Als Schwaben- bzw. Hütekinder wurden Bergbauernkinder aus Vorarlberg, Tirol, der Schweiz und Liechtenstein bezeichnet, die von Beginn der Neuzeit bis ins frühe 20. Jahrhundert aufgrund der Armut ihrer Familien alljährlich im Frühjahr durch die Alpen zu den „Kindermärkten“ hauptsächlich nach Oberschwaben zogen, um dort als Saison-Arbeitskräfte im Wesentlichen an Bauern in ländlich geprägten Regionen Württembergs (Oberschwaben und Schwäbische Alb), teilweise auch Badens und Bayerns vermittelt zu werden.

Bündner Schwabenkinder in Arnach (1907)
Hütekinder in Oberschwaben (Foto von Peter Scherer, wohl um 1900)

Geschichte

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Das „Schwabengehen“, das seine ersten Erwähnungen bereits im 16. und 17. Jahrhundert findet, erlebte im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Es wird geschätzt, dass damals jährlich fünf- bis sechstausend Kinder auf Höfen in der Fremde als Hütejungen, Mägde oder als Knechte arbeiteten. Hintergrund waren die äußerst geringen Bodenerträge in den alpinen Regionen und die damit verbundene Armut, die die Eltern dazu trieb, eines oder mehrere ihrer zahlreichen Kinder in die Fremde zu schicken.

Die Wege

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Die Wege aus Tirol und Vorarlberg bzw. aus der Schweiz nach Oberschwaben waren lang und beschwerlich. Für einen Teil der meist 5- bis 14-jährigen Kinder führte er über Bergpässe wie den Arlberg, die in der Regel im März noch von Schnee bedeckt waren und die viele mit schlechtem Schuhwerk und dürftiger Kleidung zu überwinden hatten. Meist war ein Erwachsener, manchmal ein Priester, ihre Begleitperson, der unterwegs dafür sorgte, dass sich die Kinder in warmen Ställen zum Schlafen niederlassen konnten, und der auf den Märkten die Preise aushandelte. Mit dem Bau der Arlbergbahn 1884 wurde die Reise für die Tiroler Kinder erleichtert.

Die Hütekindermärkte

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Tiroler Schwabenkinder in Ravensburg 1895
 
Ravensburg: Skulptur Ravensburger Kindermarkt von Peter Lenk
 
Würdigung der Schwabenkinder beim Rutenfest in Ravensburg 2011

Die „Kindermärkte“ in Oberschwaben fanden meist um Josephi (19. März) statt. Zu Simon und Juda (Ende Oktober) oder spätestens am Martini (11. November) ging es wieder in Richtung Heimat. Im Gepäck waren dann das sogenannte „Doppelt Häs“ (ein doppelter Satz Kleidung von der Kopfbedeckung bis zum Schuhwerk) und je nach Alter und ausgehandeltem Preis einige Gulden.[1]

Hütekindermärkte gab es in Ravensburg, Friedrichshafen, Kempten und bei Bedarf in Wangen, Weingarten, Tettnang und Bad Waldsee.[2]

Die Hütekinder kamen mit dem Schiff von Bregenz im Hafen von Friedrichshafen an. Seit 1891 war der zentrale Marktort für die Hütekinder in der Karlstraße in Friedrichshafen. Die nicht vermittelten Kinder fuhren mit der Bahn nach Ravensburg, um dort vermittelt zu werden.[3]

Die Arbeit

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In ihrer Heimat wurden die Schwabenkinder alljährlich von der Schulpflicht befreit, und im Königreich Württemberg galt die dort seit 1836 bestehende Schulpflicht nicht für ausländische Kinder. Die politisch immer wieder geforderte Ausdehnung der Schulpflicht wurde bis 1921 von einer oberschwäbischen Bauernlobby verhindert.

Tiroler und Vorarlberger Hütekinderverein

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Im Jahr 1891 wurde der Tiroler und Vorarlberger Hütekinderverein vom ehemaligen Pfarrer Venerand Schöpf und dem Gemeindevorsteher Josef Anton Geiger aus Pettneu am Arlberg gegründet, um die Kinder vor Willkür zu schützen. Er bestand bis 1915.

Ende der Kinderarbeit

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In der US-amerikanischen Presse gab es 1908 eine Kampagne, bei der unter anderem der Kindermarkt in Friedrichshafen mit einem Sklavenmarkt verglichen wurde. Der moralischen Entrüstung folgten diplomatische Aktivitäten bis in die Reichskanzlei in Berlin, für die Kinder selbst änderte sich dadurch jedoch nichts.

Die Kindermärkte wurden 1915 abgeschafft, weil nun die Kinder zuhause als Ersatz für die im Ersten Weltkrieg einberufenen Soldaten als Arbeitskraft benötigt wurden. Das „Schwabengehen“ nahm jedoch erst 1921 rapide ab, nachdem in Württemberg die Schulpflicht für ausländische Kinder eingeführt worden war.[4]

Datenbank der Schwabenkinder

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In der Datenbank der Schwabenkinder werden für etwa 6000 Kinder die Herkunftsregionen, die Namen der Schwabenkinder und die Dienstherren in Oberschwaben dokumentiert. Die Aufnahmeorte für die Kinder aus einzelnen Herkunftsregionen, aber auch das Schicksal einzelner Kinder kann so erforscht werden.[5]

Rezeption

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Literatur und Film

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In der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts sehr populären Zeitschrift Die Gartenlaube war unter dem Titel Ein Kinderhandel schon 1866 vom Kindermarkt in Ravensburg die Rede.[6]

Der Roman Hungerweg. Von Tirol zum Kindermarkt in Ravensburg (1989) von Othmar Franz Lang schildert die Geschichte der Schwabenkinder anhand eines Beispiels für jugendliche Leser. Der Roman erschien in mehreren Auflagen und ist auch als Schullektüre beliebt.

Das bekannteste Selbstzeugnis eines Schwabenkindes stammt von Regina Lampert. Die Veröffentlichung ihrer Lebenserinnerungen Die Schwabengängerin. Erinnerungen einer jungen Magd aus Vorarlberg 1864–1874 (1996) bescherte dem Thema erstmals übergreifende öffentliche Aufmerksamkeit.

Elmar Bereuter veröffentlichte 2002 den Roman Die Schwabenkinder. Die Geschichte des Kaspanaze. Ein Jahr später folgte die Verfilmung unter dem Titel Schwabenkinder durch Jo Baier. Die Handlung weicht von der Buchvorlage ab.

Ausstellungen

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Das Bauernhausmuseum Wolfegg zeigt eine Dauerausstellung zum Thema; Deutschland, Italien, Österreich sowie die Schweiz und Liechtenstein haben in einem EU-Projekt weitere Ausstellungen organisiert.[7][8]

Wanderwege

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2012 wurde im Rahmen eines grenzüberschreitenden EU-Projekts mit der Erfassung der Wege der Schwabenkinder begonnen. Die erfassten Routen auf den historischen Wegen und Pfaden sind als Wanderführer erhältlich und beinhalten neben den Routenbeschreibungen geschichtliche Fakten, Erlebnisberichte und Anekdoten um die damaligen Lebensbedingungen und sozialen Hintergründe vor Ort. Ein Einführungsteil beleuchtet die regionalen Hintergründe und eine nachkochbare Rezeptesammlung macht mit den gebietstypischen Essgewohnheiten vertraut.

Siehe auch

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Literatur

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  • Wolfgang Hartke: Die Hütekinder im Hohen Vogelsberg: Der geographische Charakter eines Sozialproblems. Michael Lassleben verlag, Kallmünz Regensburg Münchner Geographische Schriften Nr. 11, 1956.
  • Sabine Mücke, Dorothee Breucker: Schwabenkinder. Vorarlberger, Tiroler und Graubündner Kinder als Arbeitskräfte in Oberschwaben. Volksbank Ravensburg u. a., Ravensburg 1998 (Ravensburger Stadtgeschichte 27, ZDB-ID 2072674-0)
  • Regina Lampert: Die Schwabengängerin. Herausgegeben von Bernhard Tschofen. Limmat, Zürich 1996, ISBN 3-85791-301-0 (autobiographische Aufzeichnungen eines „Schwabenkindes“ aus der Zeit vor 1900)
  • Otto Uhlig: Die Schwabenkinder aus Tirol und Vorarlberg. 4. Auflage. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 2003, ISBN 3-7030-0320-0 (Tiroler Wirtschaftsstudien 34), (wissenschaftliche Gesamtdarstellung), (Rezension)
  • Siegfried Ruoß: Viel Fürsten gab’s und wenig Brot. Von Scherenschleifern, Bürstenbindern und anderen kleinen Leuten in Württemberg. Theiss, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1770-X
  • Loretta Seglias: Die Schwabengänger aus Graubünden. Saisonale Kinderemigration nach Oberschwaben. Kommissionsverlag Desertina, Chur 2004, ISBN 3-85637-297-0 (Quellen und Forschungen zur Bündner Geschichte 13)
  • Bauernhausmuseum Wolfegg, Stefan Zimmermann, Christine Brugger (Hrsg.): Die Schwabenkinder. Arbeit in der Fremde vom 17. bis 20. Jahrhundert. Südwestdeutsche Verlagsgesellschaft im Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2012, ISBN 978-3-7995-8047-2 (Inhaltsverzeichnis)
  • Heinz A. Höver, Heuzug – Ein Bericht, Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2012, ISBN 978-3-941037-84-7; S. 83–113
  • Manfred Mai, Das verkaufte Glück. Der lange Weg der Schwabenkinder. Ravensburger Buchverlag, 2013, ISBN 978-3-473-36869-3 (Deutsche Nationalbibliothek)
  • Michael Kasper, Christof Thöny: Schwabenkinder und andere Formen der alpinen Arbeitsmigration – eine Spurensuche zwischen gestern und heute, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie (ZAA), Jahrgang 68, Heft 2 (Dezember 2020), S. 27–42.
  • J. Andie Speed: On Sunlit Fields: The Swabian Children, Legal Personhood, and the Tyrolean Statthalterei's Edict of 1867. In: German Studies Review. Bd. 47 (2024), Heft 1, S. 125–143.

Weitere Literaturhinweise siehe www.schwabenkinder.at/literatur.html

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Wikisource: Schwabenkinder – Quellen und Volltexte
Commons: Schwabenkinder – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Für Ravensburg ist im Jahre 1867 neben dem doppelten „Häs“ und Kost von einer Entlohnung in Höhe von „20 bis 40“ Gulden für die „junge(n) Leute beiderlei Geschlechtes, im Alter von 8 bis 18 Jahren“ die Rede: Die Vorarlberger am Dienstbotenmarkte zu Ravensburg in Oberschwaben. In: Gemeinde-Zeitung. Freies unabhängiges politisches Journal für Jedermann (Wien). Tägl. Ausg. Nr. 82 vom 9. April 1867, Einlagsbogen (S. 5) unter Vermischte Nachrichten (online bei ANNO).
  2. schwabenkinder.eu Hütekindermärkte
  3. Jürgen Oellers: Die „Schwabenkinder aus Vorarlberg, Tirol und der Ostschweiz“. In: Harald Derschka und Jürgen Klöckler (Hrsg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiven. In: Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2018, ISBN 978-3-7995-1724-9. S. 226–227.
  4. Jürgen Oellers: Die „Schwabenkinder aus Vorarlberg, Tirol und der Ostschweiz“. In: Harald Derschka und Jürgen Klöckler (Hrsg.): Der Bodensee. Natur und Geschichte aus 150 Perspektiven. In: Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2018, ISBN 978-3-7995-1724-9. S. 226–227.
  5. Datenbank der Schwabenkinder bei schwabenkinder.eu
  6. Ein Kinderhandel. In: Die Gartenlaube. Heft 4, 1866, S. 55–56 (Volltext [Wikisource]).
  7. Jule Schwarz: Der Hungerweg nach Wolfegg – Auf den Spuren der Schwabenkinder: Neue Wanderwege. In: Freizeittipps, 13. April 2012. badische-zeitung.de (21. April 2012)
  8. Der Weg der Schwabenkinder. (Memento des Originals vom 26. Februar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.oberschwaben-tourismus.de oberschwaben-tourismus.de (21. April 2012)