Als Materia medica wird in der Pharmazie die Gesamtheit aller Arzneimittel - der sogenannte Arzneimittelschatz - bezeichnet. Es ist ein Begriff aus dem Mittelalter und aus der Renaissance, der heute außerhalb der Pharmaziegeschichte und Homöopathie kaum noch verwendet wird. Häufig wird er auf eine Therapierichtung oder eine Zeitepoche hin bezogen. Auch auf eine geografisch abgegrenzte Region bezogen wird er benutzt und schließt die Kenntnisse über Arzneimittel mit ein. Besonders häufig kommt Materia medica in den Buchtiteln alter Arzneimittellehren vor.

Vorzeit

Archäologische Funde von Pflanzenresten , die nach heutiger Kenntnis zu den Heilpflanzen zählen, sind nicht selten, werden aber in der Frage, ob sie arzneilich verwendet wurden meist zurückhaltend bewertet. In Neanderthalergräbern - bekannt unter der Bezeichnung Shanidar IV, im heutigen Irak ca. 70.000 - 40.000 Jahre alt - konnten sieben Heilpflanzenarten nachgewiesen werden (darunter Malve, Tausendgüldenkraut und Ephedra). Bandkeramische Fundkomplexe des 4. und 5. Jahrtausends v. Chr. enthalten viele Pflanzenarten, bei denen es naheliegt, daß sie als Heilpflanzen verwendet wurden: Klebkraut (Galium aparine), das möglicherweise auch zur Käsebereitung (Labferment) diente, die Wilde Malve (Malva sylvestris), der Spitzwegerich (Plantago lanceolata), der Schlafmohn (Papaver somniferum, natürlich auch eine wichtige Ölpflanze), der Vogelknöterich (Polygonum aviculare), der Holunder (Sambucus nigra), das Eisenkraut (Verbena officinalis) u.v.a.m. In Assyrien und Ägypten waren einige hundert pflanzliche, tierische und mineralische Arzneimittel in Gebrauch.

Altertum und Mittelalter

Bei den Griechen und Römern waren weit über 1.000 Drogen aus dem Pflanzen-, Tier- und Mineralreich bekannt. Plinius (Gaius Secundus d. Ältere, lebte von 23/24 bis 79 n.Chr.), war römischer Offizier und Staatsbeamter. Seine Ämter führten ihn u.a. nach Germanien, Spanien, Syrien, Judäa und Nordafrika. Er schrieb neben militärischen Fachbüchern und historischen Schriften, die nicht mehr erhalten sind, eine höchst umfangreiche enzyklopädische Naturkunde in 37 Büchern, die ’Naturalis historia’. Sie ist eine in jahrelanger Arbeit entstandene Materialsammlung, ca. 2000 Bände von etwa 100 Autoren dienten als Quellen. Da diese Quellen sorgfältig genannt werden, ist Plinius Überlieferer einer untergegangenen Bibliothek griechischer und römischer Fachbücher. Behandelt werden Kosmologie, Geographie, Anthropologie, Zoologie, Botanik, Metall- und Steinkunde, Kunst und - hier von Bedeutung - in den Büchern 20-32 die Heilmittel, darunter beinahe 1.000 aus dem Pflanzenreich in den Büchern 20-27. Dioskurides war Militärarzt zur Zeit der Kaiser Claudius und Nero (1. Jh), er stammte aus Anazarba (in der Nähe von Tarsus in Kilikien, in der heutigen Türkei). Der Titel seines in griechischer Sprache abgefaßten Hauptwerkes lautet ’Περι υλης ιατρικης’, in lateinischer Übersetzung ’De materia medica’. Es erschien um 78 n. Chr. und wirkte über Jahrhunderte. Die in fünf Büchern abgefaßte Arzneimittellehre ist die umfangreichste und besonders in botanischer Hinsicht reichhaltigste des Altertums. Schon im Altertum, etwa von Galen (um 130 - 200) gerühmt, gewinnt das Werk im Mittelalter uneingeschränkte Autorität und behält sie bis weit in die Neuzeit hinein: Der ersten gedruckten Ausgabe Ende des 15. Jahrhunderts folgen bis 1800 ca. 100 verschiedene Ausgaben, davon fast 80 im 17. Jahrhundert. Dioskurides behandelt Arzneimittel aus allen drei Naturreichen, es werden 102 mineralische, 101 tierische und 813 pflanzliche Arzneimittel beschrieben. Die Klostermedizin von Hildegard (1098 bis 1179) enthält in etwa 500 Abschnitten Pflanzen, Tiere und Mineralien, davon etwa 230 Pflanzen und ca. 170 Tiere (70 Vögel).

Aztekische Medizin

Der indianische Arzt Martin de la Cruz legte 1552 sein Wissen über aztekische Heilpflanzen in seinem Kräuterbuch Libellus de medicinalibus Indorum herbis nieder. Es enthält 185 meist farbige Miniaturen von seinerzeit in Mexiko gebräuchlichen Arzneipflanzen mit Angaben zu ihrer heilkundlichen Verwendung. Der spanische Arzt Francisco Hernandez erkundete im Auftrag Philipps II von 1571 bis 1577 die mexikanische Materia medica. Weit über tausend damals in Mexiko verwendete Medizinalpflanzen soll Hernandez beschrieben und bildlich dargestellt haben. Da das ursprüngliche Manuskript aber größtenteils einem Brand zum Opfer fiel, sind nur summarische Versionen sowie ergänzte und kommentierte Fragmente überliefert, die Mitte des 17. Jahrhunderts unter dem Titel Rerum medicarum novae Hispaniae thesaurus zusammengefasst und veröffentlicht wurden.

Traditionelle Chinesiche Medizin

Die älteste Materia Medica, das legendäre Shen-nong pen-ts'ao ching, welche schon in der vorchristlichen Zeit verfasst wurde, enthält bereits Aufzeichnungen über die Anwendung von 365 Arzneidrogen. In einem der umfassendsten Werke der chinesischen Materia Medica, dem "Ben Cao" Ming-Dynastie (1368-1636 n.Chr.) wurden über 11'000 Rezepturen aus 1872 Einzelsubstanzen beschrieben, darunter die verschiedensten Bestandteile von Pflanzen, Mineralien, Insekten, Tieren und Fossilien. Im heute gültigen chinesischen Arzneibuch sind noch über 500 Arzneidrogen enthalten. Berücksichtigt man darüber hinaus alle volksmedizinisch verwendeten Pflanzen, so beläuft sich die Zahl der in China insgesamt heute arzneilich verwendeten Arten auf ca. 7000. Dies entspricht etwa 20 % der chinesischen Flora.

Ayurvedische Medizin

Die Susruta, das älteste erhaltene Ayurveidsche Werk, entstand wohl kurz vor der Zeitenwende und enthält 700 Heilpflanzen, 57 tierische und 64 mineralische Medikamente.

Tibetische Medizin

Das tibetische Medizinsystem ist über 2000 Jahre alt und hat sich unter den speziellen Bedingungen des rauhen Hochgebirgslandes aus dem Buddhismus und indischen medizinischen Quellen entwickelt. Insgesamt kennt die tibetische Medizin 1500 bis 2000 medizinischer Rohstoffe.

Westliche Medizin

Die deutsche ABDA-Datenbank enthält in der Stoffliste 46.469 (Stand 04/2007)Arzneistoffe, wovon zu 3.630 (Stand 07/2007) Arzneistoffen ein umfangreiches Dossier existiert. Die Rote Liste enthält 2385 Arzneistoffe. Das Europäische Arzneibuch enthält etwa 2000 Monografien von Arzneistoffen. Ergänzend hierzu kommen noch ca. 100 Monografien national wichtiger Arzneistoffe des Deutschen Arzneibuches und weitere 273 Monografien des Deutschen Arzneimittel Codex. Das Homöopathische Arzneibuch enthält ca. 580 Monografien. Das weltweit anerkannte Amerikanische Arzneibuch USP enthält mehr als 4200 Monografien. Der Martindale - weltweit das pharmazeutische Standart-Werk - enthält 6300 Arzneimittelmonografien. Die WHO hält 312 Wirkstoffe für essentiell und hat diese in einer Liste veröffentlicht.