Im Fachbereich der Regelungstechnik beschreibt eine Gleitregimeregelung (auch Gleitmodusregelung oder Sliding-Mode-Regelung, engl. sliding mode control) ein mathematisches Verfahren zur Regelung von linearen und nichtlinearen Systemen durch Einprägen eines unstetigen Stellsignals. Das Regelgesetz eines Gleitregimereglers wird so gewählt, dass es den Systemzustand in endlicher Zeit auf einen Unterraum der möglichen Systemzustände bringt, der vorteilhafte Eigenschaften aufweist. Im Anschluss sichert das Regelgesetz den Verbleib in dem als Gleitebene bezeichneten Unterraum. Das Regelgesetz wird dabei durch eine stückweise stetige Funktion beschrieben.

Reglerentwurf Bearbeiten

Im allgemeinen Fall wird ein zeitvariantes System der Form

 

betrachtet. Bei dem Design eines Gleitregimereglers werden zunächst   Schaltfunktionen

 

definiert. Die Schaltfunktionen werden so gewählt, dass das System für   ein gewünschtes Verhalten zeigt. Dabei entspricht   der gemeinsamen Gleitebene aller Schaltfunktionen. Für die Auswahl der Schaltfunktionen können klassische Methoden aus der Regelungstechnik wie lineare Stabilitätskriterien oder Optimierungskriterien eingesetzt werden.[1] Basierend auf den gewählten Schaltfunktionen erfolgt eine elementweise Vorgabe eines unstetigen Regelgesetzes für die   Komponenten des Eingangs

 

mit

 

Das Regelgesetz wird so gewählt, dass in endlicher Zeit die Schnittmenge   der   Schaltfunktionen erreicht wird, das System in der  -dimensionalen Gleitebene verbleibt und somit im idealen Fall ein Gleitregime entsteht[2]. Durch diesen zweistufigen Entwurfsprozess kann die Reglerauslegung vereinfacht werden, da im ersten Schritt nur ein  -dimensionales System betrachten wird, während der zweite Schritt sich der Stabilisierung eines  -dimensionalen Systems widmet.

Beispiel Bearbeiten

 
Exemplarische Trajektorie der Systemzustände von System   unter dem Regelgesetz   bei Annahme eines nichtidealen Schaltverhaltens der Regelung

Ein beispielhaftes System, beschrieben durch folgende beide Differentialgleichungen

 

ist um die Ruhelage   und   stabil, wenn der Zustand   auf die Gerade   geführt wird. Dies wird mithilfe der Definition einer Schaltfunktion

 

realisiert. Ist die Schaltfunktion null, so wird Bedingung   eingehalten und die Ruhelage des Systems   ist asymptotisch stabil. Der Unterraum   wird auch Gleitebene genannt. Ein passendes Regelgesetz führt die Systemzustände auf die Gleitebene. Um dieses Regelgesetz zu entwickeln, wird die Ableitung der Schaltfunktion   genutzt. Gilt   so sollte für die Ableitung   gelten, damit sich die Systemzustände auf die Gleitebene zubewegen. Analog sollte für   die Bedingung   gelten. Kompakt lässt sich die Bedingung über

 

formulieren. Wird in diesem Ausdruck die Ableitung der Schaltfunktion durch

 

ersetzt und das Regelgesetz

 

mit der Vorzeichenfunktion   formuliert, so gilt

 

und das Erreichen der Gleitebene wird mindestens asymptotisch garantiert. Die nebenstehende Abbildung zeigt, dass die Gleitebene tatsächlich in endlicher Zeit erreicht wird. Nach dem Auftreffen auf die Gleitebene sorgt das Regelgesetz   dafür, dass die Gleitebene nicht mehr verlassen wird. Man spricht von einem Gleitregime. In diesem Fall wurde die Gleitebene so gewählt, dass die Ruhelage des Systems asymptotisch stabilisiert wird. Da das Regelgesetz (3) unstetig ist, kann ein idealer Verbleib auf der Gleitebene aufgrund auftretender Totzeiten und Verzögerungen in einem realen System nicht umgesetzt werden.[3] Stattdessen kommt es zu dem sogenannten Rattern (englisch chattering), das in der nebenstehenden Abbildung exemplarisch dargestellt wird.

Eigenschaften von Gleitregimereglern Bearbeiten

Gleitregimeregler zeichnen sich insbesondere durch ihre Robustheit gegenüber Parameterunsicherheiten und Störungen aus.[3] Das unstetige Regelgesetz ermöglicht, außerhalb der Gleitebene mit großen Verstärkungen die Systemzustände auf die Gleitebene zu zwingen. Dies wird üblicherweisen durch den Einsatz von Vorzeichenfunktionen erreicht. Wird die Gleitebene erreicht, so verbleibt das System auch unter Störungen in diesem Unterraum[4], solange die Störungen klein genug sind, dass sie durch die Unstetigkeit des Regelgesetzes an der Gleitebene kompensiert werden. Ein Verbleib auf der Gleitebene wird als Gleitregime bezeichnet. Außerhalb der Gleitebene haben die Störungen jedoch weiterhin einen Einfluss auf den Systemzustand, sodass die Gleitebene meist auf einer anderen Trajektorie als ohne Störung erreicht wird.

Da eine Gleitregimeregelung im einfachsten Fall ein Umschalten zwischen zwei Zuständen wie „An“ und „Aus“ darstellt, ist eine Implementierung von Gleitregimereglern teilweise sehr einfach ohne hohe Genauigkeitsanforderungen umsetzbar. Beispielsweise kann der Einsatz von Zweipunktreglern in Heizungen, Kühlschränken oder Öfen auch als Gleitregimeregelung angesehen werden.

Eine weitere Eigenschaft von Gleitregimereglern ist, dass die Gleitebene üblicherweise in endlicher Zeit erreicht wird.[1] Dies wird in der Regelungstechnik als vorteilhaft gegenüber einer asymptotischen Annäherung an die Gleitebene angesehen, bei der die Gleitebene theoretisch nie erreicht wird.

In einem realen System schalten die Stellglieder nicht ideal und gleichzeitig gibt es Verzögerungen in Sensoren und Aktoren, die meist nicht modelliert werden.[1] Somit kann ein idealer Verbleib auf der Gleitebene nicht eingehalten werden. Stattdessen ist meist eine Art „Zickzackbewegung“ um die Gleitebene zu beobachten (Abbildung 1), die als Rattern bezeichnet wird. Für die Regelungsaufgabe ist dies meist unproblematisch, da trotz des Ratterns um die eigentliche Gleitebene, die vorteilhaften Eigenschaften der Gleitebene noch hinreichend ausgenutzt werden. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass durch die hart schaltenden Stellglieder keine Schäden an mechanischen und elektrischen Komponenten des Systems entstehen.[5]

Anwendungen von Gleitregimeregler finden sich unter anderem in der Leistungselektronik, beispielsweise in der Regelung von elektrischen Antrieben.[6] Durch elektrische Schalter können sehr einfach Gleitregimeregler implementiert werden. In diesen Anwendungen ist das Rattern an der Gleitebene unproblematisch, da es ein natürliches Ergebnis der Schalthandlungen ist. Tatsächlich muss im Gegenteil ein Mindestmaß an Rattern erzwungen werden, um die minimale Schaltfrequenz der leistungselektronischen Stellglieder zu gewährleisten und eine Überhitzung der Schalter zu vermeiden.

Mathematische Grundlagen Bearbeiten

Erreichbarkeitsbedingung Bearbeiten

 
Gleitregimeregelung in einem dreidimensionalen System mit einem zweidimensionalen Eingang, bei dem beide gewählte Gleitebenen bereits einzeln stabilisiert werden.

Ein Gleitregime ist erreichbar, wenn unabhängig von den Anfangszuständen des Systems die Systemzustände in endlicher Zeit auf die Gleitebene geführt werden. Hier wird üblicherweise mit einem Ljapunov-Ansatz gezeigt, dass das gewählte Regelgesetz die Gleitebene stabilisiert. Dazu wird der positiv definite Kandidat für eine Ljapunov-Funktion

 

genutzt. Die Ableitung dieser Funktion

 

muss bei Einsetzen des Regelgesetzes   überall außer auf der Gleitebene   negativ definit sein, um eine Erreichbarkeit des Gleitregimes nachzuweisen. In realen Systemen lässt sich dies üblicherweise nur lokal in einer Umgebung der Gleitebene nachweisen. Soll zusätzlich auch ein Erreichen des Gleitregimes in endlicher Zeit nachgewiesen werden, so muss die Bedingung an die Ableitung zu

 

verschärft werden. Abgesehen von der Gleitebene muss die Ableitung von   also eine obere Schranke kleiner als null besitzen. Wenn zudem gilt

 

so sind bereits die von den einzelnen Schaltfunktionen aufgespannten Gleitebenen stabil. In diesem Fall kann davon ausgegangen werden, dass jede einzelne Gleitebene   in endlicher Zeit erreicht wird und ein Gleitregime auf der jeweiligen Gleitebene entsteht. Wurden alle einzelnen Gleitebenen erreicht so gilt   und das Gleitregime existiert auf dem gemeinsamen Unterraum aller Gleitebenen. Dies wird exemplarisch in nebenstehender Abbildung für zwei Gleitebenen gezeigt.

Als Alternative für einen Ljapunov-Kandidaten kann auch

 

mit der elementweisen Vorzeichenfunktion   genutzt werden.[1]

Bewegung auf der Gleitebene Bearbeiten

Wenn sich das System auf der Gleitebene   befindet und das Regelgesetz einen Verbleib auf der Gleitebene sicherstellt, so ist es schwierig für allgemeine System der Form

 

eine Lösung für die Differentialgleichung auf der Gleitebene anzugeben. Unter Annahme eines idealen Verbleibs auf der Gleitebene sind klassische Existenzsätze für die eindeutige Lösung der Differentialgleichung wie der Satz von Picard-Lindelöf nicht anwendbar, da die Differentialgleichung aufgrund des unstetigen Regelgesetzen nicht lipschitzstetig ist. Es lassen sich Lösungen finden, indem das auf Verzögerungen, Totzeiten und weiteren meist nicht modellierten Effekten beruhende Rattern miteinbezogen wird. Diese basieren auf einer Grenzwertbetrachtung, bei der das Rattern sukzessive verschwindet. Diese Lösungen sind je nach Methode jedoch nicht unbedingt eindeutig und hängen zudem von der Ursache des Ratterns ab[1].

Äquivalentes Regelgesetz Bearbeiten

Für den in der regelungstechnischen Praxis sehr relevanten Spezialfall eines eingangsaffinen Systems

 

lässt sich mithilfe der Methode des äquivalenten Regelgesetzes eine eindeutige Lösung der Differentialgleichung auf der Gleitebene bestimmen. Dazu wird davon ausgegangen, dass neben   auch für die Ableitung

 

gelten muss. Unter der Voraussetzung, dass die Matrix   regulär ist, kann so ein äquivalentes Regelgesetz

 

angegeben werden. Das äquivalente Regelgesetz bildet eine Art Mittelwert des real schaltenden Systems ab. Ein Einsetzen von   in die Differentialgleichung des Systems und die zusätzliche Bedingung   führt zu dem gewöhnlichen Differential-Algebraischen System

 

der Ordnung  . Das System ist dann in den meisten Fällen lipschitzstetig und besitzt eine eindeutige Lösung. Es ist zu beachten, dass außer für den Spezialfall   sich der Ausdruck   nicht zur Einheitsmatrix vereinfachen lässt. Nur im Fall von   gilt  .

Invarianz gegenüber Störungen Bearbeiten

Die Eigenschaft eines Gleitregimereglers Störungen im Gleitregime zu unterdrücken, kann für eingangsaffine Systeme der Form

 

nachgewiesen werden[1]. Hier bezeichnet   eine nicht näher bekannte aber begrenzte Störung. In diesem Fall lässt sich das äquivalente Regelgesetz über

 

formulieren. Die Bewegung auf der Gleitebene wird dann mit

 

beschrieben.   ist die n-dimensionale Einheitsmatrix. Unter der Voraussetzung, dass der Rang der Matrix

 

ist, wird die Störung vollständig unterdrückt. Unter dieser Bedingung existiert ein Vektor  , sodass

 

und somit

 

gilt. Das Regelgesetz unterdrückt folglich alle Störungen im Gleitregime die über den Eingang des Systems direkt kompensiert werden können. Etwas ungenau formuliert lässt sich sagen, dass üblicherweise Störungen, die ein Verlassen des Gleitregimes bewirken würden, kompensiert werden, während Störungen, die nur die Bewegung auf der Gleitebene beeinflussen nicht kompensiert werden.

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. a b c d e f Sliding Mode Control in Electro-Mechanical Systems. CRC Press, 2017, ISBN 978-1-315-21897-7, doi:10.1201/9781420065619 (taylorfrancis.com [abgerufen am 19. Mai 2021]).
  2. Thi Mai Phuong Nguyen: Beiträge zum Entwurf von Gleitregimereglern mit flachheitsbasierter Trajektorienvorgabe für Antriebssysteme. Shaker Verlag, Achen 2014, ISBN 978-3-8440-3128-7, S. 23–24.
  3. a b Wilfrid Perruquetti, Jean Pierre Barbot: Sliding mode control in engineering. M. Dekker, New York 2002, ISBN 0-8247-0671-4.
  4. V. Utkin: Variable structure systems with sliding modes. In: IEEE Transactions on Automatic Control. Band 22, Nr. 2, April 1977, ISSN 0018-9286, S. 212–222, doi:10.1109/TAC.1977.1101446 (ieee.org [abgerufen am 17. Mai 2021]).
  5. Hassan K. Khalil: Nonlinear systems. Third edition Auflage. Upper Saddle River, New Jersey 2002, ISBN 0-13-067389-7.
  6. V.I. Utkin: Sliding mode control design principles and applications to electric drives. In: IEEE Transactions on Industrial Electronics. Band 40, Nr. 1, Februar 1993, ISSN 0278-0046, S. 23–36, doi:10.1109/41.184818 (ieee.org [abgerufen am 17. Mai 2021]).

Weiterführende Literatur Bearbeiten

  • Vadim I. Utkin: Sliding Modes in Control and Optimization. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 1992, ISBN 978-3-642-84379-2
  • Yuri Shtessel: Sliding Mode Control and Observation. Birkhäuser, New York, NY 2014, ISBN 978-0-8176-4893-0