Cambrenagletscher

Gletscher am Berninapass, Schweiz

Der Cambrenagletscher (im lombardischen Dialekt des Valposchiavo und rätoromanisch Vadret dal Cambrena) ist ein Gebirgsgletscher in der Berninagruppe der Schweizer Alpen im Kanton Graubünden. Vom Berninapass aus ist er über dem Lago Bianco immer noch gut zu sehen (Stand 2023), doch zieht er sich rapide zurück.

Cambrenagletscher
Cambrenagletscher vom Nordostufer des Lago Bianco, mit Piz Caral, Piz Cambrena und Piz d’Arlas (2013)
Cambrenagletscher vom Nordostufer des Lago Bianco, mit Piz Caral, Piz Cambrena und Piz d’Arlas (2013)

Cambrenagletscher vom Nordostufer des Lago Bianco, mit Piz Caral, Piz Cambrena und Piz d’Arlas (2013)

Lage Kanton Graubünden, Schweiz
Gebirge Berninagruppe
Typ Gebirgsgletscher
Länge 2,03 km (2009)[1]
Fläche 1,29 km² (2015)[1]
Exposition (Nord-)Nordost
Höhenbereich 3311 m ü. M. – 2597 m ü. M. (2015)[2]
Koordinaten 796458 / 141058Koordinaten: 46° 23′ 32″ N, 9° 59′ 36″ O; CH1903: 796458 / 141058
Cambrenagletscher (Kanton Graubünden)
Cambrenagletscher (Kanton Graubünden)
Entwässerung Lago Bianco, Acqua da Pila, Cavagliasch, Poschiavino, Adda, Po

Lage und Umgebung Bearbeiten

Der Cambrenagletscher war im Jahr 2009 etwa 2 km lang und bedeckte 2015 eine Fläche von 1,29 km².[1] Sein Nährgebiet liegt unterhalb des steilen und felsigen Gebirgskamms, der sich U-förmig vom Piz d’Arlas (3467 m) über den Piz Cambrena (3606 m) und den Piz Caral (3421 m) bis zur Cresta da Caral erstreckt, auf einer Höhe von etwa 3000 bis gegen 3300 m.[3] Der Gletscher fliesst nach (Nord-)Nordosten gegen den Lago Bianco (2234 m) hinunter, den sein Schmelzwasser speist. Dem hellen Gletscherwasser verdankt der «Weisse See» auch seinen Namen.

Entwicklung Bearbeiten

Der Cambrenagletscher erreichte bereits um 400 n. Chr. einen durch Endmoränen dokumentierten Hochstand, danach wieder im 17. Jahrhundert, um 1780 und um 1850.[5] Um 1850 erreichte die Gletscherzunge gemäss Karte des Schweizerischen Gletschermessnetzes GLAMOS fast die Höhe des Lago Bianco: Sie endete gut 400 m vom heutigen Ufer entfernt, ca. 20 Höhenmeter über dem heutigen Seepegel.[6] Die Spuren, welche sie in diesem Stadium im Gelände hinterliess, sind auch in neueren Bildern noch erkennbar.

 
Blick von der östlichen Gletscher­zunge auf den Gletschersee und den Lago Bianco (2014)

Bereits zur Zeit der frühesten Fotografien (1867, 1873, 1880) hatte sich die Gletscherzunge in zwei Teile gespalten, und der westliche Teil hatte sich weiter zurückgezogen als der östliche. Diese Entwicklung setzte sich fort. 2015 lag das Ende der längeren, östlichen Zunge etwa 1300 m vom Ufer entfernt[7] und etwa 360 Höhenmeter über dem See.[8] Am Ende dieser Zunge begann sich um 2003 auf einer Höhe von knapp 2500 m ein sogenannter Zungenbeckensee zu bilden. 2015 war der kleine See etwa 150 m lang und 50 m breit.[9]

Periodische Messungen der Längenveränderung des Cambrenagletschers am Zungenende wurden im 19. Jahrhundert von 1888 bis 1893 durchgeführt; ohne Unterbruch gemessen wird erst seit 1955. Von 1888 bis 1893 betrug die Veränderung −21 m, von 1955 bis 2001 −14 m (1962–1987 war der Gletscher 111 m länger geworden, danach wieder geschwunden) und von 2001 bis 2022 −330 m.[10] Auch von den Bergflanken des Nährgebiets zieht sich der Gletscher zurück – ein Zeichen dafür, dass dort der Permafrost auftaut.[11]

 
Die östliche Zunge (2013)
Periode Durchschnittliche Längenveränderung pro Jahr
1888–1893 −4,2 m
1955–1962 −4,1 m
1962–1987 +4,4 m
1987–2001 −6,9 m
2001–2020 −12,8 m
2020–2022 −49,9 m[12]
 
Luftaufnahme von Walter Mittelhol­zer, 1934. Am Horizont, oberhalb der Bildmitte, Piz Zupò, davor Piz Palü, rechts Piz Bernina. Im Hintergrund links der Palügletscher, rechts der Pers­gletscher; zur Linken des Cambrena­gletschers der kleine Vadret da Sassal Mason

Die Fläche des Cambrenagletschers schwand zwischen 1850 und 2015 um etwa die Hälfte,[13] zwischen 1973 und 2009 um 26 %.[1]

Jahr Fläche Veränderung seit 1850
1850 2,66 km²
1973 1,72 km² −35 %
1999 1,57 km² −41 %
2003 1,45 km² −45 %
2015 1,26 km² −53 %[14]

Der kleine Nachbar des Cambrenagletschers, der Vadret da Sassal Mason, verlor gemäss GLAMOS-Karte zwischen 1850 und 2015 mehr als drei Viertel seiner Fläche.[4]

Für die Veränderung der Mächtigkeit (Dicke) des Gletschers sind Daten aus den Jahren 1991–2019 verfügbar, mit Werten für die durchschnittliche jährliche Veränderung zwischen −60 cm (Periode 1999–2004) und −115 cm (Periode 2014–2019).[15] Gemäss GLAMOS-Karte (Stand 2015) sind die Randbereiche des Cambrenagletschers 0–25 m mächtig, der Kernbereich 26–50 m und ein sehr kleines Zentrum mehr als 50 m.[4]

Literatur Bearbeiten

Fridolin Beeler: Das Spät- und Postglazial im Berninapaßgebiet. In: Geographica Helvetica. 36, Nr. 3, 1981, S. 101–108 (PDF; 5,9 MB).

Weblinks Bearbeiten

Commons: Cambrenagletscher – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d Factsheet Cambrenagletscher. In: GLAMOS – Glacier Monitoring in Switzerland. Abgerufen am 11. Juli 2023.
  2. Cambrena, Vadret dal. In: GLIMS (Global Land Ice Measurements from Space). Abgerufen am 11. Juli 2023.
  3. Landeskarte der Schweiz 1:25'000, Blatt 1278 La Rösa auf map.geo.admin.ch (Datenstand 2015), abgerufen am 13. Juli 2023.
  4. a b c mapviewer#/C93-09. In: GLAMOS. Abgerufen am 14. Juli 2023.
  5. Fridolin Beeler: Das Spät- und Postglazial im Berninapaßgebiet. In: Geographica Helvetica. 36, Nr. 3, 1981, S. 103, 106–108 (PDF; 5,9 MB).
  6. mapviewer#/C93-09. In: GLAMOS. Abgerufen am 14. Juli 2023. – Distanzmessung auf map.geo.admin.ch.
  7. Messung auf Landeskarte der Schweiz 1:25'000 (Datenstand 2015) auf map.geo.admin.ch, unter Berücksichtigung der Höhendifferenz.
  8. Tiefster Punkt des Gletschers 2015 gemäss GLIMS: 2597 m ü. M.; Lago Bianco: 2234 m ü. M..
  9. Landeskarte 1:25'000, Vergleich des Datenstands von 1998 / 2003 / 2009 / 2015.
  10. Zahlen von GLAMOS. Unzulässigerweise werden aber im GLAMOS factsheet alle diese Zahlen addiert, obwohl Messdaten der Jahre 1893–1955 fehlen, und die Summe von −365 m wird als «Längenänderung 1888–2022» ausgegeben. Damit wird die Veränderung während 62 Jahren, in denen keine Messungen stattfanden, einfach als Null eingesetzt. Einen ähnlich falschen Eindruck gibt auch die Graphik «Längenänderung kumulativ». – Gemäss GLAMOS-Karte betrug die gesamte Längenänderung 1850–2015 ungefähr −1 km. Der gleiche Wert ergibt sich aus den Angaben des Bundesamts für Statistik (Die grössten Gletscher (2014) in bfs.admin.ch): Länge 1850: 2,7 km; 2012: 1,7 km. (Diese absoluten Zahlen erscheinen zu tief im Vergleich zur einzigen Angabe in GLAMOS und GLIMS: 2,03 km 2009. Möglicherweise wurde für die Statistik des BFS auf Karten nur die horizontale Ausdehnung gemessen, ohne Berücksichtigung der Höhendifferenz.)
  11. Vadret dal Cambrena. In: SwissEduc Glaciers online. Abgerufen am 15. Juli 2023.
  12. Factsheet Cambrenagletscher. In: GLAMOS – Glacier Monitoring in Switzerland. Abgerufen am 11. Juli 2023. («Gletscherdaten herunterladen»; Dokument: length_change_cambrena.csv).
  13. Cambrena, Vadret dal. In: GLIMS. Abgerufen am 11. Juli 2023 (Schätzung für 1850: 2,66 km²; Berechnung für 2015: 1,26 km²).
  14. Cambrena, Vadret dal. In: GLIMS. Abgerufen am 11. Juli 2023. – In der gleichen Quelle finden sich alternative Schätzungen, die den Schwund noch schneller erscheinen lassen (1999: 1,42 km²; 2011: 1,19 km²; 2015: 0,93 km²). – GLAMOS gibt für 2015 1,29 km² an.
  15. Cambrena: Thickness Change (from geodetic method). In: Fluctuations of Glaciers Database. World Glacier Monitoring Service (WGMS), Zürich 2022 (Online: WGMS Fluctuations of Glaciers Browser. Abgerufen am 14. Juli 2023).