Freie abelsche Gruppe

Begriff der Mathematik

In der Mathematik ist eine freie abelsche Gruppe eine abelsche Gruppe, die als -Modul eine Basis hat.

Im Gegensatz zu Vektorräumen hat nicht jede abelsche Gruppe eine Basis, deshalb gibt es den spezielleren Begriff der freien abelschen Gruppe.

Man beachte, dass eine freie abelsche Gruppe nicht dasselbe ist wie eine freie Gruppe, die abelsch ist. In der Tat sind die meisten freien Gruppen nichtabelsch, und die meisten freien abelschen Gruppen sind keine freien Gruppen: Eine freie abelsche Gruppe ist genau dann auch eine freie Gruppe, wenn ihr Rang höchstens ist. Zur Vermeidung von Missverständnissen verwenden manche Autoren daher auch die Bezeichnung frei abelsche Gruppe, in der die Bezeichnung frei abelsch als ein einzelnes Attribut aufgefasst wird.

Definition Bearbeiten

Die abelsche Gruppe   heißt frei über  , wenn   eine Basis des  -Moduls   ist. Dies bedeutet, dass sich jedes Element von   auf genau eine Weise als  -Linearkombination über   darstellen lässt.

Hierbei ist eine  -Linearkombination über   eine Summe der Form   von Elementen aus   mit ganzzahligen Koeffizienten  . Ist die Menge   unendlich, so fordert man hier zusätzlich, dass nur endliche viele der Koeffizienten   von null verschieden sein dürfen, damit die Summe einen Sinn hat.

Die Elemente der von   erzeugten freien abelschen Gruppe werden auch als formale Summen von Elementen aus   bezeichnet. Beispielsweise werden in der Definition der singulären Homologie die formalen Summen singulärer Simplizes oder in der Definition der Bloch-Gruppe die formalen Summen komplexer Zahlen verwendet.

Alternative Definitionen Bearbeiten

Die Bedingung, dass die abelsche Gruppe   frei über   ist, lässt sich in zwei Teile gliedern:

  •   ist ein Erzeugendensystem für die Gruppe  , das heißt, jedes Element von   ist eine  -Linearkombination über  .
  •   ist frei, das heißt, das neutrale Element   kann nur auf die triviale Weise als  -Linearkombination über   dargestellt werden.

Jede abelsche Gruppe ist auf natürliche Weise ein  -Modul. Freie abelsche Gruppen sind daher nichts anderes als freie Moduln über  .

Universelle Eigenschaft Bearbeiten

Eine abelsche Gruppe   ist genau dann frei abelsch mit Basis  , wenn sie folgende universelle Eigenschaft hat: Ist   eine beliebige Abbildung der Menge   in eine abelsche Gruppe  , dann gibt es genau einen Gruppenhomomorphismus  , der   fortsetzt, also   für alle   erfüllt.

Diese universelle Abbildungseigenschaft ist zu obiger Definition äquivalent. Jede der beiden Charakterisierungen kann also als Definition freier abelscher Gruppen verwendet werden. Die jeweils andere Charakterisierung ist dann eine Folgerung.

Beispiele Bearbeiten

Die Gruppe   der ganzen Zahlen ist frei abelsch mit Basis  .

Das kartesische Produkt   mit komponentenweiser Addition ist frei abelsch mit Basis  .

Allgemein ist   frei abelsch mit Basis   wobei   der  -te Einheitsvektor ist.

Die Menge   der Folgen ganzer Zahlen, die nur endlich viele von 0 verschiedene Komponenten haben, ist mit der komponentenweisen Addition eine freie abelsche Gruppe; eine Basis bilden die kanonischen Einheitsvektoren  .

Hingegen ist die Menge   aller Folgen ganzer Zahlen mit der komponentenweisen Addition zwar eine abelsche Gruppe, aber nicht frei abelsch.

Endliche abelsche Gruppen (außer der einelementigen Gruppe) sind keine freien abelschen Gruppen.

Jede freie abelsche Gruppe ist torsionsfrei, aber umgekehrt ist nicht jede torsionsfreie abelsche Gruppe auch frei abelsch. Zum Beispiel ist   nicht frei abelsch.

Konstruktion Bearbeiten

Zu jeder Menge   kann eine freie abelsche Gruppe mit Basis   wie folgt konstruiert werden: Wir betrachten die Menge   aller Funktionen   der Menge   in die Gruppe   der ganzen Zahlen, die nur an endlich vielen Stellen von   verschiedene Werte annehmen. Diese Menge ist eine abelsche Gruppe mit der punktweisen Addition. Wir identifizieren jedes Element   mit seiner charakteristischen Funktion, also mit jener Funktion  , die an der Stelle   den Wert   annimmt und sonst den Wert  . Dann ist   frei abelsch mit Basis  .

Die freie abelsche Gruppe über der Menge   ist in folgendem Sinne eindeutig: Sind   und   zwei freie abelsche Gruppen mit Basis  , dann sind sie kanonisch isomorph, das heißt, es gibt genau einen Isomorphismus   mit   für alle  . Diese Eindeutigkeit erlaubt es, von der freien abelschen Gruppe mit Basis   zu sprechen.

Rang Bearbeiten

Ist eine abelsche Gruppe   sowohl frei über   als auch frei über  , dann haben die Mengen   und   dieselbe Mächtigkeit. Diese heißt Rang der freien abelschen Gruppe  . Nach obiger Konstruktion gibt es für jede Mächtigkeit   bis auf Isomorphie genau eine freie abelsche Gruppe vom Rang  .

Um zu beweisen, dass der Rang eindeutig bestimmt ist, kann man auf verschiedene Arten vorgehen. Für eine freie abelsche Gruppe   über einer Menge   endlicher Mächtigkeit   gelingt dies besonders einfach: Aufgrund der universellen Abbildungseigenschaft von   besteht die Menge   aller Gruppenhomomorphismen in die zyklische Gruppe   aus genau   Elementen. Damit ist   durch die Gruppe   eindeutig festgelegt.

Allgemein kann der Rang einer freien abelschen Gruppe   definiert werden als die Dimension des Vektorraums   über einem Körper   (üblicherweise  ). Diese Dimension ist eindeutig durch die Gruppe   bestimmt. Diese Definition kann auch benutzt werden, um allen abelschen Gruppen (ob frei oder nicht) einen Rang zuzuweisen, siehe Rang einer abelschen Gruppe.

Basiswechsel und Automorphismen Bearbeiten

Eine freie abelsche Gruppe   vom Rang   hat unendlich viele Basen. Jeder Automorphismus   sendet eine Basis   auf eine neue Basis  . Umgekehrt existiert zu je zwei solchen Basen   und   genau ein Automorphismus  . Da jede frei abelsche Gruppe   vom Rang   zu   isomorph ist, ist die Automorphismengruppe   zur linearen Gruppe   isomorph. Das deutet bereits an: Selbst wenn die freien abelschen Gruppen selbst sehr leicht zu verstehen sind, so sind doch ihre Automorphismengruppen hochgradig kompliziert und interessant.

Gruppenhomomorphismen und Matrizen Bearbeiten

Freie abelsche Gruppen haben viele angenehme Eigenschaften, ähnlich wie Vektorräume und/oder allgemein freie Moduln. Zum Beispiel lässt sich jeder Gruppenhomomorphismus   zwischen frei abelschen Gruppen endlichen Rangs als Matrix über   darstellen. Hierzu sei   eine Basis von   und   eine Basis von  . Das Bild   in   schreibt sich eindeutig als   mit Koeffizienten  . Das Zahlenschema   mit   und   bildet eine  -Matrix. Umgekehrt entspricht jeder Matrix auf diese Weise genau ein Gruppenhomomorphismus. Für Addition und Multiplikation von Matrizen gelten die üblichen Rechenregeln, und diese entsprechen der Addition und Komposition von Homomorphismen. Dies führt zu sehr effizienten Darstellungen und Berechnungsmethoden.

Untergruppen Bearbeiten

In einer frei abelschen Gruppe   ist jede Untergruppe   frei abelsch. Dies ist keineswegs selbstverständlich und gilt nicht allgemein für Moduln über Ringen. (Über dem Polynomring   zum Beispiel ist   ein freier Modul mit Basis  , aber der Untermodul   ist nicht frei.)

Zudem ist der Rang einer Untergruppe   einer frei abelschen Gruppe   stets kleiner oder gleich dem Rang der gesamten Gruppe  . Dies ist nicht selbstverständlich und gilt nicht für freie Gruppen. (Zum Beispiel enthält die freie Gruppe vom Rang   Untergruppen von jedem Rang  .)

Die Untergruppen einer frei abelschen Gruppe   vom Rang   lassen sich wie folgt klassifizieren. Jede Untergruppe   hat Rang   mit  , und es gibt eine Basis   von   und ganze Zahlen   sodass   eine Basis von   ist. Dies lässt sich mit Hilfe des Gauß’schen Algorithmus für ganzzahlige Matrizen beweisen.

Anwendung auf endlich erzeugte abelsche Gruppen Bearbeiten

Freie abelsche Gruppen spielen eine wichtige Rolle bei der Klassifikation endlich erzeugter abelscher Gruppen. Jede endlich erzeugte abelsche Gruppe   ist das homomorphe Bild einer freien abelschen Gruppe, also eines Epimorphismus  . Der Kern ist wieder eine freie abelsche Gruppe und es gibt eine Basis   von   und ganze Zahlen   sodass   eine Basis von   ist. Aus dieser Darstellung erhält man unmittelbar einen Gruppenisomorphismus  .

Literatur Bearbeiten