Benutzer:TheFlixx/Tötungsanstalt Schloss Grafeneck

Grafeneck

In der NS-Tötungsanstalt Grafeneck bei Gomadingen (Landkreis Reutlingen, Baden-Württemberg) wurden während der nationalsozialistischen Krankenmorde, der so genannten Aktion T4, vom nationalsozialistischen Regime 1940 systematisch 10.654 behinderte Menschen, vor allem aus Bayern, Baden und Württemberg ermordet.

Lage Bearbeiten

Das Schloss liegt ca. 25 km südöstlich von Tübingen zwischen Engstingen und Münsingen am östlichen Ortsrand in der Nähe des Landgestüts Marbach (bekannte Pferdezucht).

Geschichte Bearbeiten

An der Stelle einer hochmittelalterlichen Burganlage errichteten die Herzöge von Württemberg um 1560 ein Jagdschloss. Herzog Carl Eugen von Württemberg nutzte das Anwesen als Sommerresidenz und erweiterte es in den Jahren 1762 bis 1772 zu einem barocken Schloss mit Opernhaus und zahlreichen Lustbauten. Das Opernhaus wurde später nach Ludwigsburg versetzt, das Schloss gab man auf. Im 19. Jahrhundert wurden einzelne Bauten abgerissen, das Schloss nutzte das Forstamt. 1929 kaufte die Samariterstiftung das Schloss, richtete ein Heim für Behinderte ein und legte 1930 einen eigenen Friedhof an.

Grafeneck im Dritten Reich Bearbeiten

Umbau Bearbeiten

Zu Kriegsbeginn 1939 wurde die im Schloss untergebrachte „Heil- und Pflegeanstalt“ für die Aktion T4 beschlagnahmt und die seinerzeitigen Patienten/Bewohner in das Kloster Reute umgesiedelt. Grafeneck war die erste Einrichtung dieser Art, in die eine Gaskammer eingebaut wurde. Die Vergasungen fanden ab dem 18. Januar 1940 in der als Duschraum getarnten so genannten „Garage“ unter Verwendung von Kohlenmonoxid statt. Der Anstaltsarzt ließ durch Bedienen eines mit einem Manometer versehenen Ventils Kohlenmonoxid in den Vergasungsraum einströmen. Die erforderlichen Stahlflaschen lieferte die Firma Mannesmann, die Befüllung besorgte die IG Farbenindustrie im Werk Ludwigshafen (BASF).[1] Um den Massenmord unauffälliger durchführen zu können, wurde in Grafeneck ein Krematorium und ein eigenes Standesamt zur Beurkundung der Todesfälle eingerichtet.

In Grafeneck war auch die Zentralstelle der Gemeinnützigen Krankentransport GmbH (Gekrat) angesiedelt[2], die für die Transporte zuständig war und von Reinhold Vorberg geleitet wurde.

Schließung Bearbeiten

Nach der Schließung im Dezember 1940 wurde das Personal in die hessische Tötungsanstalt Hadamar nördlich von Frankfurt bei Limburg verlegt. Das Schlossgebäude diente in den folgenden Jahren der so genannten Kinderlandverschickung. 1945 wurde das Heim von der französischen Besatzungsbehörde genutzt und 1946/47 wieder an die Samariterstiftung zurückgegeben. Die bei Kriegsbeginn aus Grafeneck vertriebenen behinderten Menschen, die den Krieg überlebten, zogen wieder ins Schloss.

Zahl der Opfer Bearbeiten

Nach der so genannten Hartheimer Statistik wurden in der Tötungsanstalt Grafeneck in den zwölf Monaten zwischen Januar und Dezember 1940 insgesamt 9.839 Menschen in einer Gaskammer ermordet:[3]

Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Insgesamt
95 234 500 410 1.119 1.300 1.262 1.411 1.228 761 971 548 9.839

Tötungsärzte Bearbeiten

Die T4-Organisatoren Viktor Brack und Karl Brandt ordneten an, dass die Tötung der Kranken ausschließlich durch das ärztliche Personal erfolgen durfte, da sich das Ermächtigungsschreiben Hitlers vom 1. September 1939 nur auf Ärzte bezog. Die Bedienung des Gashahns war in den Tötungsanstalten somit Aufgabe der Vergasungsärzte. Allerdings kam es im Laufe der Aktion auch vor, dass bei Abwesenheit der Ärzte oder aus sonstigen Gründen der Gashahn vom nichtärztlichen Personal bedient wurde. Alle Ärzte von Grafeneck verwendeten im Schriftverkehr nach außen ausschließlich Tarnnamen.

In Grafeneck waren als Tötungsärzte tätig:

  • Leiter: Horst Schumann („Dr. Klein“): Januar 1940 bis Juni 1940
  • Stellvertreter: Ernst Baumhard („Dr. Jäger“): Januar 1940 bis April 1940, von da ab leitender Arzt bis Dezember 1940
  • Stellvertreter: Günther Hennecke („Dr. Fleck“): 25. April 1940 bis Dezember 1940

Erinnerung, Gedenken Bearbeiten

Seit den 1950er und 1960er Jahren wird mit zwei Urnengräbern und einem Gedenkort auf dem Friedhof mit einer offenen Kapelle an die Morde in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. 1965 wurde die „Garage“ abgerissen. 1982 entstand ein „Arbeitskreis Euthanasie“, um die Gedenkstätte auszubauen und eine ständige Ausstellung zu ermöglichen. Im Jahr 1995 wurde das Gedenk- und Namensbuch erstmals vorgestellt und drei Jahre danach für die Öffentlichkeit zugänglich untergebracht. Das Gedenkbuch führt heute über 8.000 Namen der Opfer auf. Seit Oktober 2005 beherbergt Grafeneck ein Dokumentationszentrum.

Literatur Bearbeiten

  • Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-10-039303-1. – Standardwerk bis heute mit vielen Informationen über Grafeneck.
  • Karl Morlok: Wo bringt ihr uns hin? Geheime Reichssache Grafeneck, Stuttgart 1985. – Erste kleine Monographie.
  • Ernst Klee (Hrsg.): Dokumente zur „Euthanasie". Fischer, Frankfurt am Main 1985, S. 232 f., ISBN 3-596-24327-0.
  • Klaus-Peter Drechsel: Beurteilt Vermessen Ermordet. Praxis der Euthanasie bis zum Ende des deutschen Faschismus. Duisburg 1993, ISBN 3-927388-37-8.
  • Roland Müller u. a.: Krankenmord im Nationalsozialismus – Grafeneck und die „Euthanasie“ in Südwestdeutschland. Stuttgart: Archiv der Stadt Stuttgart, Hohenheim Verlag. 2001. 150 Seiten, ISBN 3-89850-971-0.
  • Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-8270-0265-6. – Ergänzung zu Klee. Gestützt im Wesentlichen auf Akten aus Ermittlungsverfahren und Prozessen, wird der enge Zusammenhang zwischen dem Krankenmord und dem Mord an den Juden in der „Aktion Reinhardt“ herausgearbeitet.
  • Thomas Stöckle: Grafeneck 1940. Die Euthanasie-Verbrechen in Südwestdeutschland, Tübingen 2002, Silberburg-Verlag, ISBN 3-87407-507-9
  • Jörg Kinzig, Thomas Stöckle (Hrsg.): 60 Jahre Tübinger Grafeneck-Prozess: Betrachtungen aus historischer, juristischer, medizinethischer und publizistischer Perspektive. Verlag Psychiatrie und Geschichte, Zwiefalten 2011; ISBN 978-3-931200-17-6
  • Henning Tümmers: Justitia und die Krankenmorde: Der „Grafeneck-Prozess“ in Tübingen. In: Stefanie Westermann, Richard Kühl, Tim Ohnhäuser (Hrsg.): NS-„Euthanasie“ und Erinnerung: Vergangenheitsaufarbeitung – Gedenkformen – Betroffenenperspektiven. Medizin und Nationalsozialismus 3, LIT Verlag, Münster 2011, S. 95-122; ISBN 978-3-643-10608-7
  • Werner Blesch, Konrad Kaiser u. a.: Uns wollen sie auf die Seite schaffen. Deportation und Ermordung von 262 behinderten Menschen der Johannesanstalten Mosbach und Schwarzach in den Jahren 1940 und 1944 In: Mosbach im Dritten Reich. Heft 2, Mosbach 1993. Im Selbstverlag zu beziehen bei der Stadtverwaltung, Rathaus, 74821 Mosbach
  • Hans-Werner Scheuing: „…als Menschenleben gegen Sachwerte gewogen wurden.“ Die Anstalt Mosbach im Dritten Reich und die Euthanasie-Diskussion heute. 2. Auflage. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2004, ISBN 3-8253-1607-6. Zu den Opfern aus den Johannes-Anstalten Mosbach

Weitere Literaturhinweise siehe im Hauptartikel: Die Euthanasiemorde in der NS-Zeit oder Aktion T4

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Webseite der Gedenkstätte.
  2. Henry Fiedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Berlin 1997, ISBN 3-8270-0265-6, S. 314.
  3. Ernst Klee (Hrsg.): Dokumente zur „Euthanasie". Fischer, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-596-24327-0. Dokument 87, S. 232.

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