Als Übergangskern bezeichnet man spezielle Abbildungen zwischen Messräumen in der Wahrscheinlichkeitstheorie, die im ersten Argument messbar sind und im zweiten Argument ein Maß liefern. Spezialfälle von Übergangskernen sind die sogenannten stochastischen Kerne, die auch Markow-Kerne oder Wahrscheinlichkeitskerne genannt werden. Bei ihnen ist das Maß immer ein Wahrscheinlichkeitsmaß. Ist das Maß immer ein Sub-Wahrscheinlichkeitsmaß, so spricht man auch von Sub-Markow-Kernen oder substochastischen Kernen.

Insbesondere die Markow-Kerne spielen eine wichtige Rolle in der Wahrscheinlichkeitstheorie wie beispielsweise bei der Formulierung der regulären bedingten Verteilung oder der Theorie der stochastischen Prozesse. Hier bilden sie im Speziellen die Basis für die Formulierung der Übergangswahrscheinlichkeiten von Markow-Ketten oder Existenzaussagen wie den Satz von Ionescu-Tulcea.

Definition Bearbeiten

Gegeben seien zwei Messräume   und  . Eine Abbildung   heißt ein Übergangskern von   nach  , wenn gilt:

  • Für jedes   ist   ein Maß auf  .
  • Für jedes   ist   eine  -messbare Funktion.

Ist das Maß für alle   ein σ-endliches Maß, so spricht man von einem σ-endlichen Übergangskern; ist es stets endlich, so spricht man von einem endlichen Übergangskern. Ist das Maß für alle   ein Wahrscheinlichkeitsmaß, so nennt man   einen stochastischen Kern oder Markow-Kern. Ist das Maß für alle   ein Sub-Wahrscheinlichkeitsmaß, so heißt   ein substochastischer Kern oder sub-Markow'scher Kern.

Bemerkung: Bei manchen Definitionen werden die Argumente von   in umgekehrter Reihenfolge geschrieben,   oder auch  , in Anlehnung an bedingte Wahrscheinlichkeiten.

Elementare Beispiele Bearbeiten

  • Die Poisson-Verteilung   ist ein Markow-Kern von   nach  . Denn die Funktion   mit Parameter   ist stetig in   und daher messbar. Des Weiteren ist für jedes   die Poisson-Verteilung mit Parameter   eine Wahrscheinlichkeitsverteilung. Also handelt es sich um einen Übergangskern.
  • Die stochastische Matrix
 
kann als ein Markow-Kern von   nach   aufgefasst werden. Denn für jedes   ist die  -te Zeile ein Wahrscheinlichkeitsvektor und damit ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf  . Außerdem ist sie eine Abbildung zwischen endlichen Mengen versehen mit der Potenzmenge und damit messbar.

Eigenschaften Bearbeiten

Maße durch Kerne Bearbeiten

Jedem Maß   auf   ordnet   durch

 

ein Maß   auf   zu. Dieses Maß wird üblicherweise mit   bezeichnet. Ist   ein Wahrscheinlichkeitsmaß, gilt also  , dann ist auch  , das heißt,   ist ebenfalls ein Wahrscheinlichkeitsmaß.

Im Fall   wird ein Maß  , für das   gilt, stationäres Maß genannt. Ein stationäres Wahrscheinlichkeitsmaß heißt auch stationäre Verteilung.

Messbare Funktionen durch Kerne Bearbeiten

Jeder nichtnegativen messbaren Funktion   ordnet   durch

 

eine nichtnegative messbare Funktion   zu. Diese Funktion wird üblicherweise mit   bezeichnet. Mit der Kurzschreibweise   gilt für alle Maße   auf   und alle nichtnegativen messbaren Funktionen   die Gleichung  .

Diskreter Fall Bearbeiten

Im diskreten Fall, wo   und   endliche oder abzählbare Mengen sind, genügt es die Wahrscheinlichkeiten   anzugeben, mit denen man vom Zustand   in den Zustand   gelangt. Mit den Bezeichnungen des allgemeinen Falls gilt dann  . Diese Wahrscheinlichkeiten bilden eine Übergangsmatrix  , die die Eigenschaft hat, dass alle Elemente zwischen   und   liegen und dass die Zeilensummen   den Wert   haben. Eine solche Matrix wird als stochastische Matrix bezeichnet. Sie ordnet jeder Wahrscheinlichkeitsverteilung auf   mit einer Zähldichte   die Zähldichte

 

einer Wahrscheinlichkeitsverteilung auf   zu, das heißt,   wird mit der üblichen Matrixmultiplikation berechnet, wobei Zähldichten als Zeilenvektoren aufgefasst werden.

Ist   eine nichtnegative Funktion, aufgefasst als Spaltenvektor   mit nichtnegativen Einträgen, dann gilt

 .

Das heißt, im diskreten Fall wird auch  , aufgefasst als Spaltenvektor mit Indizes in  , mit der üblichen Matrixmultiplikation berechnet.

Bemerkung: Bei manchen Definitionen werden Zeilen und Spalten der Matrix umgekehrt verwendet.

Operationen von Übergangskernen Bearbeiten

Verkettung Bearbeiten

Sind drei Messräume   gegeben sowie zwei substochastische Kerne   von   nach   und   von   nach   , so ist die Verkettung der Kerne   und   eine Abbildung

 

definiert durch

 .

Die Verkettung ist dann ein substochastischer Kern von   nach  . Sind   und   stochastisch, dann ist auch   stochastisch.

Produkte Bearbeiten

Gegeben seien die Maßräume   und   und zwei endliche Übergangskerne   von   nach   und   von   nach   . Dann definiert man das Produkt der Kerne   und  

 

als

 .

Das Produkt   ist dann ein σ-endlicher Übergangskern von   nach  . Sind beide Kerne stochastisch (bzw. substochastisch), so ist auch das Produkt der Kerne stochastisch (bzw. substochastisch).

Ist   nur ein Kern von   nach  , so fasst man den Kern als Kern von   auf, der unabhängig von der ersten Komponente ist.

Weitere Beispiele Bearbeiten

  • Ist   ein Wahrscheinlichkeitsmaß auf  , dann ist   eine (von   unabhängige) Übergangswahrscheinlichkeit.
  • Für   und das Diracmaß   im Punkt   wird durch   eine Übergangswahrscheinlichkeit von   nach   definiert, die auch Einheitskern genannt wird. Es gilt   für alle Maße   auf   und   für alle nichtnegativen messbaren Funktionen  .
  • Sind   eine nichtnegative und bezüglich der Produkt-σ-Algebra   messbare Funktion und   ein Maß auf   mit   für alle  , dann wird durch
 
eine Übergangswahrscheinlichkeit definiert. Hier ist also   das Wahrscheinlichkeitsmaß auf   mit der  -Wahrscheinlichkeitsdichte  .
  • Sei   fest und   die Binomialverteilung mit Parametern   und  , aufgefasst als Wahrscheinlichkeitsmaß auf  . Dann wird durch
 
eine Übergangswahrscheinlichkeit von   nach   definiert. Ist beispielsweise   eine Betaverteilung auf  , dann ist   die zugehörige Beta-Binomialverteilung auf  .

Darstellung als Daniell-stetige Abbildungen und Komposition Bearbeiten

Jedem Markow-Kern   von   nach   ist auf dem Raum   der numerischen, nichtnegativen Funktionen   über

 

eine Abbildung   mit folgenden Eigenschaften zugeordnet:

  1.   für jedes   (Positivität),
  2.   für jede monoton wachsende Folge   in   (Daniell-Stetigkeit, nach Percy John Daniell),
  3.   (Additivität).

Zu jeder Abbildung   mit diesen Eigenschaften gibt es wiederum genau einen Kern, für den   die so gebildete Abbildung darstellt.

Aus der Komposition dieser Abbildungen   kann eine Definition für die Komposition der zugehörigen Kerne hergeleitet werden: Durch

 

ist ein stochastischer Kern von   nach   definiert, der als Komposition von   und   bezeichnet wird. Im diskreten Fall entspricht   der Multiplikation der beiden Übergangsmatrizen.

Spezielle Anwendungen Bearbeiten

Markow-Kerne finden breite Anwendung bei der Modellbildung etwa unter Zuhilfenahme von Markow- und Hidden-Markow-Modellen. In der Quantenphysik werden oft Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen quantenmechanischen Zuständen untersucht. Außerdem werden Markow-Kerne in der mathematischen Statistik verwendet, um im Rahmen eines allgemeinen statistischen Entscheidungsproblems eine Entscheidungsfunktion zu definieren, die jedem Ausgang eines Experiments eine Entscheidung zuordnet. Dabei kann die Entscheidung sowohl eine Parameterschätzung als auch die Wahl eines Konfidenzintervalls oder die Entscheidung für oder gegen eine Hypothese sein.

Literatur Bearbeiten