Ein komplementärer Unterraum, kurz Komplementärraum oder Komplement, ist im mathematischen Teilgebiet der linearen Algebra ein möglichst großer Unterraum eines Vektorraums, der einen vorgegebenen Unterraum nur im Nullpunkt schneidet. Der gesamte Vektorraum wird dadurch gewissermaßen in zwei unabhängige Teile zerlegt.

Komplement eines Untervektorraums

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Definition

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Es sei   ein Vektorraum über einem Körper   und   ein Untervektorraum von  . Dann heißt ein Untervektorraum   komplementär oder ein Komplement zu  , wenn die Bedingungen

  •  

und

  •  

erfüllt sind. Dabei ist   der Nullvektorraum und   steht kurz für

 

Bemerkungen und Eigenschaften

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  • Man sagt dann auch:   ist die innere direkte Summe von   und  , und schreibt  .
  • Sind   Unterräume von   und   ihre äußere direkte Summe, dann gilt: Der Homomorphismus
 
ist genau dann ein Isomorphismus, wenn   und   komplementär sind, d. h., wenn   die innere direkte Summe von   und   ist.
  • Zu einem Untervektorraum   eines Vektorraumes   existiert stets ein komplementärer Untervektorraum. Das folgt aus dem Basisergänzungssatz. Komplemente sind aber im Allgemeinen nicht eindeutig bestimmt.
  •   ist genau dann ein Komplement von   in  , wenn sich jeder Vektor   eindeutig als
 
mit   und   schreiben lässt.
  • Für die Dimensionen der entsprechenden Untervektorräume gilt
 
Die Dimension des Komplementärraums   wird auch als Kodimension von   in   bezeichnet.
  • Ist   ein Komplement zu  , so ist auch   ein Komplement zu  .
  • Die Einschränkung der kanonischen Projektion   auf   ist ein Isomorphismus, siehe Faktorraum.

Zusammenhang mit Projektionen

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Es sei   ein Unterraum im Vektorraum  .

  • Ist   ein Komplementärraum von  , so kann man nach obigem jedes Element   aus   eindeutig als Summe   mit   und   darstellen. Dann ist   eine Projektion mit dem Bild   und Kern  .
  • Ist umgekehrt   eine Projektion mit Bild  , so ist der Kern   ein Komplementärraum von  .

Man erhält auf diese Weise eine Bijektion von der Menge aller Komplementärräume von   auf die Menge aller Projektionen auf   mit Bild  . Die Projektionen mit Bild   bilden einen affinen Raum über dem Vektorraum  .

 
Jeder Unterraum   ist ein Komplement zu  .

Beispiel

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Wir betrachten den Unterraum   wie in nebenstehender Zeichnung. Zu jeder reellen Zahl   sei   die Gerade durch 0 mit Steigung  . Jeder solche Unterraum   ist ein zu   komplementärer Unterraum von  . Die zugehörige Projektion hat die Matrixdarstellung  . Man sieht der Matrixdarstellung direkt an, dass   das Bild ist, denn die erste Zeile der Matrix besteht nur aus Nullen. Der Kern von   ist  , denn aus   folgt  , das heißt, der Kern besteht aus allen Punkten   mit  , und das ist genau die Gerade durch 0 mit Steigung  .

Orthogonales Komplement

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Definition

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Es sei   ein Vektorraum über einem Körper  , auf dem eine symmetrische oder alternierende Bilinearform oder eine hermitesche Sesquilinearform   gegeben ist. Für einen Unterraum   heißt

 

das orthogonale Komplement oder der Orthogonalraum von   in  . Man beachte, dass es im Allgemeinen kein Komplement von   im oben definierten Sinne ist. Der Dualitätssatz besagt jedoch, dass, falls   endlichdimensional und   sowohl auf   als auch auf dem Unterraum   nicht ausgeartet ist,   gilt.

Die letzte Eigenschaft ist beispielsweise für Skalarprodukte auf reellen oder komplexen Vektorräumen stets erfüllt.

Orthogonales Komplement in Hilberträumen

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Ist   ein Hilbertraum, so ist das orthogonale Komplement eines Unterraumes   ein Komplement seines Abschlusses  , d. h.

 , wobei   als innere orthogonale Summe gelesen wird.

Das orthogonale Komplement ist stets abgeschlossen und es gilt

 .

Komplemente in Banachräumen

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Sei   ein (endlichdimensionaler oder unendlichdimensionaler) vollständiger, normierter Vektorraum, also ein Banachraum, und sei   ein abgeschlossener Unterraum, zu dem ein abgeschlossener Komplementärraum   existiert, so dass die Räume   und   algebraisch isomorph sind, dann ist der durch   definierte Isomorphismus auch ein topologischer Isomorphismus. Das heißt, die Abbildung und ihre Umkehrabbildung sind stetig.

In Banachräumen haben abgeschlossene Unterräume nach obigem stets einen Komplementärraum, aber das bedeutet nicht, dass man auch einen abgeschlossenen Komplementärraum finden könnte. Dies ist vielmehr eine Charakterisierung der topologischen Vektorraumstruktur von Hilberträumen, in denen man stets das orthogonale Komplement zur Verfügung hat, denn es gilt folgender Satz von Lindenstrauss-Tzafriri[1][2]:

  • Ein Banachraum ist genau dann stetig isomorph zu einem Hilbertraum, wenn jeder abgeschlossene Unterraum einen abgeschlossenen Komplementärraum besitzt.

Zur Existenz von Komplementärräumen gilt folgender Satz von Sobczyk[3]:

  • Ein zum Folgenraum c0 isomorpher Unterraum eines separablen Banachraums hat stets einen abgeschlossenen Komplementärraum.

Im nicht-notwendigerweise-separablen Fall gilt die Aussage dagegen nicht: Man kann zeigen, dass zu   kein abgeschlossener Komplementärraum existiert.[4]

Invariante Komplemente

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Sei   ein Vektorraum,   ein Endomorphismus von   und   ein  -invarianter Unterraum, d. h.  . Dann besitzt   nicht immer ein  -invariantes Komplement. Gibt es zu jedem invarianten Unterraum ein invariantes Komplement, heißt der Endomorphismus halbeinfach. Über algebraisch abgeschlossenen Körpern ist Halbeinfachheit äquivalent zu Diagonalisierbarkeit.

Analoge Begriffe werden in der Darstellungstheorie verwendet. Für eine unitäre Darstellung ist das orthogonale Komplement eines invarianten Unterraums wieder invariant, folglich ist jede endlichdimensionale unitäre Darstellung halbeinfach.

Wenn man die invarianten Unterräume als Untermoduln interpretiert, werden die invarianten Komplemente zu komplementären Untermoduln im Sinn des folgenden Abschnitts.

Verallgemeinerung

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Die Definition von Komplementen lässt sich wörtlich auf Moduln verallgemeinern. Allerdings gibt es zu einem Untermodul eines Moduls über einem Ring nicht mehr stets einen komplementären Untermodul. Ein Modul, in dem jeder Untermodul ein Komplement besitzt, wird halbeinfacher Modul genannt. In dieser Sprechweise sind also beispielsweise Vektorräume halbeinfache Moduln. Der  -Modul   ist nicht halbeinfach, weil der Untermodul   kein Komplement besitzt.

Statt „besitzt ein Komplement“ sagt man auch „ist ein direkter Summand“. Projektive Moduln sind dadurch charakterisiert, dass sie isomorph zu direkten Summanden freier Moduln sind. Injektive Moduln sind dadurch charakterisiert, dass sie in jedem Obermodul ein Komplement besitzen.

Die Beziehung zu Projektionen sowie die einfach transitive Operation von   auf der Menge der Komplemente von   in   überträgt sich ebenfalls auf den Modulfall (sogar auf beliebige abelsche Kategorien).

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. J. Lindenstrauss, L. Tzafriri: On the complemented subspaces problem, Israel Journal of Mathematics (1971), Band 9 (2), Seiten 263–269
  2. Guido Walz (Herausgeber): Lexikon der Mathematik, Band 3, Springer-Verlag 2017 (2. Auflage), ISBN 978-3-662-53501-1, Eintrag komplementierter Unterraum eines Banachraums, Seite 148
  3. R. Meise, D. Vogt: Einführung in die Funktionalanalysis, Vieweg, 1992 ISBN 3-528-07262-8, Satz 10.10
  4. R. Meise, D. Vogt: Einführung in die Funktionalanalysis, Vieweg, 1992 ISBN 3-528-07262-8, Satz 10.15