Oflag IVc

Kriegsgefangenenlager alliierter Offiziere auf Schloss Colditz während des WK II
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Oflag IV C (für Offizierslager IV C)[1] war die offizielle Bezeichnung für das Lager für kriegsgefangene alliierte Offiziere auf Schloss Colditz während des Zweiten Weltkriegs. Nach 1945 wurde es durch die Aufarbeitung seiner vielen Ausbruchsversuche in Buch und Film vor allem in Großbritannien sehr bekannt. In der englischsprachigen Literatur wird es auch als Oflag IV-C bezeichnet.

Schloss Colditz als Oflag IV C April 1945
Grundriss des Schlosses; die Gefangenen waren in den Gebäuden im hinteren Hof (links) untergebracht; die Kommandantur und die Unterkünfte der Wachmannschaft befanden sich im äußeren Hof (rechts)

Geschichte Bearbeiten

 
Gefangene französische Offiziere im Innenhof des Oflag IV

Kriegsgefangenenlager Oflag IV C Bearbeiten

Ab dem 31. Oktober 1939[2] wurde ein Kriegsgefangenenlager mit der Bezeichnung Oflag IV C als Sonderlager für Offiziere eingerichtet (Die Bezeichnung ergibt sich aus Offizierslager). Die Lager im Reichsgebiet erhielten die dem Wehrkreis entsprechende römische Nummer und einen Großbuchstaben.[3] Die Einrichtung des Schlosses Colditz erfolgte nach den internationalen Bestimmungen des Artikels 6 der Genfer Konventionen in der Fassung vom 18. Oktober 1907 und der Haager Landkriegsordnung[4], welche den Umgang mit gefangenen Offizieren vorschreiben. Gleichzeitig war es als Sonderlager für Prominente, wie Winston Churchills Neffen Giles Romilly und George Lascelles, einen Neffen von König Georg VI. vorgesehen. Überlieferte Dokumente der Gefangenen belegen, dass die Lagerbezeichnung teilweise für sie unbekannt war. Einige berichteten in ihren Erinnerungen, es handele sich um das Stalag 4 (Stammlager 4).

Obwohl bis zum Zusammenbruch des NS-Staates 1945 einunddreißig[5] Häftlinge bei immerhin dreihundert[6] Fluchtversuchen erfolgreich fliehen konnten, galt Schloss Colditz als ausbruchsicher.[7] Die Wehrmacht versuchte systematisch aus den Ausbruchversuchen zu lernen, indem sie die Umstände jedes Fluchtversuchs genauestens untersuchte und fotografisch dokumentierte. Durch die oben genannten internationalen Vorschriften, welche auch durch mehrmalige Kontrollbesuche[3] des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz und der französischen Pétain-Regierung durchgeführt wurden, waren die Lebensbedingungen der alliierten Offiziere auf dem Schloss unter dem Kommando von Oberstleutnant Schmidt[2] im Vergleich zu anderen NS-Lagern menschenwürdiger. Diese Tatsache eines Vorzeigelagers[4] ist ebenfalls aus den zwischen 1941 und 1945 gemalten Bildern des ehemaligen Insassen, des britischen Berufsoffiziers und Freizeitmalers William Faithful Anderson ersichtlich. Im äußeren Hof befand sich die Kommandantur. Die Gefangenen lebten im hinteren Hof im ehemaligen Fürstenhaus. Außerhalb waren die flachen Terrassen, die die Gefangenengebäude umgaben, von bewaffneten Wachen überwacht und mit Stacheldraht gesichert. Ab 1942 wurde das Schloss nachts von Scheinwerfern angestrahlt, an den Außenmauern waren Mikrofone angebracht und ein hölzerner Laufsteg umgab die Anlage. Am 16. April 1945 befreiten amerikanische Soldaten das Schloss Colditz und seine Insassen.[3] Ausbrüche und Ausbruchsversuche wurden vom Sicherheitsoffizier Reinhold Eggers genau dokumentiert.

Kommandanten des Oflag IV Bearbeiten

Name Lebensdaten Dienstzeit
Oberst Schmidt * 1866; † 1946 oder 1947[8][9] 1939 – August 1941[10]
Oberst Edgar Glaesche * 1889; † 1968 in Stuttgart-Degerloch 1. August 1941–13. Februar 1943[10]
Oberst Gerhard Friedrich Prawitt * 25. Oktober 1899 in Medenau/Ostpreußen; † 1969 13. Februar 1943–16. April 1945[10]

1940 Bearbeiten

 
Erinnerungstafel an die polnischen Offiziere in Colditz

Die ersten Gefangenen kamen im Oktober 1940 an. Es waren 140 polnische Offiziere, die als fluchtgefährlich galten. Zwei Wochen später kamen Donald Middleton, Keith Milne und Howard D. Wardle (ein Kanadier, der der RAF kurz vor dem Krieg beitrat) als erste britische Gefangene nach Colditz. Am 7. November 1940 kamen sechs britische RAF-Offiziere: die „Laufen six“. Sie wurden nach Laufen, dem Lager ihres ersten Ausbruchversuches benannt.[10] Weihnachten 1940 waren in Colditz 60 polnische, 12 belgische, 50 französische und 30 britische Offiziere mit ihren Ordonnanzen inhaftiert, insgesamt weniger als 200 Gefangene.

 
Der polnische Admiral Józef Unrug und andere Offiziere 1941 als Gefangene in Colditz

1941 Bearbeiten

Ende Februar kamen 200 französische Offiziere mit ihrem Général Le Bleu und Général Le Brigant in Colditz an.[2] Am 24. Juli 1941 kamen weitere 68 niederländische Offiziere, Mitglieder der Niederländischen Ostindienarmee an, die abgelehnt hatten, eine Erklärung zu unterzeichnen, dass sie an keinem Krieg gegen Deutschland teilnehmen würden. Danach wurde eine Anzahl ihrer Uniformen für die Flucht benutzt, da sie denen der deutschen Wehrmacht ähnelten, die beschlagnahmte niederländische Stoffe für einen Teil ihrer Uniformen verwendete. Ein Teil der Franzosen verlangte, dass die französisch-jüdischen Offiziere von ihnen getrennt würden. Der Lagerkommandant stimmte zu und die Juden wurden auf dem Dachboden untergebracht. Ende Juli 1941 gab es mehr als 500 Offiziere: über 250 Franzosen, 150 Polen, 50 britische und aus dem Commonwealth, zwei jugoslawische sowie die 68 Niederländer. Am 9. April gelang Alain Le Ray als erstem Gefangenen die Flucht aus dem Lager.[2] Alain Le Ray war später aktives Mitglied der französischen Résistance.[11]

1942 Bearbeiten

Am 5. Januar 1942 gelang es dem britischen Leutnant Airey Neave und dem Niederländer Toni Luteijn, durch ein Loch im Fußboden des Festsaals und mehrere Türen in deutschen Uniformen aus dem Schloss zu fliehen und über Leisnig mit dem Zug zu fliehen. Bei Singen erreichten sie die Schweizer Grenze und kamen glücklich hinüber.[12]

1943 Bearbeiten

Im Mai 1943 entschied das Oberkommando der Wehrmacht, dass Colditz nur Amerikaner und Briten beherbergen sollte. Im Juni wurden die Niederländer verlegt, bis zum 12. Juli 1943 gefolgt von den Polen, Belgiern und Franzosen. Ende Juli gab es einige einzelne französische Offiziere, 228 britische sowie einige Kanadier, Australier, Neuseeländer, Südafrikaner, Iren und einen Inder.

1944 Bearbeiten

Am 23. August 1944 wurden die ersten Amerikaner in Colditz interniert: der mit 49 Jahren älteste amerikanische Fallschirmjäger des Krieges, Colonel Florimund Duke, sowie Captain Guy Nunn und Alfred Suarez.[10] Sie waren als Geheimdienstmitarbeiter mit dem Fallschirm in Ungarn abgesprungen und sollten eine Zusammenarbeit Ungarns mit Deutschland verhindern. Im frühen Winter 1944 befanden sich 254 Insassen im Lager, darunter der britische Adelige George Lascelles, 7. Earl of Harewood.

 
Amerikanische GI mit Panzer auf der Mulde-Brücke unterhalb des Schlosses am 12. April 1945

1945 Bearbeiten

Am 19. Januar 1945 wurden die französischen Generäle Lieutenant-General Jean Adolphe Louis Robert Flavigny, Major-General Louis Léon Marie André Buisson, Major-General Arsène Marie Paul Vauthier, Brigadier-General Albert Joseph Daine und Brigadier-General René Jacques Mortemart de Boisse aus der Festung Königstein ins Schloss Colditz gebracht. Die Verlegung dieser Generale vom Königstein nach Colditz sollte die Ermordung des Generalmajors Gustave Mesny, als angeblich „auf der Flucht erschossen“, decken. Am 5. Februar kam der polnische General Tadeusz Komorowski, Kommandant der Polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa), mit seiner Begleitung in Colditz an.[2] Auch Oberst Antoni Chruściel, Befehlshaber des Warschauer Aufstandes 1944, gehörte zu den auf dem Schloss gefangenen hohen polnischen Offizieren.[2] Im März 1945 wurden 1200 französische Gefangene auf Schloss Colditz gebracht, 600 weitere wurden in der Stadt Colditz interniert. Am 16. April 1945 eroberten amerikanische Soldaten das Schloss Colditz und befreiten seine Insassen.[13]

Ausbruchsversuche Bearbeiten

 
Originalaufnahme des von Häftlingen erbauten Segelflugzeuges Colditz Glider
 
Erkennungsfoto eines polnischen Offiziers. Die Nummer Oflag IV C 56 kennzeichnet ihn als einen der ersten Polen, die im November 1939 ins Schloss kamen.

Die Gefangenen unternahmen (laut Fluchtstatistik im Fluchtmuseum) etwa 300 Ausbruchsversuche, von denen 32 erfolgreich waren. Darüber wurden nach dem Krieg mehrere Bücher veröffentlicht. Der mühsamste Versuch war ein bereits im Winter 1940 über neun Monate lang gegrabener Tunnel vom Glockenturm (Kellerhaus-Wendelstein) zum östlichen Zwingerbereich.[2] Dreißig Offiziere, unter ihnen Airey Neave gruben den Tunnel. Weil sie aber den Kompass falsch ablasen, irrten sie sich in der Richtung und statt ins Freie, gelangten sie in den Weinkeller des Kommandanten Oberst Prawitt. Dort tranken sie 137 Flaschen Wein aus, füllten sie mit ihrem Urin und legten diese damit gefüllten Flaschen wieder vor Ort in den Weinkeller. Diese Geschichte bestätigte die Witwe Elisabeth Prawitt aus Lüneburg noch im Oktober 1974, meinte aber dazu, dass dieses nicht ihrem Mann, sondern dem Vorgänger passiert sei.[10] 1945 planten die Insassen eine Flucht in einem mit weiß-blau karierten Bettzeug bespannten Segelflugzeug, dem Colditz Glider.[14] Es wurde in einem Geheimversteck, getarnt durch eine falsche Wand auf dem Dachboden, gebaut und sollte vom Dach der Schlosskapelle starten.

Nachleben Bearbeiten

Colditz Society Bearbeiten

1991 wurde in London die Colditz Society gegründet. 120 ehemalige Gefangene aus England, Frankreich und Polen treffen sich zweimal im Jahr in London und stehen in ständigen Kontakt mit der Schlossverwaltung. 2011 erfuhren sie von der kranken Weide im Schlosshof, welche für die ehemaligen Häftlinge symbolhafte Bedeutung hatte, da diese bereits zu Zeiten des Kriegsgefangenenlager auf dem Hof stand. Die Mitglieder der Vereinigung spendeten eine runde Sitzbank um die neu gepflanzte Linde.[15] Für Mitglieder gibt es eine regelmäßige Publikation der Vereinigung, in dem über deren Arbeit berichtet wird.

Ausstellung Bearbeiten

Im Fluchtmuseum werden zahlreiche Fluchten und Fluchtversuche von Offizieren verschiedener Nationalitäten dargestellt. In der Vergangenheit war kritisiert worden, dass zunächst nicht auf die Internierung von Teilen der militärischen Führung Polens eingegangen worden war.[16]

Medien Bearbeiten

Die große internationale Bekanntheit ergibt sich besonders aus dem Buch The Colditz Story des erfolgreich geflüchteten Briten Pat Reid, in dem er seine Erlebnisse später verarbeitete, sowie aus dem 2005 entstandenen Film Colditz – Flucht in die Freiheit von Stuart Orne. Durch die Darstellung von Ausbruchsversuchen in mehreren Filmen und einer Fernsehserie erlangte das Schloss speziell in England besondere Bekanntheit. Neben Filmen aus den 1950er und der TV-Serie aus den 1970er Jahren diente das Schloss auch in Teilen einer Episode der britischen TV-Serie Top Gear als Drehort.[17]

In England gibt es ein Brettspiel mit der Bezeichnung Escape from Colditz, in welchem gewitzte britische Offiziere den teutonischen Kerkermeister an der Nase herumführen und dann würfelnd aus Colditz flüchten.[18]

Die neunte Mission im PC-Strategiespiel Commandos 2: Men of Courage führt den Spieler nach Schloss Colditz, wo es diverse Dokumente zu sichern und die Gefangenen zu befreien gilt.

Filmografie Bearbeiten

Literatur Bearbeiten

  • Ben MacIntyre: Colditz: Prisoners of the Castle. Viking, London 2022, ISBN 978-0-241-40853-7.
  • Regina Thiede, Renate Lippmann: Schloß Colditz. Edition Leipzig, Leipzig 2007, ISBN 978-3-361-00620-1.
  • Albert Peter Bräuer: Schloß Colditz. (Baudenkmale, Heft 56), Seemann, Leipzig 1983, ISBN 3-363-00487-7.
  • Escape From Colditz. 16 First-Hand Accounts. Compiled by Reinhold Eggers. Edited by John Watton. London: Robert Hale 1973.
  • Reinhold Eggers: Colditz – the German story. 1961, mehrere Neuauflagen, ISBN 1-84415-536-6.

Weblinks Bearbeiten

Commons: Oflag IV-C – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Wissenschaftliche Forschung zum Holocaust Deutscher Bundestag, Drucksache 19/1980, S. 10.
  2. a b c d e f g P. R. Reid: Colditz. The Full Story. Pan Books, London, 2002, ISBN 978-0-330-50999-2, Seite: 6ff.
  3. a b c Regina Thiede, Renate Lippmann: Schloß Colditz. Edition Leipzig, Leipzig 2007, ISBN 978-3-361-00620-1, Seite: 14.
  4. a b Carmen Lutz: Kriegsgefangenenlager Colditz Oflag IV C. 1939–1945. Städtisches Museum, Colditz 2004, keine Angabe, Seite: 4.
  5. Roland Mischke: Die bad boys von Mittelsachsen. Schloß Colditz mit legendärer Vergangenheit, trister Gegenwart und ungewisser Zukunft. Frankfurter Rundschau, 4. Mai 1996, Seite: 6.
  6. Erik Nebel: Fluchtversuche nach der Theaterprobe. Spiegel online, 26. Februar 2007, (online), abgerufen am 4. Juli 2011.
  7. Geschichte – Schloss Colditz. In: Website des Schlosses. 13. April 2014, abgerufen am 9. März 2021.
  8. Angaben der Lebensdaten der Kommandanten soweit nicht anders angegeben nach www.colditzcastle.net (Memento vom 4. März 2012 im Internet Archive)
  9. Jailers. In: colditzoflagivc.wordpress.com. 9. März 2012, abgerufen am 9. März 2021 (englisch).
  10. a b c d e f Michael Booker: Collecting Colditz an its Secrects. A unique pictorial Record of Life behind the Walls. Grub Street London, 2005, ISBN 1-904943-08-X, Seite: 30–37.
  11. keine Angabe: Gestorben. Alain Le Ray. Spiegel online, Nr. 24, 2007, (online), abgerufen am 4. Juli 2011.
  12. Airey Neave: They have theire exits. Pen and Sword Military Classics, Barnsley, 2002, ISBN 1-84415-463-7, Seite: 68ff.
  13. Regina Thiede, Renate Lippmann: Schloß Colditz. Edition Leipzig, Leipzig 2007, ISBN 978-3-361-00620-1, S. 14.
  14. Birgit Zimmermann: Colditz-Gleiter für den Hüpfer vom Dach. Mit einem Holzflieger aus abenteuerlichen Materialien wollten britische Offiziere einst aus deutscher Kriegsgefangenschaft fliehen. Sächsische Zeitung, 2. Mai 2011, Seite: 6.
  15. ch: Colditz Society aus London sorgt für Sitzgelegenheit unter der Linde im Schlosshof. Runde Sache. Engländer finanzieren neue Bank. Leipziger Volkszeitung, Muldentaler Kreiszeitung, 8. Juni 2011, Seite: 20.
  16. Markus Kroziska: Diskussionsbeitrag zum Konzept für die Ausstellung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Universität Giessen, 2010, (Link), abgerufen am 3. Juli 2011.
  17. keine Angabe: Programme Information: Top Gear feature – interview with Richard Hammond., Webseite der BBC: (Link), abgerufen am 5. Juli 2010.
  18. Jürgen Marks, Catherine Meyer, Alexander Wendt: Späte Rache der bösen Buben. Focus Magazin, München, 15. April 1995, (online), abgerufen am 4. Juli 2011.

Koordinaten: 51° 7′ 50,8″ N, 12° 48′ 26,9″ O