Al ha-Nissim

jüdisches Dankgebet

Al ha-Nissim (hebräisch עַל הַנִסִּים; dt.: Für die Wunder)[1] ist ein jüdisches Dankgebet. Es wird z. B. an Chanukka ins Achtzehnbittengebet sowie ins Tischgebet eingefügt und auch an Purim gesprochen. Der Autor des Dankgebets ist unbekannt.[2]

Das Gebet beginnt mit einem allgemeinen Dank für die Unterstützung Gottes gegenüber den Juden in vergangenen Zeiten. Je nach Fest wird dann noch an eine spezielle Begebenheit erinnert: An Chanukka wird kurz zusammengefasst, worin die Hasmonäische Revolte bestand,[3] an Purim erzählt, wie Gott verhindert habe, dass Haman die Israeliten ausrottete.[4]

Erweiterung an Chanukka Bearbeiten

Die Erweiterung an Chanukka ist historisch problematisch, da hier offenbar der Hohepriester Jonatan mit Johanan, dem Vater des Hasmonäers Mattatias, verwechselt wurde.[5] Abweichend von anderen Überlieferungen zu Chanukka wird hier außerdem ausschließlich Gott als der Überwinder der Griechen dargestellt, die in hellenistischer Zeit, im 2. Jahrhundert v. Chr., den Tempel in Jerusalem schändeten und das Judentum unterdrücken wollten. Laut dem Gebetstext sollen sich die Juden erst nach dieser Tat Gottes ihm wieder zugewandt und den Tempel neu geweiht haben. Der Makkabäer Jehuda sowie der kleine Ölkrug, der nach anderen Überlieferungen ausreichte, die Menora im Tempel acht Tage lang brennen zu lassen, werden im Al ha-Nissim nicht erwähnt. Dies ist vielleicht auf die Missbilligung der Hasmonäer durch die Talmudisten zurückzuführen: Als Kohanim sollten die Hasmonäer eigentlich nur Tempeldienst leisten, sie eigneten sich aber auch die weltliche Herrschaft an.[2]

Geschichte Bearbeiten

Das Gebet hat eine lange Tradition; bereits im Talmud Berachot 3,10, wo sich die älteste Formulierung der jüdischen Liturgie findet, wird die Voraussetzung für die Aufnahme derartiger Gebete in den Festablauf besprochen. Laut Ismar Elbogen entspricht der Gebetstext in modernen Siddurausgaben fast genau der Version, die in den handschriftlichen Gebetssammlungen Raw Awrams überliefert ist, die aus dem 9. Jahrhundert stammen.[2]

Schon einige alte Quellen enthalten eine Ergänzung, in der auch auf die jeweilige Gegenwart der Betenden angesprochen und die Bitte ausgedrückt wird, ähnliche Taten auch zu diesem Zeitpunkt noch auszuführen. Nach der halachischen Tradition sollen jedoch Danksagungen und Bitten nicht miteinander vermischt werden, so dass in etlichen Gebetbüchern dieser Zusatz fehlt. Es gab auch Versuche, die Rezitation eines derartigen Dankgebetes am israelischen Unabhängigkeitstag einzuführen.[5][2]

Al ha-Nissim wurde bereits in der Tosefta zu Chanukka und Purim erwähnt. Auch Raw Acha (hebräisch רב אחאי משבחא) nennt das Gebet in Sche'iltot (hebräisch ספר השאילתות). Der vollständige Gebetstext erscheint zum ersten Mal im Seder Raw Amram (hebräisch סדר רב עמרם גאון), dem ältesten bekannten Siddur mit großer liturgischer Sammlung einschließlich Gebets- und Ritualvorschriften, der von Amram ben Scheschna geschrieben wurde. Erneut erscheint der vollständige Gebetstext im Siddur Saadia Gaon (hebräisch סידור רס"ג).

Beschreibung Bearbeiten

Al ha-Nissim wird an den beiden Feiertagen Chanukka und Purim – zusammen mit dem Achtzehnbittengebet und Birkat Hamason – vorgetragen. An diesen Feiertagen beginnt es mit den Worten, nach denen das Gebet benannt wurde.[6]

וְעַל הַנִּסִּים וְעַל הַפֻּרְקָן וְעַל הַגְּבוּרוֹת וְעַל הַתְּשׁוּעוֹת: וְעַל הַמִּלְחָמוֹת שֶׁעָשִׂיתָ לַאֲבוֹתֵינוּ בַּיָּמִים הָהֵם בַּזְּמַן הַזֶּה:

  

– Siddûr tefillôt Yiśrāʾēl[7]

„Für die Wunder, für die Befreiung, für die Allmachtthaten, für die Siege und für die Kämpfe, die Du unseren Vätern in jenen Tagen zu dieser Zeit bewirkt hast:[7]

An Chanukka wird das Gebet vorgetragen, um Gott für die Wunder an Chanukka zu danken.

בִּימֵי מַתִּתְיָה בֶן יוחָנָן כּהֵן גָּדול חַשְׁמונָאי וּבָנָיו כְּשֶׁעָמְדָה מַלְכוּת יָוָן הָרְשָׁעָה עַל עַמְּךָ יִשְׂרָאֵל לְשַׁכְּחָם תּורָתָךְ וּלְהַעֲבִירָם מֵחֻקֵּי רְצונָךְ. וְאַתָּה בְרַחֲמֶיךָ הָרַבִּים עָמַדְתָּ לָהֶם בְּעֵת צָרָתָם. רַבְתָּ אֶת רִיבָם. דַּנְתָּ אֶת דִּינָם. נָקַמְתָּ אֶת נִקְמָתָם. מָסַרְתָּ גִּבּורִים בְּיַד חַלָּשִׁים. וְרַבִּים בְּיַד מְעַטִּים. וּרְשָׁעִים בְּיַד צַדִּיקִים. וּטְמֵאִים בְּיַד טְהורִים. וְזֵדִים בְּיַד עוסְקֵי תורָתֶךָ. לְךָ עָשִׂיתָ שֵׁם גָּדול וְקָדושׁ בְּעולָמָךְ. וּלְעַמְּךָ יִשְׂרָאֵל עָשִׂיתָ תְּשׁוּעָה גְדולָה וּפֻרְקָן כְּהַיּום הַזֶּה. וְאַחַר כָּךְ בָּאוּ בָנֶיךָ לִדְבִיר בֵּיתֶךָ וּפִנּוּ אֶת הֵיכָלֶךָ. וְטִהֲרוּ אֶת מִקְדָּשֶׁךָ. וְהִדְלִיקוּ נֵרות בְּחַצְרות קָדְשֶׁךָ.
וְקָבְעוּ שְׁמונַת יְמֵי חֲנֻכָּה אֵלּוּ בְּהַלֵּל וּבְהודָאָה. וְעָשִׂיתָ עִמָּהֶם נִסִּים וְנִפְלָאות וְנודֶה לְשִׁמְךָ הַגָּדול סֶלָה

  

– Siddûr tefillôt Yiśrāʾēl[7]

„In den Tagen Matitjahus, Sohnes Jochanans des hohen Priesters, des Hasmonäers und seiner Söhne, als das tyrannische Reich Jawan über Dein Volk Jisrael aufstand, sie zum Vergessen Deiner Lehre zu bringen und sie von den Gesetzen Deines Willens abzuführen: Du aber mit Deinem großen Erbarmen standest ihnen bei in der Zeit ihrer Not, führtest ihren Steit, vertratest ihr Recht, nahmst ihre Rache, überliefertest Starke in die Hand Schwacher, Viele in die Hand Weniger, Unlautere in die Hand Reiner, Gesetzlose in die Hand Gerechter, mutwillige Sünder in die Hand Deiner Lehre Beflissener. Dir schufest Du einen großen und heiligen Namen in Deiner Welt, und Deinem Volke. Jisrael schufest Du einen großen Sieg und Entjochung wie diesen Tag. Nachher kamen Deine Söhne zur Wortstätte Deines Hauses, räumten Deine Machtstätte, reinigten Dein Heiligtum und zündeten Lichter an in den Höfen Deines Heiligtums, und stifteten diese acht Chanucka-Tage, Dank zu bekennen und Thatenpreis zu zollen Deinem großen Namen.[7]

An Purim wird das Gebet vorgetragen, ohne die Wunder an Purim zu nennen.[6]

בִּימֵי מָרְדְּכַי וְאֶסְתֵּר בְּשׁוּשַׁן הַבִּירָה. כְּשֶׁעָמַד עֲלֵיהֶם הָמָן הָרָשָׁע. בִּקֵּשׁ לְהַשְׁמִיד לַהֲרוג וּלְאַבֵּד אֶת כָּל הַיְּהוּדִים מִנַּעַר וְעַד זָקֵן טַף וְנָשִׁים בְּיום אֶחָד בִּשְׁלשָׁה עָשָׂר לְחדֶשׁ שְׁנֵים עָשָׂר הוּא חדֶשׁ אֲדָר וּשְׁלָלָם לָבוז. וְאַתָּה בְרַחֲמֶיךָ הָרַבִּים הֵפַרְתָּ אֶת עֲצָתו. וְקִלְקַלְתָּ אֶת מַחֲשַׁבְתּו. וַהֲשֵׁבותָ לּו גְּמוּלו בְּראשׁו. וְתָלוּ אותו וְאֶת בָּנָיו עַל הָעֵץ. וְעָשִׂיתָ עִמָּהֶם נֵס וָפֶלֶא וְנודֶה לְשִׁמְךָ הַגָּדול סֶלָה

  

– Siddûr tefillôt Yiśrāʾēl[7]

„In Mardochais und Esthers Tagen, in der Residenz Susa, als über sie der Tyrann Haman aufstand, vernichten, schlachten und verderben wollte alle Juden, von Jüngling bis Greis, Kind und Frauen, an einem Tage, am dreizehnten des zwölften Monats, das ist der Monat Adar, und ihre Beute der Plünderung preiszugeben. Du aber mit Deinem großen Erbarmen, störtest seinen Plan, vereiteltest seine Absicht, und ließest, was er wollte, auf sein Haupt zurückkehren und ihn henkte man und seine Söhne an den Galgen.[7]

Literatur Bearbeiten

  • Amram ben Scheschna: Seder Raw Amram. Nidpas be-vet defus shel Safragraf, New York 1956, OCLC 49263880.
  • Saadia ben Joseph: Der Siddur des Rabbi Saadia Gaon. Frankfurt am Main 1904, OCLC 19196717 (Reprint der hebräischen Originalausgabe OCLC 741110377).
  • Caspar Levias: Otṣar ḥokhmat ha-lashon (hebräisch אוצר חכמת הלשון). G. E. Stechert, Leipzig 1913.
  • Jakob Levy: Chaldäisches Wörterbuch über die Targumim und einen großen Theil des rabbinischen Schriftthums (hebräisch אוצר לשון התלמודים והמדרשים). Baumgärtner, Leipzig 1868.

Siehe auch Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Langenscheidt Achiasaf Handwörterbuch Hebräisch-Deutsch. Langenscheidt, Berlin 2004, OCLC 57476235, S. 373, נִסִּים ונִפְלָאוֹת Zeichen und Wunder.
  2. a b c d Noemi Berger, Al HaNissim. Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums, 28. November 2013 auf www.juedische-allgemeine.de
  3. Übersetzung der Einschaltung zu Chanukka auf www.juefo.com
  4. Modifizierte Version von Wolf Heidenheims Übersetzung der aschkenasischen Variante des Gebets auf www.talmud.de
  5. a b Kurze Definition des Gebetes auf www.jewishvirtuallibrary.org
  6. a b Pinchas Stolper, Isaac Hutner: Chanukah in a new light : grandeur, heroism and depth, Israel Book, Lakewood (NJ) 2005, OCLC 18389019, S. 24
  7. a b c d e f Samson Raphael Hirsch: Siddûr tefillôt Yiśrāʾēl, Israels Gebete, (סדור תפלות ישראל). I. Kauffmann, Frankfurt a.M. 1895, OCLC 18389019, S. 150 und S. 151. (online).