Beobachter (Regelungstechnik)

System in der Regelungstechnik

Ein Beobachter ist in der Regelungstechnik ein System, das aus bekannten Eingangsgrößen (z. B. Stellgrößen oder messbaren Störgrößen) und Ausgangsgrößen (Messgrößen) eines beobachteten Referenzsystems nicht messbare Größen (Zustände) rekonstruiert. Dazu bildet er das beobachtete Referenzsystem als Modell nach und führt mit einem Regler die messbaren, und deshalb mit dem Referenzsystem vergleichbaren, Zustandsgrößen nach. So soll vermieden werden, dass ein Modell, insbesondere bei Referenzsystemen mit integrierendem Verhalten, einen über die Zeit wachsenden Fehler generiert. Treffender wäre es von einem referenzgeregelten Synthetisierer (englisch reference controlled synthesizer) zu sprechen.

Beobachter (Systemmodell) und "Reales System" (beobachtetes reales Referenzsystem)

Ein Beobachter kann genau dann entworfen werden, wenn das Referenzsystem über die vorhandenen Messgrößen beobachtbar ist. Die Beobachtbarkeit ist jedoch im Allgemeinen keine notwendige Bedingung für den Beobachterentwurf. Stattdessen ist es ausreichend, wenn das System detektierbar ist.

Eingesetzt werden Beobachter z. B.

  • bei Zustandsreglern zur Rekonstruktion nicht messbarer Zustandsgrößen
  • bei zeitdiskreten Regelungen, bei denen die Messgröße nicht in jedem Zyklus aktualisiert werden kann,
  • in der Messtechnik als Ersatz für technisch oder wirtschaftlich nicht mögliche Messungen.

Eine durchgängige Theorie wurde ab 1964 von dem amerikanischen Regelungstechniker David Luenberger für lineare Systemmodelle und eine konstante proportionale Rückführung des Fehlers entwickelt. Das Verfahren kann prinzipiell auf nichtlineare Modelle erweitert werden.[FOE:NL2 1]

Luenberger-Beobachter Bearbeiten

 
Blockdiagramm Luenberger-Beobachter:Fehlerbehebung: Der Eingang von L muss als   gebildet werden.

Die Idee von Luenberger 1964 beruht auf einer Parallelschaltung des Beobachters zum Regelstreckenmodell.[LUN:RT2 1] Dabei wird die Differenz zwischen dem Messwert der Strecke   und dem "Messwert" des Beobachters  , d. h.   auf das Modell zurückgeführt. Damit kann der Beobachter auf Störungen beziehungsweise eigene Ungenauigkeiten reagieren. Die grundsätzliche Gleichung des Beobachters ist:

  mit  
 

dabei bestimmt sich

 

somit ergibt sich für den Beobachter

 

Für den Beobachtungsfehler   eines Luenberger-Beobachters gilt daher  , wenn alle Eigenwerte der Matrix   negative Realteile besitzen.

Die Bestimmung der Rückführung erfolgt analog zum Reglerentwurf durch Polvorgabe, indem folgende Ersetzungen vorgenommen werden:[FOE:RT 1]

  statt  
  statt  
  statt  

Das Beispielsystem hat die Eigenwerte   und  . Damit der Beobachter dem System folgen kann, müssen dessen Eigenwerte links von denen des Systems liegen. Diese Forderung ist für   erfüllt. Die charakteristische Gleichung lautet in diesem Fall

 

und damit   und  . Die Rückführmatrix ist damit

 .

Für den vollständigen Beobachter lautet die Differenzialgleichung

 .

Strukturelle Beobachtbarkeit Bearbeiten

Systeme können aus zwei Gründen nicht beobachtbar sein:

  • Eine konkrete Parameterkombination führt zur Nichtbeobachtbarkeit.
  • Die Struktur des Systems führt dazu, dass das System bei beliebiger Besetzung der Nichtnullelemente der Systemmatrix (die in der Praxis von physikalischen Parametern abhängen) nicht beobachtbar bzw. bei keiner Parameterkombination beobachtbar ist. Dies ist der Fall, wenn notwendige Signalkoppelungen zwischen Zustands- und Messgrößen fehlen.

Um nachzuweisen, dass ein System strukturell nicht beobachtbar ist, müssen graphentheoretische Verfahren eingesetzt werden.

Dagegen ist die strukturelle Beobachtbarkeit leicht nachzuweisen: wenn nämlich gezeigt werden kann, dass eine bestimmte Parameterkombination (z. B. alle Nichtnullelemente == 1) ein vollständig beobachtbares System beschreibt.[LUN:RT2 2]

Vollständige Beobachtbarkeit Bearbeiten

 
Blockdiagramm Zustandsraumdarstellung

Die Zustandsraumdarstellung eines linearen Systems lautet

 
 .

Das System ist beobachtbar, wenn bei bekannter Steuerfunktion   und bekannten Matrizen   und   aus dem Verlauf des Ausgangsvektors   über ein endliches Zeitintervall   der Anfangszustand   eindeutig bestimmt werden kann.

Im Folgenden wird als Beispiel ein System mit einem Eingang   und einem Ausgang   (SISO: Single Input, Single Output) verwendet.

 
 

Es beschreibt die Reihenschaltung von zwei PT1-Gliedern mit den Zeitkonstanten   und  .

Nachweis Bearbeiten

Strukturelle Beobachtbarkeit ist eine notwendige Bedingung für die vollständige Beobachtbarkeit. Jedoch werden zumeist nur die folgenden Kriterien genutzt, um eine vollständige Beobachtbarkeit nachzuweisen.

Das Kriterium nach Kalman ist relativ einfach zu bestimmen, jedoch kann man dabei die Beobachtbarkeit nicht auf einzelne Eigenvorgänge beziehungsweise Eigenwerte beziehen. Dies kann mit Hilfe des Gilbert- und des Hautus-Kriteriums geschehen.

Kriterium von Kalman Bearbeiten

Das System (A,C) ist genau dann nach Kalman vollständig beobachtbar,[LUN:RT2 3] wenn die Beobachtbarkeitsmatrix   den Rang   hat bzw. deren Determinante im Falle nur einer Messgröße ungleich 0 ist:

  mit
 

Für das Beispielsystem gilt

 

und

 

mit der Beobachtbarkeitsmatrix

 .

Es gilt   und damit ist der Rang gleich 2. Das System ist vollständig beobachtbar.

Kriterium von Gilbert Bearbeiten

Wenn das Modell in kanonischer Normalform (Jordansche Normalform)

 

mit

 

und   als Matrix der Eigenvektoren vorliegt, gilt das Kriterium von Gilbert:[LUN:RT2 4]

Ein System  , dessen Zustandsraummodell in kanonischer Normalform vorliegt, ist genau dann vollständig beobachtbar, wenn die Matrix   keine Nullspalte besitzt und wenn die p Spalten  , der Matrix  , die zu den kanonischen Zustandsvariablen eines p-fachen Eigenwerts gehören, linear unabhängig sind.

Die kanonische Normalform des Beispielsystems lautet

 

Die Matrix   besitzt nur Spalten (hier Elemente) ungleich 0. Der Test auf lineare Abhängigkeit entfällt hier, da das System einfache Eigenwerte hat.

Das System ist vollständig beobachtbar.

Kriterium von Hautus Bearbeiten

Das System (A,C) ist genau dann vollständig beobachtbar nach Hautus[LUN:RT2 4], wenn die Bedingung:

 
für alle Eigenwerte   der Matrix A erfüllt ist.

Die Systemmatrix des Beispiels hat die Eigenwerte   und  . Für beide Eigenwerte ist die Bedingung

 

erfüllt. Das System ist also vollständig beobachtbar.

Beobachtbarkeit von Abtastsystemen Bearbeiten

Die oben genannten Beziehungen gelten auch für Abtastsysteme, wenn   durch die Transitionsmatrix ersetzt wird. Nach[LUN:RT2 5] kann die Überprüfung vereinfacht werden, indem zunächst die Bedingungen für das kontinuierliche System geprüft werden und dann die Zusatzbedingung

  für  

erfüllt ist.

Beobachter-Normalform Bearbeiten

Für ein lineares System mit einem Eingang und einem Ausgang kann die Beobachter-Normalform unter anderem aus der zur Übertragungsfunktion   äquivalenten Differentialgleichung bestimmt werden.

 
 .

Das Beispielsystem hat die Übertragungsfunktion

 .

Daraus folgt mit  ,   und  

 
 
 

Reduzierter Beobachter Bearbeiten

Oft können einige Zustandsgrößen direkt gemessen werden. Damit ist es nicht notwendig, diese zu rekonstruieren. Ein reduzierter Beobachter kann daher hergeleitet werden, der nur noch die nicht gemessenen Zustandsgrößen rekonstruiert. Die Ordnung des reduzierten Beobachters ist gegenüber dem vollständigen Beobachter um die Anzahl der Messgrößen reduziert. Dieses Verfahren lässt sich auch für den Fall erweitern, dass die Messgrößen keine Zustandsgrößen sind.[LUN:RT2 6]

Nach Umsortieren der Matrizenzeilen in gemessene   und beobachtete   Zustände lautet die Zustandsraumdarstellung des Eingrößensystems

 
 

Die Zustandsgleichung des vollen Systems ist

 

und die des reduzierten Systems ist

 .

Die Messgleichung des vollen Systems ist

 

und die des reduzierten Systems ist

 .

Die Substitution

 
 
 
 
 

in die Gleichung des vollen Beobachters eingesetzt ergibt

 .

In dieser Darstellung stört noch die zeitliche Ableitung von y. Die Transformation

 

ergibt die Gleichung

 

und daraus den geschätzten Zustandsvektor

 .

Siehe auch Bearbeiten

Quellen Bearbeiten

Otto Föllinger: Regelungstechnik, Einführung in die Methoden und ihre Anwendung. 1994, ISBN 3-7785-2336-8.

  1. Abschn. 13.7.2 / Formel (13.158)

Otto Föllinger: Nichtlineare Regelungen. 7., überarb. u. erw. Auflage. Band 2 Harmonische Balance, Popow- und Kreiskriterium, Hyperstabilität, Synthese im Zustandsraum. Oldenbourg, München 1993.

  1. Abschnitt 7.5

Jan Lunze: Regelungstechnik 2: Mehrgrößensysteme Digitale Regelung. 5. Auflage. Springer Verlag, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-78462-3.

  1. Abschnitt 3.3.2
  2. Abschnitt 3.4
  3. Abschnitt 3.2.2
  4. a b Abschnitt 3.2.4
  5. Abschnitt 11.3.3
  6. Abschnitt 8.4

Literatur Bearbeiten

  • S.D.G. Cumming: Design of observers of reduced dynamics. In: Electronic Letters. Band 5, 1969, S. 213–214.
  • D. G. Luenberger: Observing the state of a linear system. In: IEEE Transaction on Military Electronics. Band 8, 1964, S. 74–80.
  • R.E. Kalman, B. Bucy: New results in linear filtering and prediction theory. In: Trans ASME, Series D, Journal of Basic Engineering(ASME). 83D, 1961, S. 98–108.
  • A. Gelb: Applied Optimal Estimation. The MIT press, Massachusetts Institute of Technology, Massachusetts 1974.
  • Otto Föllinger: Regelungstechnik, Einführung in die Methoden und ihre Anwendung. ISBN 3-7785-2336-8.