Die Ehrhart-Theorie beschäftigt sich mit dem Abzählen von Gitterpunkten in Polytopen und deren Vielfachen. Nach einer Arbeit von Eugène Ehrhart aus dem Jahr 1962[1] ist die Zählfunktion für die Gitterpunkte in ganzzahligen Vielfachen eines Gitterpolytops durch ein Polynom gegeben, das Ehrhart-Polynom.

Durch das Ehrhart-Polynom entsteht ein Zusammenhang zwischen dem Volumen des Polytops und der Anzahl von Gitterpunkten und inneren Gitterpunkten des Polytops und seiner Vielfachen. Somit liefert die Ehrhart-Theorie eine Verallgemeinerung des Satzes von Pick.

Neben dem Ehrhart-Polynom wird auch die Ehrhart-Reihe als erzeugende Funktion des Ehrhart-Polynoms und das -Polynom als Zählerpolynom der rationalen Funktion, welche der Ehrhart-Reihe zuordnen werden kann, untersucht.

Motivation Bearbeiten

Für ein Polytop   kann das Volumen   als Grenzwert diskreter Volumnina bestimmt werden, die sich durch betrachten des Polytops im Gitter   ergeben. Durch Verschiebungen der abgeschlossenen Grundmasche   um Gittervektoren ergibt sich nämlich eine Parketierung des   durch Hyperwürfel der Kantenlänge   und mit Hilfe der Anzahl der Gitterpunkte im Polytop kann abgezählt werden, von wie vielen dieser Hyperwürfel ein bestimmter Eckpunkt im Polytop liegt. Es gilt daher

 

wobei mit   die Anzahl der Elemente der Menge bezeichnet wurde.

Definitionen Bearbeiten

Ist   ein ganzzahliges Polytop der Dimension  , d.h. ein Polytop dessen Eckpunkte in   liegen und dessen affine Hülle ein  -dimensionaler affiner Unterraum ist, dann ist die Gitterpunktzählfunktion   für die Gitterpunkte in ganzzahligen Vielfachen von   durch eine Polynomfunktion vom Grad   gegeben.[2][3] Es gibt also ein Polynom  , sodass   für alle   gilt, und   wird als Ehrhart-Polynom von   bezeichnet.

Als Ehrhart-Reihe von   bezeichnen wir die erzeugende Funktion des Ehrhart-Polynoms, also die formale Potenzreihe  .

Als ganzwertiges Polynom hat das Ehrhart-Polynom eine eindeutige Darstellung als ganzzahlige Linearkombination der Binomialkoeffizienten

 

und es gibt somit ganzen Zahlen  , sodass

 

Für   ergibt sich

 

Das Polytop   wird als  -Polynom des ganzzahligen Polytops   bezeichnet.[4] Der Grad des  -Polynom wird auch als Grad von   bezeichnet, wofür im Folgenden   geschrieben wird.[5]

Koeffizienten und Werte des Ehrhart- und des -Polynoms Bearbeiten

Das Ehrhart-Polynom ist ein ganzwertiges Polynom von Grad  . Damit ergibt sich für ein volldimensionales Polytop   mit den Überlegungen in der Motivation das Volumen   als Leitkoeffizient des Ehrhart-Polynoms. Ist   nicht volldimensional, so erhält man als Leitkoeffizient das vom entsprechenden Untergitter induzierte Volumen.[6]

Der auf den Leitkoeffizienten folgende Koeffizient des Ehrhart-Polynoms ergibt sich als Hälfte der Summe der Facettenvolumina, wobei diese relativ zum jeweiligen Untergitter, in welchem die Facette liegt, zu bestimmen sind.[7]

Wegen

 

erhält man das Absolutglied des Ehrhart-Polynoms als   und außerdem  .[8] Ebenso ergibt sich damit aus dem Leitkoeffizienten des Ehrhart-Polynoms das normalisierte Volumen als Wert des  -Polynoms in  , also

 .[9]

Gilt  , so erhalten für das Ehrhartpolynom die Nullstellen

 [10]

Ehrhart-Macdonald Reziprozität Bearbeiten

Die Ehrhart-Macdonald Reziprozität liefert eine Interpretation für die Werte des Ehrhartpolynoms für negative ganze Zahlen. Ist nämlich   ein  -dimensionales ganzzahliges Polytop mit Ehrhart-Polynom   und wird mit   das Innere eines Polytops bezeichnet, so gilt für negative ganze Zahlen  

 

Die Werte für negative ganze Zahlen ergeben sich also bis auf das dimensionsabhängige Vorzeichen als Anzahl der inneren Gitterpunkte des entsprechend skalierten Polytops.[11][12]

Insbesondere folgt für den Leitkoeffizienten des  -Polynoms

 

und   ist die kleinste ganze Zahl, sodass   einen inneren Gitterpunkt hat.

Abschätzungen für Koeffizienten Bearbeiten

Die Koeffizienten des  -Polynoms sind nicht-negative ganze Zahlen.[13][14] Diese Abschätzung von Stanley ergibt sich auch als Spezialfall einer ebenfalls von Stanley bewiesenen Monotonieaussage[15] für das  -Polynom zweier unterschiedlicher Polytope. Es gilt nämlich für Gitterpolytope   stets koeffizientenweise

 

Aus der Beschreibung der Koeffizienten folgt außerdem allgemein die Abschätzung

 

Daneben sind weitere Abschätzungen bekannt.[16]

Die Koeffizienten des Ehrhart-Polynoms können hingegen rational und auch negativ sein, aus der Ganzheit der Koeffizienten des  -Polynoms folgt aber zumindest, dass die Nenner der Koeffizienten des Ehrhart-Polynoms   teilen.

Abschätzungen https://arxiv.org/pdf/math/0402148.pdf https://arxiv.org/abs/0710.2665 https://arxiv.org/pdf/0904.3035.pdf


Spezielle Familien von Polytopen Bearbeiten

Ehrhart positivity and unimodularity ? Bearbeiten

https://arxiv.org/pdf/1804.08258.pdf https://arxiv.org/pdf/1505.07377.pdf https://arxiv.org/pdf/1711.09962.pdf

Reflexive Polytop (Hibi), Zonotope, Birkhoff-Polytop (https://arxiv.org/abs/math/0202267)

Beispiele Bearbeiten

Figurierte Zahlen Bearbeiten

Standardgittersimplex Bearbeiten

Für den  -dimensionalen Standardsimplex   ergibt sich die Anzahl der Gitterpunkte in   als Summe der ersten   natürlichen Zahlen, also als die Dreieckszahl  .

Für den  -dimensionalen Standardsimplex   bestimmt man die Anzahl der Gitterpunkte in   als Summe der Dreieckszahlen   und erhält damit die Tetraederzahl  .

Allgemein ergeben sich also rekursiv die  -dimensionalen Simplexzahlen und somit für den  -dimensionalen Standardsimplex  

 

Da die Standardsimplizes stehts als normiertes Volumen   haben, gilt

 

und damit wegen der Nicht-Negativität der   und   bereits

 

Insbesondere gilt also   und   ist das kleiste ganzzahlige Vielfache von  , das einen inneren Gitterpunkt enthält.

Einheitswürfel Bearbeiten

Für den  -dimensionalen Einheitswürfel   erhalten wir für die Anzahl der Gitterpunkte in   die Quadratzahlen   und entsprechend für den  -dimensionalen Einheitswürfel   in   die Kubikzahlen   als Anzahl der Gitterpunkte.

Allgemein erhalten wir also für den  -dimensionalen Einheitswürfel

 

Es gilt   und als Koeffizienten des  -Polynoms ergeben sich die Eulerschen Zahlen.[17]

Satz von Pick Bearbeiten

Für ein zweidimensionales ganzzahliges Polytop   können sowohl das Ehrhart- als auch das  -Polynom aufgrund der allgemeinen Charakterisierungen der Koeffizienten explizit angegeben werden. Bezeichnet   den Rand von  , so gilt

 

und

 

Insbesondere ergibt sich

 

was gerade die Aussage des Satzes von Pick ist.

Dass die Anzahl der inneren Punkte und der Randpunkte für   nicht mehr ausreicht um das Volumen zu bestimmen und sich somit der Satz von Pick nur in Dimension   gilt, zeigt sich anschaulich an den sogenannten Reeve Tetraedern  , die für eine positive ganze Zahl   als konvexen Hülle von   gegeben sind. Es gilt nämlich   und  , während das Volumen   beliebig große Werte annehmen kann.

Mit Hilfe des Leitkoeffizienten des Ehrhart-Polynoms erhält man aber als Verallgemeinerung des Satzes von Pick weiterhin die Möglichkeit das Volumen zu bestimmen, wenn die Anzahl der Gitterpunkte, inneren Gitterpunkte oder der Randpunkte in ausreichend vielen ganzzahligen Vielfachen des Polytops bekannt sind.

Berechnung Bearbeiten

Da das Ehrhartpolynom ein Polynom von Grad   ist, kann es als Interpolationspolynom bestimmt werden, sobald   Werte bekannt sind. Da die ganzzahligen Werte aber als Anzahl der Gitterpunkte bzw. inneren Gitterpunkte in entsprechenden ganzzahligen Vielfachen des Polytops bestimmt werden können, ist die effiziente Berechnung des Ehrhartpolynoms möglich, wenn effizient Gitterpunkte gezählt werden können. Dies ist aber durch Algorithmen von Alexander Barvinok in jeder Dimension in polynomialer Laufzeit möglich.[18][19] In spezialisierten Computeralgebrasystemen wie etwa polymake sind die entsprechenden Algorithmen verfügbar.[20]

Verallgemeinerungen Bearbeiten

Ehrhart-Theorie für rationale Polytope Bearbeiten

Kommutative Algebra Bearbeiten

Mehrdimensional ? Bearbeiten

https://arxiv.org/abs/math/0111331 https://www.math.uni-frankfurt.de/~theobald/publications/mixedehrhart3.pdf

Zusammenhänge mit anderen Gebieten Bearbeiten

torische Geometrie voting theory https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00355-007-0236-1.pdf

Weblinks Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

Monographien Bearbeiten

In Lehrbüchern zu allgemeineren Themen Bearbeiten

Vorlesungsskripte Bearbeiten


Originalpublikationen Bearbeiten

  • Eugène Ehrhart: Sur les polyèdres rationnels homothétiques à n dimensions. C. R. Acad. Sci. Paris 254, 1962, S. 616–618, bnf online.
  • Ian G. MacDonald: Polynomials Associated with Finite Cell-Complexes. Journal of the London Mathematical Society, Volume s2-4, Issue 1, Juli 1971, S. 181–192,online
  • Richard P. Stanley: Decompositions of rational convex polytopes. Annals of Discrete Mathematics 6, 1980, S. 333-343, online
  • Richard P. Stanley: A Monotonicity Property of  -vectors and  -vectors. Europ. J. Combinatorics, 1993, 14, S. 251-258, online

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Ehrhart: Sur les polyèdres rationnels homothétiques à n dimensions. 1962, Théorème 1
  2. Ehrhart: Sur les polyèdres rationnels homothétiques à n dimensions. 1962, Théorème 1
  3. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 3.8 (Ehrhart's theorem).
  4. Auch die Bezeichnungen als  -Polynom oder  -Polynom treten auf.
  5. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 4.5
  6. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Corollary 3.20.
  7. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 5.6.
  8. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Lemma 3.13. ff.
  9. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Lemma 3.21.
  10. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 3.19.
  11. MacDonald: Polynomials Associated with Finite Cell-Complexes. 1971, Theorem 4.6
  12. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 4.1 (Ehrhart-Macdonald reciprocity)
  13. Stanley: Decompositions of rational convex polytopes. 1980, Theorem 2.1.
  14. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 3.12.
  15. Stanley: A Monotonicity Property of  -vectors and  -vectors. 1993, Theorem 3.3.
  16. Alan Stapledon: Inequalities and Ehrhart  -Vectors. Trans. Amer. Math. Soc. 361, 2009, S. 5615-5626.
  17. Beck, Robins: Computing the Continous Discretly. 2009, Theorem 2.1.
  18. Alexander I. Barvinok: A Polynomial Time Algorithm for Counting Integral Points in Polyhedra When the Dimension Is Fixed. Mathematics of Operations Research, Vol. 19, No. 4 (Nov., 1994), S. 769-779
  19. Alexander I. Barvinok: Computing the Ehrhart Polynomial of a Convex Lattice Polytope. Discrete Comput Geom 12:35,48, 1994, online
  20. Tutorial for Lattice Polytopes. polymake wiki, abgerufen am 14. August 2021.