Girolamo Civran

venezianischer Übersetzer

Girolamo Civran (* Ende 15. Jahrhundert in Modon; † 1550 in Venedig) war von 1534 bis zu seinem Tod der erste offizielle Übersetzer griechischer und türkischer Texte ins Venezianische und vice versa, den die Republik Venedig aufzubieten hatte. Ihm folgte als zweiter Inhaber des nunmehr formalisierten Amtes eines Staatsübersetzers (dragomanno, Tolmetsch) Michele Membrè im Amt.

Leben Bearbeiten

Civran gehörte einer Familie von Venezianern an, die als Kolonisten in den Südwesten Griechenlands gelangt waren. Als die Osmanen im Jahr 1500 Modon eroberten, geriet er in Gefangenschaft, in der er Türkisch lernte. Nach seiner Freilassung kam er nach Venedig, wo er als Sekretär der Kanzlei arbeitete.

Ab 1515 erscheint er als Übersetzer für Griechisch und Türkisch bei Verhandlungen mit offiziellen Vertretern des Osmanenreiches. Zwischen 1524 und 1531 war er in Dalmatien tätig, insbesondere bei Grenzverhandlungen zwischen venezianischen und osmanischen Statthaltern. Als 1533 Yunus Bey, der osmanische Groß-Dragoman, unter Übersetzung Civrans mit dem Dogen Andrea Gritti sprach, verstand er jedes Wort, denn er war ja selbst Übersetzer für die venezianische Sprache an der Pforte.[1]

Trotz des weitgespannten Handelsnetzwerks, das Civran neben seinen diplomatischen Kontakten unterhielt, nennt sein Testament vom 8. Januar 1548[2] nur eine einzige Person mit kolonialem Hintergrund, nämlich Paolo de Signa, einen Priester aus Koron (unweit von Modon gelegen), der inzwischen als Kaplan an der Kirche San Zaccaria wirkte.[3] Daneben erscheinen in seinem Testament neben seiner Ehefrau Semaritana und ihren Kindern (dazu erwähnt er einen unehelichen Sohn namens Michele), ein Kollege in der Kanzlei und ein Ordensbruder von der Kirche San Zanipolo.

Civran hatte mindestens drei Söhne. Michele wurde 1541 nach Konstantinopel gesandt, um dort Türkisch zu lernen. Sein Sohn Donato war als Diplomat 1561 im Osmanenreich tätig, hinzu kam ein Sohn namens Giovanni. Außerdem hatte er eine Tochter, die als Nonne im Kloster San Rocco e Santa Margherita lebte.[4]

Civran durfte sich aus einem Grund, der unter den Zeitgenossen wohlbekannt war, nicht mehr im Osmanischen Reich aufhalten. Jedoch ist dieser Grund nicht überliefert; möglicherweise war er während seiner Gefangenschaft zum Islam konvertiert und sogar Muezzin gewesen („talismano“). Dies könnte der Grund dafür sein, dass sein Sohn Donato später zurückberufen wurde, denn er hätte gezwungen werden können, als Sohn eines Muslims gleichfalls zu konvertieren.[5]

Es gelang Civran zu erreichen, dass Kontrakte mit Osmanen nur in seiner Anwesenheit geschlossen werden durften. So hatte er die Aufgabe, die Vertrauenswürdigkeit eines türkischen Händlers zuerst festzustellen. Dazu dienten vor allem Fragen nach dem Freundes- und Bekanntenkreis, die Aussagen oder die Anwesenheit von vertrauenswürdigen Landsmännern, aber auch Gerüchte.[6]

Quellen Bearbeiten

  • Marin Sanudo: Diarii 1969, 58 Bände, F. Visentini, Venedig 1879–1903, Facsimile-Ausgabe, Sala Bolognese: Arnaldo Forni 1969, 25:52 (26) (28. Oktober 1517); 26:249 (133) (10. Dezember 1518); 29:425 (257) (28. November 1520).
  • Maria Pia Pedani Fabris, Alessio Bombaci: Inventory of the Lettere e Scritture Turchesche in the Venetian State Archives, Brill, Leiden/Boston 2010, S. 12.

Literatur Bearbeiten

  • E. Natalie Rothman: Brokering Empire. Trans-Imperial Subjects between Venice and Istanbul, Cornell University Press, Ithaka/London 2012, S. 169, 171 f. (Kapitel Making Venetian Dragomans, S. 165–186), 190, 192
  • Pauline Guéna: Entre Venise et l'Empre ottoman : administrer le contact en Méditerranée (1453–1517), Diss., Sorbonne, Paris 2019, S. 313 (Le premier des dragomans publics : Girolamo Civran et sa mère).
  • Mary Frances Neff: Chancellery Secretaries in Venetian Politics and Society. 1480–1533, University Microfilms International, PhD diss., University of California, Los Angeles, 1985, S. 595.
  • Gianroberto Scarcia: Presentazione, in: Giorgio R. Cardona (Hrsg.): Relazione di Persia (1542) by Michele Membré, Neapel 1969, S. XI–LXX, hier: S. LXIII.

Anmerkungen Bearbeiten

  1. E. Natalie Rothman: Brokering Empire. Trans-Imperial Subjects between Venice and Istanbul, Cornell University Press, Ithaka/London 2012, S. 169.
  2. Staatsarchiv Venedig, Notarile, Testamenti, busta 1209, fasc. 539, 8. Januar 1547 (more veneto).
  3. E. Natalie Rothman: Brokering Empire. Trans-Imperial Subjects between Venice and Istanbul, Cornell University Press, Ithaka/London 2012, S. 171 f.
  4. Maria Pia Pedani: The Interpreter Michele Membrè’s Life in Venice, in: Georg Christ, Franz-Julius Morche: Cultures of Empire. Rethinking Venetian Rule, 1400–1700. Essays in Honour of Benjamin Arbel, Brill, 2020, S. 383–413, hier: S. 397, Anm. 71.
  5. Maria Pia Pedani: The Interpreter Michele Membrè’s Life in Venice, in: Georg Christ, Franz-Julius Morche: Cultures of Empire. Rethinking Venetian Rule, 1400–1700. Essays in Honour of Benjamin Arbel, Brill, 2020, S. 383–413, hier: S. 397, Anm. 71.
  6. Maria Pia Pedani: The Ottoman-Venetian Border (15th-18th Centuries), Università Caʼ Foscari, Venedig 2017, S. 119 (übersetzt von Mariateresa Sala) (Digitalisat von Kap. 7, PDF).