familienangehörigen in Tokio, welcher nach der Rezensentin Juliet Morefield die Charakterentwicklung der Figuren unterstütze.[26]

Die Stummelfüßer-Art Eoperipatus totoro ist nach dem Film benannt, da ihre Körperform ihre Entdecker an den Katzenbus aus dem Film erinnerten.[27]

Hintergründe, Interpretationen und Einordnung Bearbeiten

 
Buswartehäuschen in Saiki mit Figuren von Satsuki, Mei und Totoro
 
Malerei am Buswartehäuschen: Die Buskatze, Totoro und Satsuki im Wipfel eines riesigen Baumes (Szene aus dem Film)

Figuren Bearbeiten

Ein Totoro ist ein freundliches Wesen, das nur von Kindern gesehen wird. Im Film kommen mehrere dieser Wesen vor: Ein kleiner weißer Totoro, der sich für kurze Zeit unsichtbar machen kann, und ein etwas größerer blauer Totoro sammeln Eicheln, als sie das erste Mal von Mei entdeckt werden. Mei verfolgt die beiden und findet den großen Totoro, der aussieht wie eine Mischung aus Eule, Hase, Katze und Waschbär[6] und der gerade ein Mittagsschläfchen hält. Der Name geht, so die Deutung vieler Kritiker, im Film auf ein Missverständnis Meis zurück. Sie fragt den großen Totoro nach seinem Namen und dieser antwortet mit „Tororo“ – der japanischen Schreibweise für „Troll“, von denen sie zuvor in einem Kinderbuch gelesen hat.[20][2][5] Dass Mei das Wesen mit dem (missverstandenen) Namen eines vorher existierenden Konzepts nennt, kann als Hinweis verstanden werden, dass Totoro das Produkt ihrer Fantasie ist.[20] Als Natur- und Waldgeister verfügen Totoros über besondere Fähigkeiten. Sie können beispielsweise durch ein Ritual Bäume wachsen lassen oder auf einem Kreisel balancierend fliegen. Ein weiteres Wesen von Bedeutung ist der zwölfbeinige Katzenbus, eine lebendige Mischung aus Bus und Katze, der seine Passagiere an jeden beliebigen Ort bringen kann. Sowohl Totoro als auch die anderen Wesen werden von Kritikern auch als Ersatz für die abwesende Mutter gedeutet, da sie die Kinder umarmen (oder wie der Katzenbus sogar umschließen) und Geborgenheit bieten.[20]

Statt der beiden Schwestern war ursprünglich nur ein Mädchen als Protagonistin geplant. Noch im fertigen Film haben die Namen der beiden die gleiche Bedeutung: Die kleine Schwester Mei als japanische Schreibweise des englischen Namens für den Mai (May) und die ältere Schwester Satsuki mit einem alten japanischen Namen für den fünften Monat.[2][19] Die Eigenschaften der ursprünglichen Protagonistin wurden aufgeteilt, Satsuki mit dem traditionelleren Namen ist zugleich diejenige, die bereits Verantwortung für das Haus und auch für ihre kleine Schwester übernimmt.[19] Susan Napier analysiert den Film auch vor dem Hintergrund von Miyazakis Bild des shōjo, der japanischen Idealvorstellung des jungen oder junggebliebenen Mädchens. Diese sind bei ihm immer die aktiven Heldinnen und erkunden in diesem Fall, trotz ihres jungen Alters, eigenständig das fremde Haus und dessen Umgebung. Sie sind mutig, neugierig, selbstbestimmt, aber dennoch weiblich und geben der klassischen fantastischen Geschichte so eine frische Note. Insbesondere Mei zeigt mit ihrer Dickköpfigkeit einen glaubwürdigen Charakter und gibt der Fantastik ein Stück Realismus. Sie ist es auch, die meist und als erste mit dem Übernatürlichen in Kontakt tritt. Dieses Übernatürliche tritt immer in Situationen der Einsamkeit, der Not oder Überforderung in die Geschichte. Aktiv auf Totoro zugehen, so Natsuko Hirashima, kann Satsuki erst am Ende der Geschichte, als sie in der Suche nach ihrer verschwundenen Schwester in größter Not ist. Das sieht unter anderem Yoshiyuki Shimizu als Hinweis darauf, dass die Wesen ein Produkt der Fantasie der Mädchen sind, die ihnen bei der Bewältigung psychisch herausfordernder Situationen hilft. Die kleinen Totoros, so Napier, könnten dann insbesondere in der Szene des nächtlichen Tanzes als Alter Egos der beiden Mädchen betrachtet werden.[20] Raz Greenberg beschreibt Satsuki als tragische Figur des Films: Während Mei so jung ist, dass sie die Probleme nicht begreift und sich in ihren fantastischen Abenteuern verlieren kann, versteht die Ältere die Gefahren für ihre Mutter und sorgt sich. Sie muss die Rolle der Mutter im Haushalt und Verantwortung für ihre kleine Schwester übernehmen. So wird Satsuki in die Welt der Erwachsenen hineingezogen und muss schnell erwachsen werden. Dabei zeigt sie viel Kraft, die ihr auch von den gemeinsamen fantastischen Abenteuern mit Mei und Totoro gegeben wird. Sie hat viel mehr Kontakt mit anderen Kindern als ihre kleine Schwester, vor denen sie sich dann manchmal für Meis Verhalten schämt. Die Designs zeigten deutlich die im Laufe des Films wachsende Distanz zwischen den Schwestern: Während Mei sich in Statur und Kleidung deutlich von den anderen unterscheidet, gar als einzig „echtes Kind“ erscheint, wirkt Satsuki eher wie eine kleine Erwachsene. Am Ende des Films wirkt es, als hätte Satsuki ihre Krise überwunden und Mei würde nun in die Phase geraten, in der ihre große Schwester zu Beginn stand.[28]

Einflüsse, Eigenschaften und Deutung der Welt des Films Bearbeiten

Die Mutter der beiden Kinder leidet, was im Film nicht explizit genannt wird, an Tuberkulose, woran auch die Mutter von Hayao Miyazaki selbst erkrankt war,[2][5] als er noch ein Kind war, weswegen er selbst mehrfach die Schule wechselte.[19] Das Shichikokuyama-Krankenhaus, in dem die Mutter im Film behandelt wird, existiert tatsächlich und war in den 1950er Jahren auf Tuberkulose-Erkrankungen spezialisiert.[2] Die Nachbarschaft, in der sich ihr neues Haus befindet, ist an Tokorozawa angelehnt. Die Krankheit und der mögliche Tod der Mutter dient in der Geschichte als Gegengewicht zu den reizenden, fantastischen Begegnungen der Mädchen, stellt sie doch eine der Urängste von Kindern dar.[19]

Miyazaki zeigt Japan in dem Film als ein Land, das tief in seiner Vergangenheit verwurzelt ist und in dem antike Schreine der Gegenwart trotzen. Die beiden Mädchen vollziehen mit den Totoros des Nachts, als sie das Wachstum der gesäten Bäume beschwören, ein ursprüngliches Fruchtbarkeitsritual. Darüber hinaus wird das Übernatürliche mit dem Alltäglichen verbunden, wie auch im späteren Ghibli-Film Kikis kleiner Lieferservice. Und wie in Prinzessin Mononoke werde kein Bösewicht gezeigt, der für Übel verantwortlich gemacht werden kann. Dies war Miyazaki ein besonderes Anliegen, da er wahrnahm, dass Kinder zunehmend vor den Fernseher gesetzt und von diesem „aufgezogen“ würden. Die in den meist gezeigten, konfliktbasierten Geschichten lehnte er ab und wollte dem etwas entgegensetzen.[5] Stattdessen, so Susan J. Napier, werde wie bei Kiki die psychologische Entwicklung und Auseinandersetzung der Mädchen mit der neuen Situation des Umzugs und der Krankheit der Mutter in den Mittelpunkt gerückt.[20]

Susan Napier verweist auf die stark idealisierte Darstellung der 1950er Jahre, die vor allem als fantastischer Raum zur Flucht, Freude und Hoffnung diene. Der zutiefst nostalgische Film sei die Suche nach einer eingebildeten persönlichen Vergangenheit.[29] Während positive Seiten der japanischen Vergangenheit gezeigt werden, hat der Krieg oder die Industrialisierung scheinbar nie stattgefunden.[19] Der große Kampferbaum, „König des Waldes“ genannt, in Nachbarschaft des neuen Hauses, ist nicht nur Wohnort von Totoro. Er wird von den Menschen im Ort nach Tradition des Shintō als Naturgottheit verehrt, ist mit einem Shimenawa geschmückt und hat einen kleinen Schrein. Dazu kommen viele weitere Verweise auf die japanische Religion, wie die vielen Schreine am Wegesrand, und japanische Erzählungen. So vergleicht Satsuki Meis Warten auf das Aufgehen der Saat mit einer Krabbe aus einer alten Legende. Auch japanische Bräuche werden deutlich, wenn Satsuki beim ersten Betreten des alten Hauses zwar nicht die Schuhe auszieht, aber stattdessen auf ihren Knien läuft.[19] Der Umgang mit den Geistern, die beim Reinigen des Hauses verschwinden wie bei einer rituellen Waschung, verweist ebenso auf Praktiken des Shintō.[13] Der Tanz der beiden Schwestern mit Totoro im Garten, der die Samen keimen lässt, ist ebenfalls deutlich als an religiöse Rituale angelehnt zu erkennen.[30] Neben Verweisen auf japanische Mythen zeigt der Film auch Ähnlichkeiten zu Alice im Wunderland, besonders wenn Mei dem kleinen Totoro folgt, durch die Wurzelhöhlen des Waldes kriecht und damit in die fantastische Welt eintaucht. Doch gibt es erhebliche Unterschiede, so Susan Napier. Mei wird nicht mit absurden oder gar gefährlichen Begegnungen konfrontiert, sondern dem harmlosen Waldgeist. Und als sie ihrer Familie von der Begegnung erzählt, wird diese Erfahrung akzeptiert. Anders als bei Alice, wo das Wunderland von der Realität abgetrennt wird, ist das Übernatürliche hier ganz selbstverständlicher Teil des Alltags. Auch dass Totoro (fast) stumm ist, steht im Gegensatz zu Alice oder anderen sprechenden Tieren in der westlichen Fantastik. Und der fast stumme Totoro trägt zur ruhigen, feinsinnigen Erzählung bei, da die Mädchen so ihre Interpretationen auf ihn projizieren können und die Begegnung mit dem Übernatürlichen so unter ihrer Kontrolle bleibt.[20]

Einordnung in Genres und Miyazakis Werk Bearbeiten

Laut Raz Greenberg zeigten sich in dem Film sehr deutlich Einflüsse und Anleihen aus Miyazakis früheren Werken, insbesondere Serien des World Masterpiece Theater. Ähnlich wie diese feiere Totoro die Freuden der Kindheit, so zeige die Eröffnungssequenz mit den das neue Zuhause erkundenden Mädchen große Ähnlichkeit mit dem Beginn von Heidi, in dem das Mädchen seine neue Heimat erkundet. Auch in der ausführlichen Darstellung natürlicher Landschaften und Natur ähneln sich die Serien. Die Gestalt des Totoro und dessen Name verweisen auf Panda! Kopanda! und Mumins – letzteres besonders, da es um Trolle geht. An Panda! erinnere auch, wie Satsukis Bewusstsein für das Vergehen der Zeit verdeutlicht wird, wenn sie in ihren Briefen an ihre Mutter auf die vergangenen Tage, Wochen und Monate und den Wechsel der Jahreszeiten eingeht. Die Flugszenen wiederum seien durch Miyazakis Arbeit an der Verfilmung von Little Nemo - Abenteuer im Schlummerland inspiriert. Zugleich sei Totoro viel persönlicher als frühere Werke, insbesondere in Gestalt der wie in Miyazakis Kindheit auch von Tod bedrohten Mutter. Das Schicksal von Waisen oder die Bedrohung, die Eltern zu verlieren, kam aber auch in früheren Serien schon vor, so in Marco von 1976. Bei Totoro kommt es den persönlichen Erfahrungen Miyazakis nun besonders nahe.[28]

Thomas Lamarre ordnet den Film in das Werk Miyazakis ein: Im Gegensatz zu den übrigen, an eher erwachsenes Publikum gerichteten Filmen, sind Totoro und Kikis kleiner Lieferservice die beiden Filme, mit denen sich Miyazaki vor allem an kleine Kinder richtet. In ihnen geht es mal nicht um große Abenteuer in fantastischen Welten, sondern um den kleinen Alltag. Die Freude am Fliegen und Flugobjekte sind wie in allen Filmen Miyazakis ein wichtiger Teil, aber das sonst meist behandelte, konfliktreiche Wechselspiel von Technik, Mensch und Natur tritt in den Hintergrund. In diesem Fall sind die Flugobjekte die übernatürlichen Wesen Totoro und der Katzenbus, die erneut eine von Miyazaki bevorzugte „knollige“ Form annehmen. Und wie in vielen seiner Filme meide Totoro eine genaue zeitliche und soziokulturelle Zuordnung. Zwar finde die Handlung in den 1950er Jahren statt, doch die bestimmende Titelfigur verweise als Shintō-Geist weit in die japanische Vergangenheit und zugleich auf die Darstellung von Trollen in modernen Kinderbüchern.[31] Der Handlungsort nahe Tokio, so Susan Napier, sei eine Ausnahme in Miyazakis Schaffen, der seine Geschichten sonst in unbestimmten, europäisch aussehenden Fantasy-Welten spielen lasse.[29] Eine auch in diesem Film wiederkehrende Konstante sei dagegen die herausragende Stellung von Bäumen und Wäldern in Miyazakis Geschichten. Und der nächtliche Flug mit Totoro, mit dem Fliegen als bei Miyazaki stets entscheidendem Element, sei von besonderer Bedeutung: Die Szene zeige den kindlichen Sinn für die Allmacht, die ihnen ihre Fantasie oder die Begegnung mit dem Übernatürlichen verleiht und mit der sie ihre Ängste und Sorgen überwinden können.[20] Doch es werde nicht nur der wilde Wald gezeigt, so Raz Greenberg, sondern auch Gärten und Felder, sodass der Eindruck einer Koexistenz von Natur und Mensch entstehe.[28]

Die Erzählung im alltäglichen Setting reiht sich auch in eine Strömung im japanischen Anime, die eben solche Alltagssituationen in ihren Mittelpunkt rückt, damit eine entspannte Unterhaltung und zugleich Flucht aus dem stressigen, modernen Alltag in eine ländliche Vergangenheit bietet.[32] Susan Napier ordnet den Film in die „echte“ Fantastik nach Tzvetan Todorov ein, in der die Grenze zwischen Realität und Übernatürlichem unklar bleibt. Es wird nicht aufgelöst, ob es den Totoro wirklich gibt, oder ob er nur ein Produkt der Fantasie der beiden Mädchen ist. Unabhängig davon hilft die Begegnung mit dem Fantastischen den beiden Kindern, die psychologische Belastung zu bewältigen. Ob es nur ihre Fantasie ist oder die echte Fähigkeit, mit dem Übernatürlichen in Verbindung zu treten, es wird in jedem Fall als Zeichen von Stärke und mentaler Gesundheit dargestellt. Dabei hilft die Fokussierung auf die Perspektive der Kinder. Die Erwachsenen sind nur Nebenfiguren und sind ihnen in Not auch keine Hilfe – nur die übernatürlichen Wesen beziehungsweise ihre eigene (Einbildungs-)Kraft helfen ihnen. Im Fokus läge auch ein Widerhall der Kindheit, so Helen McCarthy: Auf dieser Ebene haben auch die kleinsten Ereignisse große Auswirkungen [auf uns als Kinder] gehabt. Dies, so Napier, führe zurück zum Bild des shōjo, das als noch-nicht-Erwachsener und als nicht-Mann sehen könne, was die anderen nicht sehen könnten. Sie sähen die Welt mit frischem, klarem Blick. Die zentrale Botschaft des Films sei laut Napier, dass Magie – oder die Macht der menschlichen Vorstellungskraft – in Einklang mit der Welt und den Mysterien der Natur bestehen können. Und dass man, um mit ihnen in Kontakt zu treten, nicht nur Mut, Ausdauer und eigene Vorstellungskraft aufbringen muss, sondern auch die Bereitschaft, Schwäche und Verletzlichkeit zu zeigen. Gerade dies sei die Stärke von shōjo-Figuren, wie Miyazaki sie zeigt.[20]

Literatur Bearbeiten

  • Dani Cavallaro: The Animé Art of Hayao Miyazaki. McFarland & Company, Jefferson, North Carolina/London 2006. ISBN 9780786451296
  • Dani Cavallaro: Hayao Miyazaki’s World Picture. McFarland & Company, Jefferson, North Carolina/London, 2015. ISBN 978-0786496471
  • Kunio Hara: Joe Hisaishi’s Soundtrack for My Neighbor Totoro. Bloomsbury Academic, New York u. a. 2020. ISBN 9781501345142

Weblinks Bearbeiten

Commons: Mein Nachbar Totoro – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Satsuki and Mei's House. In: Expo2005.or.jp. Abgerufen am 16. Januar 2022 (englisch).
  2. a b c d e f g h i j k l AnimaniA 10/2007, S. 22–24, 30.
  3. Joe Hisaishi – My Neighbour Totoro (Original Soundtrack). In: Discogs. Abgerufen am 16. März 2024 (englisch).
  4. Mein Nachbar Totoro. In: synchronkartei.de. Deutsche Synchronkartei, abgerufen am 1. Juni 2016.
  5. a b c d e f g h i j k Jonathan Clements, Helen McCarthy: The Anime Encyclopedia. Revised & Expanded Edition. Stone Bridge Press, Berkeley 2006, ISBN 978-1-933330-10-5, S. 193, 236, 436 f. (englisch).
  6. a b c AnimaniA 5/2002, S. 37.
  7. a b AnimaniA 08–09/2010, S. 44.
  8. a b MangasZene Nr. 15, S. 22.
  9. Fred Patten: Japan's Anime. In: Watching Anime, Reading Manga – 25 Years of Essays and Reviews. Stone Bridge Press, Berkeley 2004, S. 275.
  10. a b Fred Patten: Vampire Hunter D: The Next Anime Hit in America? In: Watching Anime, Reading Manga – 25 Years of Essays and Reviews. Stone Bridge Press, Berkeley 2004, S. 341.
  11. a b Trish Ledoux und Doug Ranney: The Complete Anime Guide, S. 1, 73, 130. Tiger Mountain Press, Issaquah (Washington), 1995
  12. a b AnimaniA 04–05/2013, S. 20.
  13. a b Zoe Crombie: The Spectacular Mundane in the Films of Studio Ghibli. In: Journal of Anime and Manga Studies. Band 2, 2021, ISSN 2689-2596, S. 3, 18 (illinois.edu).
  14. My Neighbor Totoro (2017) - Box Office Mojo. Abgerufen am 31. Juli 2019.
  15. a b My Neighbour Totoro (1988). In: British Film Institute. Abgerufen am 28. Dezember 2023 (englisch).
  16. Roger Ebert: My Neighbor Totoro movie review (1993) | Roger Ebert. Abgerufen am 28. Dezember 2023 (englisch).
  17. The Editors: Bright Wall/Dark Room March 2017: "Towards a True Children’s Cinema: On 'My Neighbor Totoro'" by Lauren Wilford | Features | Roger Ebert. Abgerufen am 28. Dezember 2023 (englisch).
  18. Fred Patten: The Thirteen Top Developments in Anime, 1985-99. In: Watching Anime, Reading Manga – 25 Years of Essays and Reviews. Stone Bridge Press, Berkeley 2004, S. 125.
  19. a b c d e f g h Patrick Drazen: Anime Explosion! - The What? Why? & Wow! of Japanese Animation S. 185, 255, 163–165. Stone Bridge Press, 2002.
  20. a b c d e f g h i Susan J. Napier: Anime from Akira to Princess Mononoke: Experiencing Contemporary Japanese Animation. Palgrave 2001. S. 123, 125, 126–132; Fußnoten 12, 13.
  21. Ulf Lepelmeier: Mein Nachbar Totoro. In: Filmstarts. Abgerufen am 16. März 2024.
  22. Mein Nachbar Totoro. In: Top-Videonews. Kinder- und Jugendfilmzentrum im Auftrag des BMFSFJ, archiviert vom Original; abgerufen am 14. Dezember 2013.
  23. Julia Nieder: Südwind aus Fernost – Die Filme des Studio Ghibli. In: Deutsches Filminstitut – DIF / Deutsches Filmmuseum & Museum für angewandte Kunst (Hrsg.): ga-netchû! Das Manga Anime Syndrom. Henschel Verlag, 2008. S. 102, 104. ISBN 978-3-89487-607-4.
  24. Helen McCarthy: Drawing on the Past. In: Sight & Sound. Volume 24, Nr. 6. BFI, Juni 2014, ISSN 0037-4806, S. 26 („His respect for Kurosawa Akira is well documented, and was returned: Kurosawa regarded Miyazaki’s Catbus character in My Neighbour Totoro as one of the finest creations in cinema.“).
  25. The Totoro Legacy. Abgerufen am 16. Juni 2017 ("…a loving recreation of the scene where little Mei meets King Totoro, substituting the horrible Cartman and the terrible Cthulhu.").
  26. Juliet Morefield: My Neighbor Totoro: The Novel. In: School Library Journal. 60, Nr. 2 2014, S. 93–94.
  27. Gwen Pearson: A Velvet Worm Named for Totoro. In: Wired. ISSN 1059-1028 (wired.com [abgerufen am 16. März 2024]).
  28. a b c Raz Greenberg: Hayao Miyazaki: Exploring the Early Work of Japan’s Greatest Animator. Bloomsbury Publishing, 2018, S. 117–121.
  29. a b Susan J. Napier: Anime from Akira to Princess Mononoke: Experiencing Contemporary Japanese Animation. Palgrave 2001. S. 181.
  30. Kaitlyn M. Ugoretz: Drawing on Shintō?: Interpretations of the Religious and Spiritual in Miyazaki’s Anime. Department of East Asian Languages and Cultural Studies University of California, Santa Barbara 2018, S. 14.
  31. Thomas Lamarre: The Anime Machine. A Media Theory of Animation. University of Minnesota Press, Minneapolis 2009, ISBN 978-0-8166-5154-2, S. 55, 61, 95 f.
  32. Jonathan Clements: Anime – A History. Palgrave Macmillan 2013. S. 201. ISBN 978-1-84457-390-5.