Zensur (Informationskontrolle)

mit Machtmitteln versehene Kontrolle menschlicher Äußerungen

Zensur (lateinisch censura) ist der Versuch der Kontrolle menschlicher Äußerungen. Sie führt bei Bedarf zu rechtskonformen oder außerrechtlichen Sanktionen, etwa zur Behinderung, Verfälschung oder Unterdrückung von Äußerungen vor oder nach ihrer Publizierung.[1] Durch restriktive Verfahren – ausgeübt u. a. durch staatliche Instanzen, religiöse oder private (etwa privatwirtschaftliche) Stellen[2]  – soll die frei zugängliche Information durch Massenmedien oder durch persönlichen Informationsverkehr eingeschränkt oder unterbunden werden, um den Diskurs zu kontrollieren, den freien Wettbewerb von Ideen zu unterbinden und die Verbreitung unerwünschter oder gesetzeswidriger Inhalte zu unterdrücken oder zu verhindern.[3][4]

Ein von den iranischen Behörden im Februar 2006 zensiertes Exemplar des Magazins National Geographic. Das vom weißen Aufkleber verdeckte Titelfoto zeigt ein sich umarmendes Paar.
Brennende Bücher auf dem Titelblatt des katholischen Index – der göttliche Heilige Geist ist als Taube dargestellt.
Karikatur von Luis Bagaría auf die spanische Zensur unter Diktator Primo de Rivera: „Zusammenarbeit – der Karikaturist: Herr Zensor: Bekanntlich ist ihr Stift besser als meiner. Also bitte ich Sie, mir die Karikatur anzufertigen. Wenn Sie wollen, mache ich Ihnen einen Vorschlag: Könnten Sie einen stämmigen und optimistischen Spanier zeichnen, der sagt: ‚Nie ging es mir besser als heute.‘?“
Zensureintrag im Drehbuch der Telenovela Roque Santeiro, 1985, während der Militärdiktatur in Brasilien. portugiesisch corte = Schneiden.
Ein Plakat des Haus der Weimarer Republik 2023 beschreibt den Grenzbereich zwischen Zensur und Meinungsfreiheit.

Etymologie Bearbeiten

Der Begriff „Zensur“ ist abgeleitet vom lateinischen Wort censura, das eine strenge Prüfung bzw. Beurteilung und zugleich das Amt eines Sittenrichters (Censors) im römischen Staat bezeichnete.[5]

Mit dem Wort Zins ist der Begriff Zensur (mit der auch die Bewertung von Schülern bezeichnet wird) ebenfalls verwandt, und zwar über die gemeinsame lateinische Wurzel censere, die eigentlich „schätzen“ bedeutet. Zum Verb censere wurde das Substantiv censura gebildet, das „Prüfung, Begutachtung, Kritik“ bedeutet und im 15. oder 16. Jahrhundert ins Deutsche übernommen wurde.[6]

Ziele und Begründungen von Zensur Bearbeiten

Vor allem Nachrichten, künstlerische Äußerungen und Meinungsäußerungen sind Gegenstände der Zensur. Die Zensur dient dem Ziel, das Geistesleben in religiöser, sittlicher oder politischer Hinsicht zu kontrollieren. Diese Kontrolle wird damit begründet, man wolle oder müsse schutzbedürftige Gesellschaftsgruppen vor der schädlichen Wirkung solcher Inhalte bewahren.

  • So begründete die katholische Kirche ihr Verbot häretischer Schriften (siehe auch Index Librorum Prohibitorum) mit dem Schutz des Glaubens (schon früh wurde auch Sittlichkeit als Argument herangezogen).
  • Sittlich begründet wird eine Zensur z. B. mit dem Schutz Minderjähriger vor Inhalten und Darstellungen, die deren seelische Entwicklung gefährden (zum Beispiel Gewaltdarstellungen oder menschenverachtende Formen der Sexualität), siehe hierzu auch Jugendschutz.

Von Seiten der von Zensur Betroffenen und auch in wissenschaftlichen Untersuchungen wurde und wird der Vorwurf erhoben, der wahre Beweggrund der Zensur seien der Schutz und der Machterhalt der sie ausübenden Eliten.[7]

Maßnahmen zur Kontrolle Bearbeiten

Zur Kontrolle werden, je nach Staat und Gesetzeslage, folgende Maßnahmen angewendet:[8][9]

  • Die Schaffung von Zensurkommissionen bzw. -behörden,
  • Verbot von Medien,
  • Verzeichnisse verbotener Medien (Schwarze Liste),
  • Verbot des Besitzes von periodisch erscheinenden Medien (Indices),
  • Beförderungs-, Verkaufs- und Erwerbsverbot von Medien,
  • Vorzensur (Maßnahme zur Prüfung von Schriften vor der Drucklegung),
  • Nachzensur (Kontrolle von bereits gedruckten und im Handel zugänglichen Druckwerken),
  • Untersagung bestimmter Inhalte und Aussageformen,
  • Impressumspflicht zur Identifikation von Urhebern,
  • Bindung der Herausgeber von Medien an Konzessionen und Privilegien, die auch wieder entzogen werden können,
  • Kautionszwang, d. h. die Verpflichtung, Geld bei der Zensurbehörde zu hinterlegen,
  • Zeitungssteuern (die sogenannte Stempelsteuer),
  • Beschränkungen von Berufszulassungen für Drucker,
  • Berufsverbote für Drucker und Entzug von Druckkonzessionen,
  • Geldbußen, Gefängnisstrafen sowie schließlich Landesverweis,
  • Einziehen einzelner Ausgaben von Medien,
  • Beschränkung der Erscheinungshäufigkeit periodischer Medien,
  • erhöhte Beförderungsgebühren für Medien.

Die Pressezensur umfasst das Verbot der Verbreitung (Ausstrahlung, Vertrieb) oder die inhaltliche Veränderung bzw. Kürzung. Bei Filmen werden beispielsweise zensurwürdige Szenen herausgeschnitten, Objekte verdeckt oder Ausdrücke mit einem Piepston (engl. Bleep) überlagert, letzteres auch bei der Wiedergabe von Tonaufnahmen.

Unterscheidungen in Deutschland Bearbeiten

Zensur als juristischer Vorgang Bearbeiten

Häufig wird – wie etwa im Grundgesetz – unter Zensur die Kontrolle von Presseerzeugnissen vor ihrer Veröffentlichung verstanden. Zensur in diesem Sinne, die sogenannte Vorzensur, ist ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, das in Art. 5 Abs. 2 GG festgelegt ist. Davon unterscheidet man die Nachzensur, bei der erst nach der Veröffentlichung in die freie Meinungsäußerung eingegriffen wird:[10]

Bei der Vorzensur müssen Medien (Filme, Bücher, Zeitschriften usw.) vor Veröffentlichung entsprechenden Institutionen zur Prüfung vorgelegt werden, die dann gegebenenfalls Abänderungen fordern oder das Werk indizieren, also in eine Schwarze Liste aufnehmen.

Die Nachzensur ist Bestandteil auch jener Rechtssysteme, in denen Vorzensur laut Verfassung verboten ist. Jeder darf seine Meinung zum Ausdruck bringen, kann aber nachträglich zur Verantwortung gezogen werden, wenn er dabei gegen Gesetze verstößt. Die Konsequenzen können Einziehung und Indizierung des betreffenden Werkes oder Bestrafung der Person sein. Ein Beispiel aus der deutschen Nachkriegsgeschichte ist die Kontroverse um die sog. Lex Soraya.

Da Grundrechte traditionell als Abwehrrechte Privater gegenüber dem Staat zu verstehen sind (Art. 1 Abs. 3 GG), ist in Deutschland eine verbotene Zensur im Sinne von Art. 5 Abs. 1, S. 3 Grundgesetz nur die Zensur durch den Staat oder dem Staat zurechenbare Stellen.

Eine Vorauswahl privater Stellen, ob Beiträge veröffentlicht werden oder nicht (z. B. einer Zeitungsredaktion vor der Veröffentlichung von Leserbriefen oder eines Forenmoderators vor oder nach der Veröffentlichung von Beiträgen in Online-Foren), ist daher keine Zensur im Sinne des Grundgesetzes und verfassungsrechtlich unbedenklich. Im Zuge der sogenannten mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten kommt je nach Sachverhalt der Stellenwert von Art. 5 Grundgesetz zwischen Privaten indirekt zum Tragen. Dabei handelt es sich dann allerdings um ein Auslegungsinstrument für andere Gesetze, nicht um eine direkte Anwendung des Zensurverbotes aus dem Grundgesetz.[11]

Zensur als sozialer Vorgang Bearbeiten

Die bloß juristisch aus dem Grundgesetz hergeleitete Definition von Zensur bildet lediglich einen Teilausschnitt des umgangssprachlich als „Zensur“ verstandenen sozialen Vorgangs ab.[12]

Eine Verbindung juristischer Dogmatik mit umgangssprachlicher Verwendung wird durch Johanne Noltenius vorgeschlagen. Sie definiert Zensur im materiellen Sinne als „Beeinflussung der öffentlichen Meinung“ dahingehend, „dass ein möglicher Beitrag zum Prozess der Meinungsbildung der Öffentlichkeit durch eine intervenierende Instanz entzogen oder verändert zugänglich gemacht wird.“[13]

Zensur wird als Diskurskontrolle im Sinne der Ausübung semantischer Herrschaft verstanden und bedeute eine „faktische, strukturelle Zensur […], die auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Alltags stattfindet“.[14] Sie beruht auf dem Eigentum an Produktionsmitteln und wird durch staatliche Macht abgesichert. Wirtschaftlich und politisch wirksame Lobby-Gruppen bedienen sich des Staates, indem sie ihn zur Sanktion unwillkommener Ansichten auffordern. „Zensur ist ein Mittel sozialer Kontrolle zur Aufrechterhaltung bestehender Produktionsverhältnisse“, wie Kienzle und Mende ausführen. Der Staat belohne herrschaftskonformes Verhalten und werde vor allem dann tätig, wenn von gesellschaftlichen Akteuren sexualmoralische, kulturelle, soziale, religiöse oder politische Normen hinterfragt würden, die er zur Aufrechterhaltung seiner Legitimität benötige.[15] Soziale Zensur wird aber auch jenseits staatlicher Akteure von Pressure Groups ausgeübt, etwa im Rahmen von Cancel Culture oder der Maßnahmen zur Kulturellen Aneignung.

Sozial wirksame Zensur führt dazu, dass ein großes Potential von Phantasie, Kreativität und gesellschaftlichen Bewusstseins brachliegt oder vernichtet wird. Wirksam wird das in Form von Wissenschaftszensur, Rundfunkzensur, Pressezensur, Filmzensur, Bibliothekszensur, Theaterzensur und Kirchenzensur.

Literatur über Zensur Bearbeiten

Eine als klassisch geltende Stellungnahme gegen die Vorzensur ist die 1644 erschienene Rede „Areopagitica“ von John Milton, ähnlich wie die 1859 von John Stuart Mill veröffentlichte Schrift On Liberty.[16] Die klassische soziologische Studie zur Zensur stammt aus dem Jahr 1911 und ist von Vilfredo Pareto: Le mythe vertuiste et la littérature immorale (dt. Der Tugendmythos und die unmoralische Literatur, 1968).

Siehe auch Bearbeiten

Zensur in einzelnen Ländern

Literatur Bearbeiten

Weblinks Bearbeiten

Commons: Zensur – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Zensur – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Zensur – Zitate
Wikisource: Zensur – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise Bearbeiten

  1. Michael Kienzle, Dirk Mende (Hrsg.): Zensur in des Bundesrepublik Deutschland. Neu bearbeitete, ergänzte Taschenbuchausgabe. Wilhelm Heyne Verlag, München 1981, ISBN 3-453-01508-8, S. 284.
  2. Oliver Bendel: Definition: Was ist "Zensur"? In: Gablers Wirtschaftslexikon. Springer Gabler | Springer Fachmedien Wiesbaden, abgerufen am 1. Mai 2023.
  3. Duden | Zensur. Duden, abgerufen am 23. Oktober 2011.
  4. Klaus Schubert, Martina Klein: Das Politiklexikon. 4. Auflage. Dietz, Bonn, 2006, abgerufen am 23. Oktober 2011.
  5. Zensur. In: ruhr-uni-bochum.de. Archiviert vom Original am 18. Dezember 2013; abgerufen am 18. Mai 2023. (Archiv)
  6. wissen.de: Wortherkunft Zensur (Memento vom 19. Mai 2013 im Internet Archive)
  7. Ulla Otto: Die Zensur als Problem der Soziologie der Politik. 1969, S. 107–114, 130–146; Vilfredo Pareto: Der Tugendmythos und die unmoralische Literatur (entnommen aus Otto).
  8. Heinz Pürer, Johannes Raabe: Presse in Deutschland. 3. Auflage. UVK, Konstanz 2007, ISBN 978-3-8252-8334-6, S. 59 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  9. Michael Schaffrath: Zeitung. In: Werner Faulstich (Hrsg.): Grundwissen Medien. 5. Auflage. UVK, Konstanz 2004, ISBN 3-8252-8169-8, S. 491 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  10. Melanie Bär: Präventive Aufsichtsmaßnahmen im Bereich des privaten Fernsehens. Inaugural-Dissertation. Tübingen 2003 (PDF; 1,4 MB), S. 81 f.
  11. BVerfGE 7, 198 – Lüth.
  12. Michael Kienzle: Einleitung. In: Micael Kienzle, Dirk Mende (Hrsg.): Zensur in der Bundesrepublik. Fakten und Analysen (= Heyne-Buch. Band 7167). Neu bearbeitete, ergänzte Taschenbuch Auflage. Wilhelm Heyne Verlag, München 1981, ISBN 3-453-01508-8, S. 8.
  13. Johanne Noltenius: Die freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft und das Zensurverbot des Grundgesetzes,. In: Göttinger Rechtswiss. Studien. Göttingen 1958, S. 107.
  14. Michael Kienzle: Einleitung. In: Michael Kienzle, Dirk Mende (Hrsg.): Zensur in der Bundesrepublik. Fakten und Analysen (= Heyne-Buch. Band 7167). Wilhelm Heyne Verlag, München 1981, ISBN 3-453-01508-8, S. 8.
  15. Michael Kienzle, Dirk Mende: Stichwort "Zensur". In: Michael Kienzle, Dirk Mende (Hrsg.): Zensur in der Bundesrepublik. Fakten und Analysen (= Heyne-Buch. Band 7167). Neu bearbeitete, ergänzte Taschenbuch Auflage. Wilhelm Heyne Verlag, München 1981, ISBN 3-453-01508-8, S. 284.
  16. Ulla Otto: Die literarische Zensur als Problem der Soziologie der Politik. 1969, S. 41.