Ibn Yamin (arabisch ابن يمين, DMG Ibn Yamīn ‚Sohn des Glücklichen‘, vollständiger Name arabisch-persisch امير فخرالدين محمود بن امير يمين الدين طغرائى مستوفى بيهقى فريومدى, DMG Amīr Faḫr ad-Dīn Maḥmūd bin Amīr Yamīn ad-Dīn Ṭuġrā’ī-i Mastūfī-i Bayhaqī-i Faryūmadī, geboren um 1286/87 in Faryūmad, heutige iranische Provinz Semnān; gestorben um 1368 ebenda) war ein persischer Dichter der späten Īlchān- und beginnenden Timuriden-Zeit.

Leben Bearbeiten

Aus Ibn Yamins Leben ist nicht allzu viel bekannt. Man weiß um die regionalen Machtverhältnisse seiner Zeit und einige Lebensdaten. Wesentliche Auskünfte über sein Leben und seine Persönlichkeit stammen von Ibn Yamin selbst, da er autobiografische Elemente in das Vorwort zu seinem Dīwān sowie in die Gedichte selbst eingearbeitet hatte. Spätere Biografen bezogen sich darauf und erstellten das Bild seiner Persönlichkeit.

Er wurde in dem kleinen Ort Faryūmad in West-Chorasan in eine Familie des Landadels hinein geboren, wo sein abenteuerreiches Leben seinen Ausgang nahm. Zu jener Zeit begannen die Machtkämpfe zwischen den Kartiden und den Sarbedaran, in die er schließlich verwickelt wurde und die ihn an mehrere Fürstenhöfe führten, darunter nach Herat, dem Sitz des Kartidenfürsten. Dort verrichtete er als hoher Staatsbeamter für Finanzen seinen Dienst. Gegen Ende seines Lebens kehrte er in seinen Geburtsort Faryūmad zurück, wo er verstarb.[1]

Werk Bearbeiten

Ibn Yamins Ur-Handschrift ging nach eigener Aussage im Zusammenhang mit der Schlacht zwischen Malik Mu‘izz ad-Dīn Ḥusain aus dem Haus der Kart und Waǧīh ad-Dīn Mas‘ūd, dem Anführer der Sarbedaran, um 1342 verloren.[2] Alle noch vorhandenen Handschriften sind deshalb aus einer zweiten von ihm verfassten Zusammenstellung, jenem Dīwān, entnommen.[3]

Sein Stil, der die persische Dichtung der Chorasanischen Schule widerspiegelte, aber auch prägte, war nicht nur aufgrund vielfältiger allgemeiner Einflüsse, sondern auch durch die von ihm vorgenommene Einteilung in bestimmte Kategorien gekennzeichnet. Er gilt noch heute als Meister der Qiṭ‘a (von arabisch قطعة ‚Stück, Fragment‘), einer der Ghasele verwandten Gedichtform[4] mit philosophischer, ethischer oder auch meditativer Grundausrichtung,[5] in der Ibn Yamin seine eigenen Erfahrungen verarbeitete. Außerdem umfasst sein Dīwān viele kleinere Formen, darunter Rätselgedichte (persisch چيستان, DMG čīstān), Sinngedichte, Chronogramme und vielerlei Gelegenheits- und Gedenkgedichte. Hinzu kommen über hundert kurze mulamma‘ (arabisch مُلَمَّع ‚blinkend‘, persisch auch „Gedicht mit Versen aus verschiedenen Sprachen“)[6] genannte zweisprachige Kurzgedichte auf Arabisch und Persisch, aber auch arabische Gedichte mit deren persischen Übersetzungen in Versform.

Dies ist zum Teil auf den Einfluss der Irakischen Schule zurückzuführen, über die vielschichtige syntaktische Formen sowie ein auserlesener Gebrauch arabischer Begriffe in der persischen Dichtkunst einhergingen. Zusätzlich zu den bereits vorhandenen Themen und Motiven, wie sie in Oden (arabisch قصيدة, DMG qaṣīda) und Liebesgedichten verwendet wurden, beschäftigte sich Ibn Yamin in seinen Versen mit dem Thema Fleiß und Streben der Menschen. Dabei warnte er auch vor Maßlosigkeit aller Art, indem er die Vergänglichkeit der Zeit sowie die Gebrechlichkeit des hohen Alters, den Tod und das Leben im Jenseits im Blick hatte.

Berühmte Zitate (Auswahl) Bearbeiten

آنکس که بداند و بخواهد که بداند
خود را به بلندای سعادت برساند
ān-kas ke bedānad-o beḫwāhad ke bedānad
ḫod-rā be bolandā-ye sa‘ādat beresānad[7]
Wenn jemand weiß und will, dass er weiß,
Trägt er sich selbst in die Höhe des Glücks.
آنکس که بداند و بداند که بداند
اسب شرف از گنبد گردون بجهاند
ān-kas ke bedānad-o bedānad ke bedānad
asb-e šaraf az gonbad-e gardūn beǧahānad
Wenn jemand weiß und weiß, dass er weiß,
Galoppiert [ihm] das Ross der Ehre vom Himmel [entgegen].[8]
آنکس که بداند و نداند که بداند
با کوزهٔ آب است ولی تشنه بماند
ān-kas ke bedānad-o nadānad ke bedānad
bā kūze-ye āb ast walī tešne bemānad
Wenn jemand weiß und nicht weiß, dass er weiß,
Ist sein Krug voller Wasser, doch bleibt er voll Durst.
آنکس که نداند و بداند که نداند
لنگان خرک خویش به مقصد برساند
ān-kas ke nadānad-o bedānad ke nadānad
langān-e ḫarak-e ḫwīš be maqṣad beresānad
Wenn jemand nicht weiß und weiß, dass er nicht weiß,
Bringt er sich hinkend mit Krücken zum Ziel.[9]
آنکس که نداند و بخواهد که بداند
جان و تن خود را ز جهالت برهاند
ān-kas ke nadānad-o beḫwāhad ke bedānad
ǧān-o tan-e ḫod-rā ze ǧahālat berahānad
Wenn jemand nicht weiß und will, dass er weiß,
Rettet er sein Dasein[10] vor Unwissenheit.
آنکس که نداند و نداند که نداند
در جهل مرکب ابدالدهر بماند
ān-kas ke nadānad-o nadānad ke nadānad
dar ǧahl-e morakkab-e abado'd-dahr bemānad
Wenn jemand nicht weiß und nicht weiß, dass er nicht weiß,
Bleibt er in grober Unwissenheit für alle Zeit.[11]
آنکس که نداند و نخواهد که بداند
حیف است چنین جانوری زنده بماند
ān-kas ke nadānad-o naḫwāhad ke bedānad
ḥeyf ast čenīn ǧānwar-ī zende bemānad
Wenn jemand nicht weiß und nicht will, dass er weiß,
Ist’s schade, wenn solch ein Wesen am Leben bleibt.[12]

Rezeption im Westen Bearbeiten

Maria von Ottokar übersetzte eine Auswahl von Gedichten Ibn Yamins ins Deutsche und versah sie mit einem Vorwort, in dem auch sein Leben kurz skizziert wird: Ibn Jamin's Bruchstücke aus dem Persischen, Wien 1852. Ebenso übersetzte E. H. Rodwell hundert Qiṭ‘a-Gedichte aus einer Lithografie-Ausgabe, die 1865 in Kalkutta erschien, ins Englische: Ibn Yamin. Short Poems, London 1922.

Literatur Bearbeiten

  • Mīr ʿAbd-al-Razzāq Ḵvāfī: Bahārestān-e soḫan (بهارستان سخن, ‚Der Frühling des Wortes‘), Madras 1958.
  • Āftāb Rāy Lakhnavī: Riyāż al-ʿārefīn (رياض العارفين ‚Die Gärten der Mystiker‘), ed. S. Ḥ. Rāšedī, 2 vols., Rawalpindi 1976.
  • Dawlatšāh, Hrsg. Browne.
  • Brown: Lit. Hist. Persia III.
  • Ebn Yamīn Faryūmadī: Dīwān-e ašʿār (ديوان اشعار, ‚Der Dīwān der Gedichte‘), Hrsg. Ḥ.-‘A. Bāstānī Rād, Teheran 1965.
  • Faṣīḥ Aḥmad b. Maḥmūd Ḵvāfī: Moǧmal-e faṣīḥī (مجمل فصيحى, ‚Zusammenfassung in hocharabischer Sprache‘), Hrsg. M. Farroḵ, 3 Bde., Maschhad 1960–62.
  • Reżāqolī Khan Hedāyat: Maǧma‘ al-foṣaḥā’ (مجمع الفصحاء ‚Sammlung der arabischen Sprachgelehrten‘), 2 Bde., Teheran 1960.
  • M.-J. Maḥjūb: Sabk-e ḫorāsānī dar še‘r-e fārsī (سبك خراسانى در شعر فارسى, ‚Der chorasanische Stil im persischen Gedicht‘), Teheran 1971.
  • Rypka: Hist. Iran. Lit. Ṣafā: Adabīyāt (ادبيات, ‚Literatur‘) III, ʿA-Ḥ. Zarrīnkūb: Bā kārwān-e ḥolle (با كاروان حله, ‚Mit der Karawane der Gewänder‘), 5. Ausgabe, Teheran 1983.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. Vgl. Browne, S. 215 f.; Ṣafā, S. 952 ff.; Zarrīnkūb, S. 229 ff.
  2. Dīwān, S. 3 f.
  3. Dīwān, S. 5.
  4. Vgl. Browne, S. 216; Rypka, S. 261; Ṣafā, S. 906.
  5. Vgl. Rypka, S. 95 f.
  6. Vgl. Wehr: Arabisches Wörterbuch, Wiesbaden 1968, S. 783; Junker/Alavi: Persisch-deutsches Wörterbuch, Leipzig/Teheran 1970, S. 760.
  7. Umschriften nach DMG in aktueller Vokalisation.
  8. Bedeutung: Das „Ross der Ehre“ weilt in der Kuppel des Himmels [der Ehre] und kommt nun von dort zu ihm auf die Erde. Es handelt sich um ein Wortspiel mit dem persischen Verb جهانيدن, DMG ǧahānīdan, ‚[durch die Welt] galoppieren‘, in dem auch der Begriff „Welt“ (جهان, DMG ǧahān) enthalten ist.
  9. Der persische Begriff خرك, DMG ḫarak hat mehrere Bedeutungen, darunter „Eselchen“, „Steg (Musikinstrument)“, „Bock (über den man springt)“, „Stelzen“ (vgl. Junker/Alavi: Persisch-deutsches Wörterbuch, Leipzig/Teheran 1970, S. 271). Es handelt sich demzufolge darum, dass einer sein eigentliches Ziel zwar erreicht, aber mit Hindernissen verschiedener Art.
  10. Wörtlich: „Seele und Körper“.
  11. Vgl. Junker/Alavi: Persisch-deutsches Wörterbuch, Leipzig/Teheran 1970, S. 708.
  12. Sämtliche Aussprüche sind im Original in einer konjunktivisch-konditionalen Form gehalten.

Weblinks Bearbeiten