Kontiguität (Wahrscheinlichkeitstheorie)

Eigenschaft von Maßen in der Wahrscheinlichkeitstheorie

In der Wahrscheinlichkeitstheorie werden zwei Folgen von Wahrscheinlichkeitsmaßen als benachbart oder englisch contiguous bezeichnet, wenn sie asymptotisch denselben Träger haben. Somit erweitert der Begriff der Kontiguität (auch Benachbartheit oder englisch contiguity) den Begriff der absoluten Stetigkeit von Maßen.[1]

Das Konzept wurde ursprünglich von Lucien Le Cam 1960 im Rahmen seiner Beiträge zur abstrakten asymptotischen Wahrscheinlichkeitstheorie eingeführt.[2]

Motivation Bearbeiten

Der Satz von Radon-Nikodým verallgemeinert die Ableitung einer Funktion auf Maße:

Für ein σ-endliches Maß   auf dem Messraum   und ein σ-endliches signiertes Maß  , das absolut stetig bezüglich   ist ( ), existiert eine messbare Funktion  , so dass

  für alle   gilt.

In der asymptotischen Wahrscheinlichkeitstheorie werden statt konstanten Maßen (  und  ) Folgen von Wahrscheinlichkeitsmaßen   und   untersucht. Um den obigen Satz für zwei Folgen von Wahrscheinlichkeitsmaßen zu definieren, muss der Begriff der absoluten Stetigkeit mit dem Konzept der Kontiguität für diese Folgen verallgemeinert werden.

Man nennt ein Maß   bezüglich   absolut stetig (in Symbolen  ), falls für jede messbare Menge  ,   impliziert, dass   gilt. Während absolute Stetigkeit fordert, dass der Träger eines Maßes   im Träger eines weiteren Maßes   enthalten ist, ersetzt die Kontiguität diese Anforderung mit einer asymptotischen Version: Der Träger von   ist für große   im Träger von   enthalten.

Definition Bearbeiten

Es sei   eine Folge von Messräumen, jeweils mit zwei Wahrscheinlichkeitsmaßen   und   ausgestattet.

  • Die Folge   heißt benachbart zu   (in Symbolen  ), falls für jede Folge   von messbaren Mengen,   impliziert, dass  .
  • Die Folgen   und   heißen wechselseitig benachbart oder englisch bi-contiguous (in Symbolen  ), falls   benachbart zu   und   benachbart zu  .[3]

Eigenschaften Bearbeiten

  • Im Fall   für alle   gilt:  .[4]
  • Es ist möglich, dass   für alle   gilt, ohne dass   ist.[5]

Le Cams erstes Lemma Bearbeiten

Für zwei Folgen von Wahrscheinlichkeitsmaßen   auf den Messräumen   sind folgende Aussagen equivalent:[6][7][8]

  •  
  •  
  •  
  •   für alle Teststatistiken  

wobei   und   Zufallsvariablen auf den Wahrscheinlichkeitsräumen   sind.

Die Notation   bezeichnet die Konvergenz in Verteilung.

Le Cams drittes Lemma Bearbeiten

Das dritte Lemma von Le Cam ist eine Version des Satzes von Radon-Nikodým, in dem die absolute Stetigkeit durch Kontiguität ersetzt wird. Es wird wie folgt formuliert:[9]

Theorem

Sei   mit den zwei Folgen von Wahrscheinlichkeitsmaßen   auf den Messräumen   und   eine Folge von Zufallsvektoren und es gelte  .
Dann definiert   ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf   mit   für jede messbare Funktion   und es gilt  .

Für die Konvergenz gegen die mehrdimensionale Normalverteilung folgt daraus folgendes Korollar:

Korollar

Seien   Folgen von Wahrscheinlichkeitsmaßen auf den Messräumen  , und sei   eine Folge von Zufallsvektoren und es gelte
 
Dann gilt:  .

Anwendungen Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Wolfowitz J. (1974) Review of the book: "Contiguity of Probability Measures: Some Applications in Statistics. by George G. Roussas", Journal of the American Statistical Association, 69, 278–279 jstor
  2. Aad van der Vaart: The statistical work of Lucien Le Cam. In: The Annals of Statistics. Band 30, Nr. 3, 1. Juni 2002, ISSN 0090-5364, doi:10.1214/aos/1028674836 (projecteuclid.org [abgerufen am 1. Mai 2021]).
  3. van der Vaart (1998, S. 87)
  4. Reiß, Bemerkung 4.35
  5. Bartlett, S. 12
  6. Gutti Jogesh Babu und Bing Li: A Revisit to Le Cam’s First Lemma. In: The Indian Journal of Statistics. Pennsylvania State University, 26. Februar 2020, abgerufen am 10. Januar 2022.
  7. Reiß, Lemma 4.36
  8. Lucien M. Le Cam: Asymptotic methods in statistical decision theory. Springer-Verlag, New York 1986, ISBN 0-387-96307-3 (OCLC=13457116 [abgerufen am 1. Mai 2021]).
  9. Bartlett, S. 20
  10. Bas Werker: Advanced topics in Financial Econometrics. (PDF; 478 kB) Archiviert vom Original am 30. April 2006; abgerufen am 4. März 2024 (englisch).

Weblinks Bearbeiten