Jean Yoyotte

französischer Ägyptologe

Jean Yoyotte (* 4. August 1927 in Lyon; † 1. Juli 2009 in Paris) war ein französischer Ägyptologe.

Jean Yoyotte 2003 in Paris

Werdegang Bearbeiten

Während seiner Schulzeit am Lycée Henri IV schloss er Freundschaft mit Serge Sauneron, dem späteren Direktor des Institut français d’archéologie orientale. Bereits mit 15 Jahren besuchte er bei Jacques Vandier einen Kurs an der École du Louvre. Mit 16 Jahren wurde er Schüler an der École pratique des hautes études bei Georges Posener. Mit 22 Jahren forschte er am Centre national de la recherche scientifique. Die Jahre 1952 bis 1956 verbrachte er am Institut français d’archéologie orientale in Kairo. 1964 wurde er zum Forschungsdirektor für altägyptische Religion an der École pratique des hautes études ernannt und leitete zwischen 1965 und 1985 die französischen Ausgrabungen in Tanis im östlichen Nildelta. 1987 organisierte er eine große Ausstellung zu den Ausgrabungen in Tanis im Grand Palais in Paris. 1992 wurde er auf den Lehrstuhl für Ägyptologie am Collège de France berufen, den er bis zum Jahre 2000 innehatte.

Bedeutung Bearbeiten

Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse seiner Laufbahn erzielte Yoyotte in den Jahren 1969 bis 1976, als das bis dahin von ihm untersuchte Grabungsgelände in Tanis durch die ägyptischen Behörden gesperrt worden war.[1] In dieser Zeit war an eine Wiederaufnahme der dortigen Grabungsarbeiten nicht zu denken. Daher hatte sich Yoyotte nach Luxor begeben und erforschte einen Priesterstammbaum, dessen Genealogie in der Zeit Takelot III. (764–757 v. Chr.) in das Dach des Chons Tempels zu Karnak gesetzt worden war.[2] Diese Priesterannalen waren zwar bereits lange Zeit zuvor durch Lepsius entdeckt worden, doch Ernst Weidenbach konnte diese Inschrift schon damals nur mit Mühe lesen und zeichnete ihren Text nur sehr lückenhaft ab.[3] Erst als sich Georges Daressy während seines Aufenthaltes in Luxor dieser Inschrift widmete und einen Abklatsch auf Papier anfertigte, konnte der Text dieser Annalen gehoben und ihr Inhalt in wesentlichen Zügen publiziert werden.[4] Im Mittelpunkt des Interesses stand seither die in dieser Inschrift genannte „königliche Mutter Mehetenweskhet“ und „ihr Sohn Osorkon“ der Ältere.[5]

Auch Flinders Petrie hatte sich daraufhin nach Karnak begeben und bestätigte seinerzeit die Lesart von Daressy, wonach dieser bislang unbekannte Pharao Osorkon der Ältere ein Sohn der königlichen Mutter Mehetenweskhet und Zeitgenosse des Mencheperre (1045–992 v. Chr.) gewesen sei und damit also der XXI. Dynastie angehörte.[6] Dieser nahm zudem an, dass die memphitische Pasenhor-Stele in Hinblick auf diesen Pharao insofern fehlerhaft sei, als sie ihn nicht als Sohn der Mehetenweshkhet nennt, sondern erst zwei Generationen später verzeichnet.[7] Breasted folgte ihm darin und nahm mit Flinders Petrie an, dass die Pasenhor-Stele in Bezug auf Osorkon, den Sohn der königlichen Mutter Mehetenweskhet, fehlerhaft sein dürfte.[8] Doch obwohl sich die führenden Ägyptologen jener Zeit für eine Anerkennung Osorkon des Älteren als ein Pharao der 21. Dynastie aussprachen, wurde dies andernorts mit der Begründung verworfen, dass es sich bei dem in den Priesterannalen zu Karnak genannten Pharao in Wirklichkeit um Psusennes I., oder aber eine wenig bekannte Schreibung Osorkon I. handeln würde. Erst als Eric Young 1963 feststellte, dass es sich bei dem im Priesterstammbaum genannten Sohn der Mehetenweskhet nicht um den Pharao Psusennes I. handeln könne, weil dieser einen anderen Thronnamen gehabt habe, war die langjährige Ablehnung eines in der 21. Dynastie regierenden Pharaos mit Namen Osorkon obsolet geworden.[9]

Als Jean Yoyotte im Jahre 1969 dann nicht gestattet wurde, das Grabungsgelände in Tanis zu betreten, entschloss er sich vor diesem Hintergrund kurzerhand nach Luxor zu reisen und die bis dahin noch immer offene Frage der Identität Osorkon des Älteren nun endgültig zu klären.[10] Yoyotte wies in seiner Untersuchung nach, dass Osorkon der Ältere als Sohn der königlichen Mutter Mehetenweskhet der Nachfolger des Pharao Amenemope (996–985 v. Chr.) und Vorgänger des Siamun (978–959 v. Chr.) gewesen sein wird.[11] Dieser Befund wurde zunächst einmal von Kitchen,[12] sowie dann von Bonhême,[13] Kruchten[14] und Jansen-Winkeln[15] anerkannt und inhaltlich näher ausgeführt. Daher ist Yoyotte als derjenige Ägyptologe zu bezeichnen, welchem mit Osorkon dem Älteren der signifikante Nachweis eines vergessenen Pharaonen der 21. Dynastie gelang.[16] Krauss datiert die Herrschaftszeit Osorkon des Älteren in die Jahre 992-987 vor Christi[17] und Ritner eröffnete sein Werk über die 21. Dynastie der Dritten Zwischenzeit mit jenem Priesterstammbaum im Dach des Chonstempels zu Karnak, wobei er die Leistung von Yoyotte ausdrücklich hervorhob.[18] Schneider forderte, dass die bisher übliche Abfolge der Könige Osorkon nunmehr „neu durchzunummerieren“ sei,[19] was angesichts der umfangreichen Rezeption der Ergebnisse Yoyottes vollauf berechtigt ist.

Zum zweiten ist es höchst beachtenswert, dass sich Yoyotte zeit seines Lebens der Suche nach der versunkenen Stadt Thonis widmete und diese vom Beginn seiner Forschungen an mit der späteren, ebenfalls versunkenen Stadt Herakleion gleichsetzte.[20] Im Rahmen seiner Quellenstudien hatte er erkannt, dass sich die versunkene Stadt Thonis dereinst in der Mündung des Kanopus, etwa 70 km flussabwärts von Naukratis, befunden haben muss.[21] Als ihn der Unterwasserarchäologe Franck Goddio hinsichtlich der 1996 begonnenen Ausgrabungen in der Bucht von Abukir daher um seine fachliche Expertise bat, sagte Yoyotte sofort zu.[22] Anhand der Inschrift einer am 24. April 2001 geborgenen Stele aus dem Jahr 2 des Pharao Nektanebos I. (380–362 v. Chr.) gelang ihm die eindeutige Identifizierung der von Goddio in der Bucht entdeckten Stadt Thonis mit Herakleion.[23][24][25] Hierin liegt sein Verdienst. Die von Yoyotte herausgegebenen Ausstellungskataloge zu den von Montet entdeckten Kunstschätzen, sowie seine inhaltlichen Beiträge zu den von Goddio entdeckten Artefakten und Kunstschätzen, zählen zu den schönsten und interessantesten der französischsprachigen Ägyptologie ihrer Zeit.

Veröffentlichungen (Auswahl) Bearbeiten

  • mit Georges Posener, Serge Sauneron: Dictionnaire de la civilisation égyptienne: par Georges Posener, en collaboration avec Serge Sauneron et Jean Yoyotte. Hazan, Paris 1959.
    • deutsch: Knaurs Lexikon der ägyptischen Kultur. Knaur, München 1960.
  • mit Serge Sauneron: La naissance du monde selon l’Égypte ancienne. In: La Naissance du Monde. Du Seuil, Paris 1959.
    • deutsch: Ägyptische Schöpfungsmythen. In: Mircea Eliade (Vorwort): Die Schöpfungsmythen. Benzinger, Zürich 1964/ Patmos, Düsseldorf 2002, ISBN 3-491-96063-0, S. 37–99.
  • mit Maurice Babey: Les trésors des pharaons. Les hautes époques - Le nouvel empire - Les basses époques. Skira, Genève 1968.
  • mit Béatrice Abbo: Tanis l’or des pharaons. [Exposition] Paris, Galeries nationales du Grand Palais, 26 mars - 20 juillet 1987, Marseille, Centre de la Vieille Charité, 19 septembre - 30 novembre 1987. Association franc̣aise d'action artistique, Paris 1987, ISBN 2-86545-057-0.
  • mit Pascal Vernus: Dictionnaire des pharaons. Éditions Noêsis, Paris 1992, ISBN 2-911606-08-6.
  • mit Pascal Vernus: Bestiaire des pharaons. Agnès Viénot Éditions / Éditions Perrin, Paris 2005, ISBN 2-262-02233-X.
  • mit Camille Montet-Beaucour: Pierre Montet, Lettres de Tanis, 1939-1940: La découverte des trésors royaux. Éditions du Rocher, Monaco 1998, ISBN 2-268-02884-4.

Literatur Bearbeiten

  • Nicolas Grimal: Jean Yoyotte 1927-2009 Chair of Egyptology 1991-1997. In: The Letter of the Collège de France. Band 2009–2010, Nr. 5, S. 49–50 (Digitalisat).

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Christiane Zivie-Coche: Nécrologie. Jean Yoyotte (1927-2009). In: Annuaire de l'École Pratique des Hautes Études. section des Sciences religieuses (2008–2009), Band 117, Paris 2010, S. XXI-XXVII ([1]).
  2. Jean Yoyotte: Osorkon, fils de Mehytouskhé: Un pharaon oublié? In: Bulletin de la Société Franc̣aise d'Égyptologie. Nummern 77–78, Paris 1976 / 1977, S. 39–54 (Volltext als PDF).
  3. Karl Richard Lepsius: Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien. Abtheilung III, Band VIII: Denkmäler des Neuen Reiches. Berlin 1850, Blatt 243–304, Blatt 258 c (Volltext als PDF).
  4. Georges Daressy: Inscriptiones inédites de la XXIIe Dynastie. In: Recueil de Traveaux relatifs à la Philologie et à l'Archéologie égyptiennes et assyriennes. Band XVIII, Paris 1896, S. 51–52 (Online).
  5. Jean Yoyotte: Osorkon, fils de Mehytouskhé: Un pharaon oublie? In: Bulletin de la Société Franc̣aise d'Égyptologie. Nummern 77–78, Paris 1976 / 1977, S. 42–51.
  6. William Matthew Flinders Petrie: History of Egypt, Vol. 3, From the XIXth to the XXXth Dynasties. Methuen & Co. London 1905, S. 244–246.
  7. William Matthew Flinders Petrie: Notes on the later Egyptian Dynasties. In: Proceedings of the Society of Biblical Archaeology. Band XXVI, The Offices of the Society, London 1904, S. 284.
  8. James Henry Breasted: Ancient Records of Egypt, Historical Documents, Vol. IV, The Twentieth to the Twenty-Sixth Dynasties. Chicago 1906, § 787 und 792, S. 395 und 399.
  9. Eric Young: Some Notes on the Chronology and Genealogy of the Twenty-First Dynasty. In: Journal of the American Research Center in Egypt. Band 2, New York 1963, S. 99–112.
  10. Christiane Zivie-Coche: Nécrologie. Jean Yoyotte (1927-2009). In: Annuaire de l'Ècole Pratique des Hautes Études. Section des Sciences religieuses (2008-2009). Band 117, Paris 2010, S. XXI-XXVII.
  11. Jean Yoyotte: Osorkon, fils de Mehytouskhé: Un pharaon oublié? In: Bulletin de la Société Franc̣aise d'Égyptologie. Nummern 77–78, Paris 1976 / 1977, S. 46–49.
  12. Kenneth Anderson Kitchen: The Third Intermediate period in Egypt: 1100-650 BC. Aris & Phillips, Warminster 1986, ISBN 0-85668-298-5, §§ 6 u. §§ 69 u. §§ 230–232, S. 88–94 u. S. 272–275 (Digitalisat.).
  13. Marie-Ange Bonhême: Les noms royaux dans l'Egypte de la Troisième Période Intermédiaire. Le Caire 1987, ISBN 2-7247-0045-7, S. 83–87.
  14. Jean-Marie Kruchten, Thierry Zimmer: Les annales des prêtres de Karnak, XXIe à XXIIIe dynasties et autres textes contemporains relatifs à l'initiation des prètres d'Amon. In: Orientalia Lovaniensia Analecta. Band 32, Leuven 1989, ISBN 90-6831-170-0, S. 45–48.
  15. Karl Jansen-Winkeln: Der Beginn der Libyschen Herrschaft in Ägypten. In: Biblische Notizen. Nr. 71, Herder, Freiburg / Basel / Wien 1994, S. 79–80 (Volltext als PDF).
  16. Karl Jansen-Winkeln: Relative Chronology of Dyn. 21. In: Erik Hornung, Rolf Krauss, David A. Warburton: Ancient Egyptian Chronology. (= Handbook of Oriental Studies. Band 83) Leiden 2006, ISBN 90-04-11385-1, S. 219–220 (Volltext als PDF).
  17. Rolf Krauss: Lunar Dates - Recorded Lunar Dates from Dyn. 5 to Dyn. 22. In: Erik Hornung, Rolf Krauss, David A. Warburton: Ancient Egyptian Chronology (= Handbook of Oriental Studies. Band 83). Leiden 2006, ISBN 90-04-11385-1, S. 412–414 und S. 493.
  18. Robert K. Ritner: The Libyan Anarchy: Inscriptions from Egypt's Third Intermediate Period. Society of Biblical Literature, Atlanta 2009, ISBN 1-58983-174-8, S. 11–16 (eingeschränkte Buchvorschau bei Google-books).
  19. Thomas Schneider: Lexikon der Pharaonen: die altägyptischen Könige von der Frühzeit bis zur Römerherrschaft. Artemis & Winkler, Zürich 1997 / Patmos, Düsseldorf 2002, ISBN 3-491-96053-3, S. 184.
  20. Jean Yoyotte: Notes de Toponymie Égyptienne. In: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo. Band 16, 1958, S. 423–430 (= Festschrift zum 80. Geburtstag von Hermann Junker, Teil II; Volltext als PDF).
  21. Jean Yoyotte: Les contacts entre Égyptiens et Grecs (VIIe-IIe siècles avant J.C.): Naucratis, ville égyptienne. In: Annuaire du Collège de France 1993-1994. Jahrgang 94, Paris 1994, S. 679–692, sowie: Jean Yoyotte: Les principautés du Delta au temps de l’anarchie libyenne. In: Ministère de L’Éducation Nationale: Mélanges Maspero. Abteilung 1: Orient ancien. Faszikel 4 (= Mémoires publiés par les membres de l’Institut français d’archéologie orientale. Band 61). Institut français d’archéologie orientale, Kairo 1961, S. 121–181, hier S. 147–159 (online).
  22. Sophie Lalbat, Institut Européen d'Archéologie Sous Marine (IEASM): Mitteilung vom 8. September 2023.
  23. Jean Yoyotte: Le second affichage du décret de l'an 2 de Nekhetnebef et la découverte de Thonis Heracléion. In: Égypte, Afrique et Orient. Nr. 24, Avignon 2001, S. 24–34.
  24. Jean Yoyotte: Stèle de Thonis-Hérakléion. In: Franck Goddio, David Fabre: Trésors engloutis d'Égypte: exposition présentée au Grand Palais à Paris du 9 décembre 2006 au 16 mars 2007, Exhibition catalogue. Seuil, Paris 2006, ISBN 2-02-091265-1, S. 218–219.
  25. Jean Yoyotte: Ein außergewöhnliches Zwillingspaar - Zwei Stelen des Pharao Nektanebos I. In: Franck Goddio, Manfred Clauss, Christoph Gerigk: Ägyptens versunkene Schätze. Ausstellung vom 13. Mai - 04. September 2006 im Martin-Gropius-Bau Berlin. Prestel, München 2006, ISBN 3-7913-3544-8, S. 278–282.