Die asiatische Bonsai Stilkunde geht auf eine fast zweitausendjährige Tradition zurück. Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten sich die heutigen Gestaltungsformen für den Bonsai. Diese gelten hauptsächlich für japanische Bonsai.

Gestaltungsfromen Bearbeiten

Die aufrechte Form Bearbeiten

Chokkan Bearbeiten

  Ein Chokkan (直幹, wörtlich: „aufrechter Stamm“) – „streng aufrechte Form“ – hat einen geraden, senkrechten Stamm, dessen Spitze sich genau über dem Wurzelansatz befindet.

Als Bonsai wird ein Chokkan meist selbst gezüchtet, da dort die Voraussetzungen eher gegeben sind. In der Natur sind solche Bäume meist in dichten bewaldeten Monokulturen zu finden, wo sie gleichmäßig Licht und Nährstoffe finden, auch Windstille ist nötig. Durch Gestaltung kann ein schiefer Findling allerdings „begradigt“ werden.

Moyōgi Bearbeiten

 

Der Moyōgi (模様木, wörtlich: „Form eines Baums“) – „frei aufrechte Form“ – bewegt sich in (wenigen) harmonischen und von unten nach oben immer schwächer werdenden Schwüngen zur Spitze hin, wobei sich die Spitze im Lot über dem Stammfuß befindet; so ist der Baum optisch stabil. Die Hauptäste befinden sich idealerweise jeweils an der Außenseite der Schwingungen. Der Stammverlauf sollte gut erkennbar und der Stammfuß ausgeprägt sein. Die Krone hat die Form eines ungleichmäßigen, spitzen Dreiecks.

Der Bonsai in der frei aufrechten Form wird gewöhnlich nicht in der Mitte der Schale, sondern leicht versetzt platziert.

Kabudachi, Mehrfachstamm Bearbeiten

Beim Kabudachi (株立(ち), dt. „auf Baumstumpf stehend“) entspringt eine meist ungerade Anzahl von Bäumen einem gemeinsamen Stammfuß. Jeder Baum sollte unterschiedlich hoch und dick sein, der Hauptbaum ist am höchsten und am dicksten. Gemeinsam bilden alle Bäume optisch eine Einheit, deshalb spielen die Astanordnung und die Formung der gemeinsamen, spitzwinkligen Krone eine große Rolle. Jede aufrechte Stilform ist möglich, jedoch müssen alle Bäume auf dieselbe Weise gestaltet sein. Am häufigsten sind Moyōgi, die frei aufrechte Form, und Chokkan, die streng aufrechte Form.

Sōkan Bearbeiten

 

Sōkan (双幹, dt. „Zwillingsstamm“) ist eine Variante des Mehrfachstamms (Kabudachi) und heißt in Japan auch „Vater und Sohn“.

Der erste Seitenast entspringt bei dieser Form sehr tief und bildet einen eigenen Baum, dessen Stamm deutlich niedriger und dünner ist als der des „Vaters“. Beide Bäume bilden optisch eine Einheit, deshalb spielen die Astanordnung und die Formung der gemeinsamen, spitzwinkligen Krone eine große Rolle. Alle aufrechten Stilformen sind möglich, jedoch müssen beide Bäume auf dieselbe Weise gestaltet sein. Am häufigsten ist Moyōgi, die frei aufrechte Form.

Eine weitere Variante ist auch der Dreifachstamm (三幹, sankan) oder „Vater, Mutter und Sohn“.

Netsuranari Bearbeiten

Netsuranari (根連なり, „kriechende Form“) ist auch eine Variante des Mehrfachstamms.

Eine meist ungerade Anzahl von Bäumen entspringt einem gemeinsamen Stammfuß. Der Stamm jedes Baumes neigt sich im untersten Teil waagerecht über den Boden, ist an dieser Stelle in ihm verwurzelt und strebt erst dann nach oben. Jeder Baum sollte unterschiedlich hoch und dick sein, der Hauptbaum ist am höchsten und am dicksten. Gemeinsam bilden alle Bäume optisch eine Einheit, deshalb spielen die Astanordnung und die Ausformung der gemeinsamen, spitzwinkligen Krone eine große Rolle. Jede aufrechte Stilform ist möglich, jedoch müssen alle Bäume auf dieselbe Weise gestaltet sein. Am häufigsten sind Moyōgi, frei aufrechte, und Chokkan, streng aufrecht.

Luftformen Bearbeiten

Shakan Bearbeiten

 

Der Shakan (斜幹, dt. „geneigter Stamm“) ist geneigt. Er steht fast am Rand der Schale, und wächst am anderen Ende über sie hinaus. Der Baum steht nicht „schief“ (als ob er bald umfallen würde), sondern „spürt den steten Wind, dem er in seinem Wuchs nachgibt“. Weiter unterschieden wird dieser Variante nach dem Grad der Neigung von Shō-Shakan (小斜幹, wenig geneigt), über Chū-Shakan (中斜幹, mäßig geneigt) bis zu Dai-Shakan (大斜幹, stark geneigt).

Fukinagashi Bearbeiten

 

Der Fukinagashi (吹流し, dt. „Wimpel“ od. „Luftschlange“) – „windgepeitschter Stil“ – steht im stürmischen Wind. Die Vorbilder dieser Gestaltungsart sind Windflüchter, die sich beispielsweise an Küsten, in Steppenlandschaften oder auf Bergrücken befinden. Üblicherweise werden die Äste und Zweige bei einem in der windgepeitschten Form gestalteten Bonsai fast ausschließlich in eine Richtung vom Stamm weg geführt. Die Neigungsrichtung des Stammes gibt dabei normalerweise die Richtung vor, in welche die Äste geformt werden. Bonsai dieser Form sollen eine gewisse Tragik verkörpern, die im Wesentlichen durch das Entstehen ihrer großen Vorbilder in der Natur begründet ist. Dies kann zum Beispiel durch die Technik des Entrindens noch unterstrichen oder verstärkt werden. Ein Fukinagashi kann beispielsweise aus einem Bonsai mit einem geraden, oder noch besser bereits geneigten Stamm entstehen oder weiter gestaltet werden.

Han-Kengai Bearbeiten

 

Han-Kengai (半懸崖, dt. „Halbkaskade“) neigt sich über den Schalenrand waagerecht nach vorn oder leicht nach unten, jedoch nicht unterhalb des Schalenbodens (das wäre ein Kengai). Der erste Hauptseitenast bildet auf dem höchsten Punkt des Bonsai eine kleine, jedoch nicht dominante, ungleichmäßig dreieckige oder runde Krone. Der Stamm verläuft von der Krone aus in lockeren Schwüngen nach unten. Die übrigen Hauptseitenäste geben der Gestaltung optische Tiefe. In der Natur treten Halbkaskaden oft in Felsennischen oder unter überhängenden Felsen auf. Sie müssen waagerecht oder leicht nach unten geneigt wachsen, um an das Sonnenlicht zu gelangen. Die Halbkaskade wird in eine höhere Schale als die Bonsai in den aufrechten Stilformen gepflanzt, um der Gestaltung sowohl optisch als auch tatsächlich Stabilität zu verleihen.

Kengai Bearbeiten

 

Der Kengai (懸崖, dt. „Kaskade“) wird meist in einem hohen Topf oder in einer Schale auf hohem Podest gestaltet. Der erste Ast liegt meist noch über der Schale und bildet eine mehr oder minder kräftige Krone, die übrigen Äste und die eigentliche Krone des Baumes werden herabgebogen und reichen bis unterhalb des Topfrandes, in extremen Formen sogar unterhalb des Podestes. Die Wurzeln müssen dabei besonders kräftig ausgebildet sein, um einen besonderen Überlebenswillen in ungünstigen Gefilden, in denen der Baum wächst, darzustellen. Gleichzeitig ist dies notwendig, damit der Baum nicht durch sein eigenes Gewicht aus der Schale kippt. Solche Baumformen findet man im Gebirge, wenn Bäume aus einer Felswand heraus wachsen und durch Witterung, Schneelasten u. ä. herabgebogen wurden.

Charakterformen Bearbeiten

Bankan Bearbeiten

 

Bankan (蟠幹, dt. „zusammengerollter Stamm“): Vor allem aus China stammt die Idee, Bonsai in Tierformen zu ziehen. Da Drachen in China und Japan als Glückssymbol gelten, ist die Nachbildung eines Drachen besonders häufig. Der Stamm bildet dabei den Leib, während die Äste die Gliedmaßen darstellen. Sie werden durch Drahtung und Schnittmaßnahmen in oft stark gewundene Formen gebracht.

Bunjingi, Literatenform Bearbeiten

 

Bunjingi (文人木, dt. „Literatenbaum“) ist eine traditionelle japanische Bonsai-Stilform (siehe Geschichte: Japan). Sie zeichnen sich durch einen hohen, dünnen und meist elegant geschwungenen Stamm, wenig Äste und spärliche Belaubung aus. Die Erscheinung beziehungsweise die Gestalt eines als Bunjingi gestalteten Bonsai muss sich nicht zwangsläufig auf ein Vorbild in der Natur beziehen, sondern kann vielmehr gleichgesetzt werden mit einer charaktervollen Persönlichkeit und der Poesie an sich. Besonders ästhetischen Bunjingi werden oft Gedichte oder Verse zugeordnet, beziehungsweise auch nur für einen einzelnen Baum ein Gedicht oder Vers geschrieben.

Bei vielen Bonsaigestaltern gilt die Gestaltung eines Bunjingi als Meisterschaft. Die Form wirkt sehr einfach und unkompliziert, aber genau darin liegt die Schwierigkeit. Dadurch, dass der Baum nur so wenige Elemente aufweist, müssen diese alle stimmig sein, Fehler können nicht versteckt werden. Gleichzeitig muss es wie ein alter Baum mit Reife aussehen. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an Material und Gestalter.

Ishizuke, Felsform Bearbeiten

 

Ishizuke (石付け, dt. „am Stein angebracht“) bzw. Ishitsuki (石付き) ist, den Baum auf einem Stein wachsen zu lassen.

Bei dieser Form wächst der Baum auf einem Felsen, der wiederum meist auf einem wassergefüllten Tablett aufgestellt wird. Die Pflanze hat nur wenig Erde in einer Felsspalte oder Mulde zur Verfügung. Eine spezielle, kompakte, klebrige Erdmischung ist vonnöten, damit sie nicht fortgeschwemmt wird.

Sekijōju Bearbeiten

 

Der Sekijōju (石上樹, dt. „Baum über Fels“) stellt einen Baum dar, dessen Wurzeln über einen Felsen gewachsen sind. Der eigentliche Stamm samt der Krone liegen auf dem Felsen. Hauptgestaltungsmerkmal sind jedoch die Wurzeln, die wie Greifarme nackt am Felsen entlang in die Erde wachsen. Diese Wuchsform stellt einen Baum dar, der auf einem Felsen wächst, während das Erdreich vom Regen mit der Zeit fortgespült wurde. Derartige Wuchsformen sind vornehmlich im Gebirge, insgesamt aber sehr selten anzutreffen.

Weitere Wuchsbesonderheiten Bearbeiten

Hokidachi Bearbeiten

 

Hokidachi (箒立ち, dt. Gerade aufrechte Form (Naturform) ) ist bei den europäischen Laubbäumen häufig anzutreffen und wird charakterisiert durch einen kurzen, geraden Stamm, von dem aus in ungefähr gleicher Höhe alle Äste sternförmig abgehen und sich gleichmäßig zu einer runden oder ungleichmäßig dreieckigen Krone verzweigen. Der Stammfuß ist gleichmäßig und ausgeprägt. Häufig in dieser Form anzutreffende Bäume sind Zelkoven, Hainbuchen und Ahorne.

Nebari Bearbeiten

 

Nebari (根張り, dt. „ausgebreitete Wurzeln“) bezeichnet die teilweise sichtbare Wurzel des Bonsai. In der freien Natur entstehen Neagari (根上り, dt. „überirdische Wurzeln“), wenn durch starken Regen der Boden langsam weggewaschen wird, und dadurch die Wurzeln eines Baumes freigelegt werden, oder Strünke großer toter Bäume, auf denen neue Bäume gekeimt haben, zerfallen sind. Aber auch Mangroven dienen als Vorbild für diese Form. Da viel von der Wurzel zu sehen ist und auf ihr das Hauptaugenmerk liegt, sollte der Stamm kürzer sein als bei den übrigen Formen um nicht von den Wurzeln abzulenken.

Nebari in der Bedeutung als Wurzelansatz des Stamms Bearbeiten

Unter Nebari wird in der Hauptbedeutung der Wurzelansatz jedes Bonsai verstanden, während die o.g. Gestaltungsform nur eine spezielle (extreme) Ausprägung darstellt. Ein gutes Nebari (in der Bedeutung als Wurzelansatz am Stamm) ist durch eine markante Stammverbreiterung und prägnante, sichtbare Wurzelansätze gekennzeichnet. Luftwurzeln sind üblicherweise nur bei denjenigen Baumtypen erwünscht, die solches auch in freier Natur zeigen.

Ikada Bearbeiten

 

Ein Ikada (, dt. „Floß“) entsteht, wenn ein Baum von einem Sturm entwurzelt wird. Die ehemaligen Seitenäste des Baums werden zu eigenständigen Bäumen (meist fünf oder sieben, jedoch eine ungerade Anzahl), die einen kleinen Hain bilden. Jeder Baum hat einen eigenen Stammfuß, alle sind aber durch den Stamm des umgestürzten Baumes miteinander verbunden. Der Hauptbaum mit dem höchsten und dicksten Stamm sollte sich nicht in der Mitte, sondern vom Rand aus gesehen im ersten Drittel befinden. Die Bäume bilden eine gemeinsame Krone in Form eines ungleichmäßigen Dreiecks. Wieder sollten alle Bäume auf dieselbe Weise gestaltet sein. Eine besondere Herausforderung ist es, optisch Tiefe in die Gestaltung zu bringen.

Yose-ue, der Wald Bearbeiten

 

Yose-ue (寄せ植え, dt. „gruppiert eingepflanzt“) ist eine Baumgruppe. Mit ihr kann man mit verhältnismäßig jungen Bäumen den Eindruck eines älteren Waldes erwecken.

Der Hauptbaum ist der höchste und dickste Baum und sollte sich nicht in der Mitte der Schale, sondern vom Rand aus gesehen im ersten Drittel befinden. Alle Bäume sind auf dieselbe Weise gestaltet und bilden ein gemeinsames Blätterdach. Die Krone ist ungleichmäßig dreieckig. Eine spannungsvolle Verteilung von Durchsichten und Freiflächen ist wichtig. Ist der Boden uneben und ungleichmäßig mit Moos bewachsen, wirkt der Wald natürlicher. Für diese Form werden sehr flache, ovale Schalen oder flache Natursteine verwendet.