Diskussion:Schlacht von Kyzikos

Letzter Kommentar: vor 13 Jahren von Borsanova in Abschnitt Xenophon oder Diodor?

Xenophon oder Diodor? Bearbeiten

Danke für die Ergänzungen. Der Schluss Bleckmanns, dass Diodor bzw. Theopompos die Darstellung Xenophons fiktiv angereichert habe, ist völlig unhaltbar, da der Bericht Diodors bis in kleinste Details mit den örtlichen Gegebenheiten vor Kyzikos übereinstimmt, während Xenophon (und in geringerem Maße Plutarch) eine weitgehende Unkenntnis des Operationsgebiets an den Tag legen. Meiner Meinung nach stimmt Diodor sogar besser mit den Örtlichkeiten überein, als ihm selbst bewusst war. Eine fiktive Ergänzung hätte dieses Wunder an zusätzlicher überprüfbarer Information niemals bewirken können. Etwas besser ist Lazenby, obwohl er bei der Landschlacht komplett den Faden verliert und nicht weiß, dass die Landtruppen immer parallel zur Flotte vorrückten.--Borsanova 17:43, 27. Sep. 2010 (CEST)Beantworten

Es geht Bleckmann mehr um die allgemeine Grundtendenz. Diodor selbst kannte das Gebiet auch nicht, sondern er verarbeitete ja nur seine Quellen. Einen Grundstock der Informationen übernahm er aus einer Grundquelle (ob das nun wirklich Theopompos war, sei dahingestellt) - und deren Darstellung ist nicht in allen Details vereinbar. Da mochten zutreffende geographische Berichte vorhanden sein, aber die Darstellung der Geschehnisse beruht nach Bleckmann nicht vorrangig auf den tatsächlichen Ereignissen. Bleckmann führt das relativ breit aus. Man muss ihm nicht zustimmen, aber ignorieren sollte man ihn auch keinesfalls, zumal er in der Regel sehr gute Quellenkritik betreibt. --Benowar 18:00, 27. Sep. 2010 (CEST)Beantworten

Ich stimme völlig überein, dass Diodor das Gebiet nicht kannte. Genau deshalb sind die Übereinstimmungen so frappierend. Ich will sie hier kurz erläutern:
1. Er erwähnt, dass die Athener am Morgen nach Prokonnesos Chaireas auf dem Gebiet von Kyzikos an Land setzten, damit er die Stadt angreift (XIII 49,6). Ein Blick auf die Karte zeigt, dass dies entsprechend den Regeln der antiken Kriegskunst ein paralleles Vorgehen von Flotte und Heer ermöglichte, sofern man unter Gebiet von Kyzikos die Halbinsel Arktonnesos versteht. Lazenby, der die spätere Landschlacht komplett von West nach Ost spiegelt, scheint dagegen zu glauben, dass Chaireas in Phrygien abgesetzt wurde. Das ist natürlich Unsinn, denn es widersprach nicht nur den Regeln der Kriegskunst, sondern es hätte eine enorme Ruderleistung verlangt (das vor der Schlacht!) und es hätte Chaireas völlig isoliert in gefährliche Nähe zu Pharnabazos gebracht. Wenn sie dagegen, wie anzunehmen, auf Arktonnesos abgesetzt wurden, dann war der Hafen von Artake der am besten geeignete Ort. Natürlich könnten sie auch gleich an der Nordwestspitze der Halbinsel gelandet sein. Dann hätten sie aber einen sehr weiten Weg vor sich gehabt. Es heißt jedoch, sie wurden abgesetzt, um die Stadt anzugreifen.
2. Von besonderer Bedeutung ist der Befehl des Thrasybul (Diodor XIII 50,7), der von Diodor bar jeder Logik begründet wird. Im Prinzip heißt es: Da er sah, dass Alkibiades und die Athener schwer bedrängt wurden, gab Thrasybul Theramenes den Befehl, zu Chaireas zu stoßen und dann zu Hilfe zu eilen. Daraus wird ersichtlich, dass Diodor keine Ahnung hatte, wo Chaireas sich zu diesem Zeitpunkt befand. Die Logik sagt uns jedoch ganz genau, wo er sich nur befinden konnte, nämlich in oder vor Kyzikos. Das bedeutet aber, dass Theramenes zurückrudern und sich vom Ort der Landschlacht entfernen musste, ein völlig widersinniger Befehl, sofern nicht ein gültiges Motiv vorlag. Dieses Motiv waren die Schwierigkeiten des Chaireas in Kyzikos, vermutlich bei der Überwindung des Kanals, dessen Existenz anscheinend alle drei antiken Autoren ignorierten oder zumindest nicht in den Zusammenhang der Schlacht stellten. Sofern es der Kanal war, der Chaireas daran hinderte, das Schlachtfeld zu erreichen, waren die Schiffe des Theramenes das geeignete Mittel, dieses Hindernis zu überwinden.
3. Unter der Annahme, dass Chaireas und Theramenes den Ort der Schlacht von Nordosten erreichten, erscheint die Reihenfolge der folgenden Kampfhandlungen bei Diodor völlig korrekt. Die Hopliten des Chaireas rollten die feindliche Linie von der östlichen Flanke her auf: zuerst die persischen Söldner, dann Klearchos und zuletzt Mindaros (51,4f).
4. Nach der Schlacht fuhren die Athener zu der Insel Polydoros, um zwei Siegesmale zu errichten (51,7). Dieses Inselchen liegt noch heute vor dem Vorgebirge von Artake nicht allzu weit gegenüber dem Ort der Landschlacht. Xenophon und Plutarch kennen sie überhaupt nicht. Xenophon schreibt stattdessen, dass sie nach Prokonnesos zurückfuhren, um am nächsten Tag erneut nach Kyzikos zurückzukehren und die Stadt einzunehmen (Xen. I 1,18). Diese Darstellung ist auszuschließen, da Prokonnesos wenigstens eine halbe Tagesreise entfernt lag und die attischen Ruderer nach der schweren Schlacht sicher keine Lust und Muße für weitläufige Kreuzfahrten hatten. Sie blieben stattdessen die Nacht über in der Nähe, entweder in Artake oder in absoluter Sicherheit auf dem Eiland. In gewisser Weise bestätigt Xenophon diese Darstellung Diodors sogar, weil ja auch er davon spricht, dass sie die Nacht auf einer sicheren Insel verbrachten. Da ihm aber das Inselchen Polydoros unbekannt war, hat er einfach einen ihm bekannten Namen eingesetzt. Allzu weit war es mit seinen geografischen Kenntnissen jedenfalls nicht her, da noch mehrere größere Inseln am Weg lagen.
Dies sind nach meinem Dafürhalten vier starke Gründe für die Annahme, das Diodor die Vorlage eines wesentlich kompetenteren Autors verarbeitete. Der gleichen Meinung scheint auch (nach Robert Litmann) Jean Hatzfeld, die ich allerdings beide noch nicht studieren konnte. Sekundärliteratur bleibt daher sicher noch stärker einzubeziehen.
Auf jeden Fall ist der Schlachtverlauf aber nicht zu verstehen, wenn man sich nicht vorher einen Überblick über die Örtlichkeiten verschafft hat. Ein Detail, das nicht mit der Geographie von Kyzikos vereinbar wäre, kann ich danach bei Diodor nicht erkennen. --Borsanova 19:30, 27. Sep. 2010 (CEST) Ergänzung: --Borsanova 02:28, 4. Apr. 2011 (CEST)Beantworten

Noch einige Ergänzungen zum Ausgangspunkt meiner Analyse: Da ich wiederholt "wenn ... dann" und "sofern ... also" schreibe, könnte man einwenden, mit "wenn" "dann" und "aber" lässt sich vieles vertreten, aber wenig Konkretes beweisen. Dies ist hier aber nicht der Fall, da jeder einzelne Schluss absolut zwingend ist. Das heißt, es gibt keine logische Alternative außer der Annahme, dass Diodor bzw. seine Vorlage fabuliert, was aber aus den obengenannten Gründen abzulehnen ist. Um das einzusehen, muss man nur die Gegenprobe machen und die entgegengesetzen Lösungen annehmen. Lazenby, der den Anstoß zu meinen Studien gegeben hat, tut genau dies, mit überaus kuriosen Ergebnissen.
Er verrät zwar zunächst nicht ausdrücklich, wo Chaireas seiner Meinung nach an Land gesetzt wurde, doch bei der Beschreibung der Landschlacht enthüllt er seine implizite Annahme, indem er schreibt: "Since, as we have seen, Chaereas was almost certainly coming from the west ..." (S.205). Das heißt, er denkt, dass Chaireas an der Nordküste Phrygiens Richtung Osten marschierte. Diese eine Annahme bewirkt nun, da sie von Lazenby konsequent weiter durchgehalten wird, einen Salto Mortale, der schließlich den ganzen Schlachtbericht zur Entgleisung bringt. Da Chaireas nämlich von Westen kommt, wo er zuerst auf Theramenes und Thrasybul trifft und erst ganz zuletzt den Entscheidungskampf zwischen Mindaros und Alkibiades erreicht, schließt Lazenby folgerichtig, dass Alkibiades östlich von Mindaros gelandet sein muss, während Thrasybul und Theramenes weiter westlich an Land gingen. Wenn man nun erneut die Situation der Seeschlacht in Erinnerung ruft, nämlich, dass Alkibiades Mindaros vom Hafen weg nach Westen lockte, um ihn dann von den sich weiter östlich dazwischenschiebenden Thrasybul und Theramenes abschneiden zu lassen, wird deutlich, dass Lazenby ein Knäuel der heillosesten Verwirrung geschaffen hat, in dem alle, die eben auf See noch im Westen standen, plötzlich im Osten an Land gehen und umgekehrt.
Das ist zweifellos ein völlig unmögliches Manöver, zumal die Spartaner, an deren Spitze mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit Mindaros die Verfolgung leitete (d.h. auch er stand im äußersten Westen seiner Flotte), das gleiche Revirement ebenfalls hätten vollziehen müssen. Aus dieser Unmöglichkeit aber folgt zwingend das Gegenteil, nämlich dass Alkibiades, wie zu erwarten, im äußersten Westen an Land ging und seine Mitstrategen östlich der Schiffe des Mindaros. In diesem Fall muss auch Chaireas nach seiner anfänglichen Annäherung von Nordwesten zuletzt zwingend von Osten gekommen sein, und die einzige Möglichkeit, das Schlachtfeld auf diesem Weg zu erreichen, führt über den Isthmos von Kyzikos.
Meiner Meinung nach waren Diodor diese Zusammenhänge in keiner Weise klar, er schreibt nur ab, aber gerade darum ist sein Bericht (bzw. der seiner Vorlage) unbedingt authentisch. Dass viele Autoren ihn für frei erfunden halten, liegt daran, dass sie ihn genauso wenig verstanden haben wie Diodor selbst.
Auch kann der so gewonnene Schlachtverlauf wohl mit gutem Recht als unglaublich bezeichnet werden, da er eine außerordentliche Mischung aus Planung, Koordination, Kühnheit und Improvisation voraussetzt. Einzig das unumstößliche Schlachtergebnis bestätigt uns jedoch, dass es ungefähr so abgelaufen sein muss. Dabei mag auch hier oder da das Glück eine Rolle gespielt haben und die Tatsache, dass die Perser mal wieder, wie üblich, gar nichts auf die Reihe kriegten. Dennoch zeigt die Schlacht von Kyzikos das attische Flottenkommando auf dem Gipfel seiner Leistungsfähigkeit.
Dies schließt insbesondere auch den Beitrag des Chaireas ein, der von den meisten Historikern kaum zur Kenntnis genommen wird, dessen Marsch durch feindliches Gebiet über alle Hindernisse einmal rund um die Bucht von Kyzikos jedoch höchst bemerkenswert war. Der kühne Plan des Alkibiades, der Opfermut Thrasybuls, die Improvisationskunst des Theramenes und die Stiefel des Chaireas waren die Elemente, die den Sieg der Athener bei Kyzikos sichern halfen. Jeder der vier Kommandanten hat sich deshalb seinen Teil vom Ruhm durch den individuellen Einsatz redlich verdient. --Borsanova 01:58, 28. Sep. 2010 (CEST), Erweiterung --Borsanova 15:19, 28. Sep. 2010 (CEST)Beantworten