BISHERIGER ARTIKEL

Als weibliche Ejakulation (vulg. auch Squirting von engl. to squirt „spritzen“)[1] wird bei der Frau das stoßweise Freisetzen eines Sekrets auf dem Höhepunkt der sexuellen Erregung bezeichnet, das mit einem intensiven Lusterlebnis verbunden ist. Das Ejakulat wird beim Orgasmus durch mehrere winzige Ausgänge in den Endabschnitten der Harnröhre sowie rechts und links derselben ausgesondert. Diese sexuelle Reaktion unterlag einer medizinischen und gesellschaftlichen Tabuisierung. Weiterer Forschungsbedarf besteht u. a. hinsichtlich der genauen Zusammensetzung des Ejakulats, des genauen anatomischen und physiologischen Entstehungsorts sowie der Vorgänge, die zum Auslösen der Ejakulation führen.[2]

Entdeckungsgeschichte Bearbeiten

Aristoteles berichtete um 300 v. Chr. von einer flüssigen Absonderung beim weiblichen Orgasmus, die jedoch keinen Samen enthalte.[3] Galen beschrieb im 2. Jahrhundert die weibliche Paraurethraldrüse. Seit dieser Zeit ist das weibliche Ejakulat unter dem Namen „Aqualusio“ oder „Aqlusio“, was sich von den lateinischen Begriffen für Wasser (Aqua) und Ende (Conclusio) ableitet, bekannt. In der Renaissance bezieht sich der Anatom Realdo Colombo in seiner Arbeit über die Funktion der Klitoris auf die weibliche Ejakulation. Eine detaillierte Beschreibung als „schwallartiger Erguss“ während der Erregung wurde 1672 von dem niederländischen Anatomen Reinier De Graaf verfasst, der auch auf eine besonders sensible Zone in der vorderen Scheidenwand verwies, die er mit der Prostata des Mannes verglich.[4] Dieser Bereich wurde 1950 von dem deutschen Gynäkologen Ernst Gräfenberg beschrieben[5] und später als Gräfenberg-Zone („G-Punkt“) bezeichnet.

Aktuelle Rezeption Bearbeiten

 
Weibliches Genital (Vulva)

Ab den 1970er Jahren wurde das Thema im Zuge der Frauenbewegung erneut aufgegriffen. Im Kontext der Frauenselbsthilfebewegung wird auf die weibliche Ejakulation unter dem Oberbegriff Lubrikationsproblematik insbesondere in dem Aufklärungsbuch zu lesbischer Sexualität Sapphisterie von Pat Califia (1981) eingegangen. Schwerpunkt bildet hier die Vermittlung der weiblichen Ejakulation als natürlichen Teil des weiblichen sexuellen Erlebnisspektrums. 1987 wurde die weibliche Ejakulation in dem Handbuch A New View of a Woman’s Body, herausgegeben von Carol Dawner (USA), Initiatorin der Vaginalen Selbstuntersuchung, unter der Bezeichnung „Freudenfluss“ beschrieben. Dieses Buch beruht auf Forschungen der Gruppe um Dawner zu lesbischer Sexualität. Hierbei gewonnene Erkenntnisse zur weiblichen Ejakulation wurden der Sexualforscherin Beverly Whipple und dem Sexualforscher John D. Perry, Autoren des Buches G-Point, übermittelt. Dies trug unter anderem dazu bei, dass Ende der 1970er Jahre das Thema „weibliche Ejakulation“ in den USA wieder verstärkt in die gesellschaftliche Diskussion eintrat.[2]

Zeitgleich mit der Anerkennung der Existenz des G-Punktes durch die Arbeiten von Ladas, Whipple und Perry wurde auch die weibliche Ejakulation Gegenstand medizinischen Interesses.[6] Im Jahre 1981 präsentierten F. Addiego und Kollegen eine Studie zum Nachweis dieses Phänomens.[7] Darling, Davidson und Conway-Welch schrieben 1990, dass 40% der befragten Frauen von einem Flüssigkeitsausstoß berichtet hatten.[8]

Trotz einiger Studien von Beverly Whipple, John Perry, Gary Schuback, Milan Zaviačič und Cabello Santamaria ist jedoch nach wie vor weitgehend unklar, woher die ejakulierte Flüssigkeit stammt und wie der Vorgang genau abläuft. Chemische Analysen des Ejakulats ergaben, dass es sich um Urin, Sekrete der Paraurethraldrüse oder eine Mischung aus beidem handelt.[9]

Chemische Analysen des weiblichen Sekrets enthüllen eine Ähnlichkeit mit der Flüssigkeit der Vorsteherdrüse. Als ein charakteristisches Merkmal, das Urin vom Prostata-Produkt unterscheidet, gilt die Konzentration der sauren Prostata-Phosphatase (PAP). Fast alle amerikanischen Studien fanden heraus, dass die PAP-Konzentration im weiblichen Ejakulat die des Urins um ein Vielfaches übersteigt. Auch andere Indikatoren wie der Kalziumgehalt sprechen gegen die Urin-Hypothese. Die Berichte der betreffenden Frauen bestätigen dies ebenfalls: Die Flüssigkeit riecht anders, schmeckt anders und sieht anders aus.[10]

Häufigkeit Bearbeiten

Es lässt sich nicht genau feststellen, wie viele Frauen beim Orgasmus ejakulieren. In den 1960er Jahren gingen Masters und Johnson von einem Prozentsatz von 4,7 Prozent aus.[11] Neuere Studien vermuten hingegen einen höheren Prozentsatz von bis zu 54 Prozent.[12]

Physiologie Bearbeiten

Die weibliche Ejakulation wird als homologe Reaktion zur männlichen Ejakulation aufgefasst. Untersuchungen legen nahe, dass es sich bei der ausgestoßenen Flüssigkeit um eine gemischte Sekretion handelt. Als mögliche Quellen des Ejakulats gelten paraurethrale Drüsen, Bartholinische Drüsen, Cervix-, Uterus- und Tubaflüssigkeit sowie Transsudatflüssigkeit aus der Urethra. Kontrovers diskutiert wird, ob ein Anteil des Ejakulats aus der Blase stammt.[2]

Literatur Bearbeiten

  • Sabine Zur Nieden: Weibliche Ejakulation. Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter. In: Beiträge zur Sexualforschung. Bd. 91, zweite Neuauflage, Psychosozial-Verlag, Gießen 2009, ISBN 978-3-8379-2004-8 (1991 als med. Univ. Dissertation unter dem Titel Theoretische und empirische Studien zur weiblichen Ejakulation.)
  • Ernst Gräfenberg: The Role of Urethra in Female Orgasm. In: The International Journal of Sexology. Bd. 3, Nr. 3, 1950, S. 145–148.
  • Alice Khan Ladas, Beverly Whipple, John D. Perry: Der G-Punkt – das stärkste erotische Zentrum der Frau. Heyne, München 1983, ISBN 3-453-01806-0.
  • Renate Syed: Zur Kenntnis der „Gräfenberg-Zone“ und der weiblichen Ejakulation in der altindischen Sexualwissenschaft. Ein medizinhistorischer Beitrag. In: Sudhoffs Archiv. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte. Band 83, Heft 2, 1999, S. 171–190.
  • Karl F. Stifter: Die Dritte Dimension Der Lust – Das Geheimnis der weiblichen Ejakulation. Ullstein, Berlin 1988, ISBN 3-550-07809-9.
  • Karl F. Stifter: Weibliche Ejakulation. In: W. Eicher et al. (Hrsg.): Praktische Sexualmedizin. Medical Tribune, Wiesbaden 1988, S. 95 f.
  • Deborah Sundahl: Weibliche Ejakulation und der G-Punkt. Nietsch, Freiburg (i. Br.) 2006, ISBN 3-934647-95-2.
  • Josephine Lowndes Sevely: Evas Geheimnisse. Neue Erkenntnisse zur Sexualität der Frau. Droemer Knaur, München 1988, ISBN 3-426-26363-7.
  • B. Whipple, B. R. Komisaruk: Beyond the G spot: Recent Research on Female Sexuality. In: Psychiatric Annals. Band 29, 1999, S. 34–37.
  • M. Zaviacic: The Human Female Prostate: From Vestigial Skene’s Paraurethral Glands and Ducts to Woman’s Functional Prostate. Slovak Academic Press, 1999.
  • M. Zaviacic, B. Whipple: Update on the female prostate and the phenomenon of female ejaculation. In: Journal of Sex Research. Band 30, 1993, S. 148–151.
  • M. Zadra, E. Zadra: Hingabe und Ekstase: Der G-Punkt und das Geheimnis der weiblichen Sexualität. Knaur-Taschenbuch, München 2006, ISBN 3-426-87306-0.

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Susan Block: All About Female Ejaculation In: Counterpunch, 26/27 February 2005. Abgerufen am 4. Februar 2010 
  2. a b c Sabine zur Nieden: Weibliche Ejakulation: Variationen zu einem uralten Streit der Geschlechter (=Beiträge zur Sexualforschung. Band 84). Psychosozial-Verlag, Gießen 2004, ISBN 3-89806-267-8, S. 48 f.
  3. Sophia M. Connell: Aristotle and Galen on sex difference and reproduction. A new approach to an ancient rivalry. In: Studies In History and Philosophy of Science Teil A, Band 31, Nr. 3, Sept. 2000, S. 405–427.
  4. Regnier De Graaf: New Treatise Concerning the Generative Organs of Women, Erstveröffentlichung 1672, Nachdruck in J. Reprod. Fertil, 1972.
  5. E. Gräfenberg: The Role of the Urethra in Female Orgasm. In: International Journal of Sexology. Band 3, 1950, S. 145.
  6. Alice Khan Ladas, Beverly Whipple, John D. Perry: Der G-Punkt. Das stärkste erotische Zentrum der Frau. Heyne, 1983
  7. F. Addiego, Edwin G. Belzer Jr., Beverly Whipple, William Moger et al.: Female ejaculation. A case study. In: The Journal of Sex Research. Band 17, Nr. 1, Februar. 1981, S. 13–21.
  8. C. A. Darling, J. K. Davidson, C. Conway-Welch: Female Ejaculation. Perceived Orgins, the Grafenberg Spot/Area and Sexual Responsiveness. In: Archives of Sexual Behavior. Band 19, Nr. 1, 1990, S. 29–47, doi:10.1007/BF01541824
  9. S. Kratochvíl: Orgasmic expulsions in women. In: Cesk Psychiatr. Nr. 90, 1994, S. 71–77, PMID 8004685.
  10. DIE ZEIT Nr. 45 vom 5. November 1993
  11. Nick Fleming: A Review of Female Ejaculation During Orgasm. (PDF; 49 kB) In: Psychology 353: Human Sexuality I. Hrsg. von Jan Cioe, 2006, S. 3.
  12. C. A. Darling, J. K. Davidson, C. Conway-Welch: Female Ejaculation. Perceived Orgins, the Grafenberg Spot/Area and Sexual Responsiveness. In: Archives of Sexual Behavior. Band 19, Nr. 1, 1990, S. 29–47, doi:10.1007/BF01541824