Homocysteinämie

Krankheit
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Homocysteinämie oder auch Hyperhomocysteinämie (von altgriechisch ὑπέρ hyper, deutsch ‚viel‘; Homocystein Eigenname; altgriechisch αἷμα haima, deutsch ‚Blut‘) beschreibt erhöhte Blutwerte an Homocystein, einer natürlicherweise im menschlichen Körper vorkommenden, nicht biogenen Aminosäure. In den letzten Jahren wurde Hyperhomocysteinämie mit verschiedenen Erkrankungen assoziiert.

Ursachen Bearbeiten

Homocystein und Genetik Bearbeiten

Genetischer Polymorphismus im Homocysteinstoffwechsel kann unter bestimmten Bedingungen die Enzymfunktion und somit auch den Homocysteinstoffwechsel beeinflussen. Meist führt eine Veränderung der genetischen Information zu einer Verlangsamung im Abbau des Homocysteins und somit zu einem Anstieg der Homocysteinkonzentration im Blut. Klinisch relevante Polymorphismen sind vor allem im Enzym MTHFR (Methylentetrahydrofolat-Reduktase) zu finden.[1] Die häufigste vorkommende Mutation ist der Aminosäurenaustausch Alanin gegen Valin an der Position 677. Diese Form des Enzyms ist thermolabil und führt zu einer bis zu 50 % verminderten Leistung bei 37 °C (Körpertemperatur).

Homocystein und äußere Faktoren Bearbeiten

Aufgrund äußerer Faktoren kann es zu einer milden bis moderaten Erhöhung der Homocysteinkonzentration im Blut kommen. Zu bedenken ist, dass eine Erhöhung des Homocysteinwertes in vielen Fällen ein multifaktoriell ausgelöstes Phänomen ist. Erhöhte Homocysteinwerte findet man bei Alkoholkonsum,[2][3] Rauchen, häufigem Genuss von Kaffee, Bewegungsarmut und Übergewicht. Auch bestimmte Medikamente können die Homocysteinkonzentration beeinflussen. Häufig führt ein Mangel an Folsäure und Cobalamin (der auch durch Entzündungsprozesse hervorgerufen werden kann)[4] zum Anstieg der Homocysteinwerte.

Homocystein als Risikofaktor Bearbeiten

Erhöhte Spiegel von Homocystein im Blut (Hyperhomocysteinämie) können eine direkte toxische Schädigung der Gefäßwand hervorrufen und auf verschiedenen Wegen zu einer erhöhten Thromboseneigung führen. Patienten mit bekannter koronarer Herzkrankheit sind bereits bei leicht erhöhtem Homocysteinspiegel mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse belastet, während die Datenlage bei völlig gesunden Menschen uneinheitlich ist.[5] Bei einem Homocysteinspiegel von über 15 µmol/l besteht einheitlich in mehreren Studien ein erhöhtes Risiko.

Obgleich Folsäure und B-Vitamine den Homocysteinspiegel nachweislich senken, ist die Datenlage zur gefäßschützenden Wirkung uneinheitlich. Teilweise kann kein Effekt auf das Herzinfarktrisiko, wohl aber zur Senkung des Schlaganfallrisikos (bis zu 25 % Reduktion) dargestellt werden.[6] Eine systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration ergab, dass die Supplementierung von B-Vitaminen für die Prävention von Herz-Krankheiten keine Rolle spielt.[7] Hingegen zeigte eine Metaanalyse aus dem gleichen Jahr, dass die Einnahme von Folsäure bei Patienten mit bekannten Gefäßschäden und hohem Gefäßrisiko, insbesondere bei eingeschränkter Nierenfunktion, das Fortschreiten der Arteriosklerose verhindern kann.[8]

Eine Studie mit Patienten, die an Multiple Sklerose erkrankt sind, hat ergeben, dass der Homocysteinspiegel mit dem Grad von Depression korreliert. Allerdings zeigte sich kein Zusammenhang mit deren Vitamin-B12- und Folsäurewerten und dem Grad der Behinderung, was auf einen bisher unbekannten Faktor für den erhöhten Homocysteinspiegel schließen lässt.[9]

Kinder, die einen Schlaganfall erlitten haben, weisen signifikant häufiger eine Störung im Homocysteinstoffwechsel auf als Gesunde.[10] Bei Schwangeren korrelieren erhöhte Homocysteinkonzentrationen mit einem erhöhten Risiko einer Fehlgeburt sowie der Entwicklung von Schwangerschaftskomplikationen wie der Eklampsie.[11] Eine Erhöhung der Homocysteinwerte im Blut der Mutter ist ebenso ein Risikofaktor für die Entstehung von Neuralrohrdefekten beim Kind.[12]

Patienten mit leichter kognitiver Störung und erhöhtem Risiko für die Alzheimer-Krankheit wurden in einer Studie 2 Jahre lang mit B-Vitaminen oder Placebo behandelt. Es zeigte sich, dass der durchschnittliche Verlust an Gehirnmasse in den für Alzheimer relevanten Gehirnarealen in der B-Vitamin-Gruppe deutlich geringer war und dieses Ergebnis mit der Senkung des erhöhten Homocysteinspiegels korrelierte.[13]

Migränepatienten mit Aura und erhöhtem Homocysteinspiegel profitierten in einer Placebo kontrollierten Studie von Vitamin B6, B12 und Folsäure. Nach Senkung des Homocysteinspiegels um 39 % reduzierten sich die Migräneanfälle um 50 %.[14]

Ein erhöhter Homocysteinspiegel ist ein Risikofaktor bei der Entstehung aller Stadien von Makuladegeneration.[15][16] Die Gabe eines Vitamin-B-Komplexes (Vitamin B6 – Pyridoxin, Vitamin B9 – Folsäure und Vitamin B12 – Cyanocobalamin) senkt den Homocysteinspiegel, dies mindert signifikant (34 %) die Wahrscheinlichkeit, eine Makuladegeneration zu entwickeln.[17] Eine systematische Metaanalyse wies auf die Hyperhomocysteinämie als ein Risikofaktor für die diabetische Retinopathie, insbesondere die proliferative Retinopathie.[18]

In einer klinischen Dosisfindungsstudie wurden verschiedene Dosierungen von Vitamin B6, B12 und Folsäure über 8 Wochen an Patienten mit erhöhtem Homocysteinspiegel getestet. B6 = 50 mg, Vitamin B12 = 1 mg und Folsäure = 1 mg war dabei mit einer durchschnittlichen Senkung um 55 % am effektivsten. Die Wirkung war 4 Wochen nach Absetzen des Präparates nicht mehr nachweisbar.[19]

Labordiagnostik Bearbeiten

Die Bestimmung des Homocysteinspiegels im Blut erfolgt meist immunchemisch oder mittels HPLC. Als Material wird EDTA- oder Fluorid-Blut empfohlen. Da Homocystein von roten Blutkörperchen freigesetzt wird, kommt es ohne Zusatz von Hemmstoffen (Spezialröhrchen) zu einem Anstieg von ca. 10 % pro Stunde. Inzwischen gibt es die Möglichkeit, den Homocysteinwert auch patientennah (Point-of-Care-Testing) zu messen. Damit wird es möglich, den Patienten noch während des Arztbesuches das Ergebnis der Untersuchung mitzuteilen bzw. eine eventuell notwendige Behandlung ohne Zeitverlust einzuleiten.

Die Kosten der Untersuchung von ca. 20 bis 30 € werden im Normalfall nicht von Krankenkassen übernommen und müssen vom Patienten als so genannte IGeL-Leistung selbst getragen werden.

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. M. Födinger, H. Buchmayer, G. Sunder-Plassmann: Molecular genetics of homocysteine metabolism. In: Miner Electrolyte Metab., 1999, 25, S. 269–278; PMID 10681651.
  2. S. Bleich, K. Bleich, S. Kropp, H. J. Bittermann, D. Degner, W. Sperling, E. Rüther, J. Kornhuber: Moderate alcohol consumption in social drinkers raises plasma homocysteine levels: a contradiction to the "french paradox"? In: Alcohol Alcohol. 2001; 36, S. 189–192. PMID 11373253
  3. S. Bleich, M. Carl, K. Bayerlein, U. Reulbach, T. Biermann, T. Hillemacher, D. Bönsch, J. Kornhuber: Evidence of increased homocysteine levels in alcoholism: the Franconian Alcoholism Research Studies (FARS). In: Alcohol Clin Exp Res. 2005; 29, S. 334–336. PMID 15770107
  4. M. Ploder, K. Schroecksnadel, A. Spittler, G. Neurauter, E. Roth, D. Fuchs: Moderate hyperhomocysteinemia in patients with multiple trauma and with sepsis predicts poor survival. In: Mol Med. 2010; 16, S. 498–504.
  5. N. Weiss, C. Keller u. a.: Endothelial dysfunction and atherothrombosis in mild hyperhomocysteinemia. In: Vascular medicine. Band 7, Nummer 3, August 2002, S. 227–239, ISSN 1358-863X. PMID 12553746. (Review).
  6. E. Lonn, S. Yusuf u. a.: Homocysteine lowering with folic acid and B vitamins in vascular disease. In: New England Journal of Medicine. Band 354, Nummer 15, April 2006, S. 1567–1577. doi:10.1056/NEJMoa060900. PMID 16531613.
  7. A. J. Martí-Carvajal u. a.: Homocysteine lowering interventions for preventing cardiovascular events. Cochrane Heart Group, 2009. doi:10.1002/14651858.CD006612.pub2
  8. X. Qin, M. Xu u. a.: Effect of folic acid supplementation on the progression of carotid intima-media thickness: a meta-analysis of randomized controlled trials. In: Atherosclerosis. Band 222, Nummer 2, Juni 2012, S. 307–313, ISSN 1879-1484. doi:10.1016/j.atherosclerosis.2011.12.007, PMID 22209480.
  9. B-Vitamine unterstützen auch die Therapie der Depression. (Memento vom 27. Mai 2015 im Internet Archive) In: Ärztliche Praxis. Ausgabe: Dezember 2008.
  10. I. M. van Beynum u. a.: Hyperhomocysteinaemia: a risk factor for ischemic stroke in children. In: Circulation. 99, 1999, S. 2070–2072. PMID 10217643.
  11. W. L. Nelen: Hyperhomocysteinaemia and human reproduction. In: Clin Chem Lab Med. 39, 2001, S. 758–763. PMID 11592447.
  12. B. Fowler: Disorders of homocysteine metabolism. In: J Inher Met Dis. 20, 1997, S. 270–285, PMID 9211199.
  13. G. Douaud, H. Refsum u. a.: Preventing Alzheimer’s disease-related gray matter atrophy by B-vitamin treatment. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. Band 110, Nummer 23, Juni 2013, S. 9523–9528, ISSN 1091-6490. doi:10.1073/pnas.1301816110. PMID 23690582. PMC 3677457 (freier Volltext).
  14. R. Lea, N. Colson u. a.: The effects of vitamin supplementation and MTHFR (C677T) genotype on homocysteine-lowering and migraine disability. In: Pharmacogenetics and Genomics. Band 19, Nummer 6, Juni 2009, S. 422–428, ISSN 1744-6872. doi:10.1097/FPC.0b013e32832af5a3. PMID 19384265.
  15. Plasma homocysteine, vitamin B12 and folate levels in age-related macular degeneration. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 2006;244, S. 565–569.
  16. C-reactive protein and homocysteine are associated with dietary and behavioral risk factors for age-related macular degeneration. In: Nutrition. 2006;22, S. 441–443.
  17. Folic Acid, Pyridoxine, and Cyanocobalamin Combination Treatment and Age-Related Macular Degeneration in Women. The Women’s Antioxidant and Folic Acid Cardiovascular Study. In: Arch Intern Med. 2009;169(4), S. 335–341.
  18. C. Xu, Y. Wu, G. Liu, X. Liu, F. Wang, J. Yu: Relationship between homocysteine level and diabetic retinopathy: a systematic review and meta-analysis. In: Diagnostic Pathology. Band 9, Nummer 1, September 2014, S. 167 (elektronische Vorveröffentlichung). doi:10.1186/s13000-014-0167-y. PMID 25257241. PMC 4207897 (freier Volltext).
  19. C. P. Siegers u. a.: Behandlung von Leberfunktionsstörungen mit einer neuen bilanzierten Diät. (Memento des Originals vom 23. Februar 2014 im Internet Archive; PDF)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/homocysteinspiegel.de Poster publiziert im Rahmen der CAM-EXPO, Düsseldorf, April 2013.