Die Borel-Summierung ist in der asymptotischen Analysis eine Summierungsmethode für eine divergente Folge oder Reihe, die dazu dient, dieser doch noch einen in gewisser Weise optimalen Wert zuzuordnen und sie zu „regularisieren“. Es gibt verschiedene leicht unterschiedliche Varianten und Verallgemeinerungen.

Sie ist nach Émile Borel benannt, der sie 1895 einführte.[1][2][3]

Die Methode der Borel-Summierung findet zum Beispiel in der theoretischen Physik Anwendung, um damit divergenten quantenmechanischen Störungsreihen doch noch einen aussagekräftigen Wert zuzuordnen.

Definition Bearbeiten

Es gibt mehrere, leicht abweichende Varianten. Ist eine Methode bei einer divergenten Folge nicht anwendbar, kann eventuell eine Variante zum Ziel führen. Auf dieselben Folgen angewandt im selben Definitionsbereich der Variablen ergeben sie denselben Wert.

Die zu summierende Reihe sei

 

Häufig wird dabei der Definitionsbereich der Variablen im Komplexen gewählt. Dann ist eine schwache Form der Borelsumme (Borel Methode B)[4][5] über die Partialsumme der Reihe

 

so definiert:

 

Existiert der Grenzwert  , sagt man, dass die ursprüngliche Reihe A(z) schwach Borel-summierbar ist mit schwacher Borel-Summe   an der Stelle  .

Den der Reihe zugeordneten Ausdruck

 

nennt man die Borel-Transformation der Reihe  . Er entspricht dem Einfügen der Koeffizienten der ursprünglichen Potenzreihe in die Reihe für die Exponentialfunktion.

Eine „stärkere“ Form der Borel-Summierung besteht im Übergang von der Summe zum Integral (B'-Methode oder Borels Integral-Summierungsmethode):[5][6][7] Falls der Grenzwert

 

existiert und das Integral als uneigentliches Integral wohldefiniert ist, sagt man, dass die ursprüngliche Reihe   an der Stelle   nach der Methode B' Borel-summierbar ist mit der Borel-Summe  .

Könnte man Summierung und Integration vertauschen, erhielte man formal wegen  

 

Die spezielle Laplace-Transformation   heißt deshalb manchmal auch inverse Borel-Transformation.[8]

Falls das Integral nicht überall konvergiert, sondern nur in einer Umgebung von  , kann es eventuell analytisch entlang der positiven reellen Achse fortgesetzt werden.

Grundlegende Eigenschaften Bearbeiten

Beide Summierungsmethoden sind regulär (Godfrey Harold Hardy 1904),[9] das heißt wenn die Reihe konvergiert, dann konvergieren auch die schwache und die Integral-Borel-Summierung, und zwar auf den gleichen Wert.

Jede schwach Borel-summierbare Reihe (Methode B) ist auch nach der Methode B' summierbar (Hardy) aber nicht umgekehrt, wie ein Satz von Hardy beweist.

Ist die Reihe   B'-summierbar an der Stelle   und  , dann ist sie schwach Borel-summierbar.

Anders ausgedrückt: die beiden Methoden B und B' sind äquivalent genau dann, wenn die Zusatzbedingung   erfüllt ist.[10]

Satz von Watson Bearbeiten

Die Borel-Summe gibt in vielen Fällen die beste Näherung an eine divergente Reihe in einem bestimmten Variablenbereich in dem Sinn, dass die Fehler einer Näherung auf endlicher Stufe durch die Borel-Summierung so klein wie möglich sind. Hierzu gibt es den Satz von Watson[11], der hier in der Form des Lehrbuchs von Reed/Simon dargestellt wird.[8][12]

  sei holomorph in einem Gebiet  , das durch ( )

  •   und
  •  

gegeben ist für positives  .

Weiter sei   in diesem Gebiet durch die asymptotische Reihe   dargestellt, so dass der Näherungsfehler bei jeder Partialsumme

 

nach oben durch

 

beschränkt ist für alle   und für alle   mit positiven Konstanten  ,  . Dann ist nach dem Satz von Watson   im Gebiet   die Borel-Summierung ihrer asymptotischen Reihe  - Dabei ist die Borel-Summierung hier im Sinn einer analytischen Fortsetzung der Methode B' zu verstehen wie oben in der Definition dargestellt.

Der Satz bildet die Grundlage für viele Anwendungen der Borel-Summierung in der mathematischen Physik. Reed/Simon definieren, dass bei Erfüllung der oben angegebenen Voraussetzungen   eine starke asymptotische Bedingung erfüllt (strong asymptotic condition) und durch ihre starke asymptotische Reihe   dargestellt ist. Sie zeigten, dass analytische Funktionen eindeutig durch ihre starken asymptotischen Reihen bestimmt werden.

Wichtig für Anwendungen ist die Möglichkeit mit Hilfe der Borel-Summierung eine analytische Funktion analytisch längs der reellen Achse fortzusetzen. Reed/Simon zeigten, dass falls die obigen Voraussetzungen erfüllt sind,   in einer Scheibe um den Nullpunkt analytisch ist und eine analytische Fortsetzung in den Sektor   besitzt:

Falls   und   gilt:[13]

 
 

Der Winkel   in der Definition des Gebiets ist in gewisser Weise bestmöglich, da nach Borel und Carleman für kleinere Winkel die Eindeutigkeit der Darstellung durch eine asymptotische Reihe verlorengeht.[14]

Der Satz von Watson ist in Hinblick auf den Grenzfall   (rechte Halbebene) 1980 von Alan Sokal für Anwendungen in der Quantenfeldtheorie verbessert worden.[15][16] unter Anwendung von Ergebnissen von Rolf Nevanlinna (1919).[17]

Beispiele Bearbeiten

Geometrische Reihe Bearbeiten

Die geometrische Reihe

 

konvergiert im üblichen Sinn für   gegen  .

Ihre Borel-Transformation ist:

 

und die Borel-Summe nach Methode B'

 

Sie konvergiert für   und liefert so eine analytische Fortsetzung der ursprünglichen divergenten Reihe.

Betrachtet man stattdessen die schwache Borel-Summierung (Methode B) ergibt sich mit den Partialsummen   für die Summe:

 

die ebenfalls für   konvergiert. Das folgt auch aus dem obigen Äquivalenzsatz von Hardy für B- und B'-Summierbarkeit (siehe den Abschnitt „Grundlegende Eigenschaften“) und aus dem Ergebnis für die B'-Summierbarkeit, denn

 

Allgemein bildet der Konvergenzbereich für die schwache Borel-Summierung einer Potenzreihe zu einer in   regulären Funktion einen sternförmigen Bereich (sog. Borel-Polygon).[18]

Alternierende faktorielle Reihe Bearbeiten

Die alternierende Reihe mit der Faktoriellen als Koeffizienten ist gegeben durch:[19]

 

Sie konvergiert für keinen Wert ungleich Null.

Die Borel-Transformation ist:

 

und die Borel-Summe nach Methode B' ist:

 

mit der unvollständigen Gammafunktion  . Damit lässt sich die ursprüngliche divergente Reihe längs der gesamten positiven reellen Achse analytisch fortsetzen.

Wegen

 

kann wie im Fall der geometrischen Reihe auch hier aus dem Satz von Hardy geschlossen werden, dass dies auch für die schwache Borel-Summierung gilt.

Beispiel für Nicht-Äquivalenz der beiden Summierungsmethoden Bearbeiten

Hardy bringt folgendes Beispiel dafür, dass die beiden Summierungsmethoden B und B' unterschiedliche Ergebnisse liefern.[20] Man betrachte die Reihe

 

Die Borel-Transformation ist:

 

Bei   ist die Borel-Summe nach Methode B':

 

mit dem Fresnel-Integral  .

Es lässt sich zeigen, dass die analytische Fortsetzung der Borel-Summe auf der positiven reellen Achse für   konvergiert und darüber divergiert.

Im Gegensatz dazu ist bei der schwachen Borel-Summierung

 

nur für   erfüllt und damit der Konvergenzbereich kleiner als bei der Methode B'.

Sätze vom Tauber-Typ Bearbeiten

Sätze vom Tauber-Typ machen Aussagen darüber unter welchen Umständen die Konvergenz einer Methode die einer anderen Methode bedingt. Das wichtigste Resultat stammt von Hardy:[21][22]

Eine schwach Borel-summierbare Reihe ist im üblichen Sinn konvergent, wenn die Elemente der Potenzreihe   (an der Stelle  ) von der Ordnung   sind (in Landau-Notation:  ).

Verallgemeinerung, Mittag-Leffler-Summierung Bearbeiten

Die Borel-Summierung ist nur anwendbar, wenn die Koeffizienten der Reihe nicht zu schnell wachsen. Es gibt aber Verallgemeinerungen, die in Fällen anwendbar sind, in denen die Borel-Summierung versagt.

Die Mittag-Leffer-Summierung wurde 1906 von Gösta Mittag-Leffler[23] eingeführt und ist eine Verallgemeinerung der Borel-Summierung, die von Mittag-Leffler speziell für die divergente Reihe   eingeführt wurde.[24][25]

Sie ist für die Reihe

 

mit Hilfe der Gammafunktion   definiert über die Transformation:

 

Die Methode ist ebenfalls regulär und wird wie die Borel-Summierung bei der analytischen Fortsetzung von Funktionen angewendet.

Anwendungen Bearbeiten

In der Quantenfeldtheorie können mit Hilfe der Borel-Summierung die Schwinger-Funktionen – das sind die Vakuumerwartungswerte des Produkts der Felder an n verschiedenen Punkten – aus der Störungsreihe gewonnen werden, zum Beispiel in der euklidischen Formulierung der  -Theorie in zwei Dimensionen.[26][27] im Rahmen der mathematisch strengen Behandlung der Quantenfeldtheorie (siehe Axiomatische Quantenfeldtheorie). Sie findet aber auch zum Beispiel bei der Summierung der Störungsreihe der Quantenchromodynamik Anwendung. Die Beiträge der N-ten Ordnung der Störungsreihe wird typischerweise durch eine Anzahl   von Feynmandiagrammen bestimmt und ist entsprechend von gleicher Ordnung   in  . Die Singularitäten der Borel-Transformation in der komplexen Ebene entsprechen teilweise Instantonen und Renormalonen.

Eine weitere Anwendung ist das Feigenbaum-Szenario in der Chaostheorie,[28] der Berechnung kritischer Exponenten von Phasenübergängen[29] oder der anharmonische Oszillator.[30]

In den Anwendungen wird manchmal noch die Padé-Approximation auf die Borel-Summierung angewandt (Borel-Padé-Methode).

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Borel, Sur la sommation des séries divergents, Comptes Rendus Acad. Sci., Serie 1 (Math.), Band 126, 1895, S. 1125–1127
  2. Borel, Mémoire sur les séries divergentes, Ann. Sci. École Norm. Sup. (3), Band 16, 1899, S. 9–131, 132–136, numdam
  3. Borel, Lecons sur les Séries Divergentes, Paris, Gauthier-Villars, 1901, 2. Auflage 1928, englische Übersetzung Lectures on divergent series, Los Alamos Scientific Laboratories 1975
  4. Artikel Borel summation method in Encyclopedia of Mathematics, Springer, siehe Weblinks
  5. a b Bruce Shawyer, Bruce Watson: Borel's methods of Summability, Clarendon Press 1994, Kapitel 3 (Basic Definitions)
  6. Zeller (1958, siehe Literatur) bezeichnet B', also das Integralverfahren, als   und B als  .
  7. Hardy (1949, S. 182) bezeichnet die schwache Methode mit B und die Integral-Methode mit B' wie hier oder alternativ B als Borel's exponentielle Methode und B' als Borel's Integral-Methode.
  8. a b Reed, Simon, Methods of Modern Mathematical Physics, Band 4 (Analysis of Operators), Academic Press 1978, S. 44
  9. Hardy, Divergent Series, 1949, S. 182
  10. Hardy, Divergent Series, 1949, S. 183
  11. G. N. Watson, A theory of asymptotic series, Phil. Trans. Roya. Soc. A, Band 211, 1912, S. 279–313
  12. Bruce Shawyer, Bruce Watson: Borel's methods of Summability, Clarendon Press 1994, S. 204
  13. Bruce Shawyer, Bruce Watson: Borel's methods of Summability, Clarendon Press 1994, S. 205
  14. Hardy, Divergent Series, 1949, S. 191
  15. Sokal, An improvement of Watson's theorem on Borel summability, J. Math. phys. Band 21, 1980, S. 261–263
  16. D. W. H. Gillam, V. P. Gurarii, On functions uniquely determined by their asymptotic expansion, Functional Analysis and Its Applications, Band 40, Nr. 4, 2006, S. 273–284
  17. Nevanlinna, Zur Theorie der asymptotischen Potenzreihen, Ann. Acad. Sci. Fenn. Ser. A, Band XII, Nr. 3, 1919, S. 1–81
  18. Zeller, Theorie der Limitierungsverfahren, Springer 1958, S. 136
  19. Kurz bei Hardy (1949), S. 192, behandelt
  20. Hardy, Divergent Series, 1949, S. 183
  21. Zeller, Theorie der Limitierungsverfahren, 1. Auflage, Springer 1958, S. 138
  22. Hardy, Divergent Series, 1949, S. 220. Dort als Principal Tauberian Theorem bezeichnet
  23. Mittag-Leffler, Sur la reprèsentation analytique d'une branche uniform d'une fonction monogène, Acta Mathematica, Band 29, 1904, S. 101–181
  24. Mittag-Leffler, Sur la représentation arithmétique des fonctions analytiques d'une variable complexe", Atti del IV Congresso Internazionale dei Matematici (Rom 1908), Band 1, S. 67–86,
  25. Mittag-Leffler summation method, Encyclopedia of Mathematics, Springer
  26. Glimm, Jaffe, Quantum Physics. A Functional Integral Point of View, Springer 1981, S. 364. Mit Verweis auf J.-P. Eckmann, J. Magnen, R. Seneor, Decay properties and Borel summability of the Schwinger functions in   theories, Comm. Math. Phys., Band 39, 1975, S. 251–271.
  27. H. Kleinert, V. Schulte-Frohlinde, Critical properties of   theories, World Scientific 2000
  28. J.-P. Eckmann, P. Wittwer, Computer methods and Borel-summability applied to Feigenbaum's equation, Lecture notes in physics 85, Springer 1985
  29. J. Le Guillou, Zinn-Justin, Critical exponents for the n-vector model in three dimensions from field theory, Phys. Rev. Lett., Band 39, 1977, S. 39–98
  30. S. Graffi, V. Grecchi, B. Simon, Borel summability: Application to the Anharmonic Oscillator, Phys. Lett. B, Band 32, 1970, S. 631&34
  31. In der 1. Auflage nur von Zeller auf S. 134–140 (Zusammenfassung von Ergebnissen)