Wikipedia 67 ist ein Privatprojekt von mir, bei dem ich 67 Artikel zur deutschen Einigung im 19. Jahrhundert geschrieben oder erweitert habe. Die Zahl verweist auf die Gründung des Norddeutschen Bundes, des deutschen Bundesstaates, am 1. Juli 1867. Im folgenden schaue ich ein wenig zurück auf die Epoche, darauf, wie sie in der Wikipedia dargestellt wurde, und darauf, was ich noch beigetragen habe.

Das Jahr 1866/1867 in der deutschen Geschichte Bearbeiten

Mit dem Jahr 1866 hat es etwas recht Eigentümliches an sich. Einerseits wird die Bedeutung des Deutschen Krieges zwischen Österreich und Preußen allgemein anerkannt. Die Übersichtsdarstellungen von Gordon Graig und Thomas Nipperdey, und einige andere, beziehen sich auf das Jahr ganz ausdrücklich im Titel. Der Deutsche Bund endete und damit ein Zeitabschnitt von immerhin 51 Jahren. Österreich verließ endgültig das, wie sich später herausstellte, was man Deutschland nennt. Für Preußen war der Weg scheinbar frei zur deutschen Einigung.

Andererseits wird die Zeit von 1866 bis 1871 bis zur Unerkennbarkeit in größere Zusammenhänge eingebettet: in die Zeit der sogenannten Reichseinigungskriege 1864, 1866 und 1870/1871, in die sogenannte Reichsgründungszeit oder die sogenannte Bismarckzeit. Der Norddeutsche Bund erscheint als bloße Vorstufe des Deutschen Reiches. Themen wie die Verfassungsentstehung, die eindeutig in die Jahre 1866/1867 fallen, werden meist erst in der Beschreibung des Kaiserreichs ab 1871 abgehandelt. Dabei fallen ganze verfassungsvereinbarende Organe (wie der Konstituierende Reichstag von 1867) und Verfassungen (nämlich die vom 1. Januar 1871) unter den Tisch.

Vereinfachungen und politische (Ab)Neigungen Bearbeiten

 
Der französische Botschafter und der preußische König 1870 in Bad Ems. In Darstellungen zur Gründungsepoche des deutschen Staates erscheinen Wilhelm als preußischer König und Bismarck als preußischer Ministerpräsident, nicht als Bundespräsidium und Bundeskanzler. Dabei konnte Preußen damals keine eigenständige Außenpolitik führen, sondern nur der Norddeutsche Bund.

Grund dafür ist zunächst die stets notwendige Vereinfachung, wie sie ein Schulbuch oder eine Einführung braucht. Man erwähnt nur dasjenige, das folgenreich und damit hochrelevant zu sein scheint. Die Autoren destilieren dazu aus den vielen Ereignissen einige relevante Entwicklungsstränge heraus, die ihnen als Richtschnur bei der Auswahl dienen. Was diesen Strängen nicht entspricht, was nach Sackgasse oder Nebengleis aussieht, bleibt außen vor. Anders könnte man mit der Menge an Details nicht umgehen.

Ein weiterer Grund ist aber auch eine grundlegende negative Einstellung darüber, wie die deutsche Einheit unter preußischer Führung zustande gekommen ist. Vor allem nach der Katastrophe des Jahres 1933 suchte man nach fatalen Weichenstellungen, die zum Nationalsozialismus geführt haben (angeblich notwendigerweise). Das Niederschlagen der Revolution 1849 und die Kriege der 1860er-Jahre schienen eine Erklärung dafür zu sein, dass Deutschland von einem westlich-liberalen Weg abgekommen sei und stattdessen eine „autoritäre“ Richtung eingeschlagen habe. Bismarck erschien als Wegbereiter oder gar Vorläufer von Hitler.

In der Geschichtswissenschaft ist diese Sonderwegsthese großteils überwunden. Das ist neueren Vergleichen mit anderen Ländern geschuldet; sie zeigen, dass die deutsche Entwicklung stark derjenigen anderswo ähnelt.[1] Vielleicht ist es heutzutage auch weniger vordringlich geworden, eine Sonderwegthese politisch gegen Reaktionäre und Ewiggestrige einzusetzen. Das mag 1945 oder in den drei Jahrzehnten danach noch anders gewesen sein. Mittlerweile sollte es aber möglich sein, die Epoche von 1848 bis 1871 kritisch-neutral und unvoreingenommen zu betrachten. Auch sieht man im Norddeutschen Bund mehr und mehr eine Epoche eigenen Wertes,[2] die nicht etwa automatisch in das Kaiserreich münden musste.

 
Bismarck-Denkmal in Hamburg. Man muss kein Bismarck-Fan sein, um die Leistungen des ersten Bundeskanzlers zu würdigen; man muss kein Monarchist sein, um die konstitutionelle Monarchie als damals weithin akzeptierte Regierungsform zu begreifen. Über alternative Wege zur deutschen Einigung darf aber gern spekuliert werden (außerhalb der Wikipedia).

Wenn aber ein einseitig negatives Bild die Grundlage für eine Darstellung ist, dann lässt man weg, was diesem Bild nicht entspricht. Wer die sogenannte Reichsgründung als Fürstenkomplott versteht, der glaubt, das Reich sei am 18. Januar 1871 dadurch gegründet worden, dass der preußische König von seinen Mitfürsten zum Kaiser ausgerufen wurde. Die Bundesverfassung vom 1. Januar 1871, die diesen Titel eingeführt hat, wird in so einer Darstellung gar nicht erst erwähnt.[3] Sie würde auch das Bild der autoritären Reichsgründung allein „von oben“ stören, denn am Zustandekommen der Bundesverfassung ist natürlich der demokratisch gewählte Reichstag beteiligt gewesen. Man darf sich auch nicht von Präambeln irritieren lassen, denen zufolge die norddeutschen oder deutschen Fürsten „einen ewigen Bund“ geschlossen hätten; gemeint sind die Fürsten als Repräsentanten ihrer Staaten.

Verwirrende Bezeichnungen Bearbeiten

Wer sich nur mit der deutschen Geschichte beschäftigt, gerät nicht nur leicht auf die Sonderwegthese. Er mag auch glauben, die deutsche Geschichte sei an sich komplizierter als die anderer Länder. Schaut man sich aber die Nationalgeschichten anderer Länder genauer an, relativiert sich so manches. Frankreich war seit 1789 fünfmal Republik, zweimal Kaiserreich und mehrmals Monarchie.

Zuweilen sind es die Bezeichnungen, die den Zugang erschweren. Wir sprechen von einer Gründung des Norddeutschen Bundes, von einer Reichsgründung, der Gründung der Deutschen Republik und der Gründung der Bundesrepublik. Im eigentlichen Sinne gegründet wurde aber nur der Norddeutsche Bund. Bei den anderen Gründungen handelte sich nur um Verfassungsänderungen oder Neuorganisationen eines bereits bestehenden Völkerrechtssubjekts.

Der Bezeichnung nach ähnelten sich der Deutsche Bund und der Norddeutsche Bund, doch ersterer war ein Staatenbund mit bundesstaatlichen Zügen, und letzterer war ein Bundesstaat mit staatenbündischen Zügen. Die Verfassung des Norddeutschen Bundes vermied den Ausdruck „Staatsoberhaupt“ oder „Bundesoberhaupt“, es gab aber ein Bundespräsidium und einen Bundesfeldherrn (beide Funktionen übte der preußische König aus).

Das war kein Zufall: Es war Bismarcks Absicht, den neuen Bundesstaat möglichst nach Staatenbund aussehen zu lassen und die Rolle des Königs zu verschleiern. Das sollte den süddeutschen Staaten den Beitritt annehmlicher machen. Überhaupt ist es nicht leicht, die Bismarcksche Verfassung von 1867/1870/1871 zu verstehen ohne gewisse Kenntnis der Geschichte des Deutschen Bundes und des Norddeutschen Bundes.

Man kann den Übergang von 1870 mit dem von 1990 vergleichen: In beiden Jahren traten deutsche Gebiete einem bereits bestehenden Bundesstaat bei. Im Jahr 1870 lebte im Beitrittsgebiet ein Viertel der neuen Gesamtgevölkerung, 1990 ein Fünftel. In beiden Fällen wurde die Verfassung geändert, das politische System blieb aber bestehen, bei leichten Änderungen im Parteiensystem. Der große Unterschied: Im ersten Fall wurde der Staatsname geändert (von Norddeutscher Bund zu Deutsches Reich), im zweiten Fall nicht (Bundesrepublik; wenngleich: Bonner Republik / Berliner Republik). Für die spätere Wahrnehmung scheint die bloße Bezeichnung viel auszumachen.

Was schon in der Wikipedia stand Bearbeiten

Selbstverständlich gab es in der Wikipedia bereits viele, auch viele zentrale Artikel zum Thema. Nicht wenige davon waren sehr kurz oder kaum belegt; manche Lemmata waren reine Weiterleitungen (etwa von Süddeutscher Bund zu Prager Frieden (1866)), darunter auch eine fehlerhafte (von Bundeskrieg zum Deutschen Krieg). Eigentlich Naheliegendes wie die Preußischen Annexionen 1866 gab es nicht als eigenen Artikel.

Manchmal sind die Wikipedianer bei der Segmentation des Inhaltes nicht nach dem Begriff, sondern nach der Bezeichnung gegangen. Ein vereinfachtes Beispiel: Der Artikel Reichsexekution behandelt die staatlichen Eingriffsmaßnahmen zu den Zeiten, als Deutschland sich Reich nannte. Bundesexekution hingegen beschäftigt sich damit für diejenigen Zeiten, als Deutschland Bund hieß. Sinnvoller wäre es, nach der Sache die Artikel zu schreiben, egal, ob die Bezeichnung Reich oder Bund war. Zum Beispiel sollte es einen eigenen Artikel für die Maßnahmen im Heiligen Römischen Reich und einen anderen für die Zeit von Norddeutschem Bund und Kaiserreich geben.

In ähnlicher Weise gab es getrennte Artikel zum Bundeskanzler und zum Reichskanzler. Ich bin die Flucht nach vorne angetreten und habe Einzelartikel für den Bundeskanzler 1867-1870 und den Reichskanzler 1871-1918 geschrieben (wobei es sich, notabene, um dasselbe Amt handelt; Bundeskanzler Bismarck ist bei der Änderung der Bezeichnung 1871 noch nicht einmal erneut ernannt worden). Dabei habe ich, hoffentlich, in den Einzelartikeln den passenden Schwerpunkt gelegt: Beim Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes auf die Entstehung des Amtes, beim Reichskanzler des Kaiserreiches auf die Entwicklung.

Es sind aber Ungereimtheiten in Bezug auf den Norddeutschen Bund und das Kaiserreich bestehen geblieben. Man könnte künftig auch beim Reichstag (Reichstag (Norddeutscher Bund) bzw. Reichstag (Deutsches Kaiserreich) noch mehr überlegen, wie man beide Artikel sinnvoll voneinander abgrenzt. Außerdem haben wir immer noch das Lemma Bundesrat (Deutsches Reich), trotz der Bezeichnung, als gemeinsamen Artikel für Norddeutschen Bund und Kaiserreich. Es wäre nicht völlig undenkbar, Nägel mit Köpfen bei diesen Staatsorganen zu machen: entweder stets ein jeweils gemeinsamer Artikel für die Zeit von 1867 bis 1918, oder aber stets zwei getrennte Artikel für 1867 bis 1870 bzw. für 1871 bis 1918.

67 Artikel Bearbeiten

 
Das Wappen des Norddeutschen Bundes: Die wilden Männer stammen aus dem preußischen Wappen und die Farben Schwarz-Weiß-Rot aus der Bundesverfassung. Die Symbole des Norddeutschen Bundes wie des Kaiserreichs sagen uns heutigen Deutschen nichts mehr, oder wir verbinden sie (oft durchaus zurecht) mit etwas Negativen. Auch die Bundesverfassung von 1867 ist nicht der große, begeisternde Wurf wie die Reichsverfassung von 1849. Umso befremdlicher und unattraktiver wirken die ersten Jahrzehnte des deutschen Staatswesens auf uns.

Im Gegensatz zu Wikipedia 48 habe ich die Artikel zu 1867 gemählicher angegangen, ohne den Ehrgeiz, alles in einem Rutsch einzustellen. Das hat etwas mehr Überarbeitungsarbeit bei den Verlinkungen gekostet, war aber organischer und, sagen wir, gemütlicher.

Die 67 Artikel beziehen auch die Vorgeschichte zur Bundesgründung ein. In seltenen Fällen gehen sie bis auf die napoleonische Zeit (wie Bundesprotektor) zurück. Einige Artikel betreffen eher Allgemein-Strukturelles zur Epoche, zum Beispiel die konstitutionelle Monarchie als solche, aber mit Fokus auf Deutschland. In Fett stehen in der Liste Artikel mit Überblickscharakter.

  1. Konstitutionelle Monarchie
  2. Ministerverantwortlichkeit
  3. Ministerverantwortlichkeit in Deutschland
  4. Verfassungsvereinbarung
  5. Bundesreaktionsbeschluss
  6. Geheimer Polizeiverein
  7. Herzogtum Limburg (1839-1866) (Neuanlage eines bestehenden Artikels)
  8. Süddeutscher Bund (Neuanlage eines bestehenden Artikels)
  9. Bundeswahlgesetz 1869
  10. Außenpolitik in Deutschland 1848–1851
  11. Diplomatie des Norddeutschen Bundes
  12. Seekrieg im Deutsch-Französischen Krieg
  13. Bundesfeldherr
  14. Bundespräsidium (Neuanlage eines bestehenden Artikels)
  15. Bundeskanzleramt (Norddeutscher Bund)
  16. Diplomatie des Deutschen Bundes
  17. Landständische Verfassung
  18. Kabinett Schmerling
  19. Bundeskrieg
  20. Spanische Thronfolge 1868–1870
  21. Verfassung des Deutschen Bundes
  22. Frankfurter Reformakte
  23. Frankfurter Fürstentag (teilweise Neuanlage eines bestehenden Artikels)
  24. Deutscher Kaiser (teilweise Neuanlage eines bestehenden Artikels)
  25. Plan einer Bundes-Delegiertenversammlung
  26. Mission Gablenz
  27. Augustverträge (Neuanlange eines bestehenden Artikels)
  28. Österreichisch-Französischer Geheimvertrag
  29. Preußischer Bundesreformplan 1866
  30. Bundesbeschluss vom 14. Juni 1866
  31. Würzburger Konferenzen
  32. Bundestag (Deutscher Bund)
  33. Preußische Annexionen 1866
  34. Auflösung des Deutschen Bundes
  35. König von Preußen
  36. Konstituierender Reichstag
  37. Bundesrat (Deutsches Reich) (Neuanlange eines bestehenden Artikels)
  38. Gothaer Nachparlament (Neuanlange eines bestehenden Artikels)
  39. Dreibundplan 1868-1870
  40. Welfische Legion (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  41. Interpellation Lasker
  42. Kabinett Gagern
  43. Wiener Ministerialkonferenz 1834
  44. Liste der Verfassungen in Deutschland
  45. Bundesrecht bricht Landesrecht (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  46. Bundeszweck (Deutscher Bund)
  47. Belgische Eisenbahnkrise 1869
  48. Außenpolitik des Norddeutschen Bundes
  49. Gründung des Norddeutschen Bundes
  50. Coburgischer Bundesreformplan
  51. Napoleonische Restaurationsversuche 1870/1871
  52. Reform des Deutschen Bundes
  53. Bundesstaatlich-konstitutionelle Vereinigung (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  54. Österreichisch-preußisches Kondominium in Schleswig-Holstein
  55. Prager Frieden (1866) (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  56. Bundeskanzler (Norddeutscher Bund) (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  57. Norddeutsche Maß- und Gewichtsordnung
  58. Bundeskommissar
  59. Liga der Neutralen
  60. Bundesrecht (Deutscher Bund)
  61. Bundestag (Rheinbund)
  62. Originalexemplare der Frankfurter Reichsverfassung
  63. Germania (Paulskirche)
  64. Germania (Philipp Veit) (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  65. Protektor des Rheinbundes
  66. Doppelbund (Überarbeitung eines bestehenden Artikels)
  67. Reichskanzler (Deutsches Kaiserreich)

Weblinks Bearbeiten

Belege Bearbeiten

  1. Martin Kirsch: Monarch und Parlament im 19. Jahrhundert. Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungstyp – Frankreich im Vergleich. Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1999, S. 395–399.
  2. Christoph Nonn: Bismarck. Ein Preuße und sein Jahrhundert. Beck, München 2015, S. 174/175.
  3. Siehe zum Beispiel Gmür und Roth: Grundriss der deutschen Rechtsgeschichte. 12. Auflage, Carl Heymanns Verlag, Köln / München 2008: „Nachdem Wilhelm I. von Preußen [... am 18. 1. 1871 [...] als 'Deutscher Kaiser' proklamiert worden und das Deutsche Reich damit gegründet war, erhielt dessen Verfassung am 16. April durch Beschlüsse des in ihr vorgesehenen Bundesrates und Reichstages ihren endgültigen Wortlaut.” Wohl erscheint die Verfassung vom 1. Januar aber in: Ulrich Eisenhardt: Deutsche Rechtsgeschichte, 5. Auflage, C. H. Beck, München 2008, S. 368.